Tag

Sion Sono wird schon lange als der Nachfolger Takashi Miikes gehandelt. Bis zu 5 Filme pro Jahr und ein Themenspektrum, das zwar noch nicht ganz das des alteingesessenen Tausendsassas abdeckt, aber sich trotzdem vom vierstündigen Coming-of-Age-Höschenblitzer-Fanatismus-Terrorismusfilm Love Exposure bis hin zur elegischen SciFi-Parabel wie dem gerade laufenden A Whispering Star erstreckt.

Story

Mitsuko befindet sich zusammen mit ihrer Klasse aus der Mädchenschule auf einem Ausflug in einem Bus. Sie ist eher introvertiert und daher auch mit sich selbst und ihren Gedichten beschäftigt, die sie bedächtig zu Papier bringt, während die anderen Mädchen sich ausgelassen miteinander vergnügen. Und dies rettet sie. Als sie sich gerade nach ihrem heruntergefallenen Stift bückt, rauscht ein rasiermesserscharfer Wind vorbei und halbiert den fahrenden Bus und all seine Insassen. Nur Mitsuko überlebt das mysteriöse Massaker. Auf der Flucht vor der unsichtbaren Gefahr stolpert sie durch den Wald und wechselt ihre bluttriefende Uniform mit der einer verstorbenen Schülerin.
Plötzlich befindet sie sich nur noch mit bruchstückhafter Erinnerung wieder an der Schule. Doch ist sie weiterhin sie selbst? War der grauenhafte Vorfall ein Traum?

Kritik

Tatsächlich häufen sich die Literaturverfilmungen aus dem Hause Sono so langsam (bei einer derartigen Institution darf man mittlerweile wohl Worte wie Haus in den Mund nehmen). Während das Meisterwerk Himizu allenthalben auf seinen literarischen Ursprung aufmerksam machte, obschon der Film selbst durch die Fukushima-Katastrophe eigentlich stark von diesem abwich, wirkt Tag eigentlich überhaupt nicht so, obwohl hier sogar ein Roman von Yûsuke Yamada als Vorlage herhielt. Vielmehr erinnert der zügig erzählte Film an eine moderne Anime-Serie – denn der Handlungsverlauf ist latent episodisch und entblößt mit jedem neuen Kapitel ein wenig mehr Aufklärung und zugleich ein wenig mehr Mysterium. Dass Sono vom Quellmaterial teils streng abweicht, ist nur eine Erklärung für den ersten, nicht aber für den zweiten Eindruck.
Weil Tag demnach eine dieser Geschichten erzählt, deren entscheidender Auflösungskern nach und nach zum Vorschein kommt, während sich die Fragen gleich Zwiebelhäuten sukzessive von ihm lösen, ist es umso wichtiger, möglichst unbescholten und bar jeden Vorwissens an den Film heranzutreten. Deshalb ist auch der Handlungsabschnitt hier entsprechend knapp und vage ausgefallen.
Und wie ist er nun, der vorletzte und sage und schreibe sechste Film Sion Sonos aus dem Jahr 2015? Gut, solide gut. Durch seine Levelarchitektur bietet Tag große Abwechslung und nutzt diesen Spielraum für die Kreation angenehm gegensätzlicher Pole. Die Szenen, in denen die Protagonistin mit ihren Schulfreundinnen ausgelassen durch den Wald tollt, wirken ganz ungekünstelt wie ein berauschender Befreiungsschlag – vor allem dank des erhebenden Postrocks von Mono, der dem Film tatsächlich eine emotionale Zusatzdimension von großer Wichtigkeit verleiht.
Inszenierung und Geschichtsaufbau sorgen für eine Beständigkeit des Gefühls von Mysterium, schnellen aber auch so sehr durch die 85 Minuten Laufzeit, dass man ein wenig die charakterliche Tiefe bei den Nebenfiguren vermisst. Dank dieser Rasanz, wodurch sich der Eindruck eines Computerspiels noch verstärkt, läuft der Film aber auch nie Gefahr, seinen peitschenden Flow zu verlieren. Ein paar stark hervorstechende komödiantische Elemente sorgen außerdem dafür, das Interesse eng zu binden.
Die Auflösung der Geschichte entpuppt sich schließlich als janusköpfige Angelegenheit – denn so banal sie ist, so facettenreich kann sie gelesen werden. Und gerade in Form einer klar feministischen und Aussage, die in ihrer Formulierung durchaus Mut beweist, fungiert Tag als Gegengewicht zu Sonos ein Jahr zuvor erschienen Meisterwerk obszöner Eleganz Tokyo Tribe, dessen misogynen Elemente nicht immer sofort als Satire zu erkennen sind.

Fazit

Irgendwie ist ein Film wie Tag eine Zwangsläufigkeit in einem Gesamtwerk wie dem von Sion Sono. Denn bei einem Output von bis zu sechs Filmen pro Jahr muss irgendwo irgendwann zu erkennen sein, dass Prioritäten gesetzt und damit an anderer Stelle Eingeständnisse gemacht worden sind. So wirkt Tag dann auch eher wie eine kurze Fingerübung des enfant terrible des japanischen Gegenwartkinos. Doch dieser Eindruck kann nur im Vergleich mit seinen sonstigen Werken entstehen (und ist immer noch weitaus besser als z. B. bei Auftragsarbeiten wie Shinjuku Swan, die einzeln betrachtet aber ebenfalls immer noch mehr als ordentlich sind), für sich genommen ist dieses voranpreschende Abenteuer nämlich immer noch sehenswert – vor allem für Fans japanischen Kinos. Denn obwohl es sich hier um einen eher kleineren Film aus der Schmiede Sion Sonos handelt, darf man hier nicht erwarten, nicht auf exzentrische Einfälle und Cha-Cha-Cha tanzende Verrücktheiten zu treffen.

Assassination Classroom

Yûsei Matsuis Manga mit dem herrlich schrillen Titel Assassination Classroom wurde 2012 erstveröffentlicht und bekam dank zunehmendem Erfolg bereits ein Jahr später mit einem 30-minütigen Anime-Kurzfilm erweitert, eh er dann 2015 nicht nur eine ganze Anime-Serie mit bisher 44 Episoden, sondern auch zwei Filme spendiert bekam. Assassination Classroom ist der erste davon von Eiichirô Hasumi, der bisher primär mit kleineren Comicverfilmungen gewesen ist.


Story

Es sind seltsame Zeiten. Etwas hat zwecks Machtdemonstration ein riesiges Loch in den Mond gerissen und kündigt an, nach einer selbstgesetzten Frist, die gesamte Erde zu zerstören. Dieses Etwas ist ein menschgroßer gelber Oktopus mit einem smileygleichen Dauergrinsen auf dem kugelrunden Kopf. Um sich selbst eine Herausforderung zu stellen, gewährt das Wesen dem Blauen Planeten eine Chance: Ein Jahr lang wird es der neue Klassenlehrer der 3-E der Kunugigaoka-Mittelschule sein – jener Klasse, die gemeinhin als Gruppe der zum Scheitern verurteilten Außenseiter bekannt ist. Neben den normalen Fächern unterrichtet er die Jugendlichen außerdem in der Kunst des Tötens. Gelingt es ihnen, innerhalb der Frist einen Erfolgreichen Anschlag auf ihn zu verüben, bleibt die Erde verschont.
Die Überschallgeschwindigkeit, die außergewöhnlichen Reaktions- und Regenerationsfähigkeiten und nicht zuletzt die zahlreichen unbekannten Eigenschaften des wirbellosen Lehrkörpers erschweren dieses Vorhaben ebenso wie sein exzentrischer und irgendwie charismatischer Charakter.
Während das Fortbestehen der Erdenbevölkerung somit von den Fähigkeiten eines Haufens stark unterdurchschnittlicher Schüler abhängt, bleibt auch die Regierung nicht untätig und arbeitet ständig an neuen Kniffen, um die Chancen gegen das übermächtige Wesen zu vergrößern.

Kritik

Was für eine Geschichte! Und was für eine Optik. Der erfolgreiche Manga wurde mit viel Geld umgesetzt und lässt die reale Welt mit der comichaften Oktopuskreatur verschmelzen. Und das nicht ganz risikolose Experiment gelingt. Assassination Classroom ist die symbiotische Kombination von beiden Stilen mit Bravour gelungen und erschafft so eine recht individuelle Grundlage für diese nicht minder individuelle Geschichte.
Als gleichsam geglückt kann das Beisammensein der völlig überdrehten Ausgangslage mit der von den Figuren als durch und durch realen Gefahrensituation betrachtet werden. Und auch die Chemie zwischen dem alienhaften Aushilfslehrer und seinen Schülern stimmt durchweg. Eiichirô Hasumis Adaption fußt demnach auf einer starken Ausgangssituation und hat damit ob der irren Prämisse eigentlich auch schon die größte Hürde genommen.
Doch leider erschöpft sich das sehr bizarre Setting im Laufe des Filmes zusehends. Auch nach der hurtigen Einführung legt Assassination Classroom zwar erst einmal ein forsches Tempo vor, wird aber von Minute zu Minute langsamer und hat irgendwann all seine Trümpfe ausgespielt und überreizt. Natürlich wird der Oktopus sympathischer, natürlich gilt es, Eliminierungsversuche von dritten, eigenmächtig handelnden Parteien zu vereiteln oder zu überstehen – und natürlich geht es im Grunde darum, wie die 3-E zusammenwächst und -arbeitet.
Das eigentliche Mysterium und der vorgebliche Hauptkonflikt spielen in dem Film dafür nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dass die Gefahr nie global sichtbar ist, sondern sich so gut wie alles auf das Schulgelände beschränkt, ist durchaus sympathisch. Dass die Identität des Kraken ebenso wie die Gründe für sein Handeln entweder nur sehr vage angedeutet oder aber gar nicht erst thematisiert werden, nimmt dem größten Pluspunkt des Filmes – nämlich der Absurdität der Situation und insbesondere des grinsenden Tentakellehrers – zugleich auch sukzessive seine Einschlagskraft.
Nachdem die ersten großen Ideen abgefeuert wurden, wird Assassination Classroom dann leider Stück für Stück gewöhnlicher und stellt sich schließlich als im Herzen erzkonservativer Film heraus.
Zu einem schlechten Film wird Assassination Classroom dadurch noch lange nicht. Nicht nur die wunderliche Prämisse, auch in regelmäßigen, wenn auch zu langen, Abständen eingeworfene schräge Ideen füllen den Spaß immer wieder etwas auf.

Fazit

Unterm Strich verlässt sich  Assassination Classroom zu sehr auf die Attraktivität seiner irren Ausgangssituation und bietet im weiteren Verlauf zu wenig Außergewöhnliches. Optisch beeindruckt der Film vor allem durch die gelungene Eingliederung des animierten Comickraken, inhaltlich läuft sich die Grundidee aber ein wenig müde und enttäuscht gerade auch angesichts der hohen Erwartungen an das Szenario.
Die Entscheidung, die Geschichte auf zwei Filme aufzuteilen (der zweite erscheint dieses Jahr), hat sich letztlich vielleicht nicht monetär, gewiss aber künstlerisch als eine falsche herausgestellt.

Deadball

Yūdai Yamaguchis Filme können ohne Ausnahme zum Genre der japanischen Splatterkomödie gezählt werden. Die einzige Variation findet auf der Skala zwischen Horror und Klamauk statt, wobei er in der Regel als Autor auftritt. Zu seinem bekanntesten Filmen gehören Versus, Alive, und Meatball Machine. Seine erste Regiearbeit von 2003 namens Battlefield Baseball hat in entsprechenden Kreisen durchaus Kultcharakter. Deadball soll nicht nur thematisch an diesen Erfolg anknüpfen.

Story

Als der junge Jubeh Yakyu mit seinem übermenschlich starken Wurf versehentlich seinen Vater beim Baseballtraining tötet, schwört er, nie wieder diese Wurfpraktik anzuwenden. Jahre später ist Jubeh ein aufsässiger Erwachsener und wird infolge von Selbstjustiz in eine Justizvollzugsanstalt eingewiesen.
Er landet in einem Gefängnis unter der Leitung von Ishihara Enkelin eines deutschen Kriegsverbrechers im zweiten Weltkrieg. Diese wiederum zwingt Jubeh, der von ihr aufgestellten Gefangenenmannschaft beizutreten und mit dieser Baseball zu spielen. Dieses Team höchst unterschiedlicher Spieler tritt in einem Turnier gegen andere Gefängnismannschaften an.
Rasch stellt sich heraus, dass diese Veranstaltungen eine perfide, abgekartete Sache sind.

Kritik

Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass Deadball thematisch direkt an Yudai Yamaguchis Kultnachlass Battlefield Baseball anschließt. Auch hier spielt die Sportart absolut gar keine Rolle, auch hier ist ihre bloße Nennung Auslöser einer Geschichte, die beim leisesten Windhauch in sich zusammenzufallen droht, auch hier die Rechtfertigung für allerhand blutigen Blödsinn.
Für wen ist dieser Film? In erster Linie natürlich für Fans des Regisseurs und seiner Stilverwandtschaft – diese Sorte japanischer Kunstblutalbernheit, wie sie seit Jahrzehnten Hochkonjunktur haben. Wobei, so ganz stimmt das nicht – denn wie so viele aus dieser Sparte setzt Yudai Yamaguchi nicht auf Gallonen roter Farbe, sondern auf Körpersäfte und andere Mensch-Zutaten aus dem Rechner. Und das sieht man. Natürlich sind die Effekte bewusst durchschaubar gehalten, de facto ist es aber sehr selten, dass ein CGI-Blut-Film mit dem Charme liebevoller Handarbeit mithalten kann.
Ansonsten mangelt es dem Drehbuch an kreativen Spitzen eigentlich nicht. In den 99 Minuten steckt so viel Unfug, dass der Film über die volle Laufzeit durchaus bei der Stange zu halten weiß. Am bemerkenswertesten ist dabei, wie viele Gags man um den Hitlergruß herumbauen kann.
Der an Italo-Westerner angelehnte Protagonist Yakyû Jubei hat genügend krude Charaktereigenschaften, um den Film zu tragen – dank dem für diese Filme quasi gepachteten Tak Sakaguchi, der zusammen mit dem Regisseur durch Versus Bekanntschaft erreichte und in gefühlt jedem trashig angehauchten, semi-reflektierten östlichen Unfug mitspielt.
Nun steht und fällt ein solcher Film nicht nur mit seiner Kreativität, sondern auch mit der Qualität seines Humors. Und hier gerät Deadball einige Male ins Straucheln. Denn erst einmal muss gesagt werden, dass kein Witz oder Running Gag wirklich vom Hocker haut, stattdessen gibt es viele passable, einige nette und wenige sehr nette Späße, die primär durch ihr Timing zu überzeugen wissen. Doch ist hier eben auch Platz für Blödeleien, deren Plumpheit auch durch den Reflexivitäts-Stempel nicht aufgewertet werden und bestenfalls die Augen verdrehen lassen, meist aber zum partiellen Verabschieden des Grundinteresses führen.

Fazit

Letztlich ist Deadball natürlich genau das, was man von Yudai Yamaguchi erwartet und vermutlich auch erwünscht. Bewusst schrottiger Splatterblödsinn, der durch zahlreiche Absurditäten zusammengehalten wird und in seiner überhöhten, aber nie völlig abgehobenen Weise auch zu befrieden weiß. Die arg tumben Witze der Marke Flatulenzkadaver werden aber vermutlich nur den ganz harten Kern der Fanbase des Filmemachers zum Jubeln bringen.

The Adventure of Denchu-Kozo

The Adventure of Denchu-Kozo (Oder: The Adventures of Electric Rod Boy; oder: Denchû kozô no bôken; oder: 電柱小僧の冒険) ist der letzte Film, den Shinya Kutusuke drehte, ehe er mit Tetsuo: The Iron Man vollends zurecht auch der Welt außerhalb Japans ein Begriff wurde. Die Berlinale würdigte ihn zusammen mit Sogo Ishiis Isolation of 1/880000 in der neuen Sparte „Hachimiri Madness, in der sich die einmalige Gelegenheit bot, auf Leinwand zu bestaunen, was die 8-mm-Anfänge der prägenden Giganten japanischer Filmlandschaft aus der Punk-Gruft der 80er sind.

Story

Hikari ist ein gewöhnlicher Junge, der sich den Mobbingattacken seiner weniger zimperlichen Mitschüler zu stellen hat. Ihr Umgang mit ihm wird nicht dadurch verbessert, dass ihm ein Elektrizitätsmast aus dem Rücken wächst. Eines Tages schreitet das Mädchen Mome rettend ein und vertreibt die mitleidlosen Rüpel, welche Hikari das Leben schwer machen. Zum Dank zeigt dieser ihr das Ergebnis seines neuesten Bastelexperiments: Eine Zeitmaschine, durcheinander, handlich und  funktionsfähig, wie sich herausstellt, wenn Hikari plötzlich 25 Jahre in die Zukunft springt. Was er dort vorfindet, ist ein Japan, das von einem Vampirclan unterjocht wird, der alles daran setzt, eine Dr. Sariba zu töten. Nun muss Hikari seine besonderen Kräfte zum Einsatz bringen.

Kritik

Wie umschreibt man diesen nicht ganz 50-Minütigen Film über einen Jungen, dessen ihm aus dem Rücken ragender Strommast ganz unverhohlen einfach nur eine behelfsmäßig angebrachte Stange aus Pappmaché, Schaumstoff und etwas Hartmaterial ist? Der kurz sagt „Hey, ich habe da übrigens eine Zeitmaschine“, und damit eine wirre Ansammlung von Elektroschrott meint, den er mit sich rumschleppt? Der nach knapp 3 Minuten in einer Zukunft feststeckt, in der Vampire mit einer Bombe stete Dunkelheit über die Welt gebracht haben und nun eine Eva züchten, die diese Dunkelheit verewigen soll? Da The Adventure of Denchu-Kozo sowieso zwangsläufig jeder Beschreibung nur spotten kann. Und so kann hier eigentlich auch nur geraten werden, diese Explosion von Film zu schauen, denn so einmalig, rasant und altersfrei ist kaum etwas.
Die Ähnlichkeiten zu Tetsuo: The Iron Man sind offenkundig. Die Liebe zum Detail, die Fantasie in den Bildern. Der Film ist voll sind von kreativen Fleisch-Maschine-Vermengungen, Drahtknäulen, aus denen sich Kreatürlichkeit entfaltet, und Kostümen, die nahtlos mit der Umgebung verschmelzen. Dabei koexistiert bewusster Trash mit wahrhaft augenöffnenden Effekten. Wie alles im Film ergibt sich daraus eine Fusion, die in eine Diegese mündet, in der alles möglich erscheint und das meiste trotzdem überrascht.
An vielen Stellen wirkt dieser frühe Ausflug Kutusukes wie ein Musikvideo, an weiteren wie ein Experimentalfilm. Die Wahrheit liegt vielleicht irgendwo in der Mitte. Die mit einem Affenzahn durch Gänge rauschenden Vampire, welche sich ausschlich per Stop-Motion bewegen, geben das Tempo für den gesamten Film vor, der in seinen 50 Minuten Stoff verhandelt, der sich ohne Probleme auf eine zweistündige Erzählung erstrecken hätte könne.
Im Vergleich zu seinen späteren Werken fehlen die Momente der Ruhe, der ernsthaften, schmerzlichen Intensität, in denen die Mühlen kurz innehalten und Raum für Reflexion lassen. Der Film schleudert voran und heftet Irrsinn an Irrsinn, ohne Platz für Ernst zu lassen. Dieser Fehlende Ernst ist in gewisser Hinsicht aber auch das Bemerkenswerteste, weil Überraschendste Moment – an Shinya Kutusuke ist nämlich ein wahrer Komiker verlorengegangen, was man bei seinen späteren Werken allerdings nie wieder in dieser Form erahnen kann. Die zahlreichen Witze sind voller überraschender Pointen, garniert mit dreisten Wendungen und in keiner Weise an die Zeit gebunden. Hier beweist sich wieder einmal, was sich nur allzu selten beweist: Guter Humor ist nicht an Zeit gebunden. Er basiert auf dem Moment der Verblüffung, der Abkehr vom Erwartbaren. Und das ändert sich nicht mal eben in 30, 40 Jahren. Dass wir es hier mit einem Film aus (immer noch) völlig fremdem Kulturkreis zu tun haben, verstärkt diesen Effekt für den westlichen Zuschauer nur noch.
Fazit

The Adventure of Denchu-Kozo ist tatsächlich  ein Abenteuer. Eines der absolut aberwitzigen Sorte, das heute noch genauso überraschend, schockierend, energetisch und überwalzend wirkt wie vor 30 Jahren. Es braucht nur ein paar Sekunden, bis es seine metallenen Klauen um den Nacken des Zuschauers gelegt hat und ihn durchschüttelt, bis die Geschichte  in einen Abspann mündet, der dem Film in keiner Weise nachsteht.

Der Große Japaner – Dainipponjin

Der Comedian Hitoshi Matsumoto hat gut 5 Jahre an seinem ersten Film gearbeitet. Der Große Japaner – Dainipponjin ist oberflächlich betrachtet eine Verballhornung japanischer Monsterfilme, sogenannter Tokusatsu-Sendungen, geworden, was bereits in seinen zahlreichen Sendungen sein Markenzeichen war. Wird man mit dem Film konfrontiert, präsentiert er sich schnell als einer der seltsamsten und keineswegs genießbarsten Filme des letzten Jahrzehnts.

Brustwarzen sind wichtig. Ja…

Story

Das Tolle an Regenschirmen ist, sie werden nur groß, wenn man sie braucht. Seegras ist aus ähnlichen Gründen ganz wunderbar. Fahrräder mag er eher weniger. Mit der achtjährigen Tochter läuft es dafür nicht so rund. Sie lebt bei ihrer Mutter, einmal im Monat gehen Masaru Daisato und sie ins Kino. Der schwermütige Tropf, der hier tagein tagaus von einem Kamerateam begleitet wird, ist in seinem Alltag ein ganz normaler Japaner. Zugleich ist er aber auch der Letzte einer langen Reihe von Menschen, die durch direkte Starkstromeinwirkung zu Hünen mutieren, um Japan wann immer es nötig ist vor haushohen Ungeheuern zu beschützen.
Doch brach die Heldenverehrung lange ab. Japan hat die Begeisterung für seinen kühnen Nationalhelden längst verloren und empfindet den Retter eher als Störenfried und Plage. Immerhin ist er ein Beschützer sechster Generation. Nun ist sein Leben armselig, sein Gehalt mickrig, die Einschaltquoten nicht nennenswert.

Kritik

20 Minuten lang sieht man Masaru Daisato atonal, verunsichert, etwas schusselig reden, gefilmt von einer amteuerhaft geführten Handkamera, inteviewt von einem nie zu sehenden Fragensteller, der nicht durchblicken lässt, ob seine Fragen gut überlegt oder unvorbereitet und ahnungslos improvisiert sind. Das Gespräch ist banal, seine Antworten sind laff.
Dann beginnt der erste Kampf gegen ein Ringmonster mit schütterem Haar und Seitenscheitel, das wie ein irre gewordener Wal klingt und wo es nur kann laicht. Vom Design her sind die Monstrositäten äußerst gelungen. Die riesigen Hybriden aus abstrakten Organismen mit menschlichen Gliedern und überproportional großen Köpfen, wie sie auf den Schultern eines jeden Bürgers nicht auffielen, sind zugleich bemitleidenswert und derart unästhetisch und vulgär, dass automatisch Unwohlsein auslösen. Dass die Animationen der Riesen fast schon laienhaft ausfallen, passt dafür erstaunlich gut ins Bild. Die Kämpfe sind bewusst träge, die absurde Bewaffnung unseres Hauptdarstellerhühnen in Form einer kurzen Eisenstange herrlich unangemessen – und seine knappe purpurne Unterhose genauso unangenehm wie jede anderfe Art von Körperlichkeit in Dainipponjin.

Der Humor ist sehr leise, ergibt sich nur aus der absonderlichen Situation und nicht aus direktem Witz. Der Film ist zum Glück diszipliniert genug, nicht albern zu werden und das zerbrechliche Gleichgewicht zwischen lakonischer Tristesse und bizarrer Parallelwelt zu gefährden.
Doch dabei ist es eigentlich nur selten wirklich komisch, mit fortschreitender Laufzeit, in der wir den einsamen, in sich gekehrten Melancholiker begleiten, erhält der Film erst eine Aura der Bedrohlichkeit, die sich im Hintergrund immer spürbarer auftut und wird dann plötzlich einfach nur noch leer und trostlos.

Das Problem des Filmes: Dainipponjin – Der große Japaner setzt sich zusammen aus sehr vielen ruhigen Interviewpassagen, die nur dann und wann von den skurrilen Monstermissionen abgelöst werden. Die einzelnen Geschehnisse sind vom Prinzip her groß, hängen aber in keiner Weise zusammen. Sobald klar ist, dass die Geschichte genaugenommen nur eine lose Kette unzusammenhängender Ereignisse darstellt, ist es schwer, den Film mit großer Aufmerksamkeit weiterzuverfolgen, da die Einzelheiten nicht interessant genug sind und im Kontext des Gesamten keine nennenswerten Verknüpfungen zueinander aufbauen.
Der Mockumentary-Stil entschuldigt in gewissem Maße zwar die sehr lieblos geführte Kamera, ganz vergessen machen kann er sie aber nicht.
Trotzdem lässt sich eine sonderbare Art der Anziehung nicht bestreiten. Es gibt witzige Momente, die davor bewahren, Langeweile entstehen zu lassen. Aber das ist nicht der ausschlaggebende Punkt. Bemerkenswert sind vielmehr die weitaus zahlreicheren Szenen, die höchst irritierend sind, ohne dabei wirklich verstörend zu werken. Sie sind einfach nur seltsam. Und sonst nichts. Irgendwo in der Schnittmenge aus Scham, Mitleid und peinlicher Berührtheit spielt sich der Film ab.
Das klingt eigenartig und das ist eigenartig. Dainipponjin baut eine ungeheuer eigene Atmosphäre auf, die definitiv keinen Spaß macht, aber fraglos was für sich hat und behaupten kann, höchst eigen zu sein.. Ob das genügt, sich auf den Film einzulassen, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Die letzten 15 Minute sind dann urplötzlich ein Feuerwerk des Einfallsreichtums, wunderbar absurd, überdreht und spritzig. Dadurch entsteht ein Kontrast zum restlichen Film, der so enorm ist, dass es das Gesamtwerk fast schon rund macht. Doch das soll und kann nicht verheimlichen, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Satire nicht saftig genug ist, die Komödie nicht ausreichend witzig, die Tragödie zu zerfahren und nicht zuletzt auch das Spiel von Hitoshi Matsumoto nicht ausdrucksstark genug.

Fazit

Japans Comedian Hitoshi Matsumoto in Personalunion als Regisseur, Autor, Produzent und Hauptdarsteller schafft mit seinem Regiedebut etwas einzigartig Spleeniges, das dennoch nicht zwangsläufig sehenswert ist, da über Dainiponjin bei besten Willen nicht gesagt werden kann, dass er Spaß macht. Die Tokusatsu-Filme werden durch die orientierungslose Dramatik in gewisser Weise zwar treffend aufs Korn genommen, das Bemerkenswerteste an diesem Kuriosum ist aber zweifelsohne seine kaum zu beschreibende Atmosphäre, die sich aus merkwürdig anstößig anmutenden Schlichtheiten selbst gebärt.

Rain for the Dead

Japan Filmfest Hamburg Special 9

Story

Nur durch Zufall findet Yōjirō heraus, dass Zombies nicht auf Menschen reagieren, wenn es regnet. So kann er sich bei schlechtem Wetter gefahrlos durch die tote Stadt bewegen und Besorgungen tätigen. In seiner Wohnung wartet, angekettet in einer Ecke, seine Freundin Mami. Nachdem sie von ihrem Vater infiziert wurde, versorgt Yōjirō sie mit Fleisch und hofft wider alle Wahrscheinlichkeit darauf, dass sich seine Lebenspartnerin wieder in einen Menschen verwandelt.

Kritik

Thematische Trends sind so eine Sache. Häufig sind ihre Vorgaben recht eng, die Art und Weise, wie man sie umsetzen kann, nicht allzu variabel. Wenn inhaltlich Variationen ohne Weiteres nicht mehr möglich sind, ohne den Gegenstand zu sehr zu verfremden, sucht man nach Änderungsmöglichkeiten in der Form.
Auch in Rain for the Dead hat die Oberhand der Stil, wenn auch nur ein klein wenig. Man huscht nicht durch die strolchenden Zombies, man schreitet. Eingerahmt wird dies von Kameraperspektiven, die mal einsam und traurig, mal eigentümlich majestätisch scheinen, immer aber den Ehrgeiz versprühen, irgendetwas ausdrücken zu wollen. Rain for the Dead ist ein Film des Ausdrucks über das Eindringen. Das Eindringen von gesammeltem Regen in Gebäude, von abgebrühten Kämpfern in die biedere, aber glückliche Vergangenheit und von Baseballschlägern in Schädeldecken. Letzteres jedoch nur in der Theorie, de facto wird im gesamten Film kein einziger Zombie getötet.
Der ständige Regen ergießt sich in die Gassen, wo die Toten hilflos wie Stop-Motion-Figuren durch die Pfützen zuckeln, in ihrer Roboterhaftigkeit fast schon jämmerlich. Und zwischen ihnen hindurch spaziert Yôhirô, wie ein kindlicher König, dessen Land und Volk nur Hirngespinste sind. Zombies, die als entseelte Ungeheuer einstmals selbst für die Gefahr der Gleichgültigkeit standen, begegnet man nun mit eben dieser. Was um uns herum ist, das wird zur Normalität, zum Alltag, dies ist das Tragischste im Dasein des modernen Menschen.
Passender Weise ermöglicht dies der Regen, das Melancholischste, was Mutter Natur zu bieten hat. So ist es nur folgerichtig, dass die Wiedergänger mehr Automaten als Monster sind, die immer noch alte Routinen in rudimentärer Struktur in sich tragen, Arbeitswege abschreiten, schunkelnd vor ihrer Haustür verharren oder sich zu vertrauten Werkzeugen hingezogen fühlen. Der Mensch ist vollends zur Maschine geworden, die nur dann unter Fehlfunktionen leidet, wenn der animalische Kern zum Vorschein kommt.
Diese Symbolik zieht sich auch durch die anderen Bereiche des Filmes, wo sie noch viel subtiler zum Tragen kommt. Tatsächlich sind Zombies in Rain for the Dead eher arme, bemitleidenswerte Kreaturen, hilflos und tragisch. Und so mag auch der Titel zu verstehen sein, der Regen für die Zombies fordert, wie man einst auf Regen für die Ernte hoffte, um Leben in das tote Korn zu bringen. Damit darf der Film noch stärker als viele andere Zombiefilme gesehen werden als ein zynischer Abgesang auf die (japanische) Gesellschaft entseelter Funktionsträger, die lange schon nicht mehr der Moderne mit ihrem Aufruf, sich und seinem Tun eine normative Funktion zu geben, überein zu bringen sind, sondern ganz vom Kapitalismus gefressen wurden.

Wie in den meisten aktuellen Genrebeiträgen sind die Masken über die meisten Zweifel erhaben, man fährt hier nicht mit Horden von Entstellten auf, sondern gewährt stattdessen immer mal wieder vereinzelte Blicke auf die verstümmelten Geschöpfe und ihre Opfer. Die so gesetzten kleinen Spitzen sind nicht nur effektvoller, sondern bringen häufig auch ein paar nette Ausschmückungen mit sich. Mit effekthascherischem Gestus wird aber gar nichts gezeigt, die Kamera ist nahezu gleichgültig bei ihrer Musterung des Status quo.

All das funktioniert in seinen Feinheiten anstandslos, wird aber immer wieder enorm von gerade den emotional aufgeladenen Szenen getrübt, auf die es zusteuert. Der verklärte Blick des in der postapokalyptischen Gegenwart Gefangenen auf die rosige Vergangenheit ist immer begleitet von schwermütigem Kitsch, ohne den die eigentliche Botschaft und die Last der Gefühle jedoch viel wirksamer zur Geltung kommen würden.
Vor allem die Rückblenden stehen nicht nur im krassen, sondern im viel zu krassen Kontrast dagegen. Die aufgedrehte Art der Freunde, die spießbürgerliche Alltagsidylle zwischen ihm und seiner Freundin Mami. Hier findet Kontrast nur um des Kontrasts willen statt.
Doch ist die Epidemie erst einmal im Gange, lässt auch die rührige Verklärung nach und die zunehmenden Flashbacks gleichen sich der nihilistischen Stimmung der Gegenwart an. All das strahlt eine bedrückende Tristesse und Hoffnungslosigkeit aus, die den Film sehr erdrückend und trostlos wirken, obwohl er in optischer Hinsicht immer mal wieder kurze Schönheit zulässt. Zum Ende hin kommt dann in den gerade mal 68 Minuten Laufzeit doch etwas Leerlauf zustande, wenn der Film sich nur noch darauf beschränkt, Yôhirô dabei zu zeigen, wie er seiner Liebe Mami nachtrauert. Auch, dass er eingangs noch Text über die Szenen sprach, dieses Stilmittel nach der Einführung aber nie wieder Verwendung findet, wirkt unüberlegt und so ziellos wie die Handlung selbst.
Das Zombie-Malheur als deprimierendes Kammerspiel, das gab es auch schon in Portrait of a Zombie. Rain for the Dead hätte es aber gut getan, mehr von dem Draußen, mehr von den stillen Wanderungen des Protagonisten und mehr von den armen Kreaturen und ihrem schlimmem Schicksal zu zeigen. So aber formuliert der Film weder die Welt des Außen noch die Welt des Innen ausreichend gut aus, weshalb man sich in beiden nur wie ein Besucher fühlt, der einen kurzen Blick auf die Oberfläche erhaschen kann, dann aber sofort in den Abspann weiterziehen muss, bevor man sich so richtig mit dem Geschehen vertraut machen kann.

Fazit

Die Mangaverfilmung Rain for the Dead steuert inhaltlich zwar nichts Neues zum Zombiethema bei, besticht aber durch einen eigenen Stil und seine tief trostlose Stimmung. Leider kann der Film in der kurzen Spielzeit nicht das erreichen, was er sich vornimmt, zudem er sich zu sehr mit kitschigen Rückblenden aufhält.
Trotzdem lohnt sich ein Blick dank der gut umgesetzten Ansätze und dem beklemmenden Gefühl, das dieser Film auslöst.

Miss Zombie

15. Japan-Filmfest Special 5

Hiroyuki Tanaka, besserf bekannt unter seinem Künstlerpseudonym SABU, und bekannt wohl aufgrund von verschrobenen Filmen wie Monday, Blessing Bell und Postman Blues, hat sich in den letzten Jahren etwas rar gemacht. Nun kehrt der Kultregisseur zurück mit etwas für seine Vita sehr Ungewöhnlichen: Einem Zombiefilm. Wenn auch einer der ganz anderen Art.

Feed fruits or vegetables.

Story

In der Zukunft Japans lief die Zombifizierung der Gesellschaft ungewöhnlich ab. Schnell bekam man die Epidemie unter Kontrolle und eigentlich war die Welt wieder sicher. Außerdem gibt es Zombies verschiedenen Grades – es ist kein bipolares Entweder-Oder-System, sondern jeder Zombie hat zu gewissen Graden Menschlichkeit. Je mehr von dieser, desto geringer ist die Aggressivität.
Ein wohlhabendes Ehepaar ordert sich halblegal eine Zombiedinerin. Ihr Name ist Sara und sie soll als untotes Hausmädchen den Hof ihrer Halter pflegen.
Neben ein paar ungehobelten Lüstlingen sorgen aber auch aufkeimende Spannungen innerhalb der Familie für Probleme, denn die Anwesenheit von Sara bringt Veränderungen mit sich.

Kritik

Was immer SABU in den vergangenen Jahren auch getrieben hat, er hat gewiss nicht stillgesessen. Miss Zombie, und das merkt man ab der ersten Minute, ist das mit enormem Abstand reifste, wohlkomponierteste Werk des Regisseurs. Mit seiner Zombieparabel in Schwarzweiß hat er nicht nur seinen ungewöhnlichsten Genreausflug gemeistert, sondern auch noch einen der ganz wenigen modernen Schwarzweißfilme geschaffen, welche mit Fug und Recht behaupten dürfen, von ihrer Farbarmut enorm zu profitieren. Jedes Bild wie gemalt, jeder Schwenk ein gut durchdachtes Beben und jeder Schnitt ein Schritt beim Tanze. So, wie SABU es schafft, die Schwarzweiß-Kontraste zur Geltung zu bringen, hat man es in den letzten Jahren nirgends betrachten dürfen. Miss Zombie spielt ästhetisch ganz weit vorne mit. Das durchdachte Sounddesign, das mit Klarheit, Präzision und einer ungemein stimmigen Auswahl glänzt, und das hervorragende Editing werden fallen dadurch erst an zweiter Stelle auf – was sie nicht weniger gut und wirkungsvoll macht. Selbiges treffen auf den Bildaufbau und die erstaunlich effektive Raumgeometrie mit ihren Linien und Formen, zu. Das perfektionistische Gesamtbild ist ein Erlebnis, ohne dass man je das Gefühl bekommt, der Film könnte sich in seiner Schönheit selbst verlieren. Alles trägt optimal zur Stimmung herbei und liefert der Erzählung bemerkenswerte Unterstützung. Es verhält sich wie mit dem Jungen des Paares, das in einer kurzen Szene in der Mitte des Filmes mit der Sofortbildkamera durch den Hof trabt und fotografiert, was ihm im Augenblick gefällt. Die Bilder greifen allesamt aus ihren Momenten das Maximale an Schönheit; trotzdem bieten sie keinen verklärten Blick auf ihren Gegenstand, sondern etwas Reines, Unschuldiges, Naives, das nicht sensationslüstern, sondern einfach nur neugierig ist.
Der für Tanaka typische sehr spröde Humor fehlt auch hier nicht zu Gänze, ist aber nur selten und sehr leise eingebettet, als wüsste er sich aus Respekt vor seinem Gegenstand zurückzuhalten.
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Die Geschichte selbst kommt so langsam voran wie ein Zombie, ist dabei aber bei weitem ansehnlicher. Auf der einen Seite steht das sich zart, aber unaufhaltsam entwickelte Drama, das zwischen Ehemann, Gattin und Diener-Zombie entsteht, und langsam auf eine Eskalation
hinsteuert. Auf der anderen der kritische Hinweis auf den tatsächlichen Zustand in Japan, wo unzählige Hausmädchen illegal beschäftigt und auf ihre bloße Tätigkeit reduziert werden und in ertragender Unterwürfigkeit ihr Dasein fristen, wodurch fast schon eine Zweiklassengesellschaft mit stark patriarchalischer Ausprägung entsteht.
In den schönen Bildern von Miss Zombie ist viel zu entdecken und viele Szenen glänzen mit Doppelbödigkeit, ohne auch nur kurz von oben herab belehrend zu wirken.
Die Geschichte um ein Mädchen, das ausschließlich für den Dienst lebt und sich im Geheimen nach Identität sehnt, aber für eine Gesellschaft arbeitet, die sie nie erreichen kann, ist schwer anzusehen, obwohl sie in berauschend schönen Bildern erzählt wird.

Fazit

Einer der wirklich wenigen relevanten Zombiefilme, der sein Schwarzweiß nicht als selbstzweckhafte Show nutzt, sondern tatsächlich einen enormen ästhetischen Mehrwert aus seiner fast vollkommen entfärbten Welt zieht.
Sowohl das hintergründig grollende Drama auf Plotebene als auch die gesellschaftskritische Analogie funktionieren selbstständig als auch zusammen bestens, wodurch sich ein zwar sehr langsamer, aber deswegen nicht minder fesselnder Film entsteht, der sich zudem als eine der außergewöhnlichsten Genrevertreter herausstellt.

Arcana

15. Japan-Filmfest Special 2

Arcana ist eine Verfilmung des gleichnamigen Mangas von Yua Kotegawa, der sich in seinem Herkunftsland überdurchschnittlich gut verkaufte. Yoshitaka Yamaguchi, zuvor als Assistenz für Takashi Miike tätig, wählte diesen Stoff als Vorlage für seine erste selbstständige Regiearbeit.

Everything is nonsense. Everything!

Story

Polizeiinspektor Murakami hat die Fähigkeit Geister zu sehen, die junge Maki kann mit diesen Präsenzen noch stärker in Kontakt treten. Gemeinsam mit einer geheimen Behörde, die sich der Ermittlung in paranormalen Angelegenheiten verschrieben hat, nehmen sie die Fährte eines brutal vorgehenden Serienkillers auf, dessen blutige Spur darauf hinweist, dass er selbst in Verbindung mit dem Geisterreich steht – und mit dem Phänomen, dass viele Geister einen Doppelgänger in der unsrigen Welt zu haben scheinen.

Kritik

Arcana tut erst einma so, als sei der der sonderbarste Film des Festivals, wenn er den Zuschauer ohne Vorbereitung in eine Welt wirft, wo ein Dezernat für Übernatürliches eine Selbstverständlichkeit ist und manche Menschen scheinbar grundlos in der Lage sind, Geister wahrzunehmen. Das macht anfangs gespannt, ermüdet aber schnell, wenn zum Vorschein kommt, dass all das Augenwischerei ist, bis hin zur Geschichte, die sich geschwind als ziemlicher Durchschnitt, der anfangs nur so tut, als stecke er voller Besonderheiten.
     
Durch die vermeintiche Raffinesse am Anfang ist das Erlebnis am Anfang unnötig konfus. Wenn sich das Ganze langsam entwirrt und zum Vorschein tritt, dass Arcana alles, aber nicht besonders ist, kehrt erzählerische Belanglosigeit ein. Einzig das Agieren der Personen sorgt weiterhin dann und wann für krause Stirnen, weil jeder in seiner eigenen Unlogik zu handeln scheint.
Die krude Geistergeschichte versucht gar nicht erst, gruselig zu sein, sondern stützt sich vielmehr auf ihre eigene Mythologie, die ungewöhnlich, aber trotzdem vollkommen belanglos ist. Dazu gibt es ein paar schlecht geschriebene Cops, die nach Ordnung suchen und knapp unterdurchschnittliche Spezialeffekte, die durch ihren schlecht getimten Einsatz aber bar jeder Stimmung sind.

Dabei ist Arcana kein schlecht gemachter Film. Die Bilder sind in aller Regel zwar sehr beliebig, sehen im Rahmen ihrer Beliebigkeit aber gut aus, und auch an den Darstellern gibt es nur wenig auszusetzen. Wäre da eben nicht die gänzlich uninteressante Geschichte als Herz des Films.
In der grundlos verwirrenden Struktur des Werks finden sich zwar immer mal wieder auch ein paar inhaltliche Ideen ein, die eigentlich nicht übel sind, in der Gesamtheit des Filmes aber nur vergeudet wirken.

Fazit

So clever und unvorhersehbar Acrana anfangs auch tut, am Ende lässt sich der Film auf eine banale Krimistruktur runterbrechen, die lediglich unnötig kompliziert erzählt wird. Der Film setzt nicht auf Grusel, sondern auf die Faszination seiner eigenen, selbstständigen Mythologie, die aber leider nicht nur konfus und ziemlich an den Haaren herbeizogen, sondern auch noch höchst uninteressant ist.
Auf der Habenseite finden sich ein paar atmosphärische Szenen, die aber kaum genügen, eine Empfehlung für den Film auszusprechen.
Nur für Genrevernarrte, die auch mit Mystery-Schmu im Stile von Silk etwas anfangen können.

Death Trance

Irgendwann scheint jeder Stuntkoordinator und Stuntman genug davon zu haben, immer nur so aussehen zu müssen, als wäre er jemand anderes. In Folge hört diese Berufsgruppe häufig die Stunde dafür läuten, höchstselbst als Regisseur tätig zu werden. So auch Yuji Shimomura, der mit Death Trance so tut, als wäre es die Fortsetzung von Versus. Das ist Unfug. Schlecht macht das den Film nicht.

He must be stopped at any cost.

Story

Seit Urzeiten lagert ein Sarg im Tougan-Tempel und wird von den dortigen Mönchen bewacht. Als der geheimnisvolle Grave die Anlage stürmt und die Relique dem Tempeloberhaupt einfach unter der Nase weg klaut, erreicht er prompt Legendenstatus. Unbezwingbar und ein Monster, zumindest aber groß wie eines soll er sein. Während sein Ruf eine Eigendynamik annimmt, schleift der Dieb den Sarg quer durch das unbenannte Land einem fernen Ziel entgegen. Ein kleines Mädchen trabt der klobigen Beute dabei unablässig hinterher.
Es heißt, wer den Sarg öffne, dem würde jeder geäußerte Wunsch erfüllt. Somit wird Grave nicht nur von einem reichlich schlecht vorbereiteten Novizen der beraubten Tougan-Stätte verfolgt, sondern auch anderen Parteien haben ein Auge auf das mystische Relikt geworfen haben. Und im zu durchquerenden Wald soll ein gewaltiges Ungetüm hausen, dessen Begegnung noch kein Mensch überlebt hat.

Kritik

Death Trance gibt vor, eine Art Fortsetzung von Versus zu sein und beruht auch auf der entsprechenden Mangavorlage. Zu verstehen ist der Film auch ohne Kenntnis des inoffiziellen Vorgängers, mit der er sowieso absolut gar nichts zu tun hat, weswegen die Betitelung „Versus II“ auch eher marketingtechnische Gründe haben dürfte. ‚Verstehen‘ ist hier aber vielleicht eh der falsche Ausdruck. Weder die Motive aller Figuren werden klar, noch erfährt man erschöpfend, wer oder was diese Figuren eigentlich sind. Sie handeln inkonsequent und oftmals recht merkwürdig und sind ganz grundsätzlich ziemlich verwirrte Gesellen. Verkürzt gesagt: Unterm Strich sind doch alles Tölpel und das Werk zieht seiner eigenen Mythenbildung damit eine lange Nase.

Ja, nicht einmal die Geschichte selbst ist kohärent und entweder nonexistent oder reichlich doppelbödig, vermutlich aber ersteres mit der steifen Hoffnung, wie letzteres zu wirken. Viele Details werden gar nicht erst geklärt und der Twist am Ende ist nicht bloß latent wunderlich, sondern bringt Figuren wie Zuschauer zudem um das erhoffte Finale, von dem man sich eigentlich viel Zunder und Radau versprach.
Doch das soll nicht abschrecken, denn Death Trance ist so unterhaltsam, dass man die meisten dieser Problemchen, gar nicht bemerkt. Und wenn man es doch spitzkriegt, ist es einem aus demselben Grund bestenfalls einfach egal.
Ebenso scheitern muss eine konkrete Genrezuordnung. Irgendwie hat sich der Film zwischen Martial Arts, Fantasy, Persiflage auf beide Genres, Anime-Hommage, Komödie, Horror, Trash und Endzeit gelümmelt und ist doch einfach sitzengeblieben.

Die Kämpfe sind sichtlich gelernt und nicht gekonnt. Die Choreographien gehen so weit, wie die Fähigkeiten der Akteure es erlauben. Und das ist nicht übermäßig weit. Aber es genügt, um das Auge nicht zu langweiligen. Die willkürliche Kombination von Schwertern und Schusswaffen aller Epochen sorgt für ausreichend Abwechslung. Und die ist auch nötig, denn das Gekloppe findet alle paar Minuten statt und ist sowieso nur im absoluten Ausnahmefall irgendwie vom Plot abhängig. Meistens stürzen aus dem Nichts Kämpfergruppen auf den Sargdieb und treten nach maximal 5 Sekunden kreischend zu E-Gitarren die unkoordinierte Flucht an, um dann Stück um Stück vom Reisenden erlegt zu werden. Sobald jemand ein Schwert berührt, pöbelt der Metalsoundtrack Dir en Grey los. Manchmal klappt das, passt sehr gut und macht Spaß, manchmal wirkt das Stilmittel aber auch billig und störend. Mit etwas mehr Einsatz hätte man von Samurai Fiction die tolle Idee abkupfern können, die Kämpfe als Tanz zum Soundtrack zu inszenieren. So ist es dann leider doch „nur“ Gezoffe  zu Geschrammel angereichert mit viel zu lauten Soundeffekten.
Geboten werden freche Ideen, eine Schubkarre mit skurrilen Momenten und ganz, ganz viel Comicstimmung. Allerdings auch viele kleine, dafür aber billige Scherzchen. Daz ein paar überraschend schöne Landschaftsaufnahmen und Perspektiven und ansonsten fühlbarer Spaß der Macher. Dass der Hauptpart des Filmes wie so viele Low Budget-Produktionen in einem Wald abläuft, stört kaum. Vor allem der wohlig hohe Fantasyanteil, der durch jede Menge bunte Mythologie ständig erweitert wird, lässt das Geschehen stets frisch daherkommen.
Nicht selten ist der Film auch einfach nur wunderbarer Quatsch, wenn wie aus dem Nichts Angreifer inmitten eines dichten Waldes auf Motorrädern anbrausen, Stop-Motion-Puppen aufkreuzen oder mal eben im Eifer des Gefechts eine Bazooka gebastelt wird.

Wer aufpasst, der stößt zudem auf allerhand liebevoll eingebettete Filmzitate. Offensichtliche wie zum Beispiel Django durch den sargziehenden Protagonisten/Antagonisten oder subtilere kleine Verbeugungen vor Kurosawa. Einmal gibt es gar ein Objekt, welches unverkennbar nach der verdammten Tardis aussieht! Auch wenn die Absichtlichkeit dieser Referenz in Zweifel gezogen werden sollte.

Fazit

Eine verwirrende Mischung aus Trash und professionellen Ansätzen, die mit viel Schminke,  Haarspray, Maskenbildnermatsch und Liebe zum Detail überzogen wurden. Ein Forst-Ragnarök-Road-Movie zum Grinsen, das im Geiste an Stormriders erinnert, welcher seinerzeit ja immerhin die Titanic in den Kinos zum Kentern brachte.

Das Mädchen, das durch die Zeit sprang

Ein modernes Zeitreisedrama, das auf dem schon vielfältig adaptierten 67er-Kultroman mit gleichem Namen stammt, der vom bis heute tätigen Sci-Fi-Urgestein Yasutaka Tsutsui (Paprika) verfasst wurde. Inszeniert wurde das Zauberwerk von Mamoru Hosoda, der einerseits Projekte wie Digimon-Filme verwirklichte, andererseits aber auch schon als Regisseur für das Meisterwerk Das wandelnde Schloss vorgesehen war. Er heimste dreimal in Folge den Preis für den besten Anime ein beim Sitges Festival Internacional de Cinema Fantàstic de Catalunya – das erste Mal für Das Mädchen, das durch die Zeit sprang, welcher von einem vielfältigen wie namenhaftem Künstlerteam realisiert wurde.
Und dazu deutlich vielschichtiger ist als man beim ersten Hinschauen vermutet.

Time Waits For No One.

Story

Die 17-jährige Makoto ist ein ganz gewöhnliches Mädchen, das verspätet in den Unterricht platzt und mit ihren besten Freunden von Herzen gerne Baseball spielt. Außerordentlich an ihr ist lediglich die Menge an Missgeschicken, die sie durch ihr tapsiges Verhalten magnetisch anzuziehen scheint.
Eine entscheidende Wendung bekommt ihr Leben, als sie über ein walnussförmiges Objekt stolpert, das ihr die Fähigkeit verleiht, über eine begrenzte Distanz in der Zeit zurückzureisen. Etwas, das nicht durch Willensstärke, sondern durch Stürze beziehungsweise große Sprünge vonstattengeht. Ein Umstand, der ihr frühzeitig das Leben retten wird.
Nach und nach lernt sie, diese Funktion bewusst einzusetzen und für die Revidierung kleinerer Alltagsfehler zu nutzen. Alsbald muss sie feststellen, wie unberechenbar Kausalität ist und dass ein vermeintlich vermiedener Fehler nicht selten viel größeres Unglück nach sich zieht.

Kritik

Das Mädchen, das durch die Zeit sprang gibt sich eingangs unverkennbar als beschwingtes Jugenddrama, das mit warmem Humor eine fantastische Komponente einführt und ein ganz normales Mädchen dadurch kleine Abenteuer durchleben lässt, die eine klassische, aber ungezwungen dargebotene Moral mit sich bringen.

Das alles in minimal gewöhnungsbedürftigen, aber passenden Zeichnungen, flüssig animiert und mit genau der richtigen Menge an Details, um einen ganz eigenen Stil zu ergeben. Die Figuren sind schön geschrieben, die Musik setzt mit einer Mischung aus Eigenkompositionen und Bach genau die richtigen Akzente und alles hält ein angenehm unaufgeregtes Tempo, ohne sich jemals auch nur im Ansatz zu ziehen. Ein Frühlingsfilm. Und etwas, das gehörig durchgeschüttelt wird, wenn man es mit wachem und analytischem Blick zu wenden beginnt. Dann stellt sich heraus, dass die oberflächlich süße Geschichte von einer gar nicht so süßen Über-Story ummantelt ist.

Der Anime provoziert Sehgewohnheiten in starkem Maßen, tut dies aber derart geschickt, dass es dem Zuschauer womöglich gar nicht auffällt, er die Provokation übersieht und den ganzen Film über nicht drauf eingeht. Es ist überraschend, wie schnell man der trickreichen Inszenierung auf den Leim geht. Der Madhouse-Anime funktioniert nämlich wie ein Zaubertrick, der derart gut ist, dass man nicht nur nicht sieht, wie er funktioniert, sondern im besten Fall übersieht, dass er überhaupt funktioniert, weil die Ablenkung so außerordentlich geraten ist, dass man nicht nur die im Ärmel versteckten Karten, sondern gleich den ganzen Magier übersieht.
Was ist gemeint und woran liegt das?
Inszeniert und aufgezogen ist Das Mädchen, das durch die Zeit sprang wie ein klassischer Chick Flick. Eine tollpatschige, aber ungemein liebenswerte Schülerin bekommt ein kleines, ganz persönliches Geheimnis und nutzt es, um im Auftrag von Kurzweil und Herzschmerz ein wenig Chaos anzurichten. Harmlos, süß und kindgerecht. Das sagen die Bilder, das sagen die Dialoge und das sagt auch die Musik. Deshalb achtet der Zuschauer ganz automatisch auf bestimmte Dinge mehr und auf andere weniger. Wir sind so trainiert, dass wir in einem bestimmten Genre nur Bestimmtes erwarten und anderes wiederum einfach hinnehmen, ohne es zu großartig hinterfragen. Das schließlich ist die Aufgabe von Genreunterteilungen – die Erschaffung und Erfüllung von Erwartungshaltungen, sodass bestimmte Kost zu bestimmtem Appetit gereicht wird. Wenn diese Erwartungen durchbrochen werden und doch eine Überraschung hinter der ersten Ebene lauert, muss diese entsprechend in Szene gesetzt werden, damit ihre Wirkung nicht verpufft und der Zuschauer in ausreichendem Maße verblüfft ist, anstatt mit Fragezeichen und Schulterzucken zurückzubleiben. Schwebt die Variation im Gewöhnlichen hingegen nur unscheinbar am Rande vorbei, trickst sie unseren Aufmerksamkeitsfokus allzu schnell aus und wird von unserer Wahrnehmung ganz einfach aussortiert. Da der Film auch funktioniert, wenn man ihn lediglich als unbeschwerte Zeitreiseromanze betrachtet, ist das nicht schlimm. Wer den Film so sehen möchte, kann ihn so sehen, wird eine gute Zeit haben und kaum etwas vermissen. Das ist die phänomenale Leistung von Das Mädchen, das durch die Zeit sprang: Es ist mehr Filme als nur einer.

Wenn man sich öffnet und zwingt, einmal die Genregrenzen auszublenden, wenn man versucht, alle Details von ihrer Inszenierung unabhängig zu betrachten und den Film in möglichst großer Distanz zu schauen, dann wird es interessant. Plötzlich tauchen Fragen auf, die dem Ganzen eine unheimliche, sehr unangenehme Note verleihen und den leichtfüßigen Gang ins Stolpern bringen. Manche Dinge, die nur am Rande Erwähnung bekommen, entpuppen sich als zentrale Motivierungen und andere wiederum verwandeln sich von einer guten Fee in eine verbitterte Hexe. Plötzlich erlaubt Das Mädchen, das durch die Zeit sprang nicht nur viele Lesarten – es fordert sie sogar ein. Auf einmal spielt die Romanvorlage von Yasutaka Tsutsui eine entscheidende Rolle, da sie vielleicht mehr als bloße Vorlage war. Denn es ist sicherlich kein Zufall, dass die dort geschilderten Geschehnisse sich 20 Jahre früher ereignen als die im Film.
Bestimmte Personen erscheinen in anderem Licht und allen voran die Perspektivierung der ganzen 100 Minuten sollte gründlich in Frage gestellt werden. Ist der Film etwa nur so naiv-heiter, weil er von der naiv-heiteren Makoto erzählt wird, die gar nicht so recht versteht, was ihr widerfährt? Es ist auf jeden Fall kein schlechter Rat, die angebotene Fokalisierung grundlegend zu problematisieren und darüber hinaus nicht jedes Wort aus einem scheinbar vertrauenswürdigen Mund für bare Münze zu nehmen, sondern alles Angebotene gründlich auf Plausibilität abzuklopfen.
Dies sollen Hilfestellungen und vage Hinweise, keineswegs aber Erklärungen sein. Man muss selbst hinter die Kulissen gelangen und das Gesehene aus eigener Motivation mit eigenen Mitteln verstehen. Die Beschäftigung mit dem Stoff bereitet dann die größte Freude, wenn man sich ohne fremde Hilfe in seinen Irrgarten wagt. Und wer weiß, vielleicht wartet in seinem Herzen ja ein Mindfuck hoher Güte.

Fazit

Oberflächlich ein vergnüglicher Film über Mädchen, Mädchenprobleme und ein bisschen Fantastik. Und so funktioniert der Sci-Fi-Anime durchgehend und durchgehend gut. Daher wird er auch gerne als Kinderfilm begriffen und kann Kindern auch gefahrlos vorgesetzt werden. Gibt man sich aber Mühe, ein paar Vorhänge beiseite zu ziehen und das Gezeigte nicht nur hinzunehmen, sondern unablässig zu drehen und zu wenden, offenbart sich, dass der Würfel weit mehr als nur die einem zugewandte Seite besitzt.
Ein schönes, toll inszeniertes und clever aufgezogenes Spiel mit nicht nur doppeltem Boden, das gleich als mehrere Filme funktioniert. Selten hat sich hinter scheinbar ungefährlichem Charme eine solche Tragik aufgehalten.