The Adventure of Denchu-Kozo

The Adventure of Denchu-Kozo (Oder: The Adventures of Electric Rod Boy; oder: Denchû kozô no bôken; oder: 電柱小僧の冒険) ist der letzte Film, den Shinya Kutusuke drehte, ehe er mit Tetsuo: The Iron Man vollends zurecht auch der Welt außerhalb Japans ein Begriff wurde. Die Berlinale würdigte ihn zusammen mit Sogo Ishiis Isolation of 1/880000 in der neuen Sparte „Hachimiri Madness, in der sich die einmalige Gelegenheit bot, auf Leinwand zu bestaunen, was die 8-mm-Anfänge der prägenden Giganten japanischer Filmlandschaft aus der Punk-Gruft der 80er sind.

Story

Hikari ist ein gewöhnlicher Junge, der sich den Mobbingattacken seiner weniger zimperlichen Mitschüler zu stellen hat. Ihr Umgang mit ihm wird nicht dadurch verbessert, dass ihm ein Elektrizitätsmast aus dem Rücken wächst. Eines Tages schreitet das Mädchen Mome rettend ein und vertreibt die mitleidlosen Rüpel, welche Hikari das Leben schwer machen. Zum Dank zeigt dieser ihr das Ergebnis seines neuesten Bastelexperiments: Eine Zeitmaschine, durcheinander, handlich und  funktionsfähig, wie sich herausstellt, wenn Hikari plötzlich 25 Jahre in die Zukunft springt. Was er dort vorfindet, ist ein Japan, das von einem Vampirclan unterjocht wird, der alles daran setzt, eine Dr. Sariba zu töten. Nun muss Hikari seine besonderen Kräfte zum Einsatz bringen.

Kritik

Wie umschreibt man diesen nicht ganz 50-Minütigen Film über einen Jungen, dessen ihm aus dem Rücken ragender Strommast ganz unverhohlen einfach nur eine behelfsmäßig angebrachte Stange aus Pappmaché, Schaumstoff und etwas Hartmaterial ist? Der kurz sagt „Hey, ich habe da übrigens eine Zeitmaschine“, und damit eine wirre Ansammlung von Elektroschrott meint, den er mit sich rumschleppt? Der nach knapp 3 Minuten in einer Zukunft feststeckt, in der Vampire mit einer Bombe stete Dunkelheit über die Welt gebracht haben und nun eine Eva züchten, die diese Dunkelheit verewigen soll? Da The Adventure of Denchu-Kozo sowieso zwangsläufig jeder Beschreibung nur spotten kann. Und so kann hier eigentlich auch nur geraten werden, diese Explosion von Film zu schauen, denn so einmalig, rasant und altersfrei ist kaum etwas.
Die Ähnlichkeiten zu Tetsuo: The Iron Man sind offenkundig. Die Liebe zum Detail, die Fantasie in den Bildern. Der Film ist voll sind von kreativen Fleisch-Maschine-Vermengungen, Drahtknäulen, aus denen sich Kreatürlichkeit entfaltet, und Kostümen, die nahtlos mit der Umgebung verschmelzen. Dabei koexistiert bewusster Trash mit wahrhaft augenöffnenden Effekten. Wie alles im Film ergibt sich daraus eine Fusion, die in eine Diegese mündet, in der alles möglich erscheint und das meiste trotzdem überrascht.
An vielen Stellen wirkt dieser frühe Ausflug Kutusukes wie ein Musikvideo, an weiteren wie ein Experimentalfilm. Die Wahrheit liegt vielleicht irgendwo in der Mitte. Die mit einem Affenzahn durch Gänge rauschenden Vampire, welche sich ausschlich per Stop-Motion bewegen, geben das Tempo für den gesamten Film vor, der in seinen 50 Minuten Stoff verhandelt, der sich ohne Probleme auf eine zweistündige Erzählung erstrecken hätte könne.
Im Vergleich zu seinen späteren Werken fehlen die Momente der Ruhe, der ernsthaften, schmerzlichen Intensität, in denen die Mühlen kurz innehalten und Raum für Reflexion lassen. Der Film schleudert voran und heftet Irrsinn an Irrsinn, ohne Platz für Ernst zu lassen. Dieser Fehlende Ernst ist in gewisser Hinsicht aber auch das Bemerkenswerteste, weil Überraschendste Moment – an Shinya Kutusuke ist nämlich ein wahrer Komiker verlorengegangen, was man bei seinen späteren Werken allerdings nie wieder in dieser Form erahnen kann. Die zahlreichen Witze sind voller überraschender Pointen, garniert mit dreisten Wendungen und in keiner Weise an die Zeit gebunden. Hier beweist sich wieder einmal, was sich nur allzu selten beweist: Guter Humor ist nicht an Zeit gebunden. Er basiert auf dem Moment der Verblüffung, der Abkehr vom Erwartbaren. Und das ändert sich nicht mal eben in 30, 40 Jahren. Dass wir es hier mit einem Film aus (immer noch) völlig fremdem Kulturkreis zu tun haben, verstärkt diesen Effekt für den westlichen Zuschauer nur noch.
Fazit

The Adventure of Denchu-Kozo ist tatsächlich  ein Abenteuer. Eines der absolut aberwitzigen Sorte, das heute noch genauso überraschend, schockierend, energetisch und überwalzend wirkt wie vor 30 Jahren. Es braucht nur ein paar Sekunden, bis es seine metallenen Klauen um den Nacken des Zuschauers gelegt hat und ihn durchschüttelt, bis die Geschichte  in einen Abspann mündet, der dem Film in keiner Weise nachsteht.

Orphan Black – Staffel 2

Die zweite Staffel des kanadischen Überraschungshits Orphan Black wurde in Windeseile im Anschluss an den Auftakt produziert. Entgegen den natürlichen Erwartungen litt die Qualität nicht darunter, sondern wuchs sogar an.

Don’t mix your camouflage?

Story

Cosimas Krankheit wird zu einem Countdown, der sich sekündlich schneller der Null nähert, während immer noch unklar ist, mit wem ihre geliebte Delphine eigentlich doppeltes Spiel spielt. Unterdessen ist Kira immer noch in den Händen ihrer Entführer. Verzweifelt wendet sich Sarah an Arthur, der vormals noch nach ihr suchte, mittlerweile aber suspendiert ist und dem Klon immer stärker vertraut.
Alison erlebt derweil in einem ganz eigenen Universum ganz eigene Abenteuer. Nachdem sie indirekt das Ableben ihrer Nachbarin herbeiführte, die sie fälschlicherweise für ihren Monitor gehalten hat, bekommt sie deren große Rolle in ihrer Amateur-Musical-Gruppe. Doch ringen in ihr Schuldgefühle, eine neuentdeckte, verwegene Seite sowie Paranoia um die Vorherrschaft und ihr gewähltes Hilfsmittel stellt sich nicht als geeignetste Wahl heraus.
Für alles scheint es Hilfe zu geben. Doch jede neue Hoffnung könnte ebenso ein Werkzeug der Gegenseite sein.

Kritik

Nach einer spannenden und stilbewussten, doch nicht ganz ruckelfreien Einstiegsstaffel geht es in der Fortsetzung plötzlich sofort mit Höchstgeschwindigkeit los. Das lange, teils etwas zu selbstzweckhafte Integrieren der zahlreichen (und überwiegend von Tatiana Maslany gespielten) Figuren ist beendet, der Serie kam nie erwarteter Erfolg zu und es hat den Anschein, als würden die kreativen Köpfe Fawcett und Manson zur Feier nun aus sämtlichen Rohren auf einmal feuern und die Ereignisse sich purzelbaumartig überschlagen lassen. Wo sich vormals noch kleine Längen einschlichen, ist die Serie nun so straff wie nur möglich gespannt und die Charaktere eilen pausenlos von einer Klippe zur nächsthöheren. Dabei muss die Serie aufpassen, nicht in eine zu einseitige Steigerungsklimax zu fallen, die nur dann noch Spannung generieren kann, wenn die vorherige Katastrophe doch noch Unfassbareres übertrumpft wird. Ob sich die Dramaturgie fangen kann oder die Serie nun auch all ihr Pulver verschossen hat, da sie sich für weitere, noch größere Schreckmomente eingestehen müsste, zuvor nur mit Platzpatronen gefeuert zu haben, wird sich zeigen. Doch für die 10 Episoden dieser Staffel geht der Plan voll auf. Und um mehr geht es hier nicht.
Sarah, Cosima und Alison sind mittlerweile ein Gespann, das über große Distanz zusammenhält und eine vollends glaubwürdige Zuneigung untereinander entwickelt hat. Die kurzen Momente, in denen das Trio skypet und sich bangend und einander gut zusprechend auf den neusten Stand bringt, sind von der ersten Sekunde an emotional mitreißend und überflügeln in dieser Hinsicht jede andere Art von Charakterdrama in der Serie – selbst das zwischen Sarah und Töchterlein Kira. Dadurch, dass die Figuren mit ihren Einführungen im Rücken nun viel selbstverständlicher agieren können, wirken nicht nur ihre miteinander verwobenen Geschichten um Welten stimmiger. Auch Maslanys Spiel wirkt noch mal eine Spur differenzierter und zugleich natürlicher, was vor allem Cosima zu einer noch filigraneren Figur heranreifen lässt. Auch neueingeführtes Personal fügt sich gut ins Ensemble und sticht sich dank ein paar kluger Drehbuchentscheidungen nicht untereinander aus. Dass das alles klappt, liegt daran, dass Orphan Black in seiner zweiten Staffel trotz massiv hochgeschraubter Rasanz eine viel klarere Linie verfolgen kann und dies auch tut. Der Schwerpunkt liegt nun nicht mehr auf der Suche nach Orientierung, sondern auf einem agentengleichen Katz- und Mausspiel. Inszenatorisch hat man dabei einiges dazugelernt – was sicher auch am grundsätzlich konventionelleren Szenario liegt -, denn der Szenenaufbau funktioniert mittlerweile viel reibungsloser und die aufgesetzte Musik ist gänzlich verschwunden.

Es ist der Serie nur zugute zu halten, den notwendigen Mut aufzubringen, beim in Staffel 1 bewährten Konzept diese Kursänderung vorzunehmen. Vieles ist mitreißend und es gibt ein angenehmes Mittelmaß zwischen dem großen Klongeheimnis und dieses überlagernder Akutproblematiken.
Der skeptische Beiklang, den schon das Fazit zur ersten Season hatte, ist trotzdem auch hier zu finden. Häufig erinnert das Geschehen an die zweite Staffel Prison Break, bei der die Handlung auch urplötzlich vom Stationären aufs Mobile umlenkte. Wenn ausreichend weit vorausgedacht wurde, der Zufall nicht zum tragenden Element avanciert und vor allem die Mythologie im Hintergrund nicht ins völlig Banal-Abstruse schlingert, weil sich immer wieder eine nächsthöhere, noch gesichtslosere und ominösere Super-Instanz als der nun wirklich wahre Strippenzieher herausstellt, darf man mit Fug und Recht optimistisch bleiben. Und genau dies ist Orphan Black sehr zu wünschen.

Fazit

In Staffel zwei der kanadischen Sci-Fi-Serie wird vieles besser gemacht Die Handlung ist griffiger, die Erzählweise fesselnder und die Charaktere erhalten immer mehr wertvolle Basis. Lediglich der Steigerungswahn lässt befürchten, dass sich Orphan Black irgendwann nur noch auf die Mächtigkeit möglichst radikaler Twists vertraut. Doch ist dies kein Vorwurf an die Serie, sondern nur Befürchtung des Autors und hat somit an dieser Stelle genaugenommen gar nichts zu suchen.
Die Odyssee von Sarah und ihren Klonschwestern ist im zweiten Akt ein spannungsgeladenes Katz- und Mausspiel, das einen starken Sog entwickelt.

Orphan Black – Staffel 1

Orphan Black kam quasi aus dem Nichts, genoss in kurzer Zeit einen bemerkenswerten Durchbruch und wurde in sämtlichen Feuilletons mit großem Wohlwollen besprochen. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, in welch kurzer Zeit die Serie produziert wurde, welche es in deutlich weniger als zwei Jahren auf satte zwei Staffeln brachte.

How are we all related?

Story

Sarah Manning, kaltschnäuzig und großmäulig, ist gerade erst zurück in ihre Heimatstadt gereist, um erneuten Kontakt zu ihrer kleinen Tochter aufzunehmen, die von Sarahs Adoptivmutter betreut wird, zu welcher sie selbst ein keineswegs einfaches Verhältnis hat. Eine starke wie gute Bindung hat die rebellische junge Frau ohne Arbeit und Ziel zu ihrem exzentrischen Bruder Felix, der in seinem Atelier zwischen flüchtigen Männerbekanntschaften, Kunst und Drogen ein ebenso zielloses Leben führt.
Für Sarah ändert sich jedoch alles, als eine Frau, die ihr erschreckend ähnlich sieht, sich direkt vor ihren Augen vor eine U-Bahn wirft. Wie im Affekt nimmt Sarah erst die Papiere und schließlich die Identität der Selbstmörderin an, welche eine verlockend große Summe auf ihrem Konto deponiert hat.
Während dieses Doppelleben zwangsläufig auf eine Katastrophe zusteuert – die Verstorbene war Polizistin – offenbart sich zusätzlich, dass noch weitere Frauen existieren, die mit Sarah beinahe vollkommen ident zu sein scheinen. Sie ist Teil einer Klonreihe – und irgendjemand hat zur erbarmungslosen Jagd auf diese Frauen geblasen.

Kritik

Die erste Folge geht rasant vonstatten, besticht durch eine atemlose Erzählart, schillernde Figuren und hinterlässt nach dem Schauen das Bedürfnis, es auf keinen Fall bei dieser zu belassen. Bei Episode zwei wird es dann fast schon etwas zu viel, weil in die so gewöhnliche wie sympathische Welt der Lebedame Sarah Manning zusammen mit ihren kruden Klonschwestern auch ein paar andere seltsame Elemente eindringen, die erst mal wie ein Fremdkörper wirken; nicht in der dargestellten Normalität, denn das ist ja Zweck der Sache, sondern in dem Grundgefühl selbst, mit dem Orphan Black begann und welches bereits jetzt leicht angebrochen wird. Auch die nachfolgenden Episoden hinterlassen einen etwas zwiespältigen Eindruck. Das, was da vonstattengeht, ist alles andere als miserabel, wirkt dann aber doch an einigen Stellen zu konstruiert und bemüht. Dann aber kriegt die Serie einen spürbaren Schub und wird mit einem Mal sehr packend – auch, weil sie plötzlich noch stärker ihre eigene Linie findet und fährt und dadurch einiges an Eigenständigkeit dazugewinnt.
So wirkt Orphan Black als Gesamtwerk merkwürdig und lässt einen verunsichert zurück. Oftmals erweckt die Geschichte den Anschein, zu aufgeladen zu sein, und droht an einigen Stellen fast schon aus der Spur zu rutschen. Besonders so manches abgegriffenes Element fällt negativ ins Gewicht. Auf der Haben-Seiten finden sich gut geschriebene Figuren und eine sehr selbstständige Inszenierung, die sich zwar oftmals etwas unterkühlt und nicht immer so selbstsicher anfühlt, wie sie sich gibt, aufgrund ihres großen Wiedererkennungswertes und des straffen Tempos aber auch enorm zum Funktionieren des Serienkonzepts beitragen. Es ist zudem immer wohltuend, wenn Serien sich trauen, mal ein paar Folgen vollkommen aus dem von ihnen gesetzten Rahmen fallen zu lassen, und etwas grundlegend Abweichendes zu bieten. Orphan Black reiht sich in diese schwer zu meisternde Tradition ein und liefert eine Folge mit starkem Comedy-Anteil, die ihre verblüffende Wirkung nicht verfehlt. So störend manche Dinge in der Story selbst wirken, fallen sie im Gesamten doch kaum auf. Die Regie verwischt einige Fehler und die Tatsachen, dass andauernd etwas passiert und man bemüht ist, so gut wie jede Szene mit einer ganz eigenen Steigerung zu versehen, verfehlen ihre Wirkungen nicht. Bedauerlich ist trotz allem, dass zu viele ungeschickt eingebrachte Elemente der Serie den Sprung zu einer wirklich sehr guten Produktion dann doch verweigern.
Der einzige formale Kritikpunkt, der etwas schwerer ins Gewicht fällt, ist die Musik, die in ihrer affektiert hippen Weise immer wieder störend auffällt und dadurch für störende Lecks in der Diegese sorgt, die mit weniger Auffälligem noch viel einnehmender ausgefallen wäre.

Am bemerkenswerten ist natürlich die mehrfache Hauptakteurin Tatiana Maslany in ihren zahlreichen Rollen, die sie tatsächlich so glaubwürdig darstellt, dass man sie als eigenständige, vollwertige Persönlichkeiten akzeptiert. Hausfrau und Mutter mit Comic-Relief-Anteilen, Wahnsinnige, Polizistin, Göre, Wissenschaftlerin und mehr noch bekommt die Dame auf ihren Leib geschrieben und weiß diese Aufgabe eindrucksvoll zu meistern, indem sie den verschiedenen Charakteren ihre ganz eigenen Bewegungsabläufe, Manierismen, Gesichtsausdrücke und psychologische Besonderheiten verleiht und dabei beinahe immer das richtige Maß einhält. Macht man sich begreiflich, wie häufig Maslany in nur einer einzigen Folge mehrfach im Bild ist, denkt man daran, wie kompliziert die Drehs und wie anspruchsvoll der andauernde Rollenwechsel mit Doubles und Motion-Control-Strapazen für die junge Kanadierin ausfallen muss, gibt es eigentlich kaum eine Alternative zu anerkennendem Staunen. Dass die Dame in Folge mit allerhand Preisen für ihre Ausnahmeleistung geadelt wurde, verwundert daher nicht.

Der Rest steht und fällt mit dem, was da noch kommen wird. Sicher ist: Stellt Staffel 1 nur das Sprungbrett für eine im Voraus durchdachte und originelle Geschichte dar, darf man mehr als gespannt sein, denn ein beachtliches Potenzial besitzt der britische Überraschungserfolg auf jeden Fall.

Fazit

Orphan Black ist eine toll gespielte, hochwertige Produktion, nur selten Anlass, sich über klaffende Logikschluchten zu ärgern, die sich aber auch gerne selbst im Weg steht und ihre eigenen Möglichkeiten auf diese Weise etwas blockiert. Unleugbar sticht der kanadische Überraschungshit aus dem unüberschaubaren Dickicht medioker Science-Fiction-Serien heraus und bekam völlig zurecht so große Beachtung.
Auch Staffel 2 ist bereits draußen und eine weitere in Produktion. Es steht also außer Frage, dass Orphan Black in Zukunft noch häufiger hier Erwähnung finden wird.

Misfits – Staffel 2

Die unmaskierten Punk-Heroen aus der Unterschicht Werthams bekamen nach ihrem ansprechenden ersten Auftritt im Folgejahr 2010 7 weitere Episoden spendiert. Dabei werden etablierte Stärken ausgespielt und frühere Schwächen vermieden. Zum zweiten Mal tritt das eingespielte Team in ganzer Stärke in der nicht nur besten, sondern auch letzten guten Staffel der britischen Erfolgsserie auf.


Can we please stop killing our probation workers?

Story

Der mysteriöse Fremde, der im Finale von Staffel 1 auf dem Drahtesel herangerauscht kam, um überhandnehmender Tugend Einhalt zu gebieten, folgt den Freunden – man kann sie mittlerweile wohl so nennen – auf Schritt und Tritt. Was seine Gründe und Absichten sind, ist jedoch ebenso wenig bekannt, wie seine Identität. Auch über eventuelle Fähigkeiten des Maskierten herrscht Unklarheit.
Anfangs trägt er dazu bei, dass Nathan aus seinem – wie seit dem Finale der letzten Episoden gewiss ist: unnötigen – Grab geborgen wird, aber auch sonst ist er häufig zu Stelle, wenn eine Situation droht, ihren kritischen Punkt zu überschreiten.
Zwischenzeitlich kreuzen sich die Wege der „Bewährungs-Fünf“ immer wieder mit Menschen, die ebenfalls Opfer des spendablen Gewitters und mit besonderen Kräften versehen wurden. Und wie es nun einmal so ist, stellen sich die wenigsten von ihnen als redliche Zeitgenossen heraus. Wie unsere Helden, so haben auch sie mit den Gefahren und Verlockungen der frisch gewonnen Möglichkeiten zu kämpfen. Und das regelmäßig auf Kosten anderer.

Kritik

Wie schon bei der 1. Staffel gibt auch hier Folge 1 galant den Ton an, der konstant während der 7 Episoden gehalten wird. Der Beginn kommt mit einer mehrschichtigen Ladung Eskalation daher und entwickelt sich mit zarten Übergängen zu einer nett geschriebenen Horrorepisode. Generell ist das Tempo in Staffel 2 kräftig angezogen worden und auch die manchmal etwas unbeholfenen Stellen der Vorgängerstaffel sind hier fast gänzlich vermieden worden.
Es macht nun noch mehr Spaß, die unverbrauchten Gesichter der Jungschauspieler zu sehen und auch die Handlung legt ein paar Schippen drauf. Selbst an den Dialogen merkt man, dass sich Schreiber und Darsteller mittlerweile auf sicherem Grund bewegen. Die Gespräche sind pointiert und wirken immer noch sehr natürlich, ohne den unterhaltsamen, selbstironischen Charme der augenzwinkernden Milieubeobachtung vermissen zu lassen.
Die Action stimmt weiterhin und auch in Sachen Dramatik gibt es kaum etwas zu beklagen. Das alte Problem, dass an jeder Litfaßsäule die vom Unwetter Modifizierten nur darauf warten, dass unsere Helden vorbeikommen, ist nicht vom Tisch. Doch immerhin wird diese erzählerische Krücke nicht mehr ganz so oft eingesetzt und somit ist die Glaubwürdigkeit der ganzen Kiste automatisch ein paar Level höher anzusiedeln.
Die etablierten Gesichter werden sinnvoll aufgegriffen, ihre Geschichten nachvollziehbar erweitert und ihre Motivationen mit passenden Motiven und zusätzlicher Tiefe ein wenig transparenter gemacht, ohne dass die Protagonisten dadurch zu durchschaubar werden. Auch einige Neuzugänge kommen hinzu– von denen manche länger und andere, ganz bestimmte Gesellen in guter Running-Gag-Tradition eher kürzer präsent sind – und fügen sich sofort in das illustre Grüppchen ein. Das wirkt selten gekünstelt, zieht sich aber auch nicht unnötig in die Länge. Misfits überzeugt weiterhin mit guter Dialogregie und spannend geschriebenen Charakteren.
Was die einzelnen Geschichten angeht, da wird man hingegen nicht immer einer Meinung sein. Die Zufälle stauen sich zwar nicht mehr ganz so aufdringlich, sind aber immer noch ziemlich sehr häufig Dreh- und Angelpunkt für die meisten entscheidenden Vorgänge. Aber nennen wir es Schicksals-Moment und nehmen die Sache als gegeben hin. Es wurde hat an den richtigen Baustellen gearbeitet und das ungewöhnliche Sci-Fi-Drama schafft es, den Überraschungserfolg von Staffel 1 im weiteren Verlauf nicht verpuffen zu lassen. Die Macher waren spürbar mit Herzblut am Werk und waren darauf bedacht, ihr Baby nicht dem schnellen Rubel zu opfern. Dass Season 2 sich gegenüber dem starken Vorgänger tatsächlich noch steigern konnte, ist bemerkenswert, da sie bereits ein knappes Jahr später über die britischen TV-Bildschirme flimmerte.

Mit „Der Maskenball?“ gibt es die erste Durchhängerfolge, die nicht wirklich schlecht ist, in eine so überdurchschnittlich spannende Staffel eingebettet aber trotzdem auffällig negativ hervorsticht.
Doch der Ausgleich folgt auf dem Fuße. Mit einer Superkraft namens Laktogenese wird auf ziemlich originelle Art zur Sprache gebracht, was längst überfällig war; und das noch abgedrehter und rücksichtsloser als in den bisherigen Ausschweifungen unseres Antiheldentrupps. Denn plötzlich und sehr unerwartet scheint er auf sein ganz eigenes Kryptonit gestoßen zu sein.

Fazit

Unaufdringlich emotionale Momente, einige zum Brüllen komische Szenen und clevere Figurenzeichnung. Staffel 2 setzt dort an, wo Staffel 1 endete, baut die Stärken der TV-Serie gekonnt aus und lässt die anfangs schon geringen Schwächen noch etwas schrumpfen.
Leider endet der Höhenflug der originellen Superheldenrüpel an dieser Stelle. Staffel 3 zeigt zum hundertsten Mal auf, dass es gescheiter ist, am Höhepunkt aufzuhören, bevor man diesen mit mangelnder Inspiration zu Tode reitet.
Und ein meist sehr zuverlässiges Indiz dafür ist, dass die bisherigen Stammregisseure ihren Platz für Nachfolger freimachen und Hauptdarsteller der Serie, mit der sie bekannt wurden, den Rücken kehren.

Misfits – Staffel 1

Spätestens nach X-Men und Spiderman war klar, dass der Anfang des neuen Jahrtausends in cineastischer Hinsicht ohne Zweifel den Superhelden gehört. Insbesondere Marvel schickte Mal um Mal die Comicrecken auf die Leinwand, bis die Angelegenheit in diesem Jahr mit Marvel’s The Avengers ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte.
Heroes war eines der Experimente, die Prototypen der Gesellschaft mit übermenschlichen Fähigkeiten bestückte und damit in Serie ging. Die vorgebliche Normalität der Figuren wich aber recht bald dem typischen Heldeneifer und zudem zerfaserte die Serie immer weiter, bis von den anfänglichen Qualitäten nur noch wenig vorzufinden war.
2009 betrat Misfits die Bildfläche, griff die Prämisse von Heroes auf und strengt sich seither an, die Fehler des Serienvorreiters zu vermeiden und dabei rotzfrech auszusehen.


You’re dumping me with a line from Spiderman?

Story

Nathan, Curtis, Alisha, Kelly und Gary vereinen all die Eigenschaften, die ältere Generationen  seit jeher der Jugend zum Vorwurf machen. Es sind rücksichtslose, asoziale, straffällige Halbstarke, die jeder für sich ohne Perspektive sind.
Als sie einander zum ersten Mal im fiktiven Londoner Stadtteil Wertham begegnen, tragen sie orangefarbene Overalls und sind dazu verdonnert, Sozialstunden unter der Aufsicht ihres Bewährungshelfers Tony abzuleisten.
Plötzlich verhängen ausgesprochen seltsame Gewitterwolken den Himmel und im nächsten Augenblick stürzen Hagelkörner in Melonengröße auf London nieder. Auf ihrer Flucht werden die Jugendlichem vom Blitz getroffen und verfügen seitdem über eigenartige Fähigkeiten. Kelly wird zur Telepathin, Curtis kann die Zeit beeinflussen, der sowieso von niemandem wahrgenommene Außenseiter Simon erhält die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, und Alisha verdammt jeden, der sie berührt, zur sexuellen Willenslosigkeit. Nathan hingegen scheint ohne besondere Fähigkeit. Und Gary hat womöglich eine, kann sie aber nicht einsetzen, weil er direkt nach dem Sturm vom plötzlich rasenden Bewährungshelfer hingerichtet wird. Denn nicht nur sie, sondern auch andere Bürger Londons sind seit dem Wetterphänomen verändert. In Notwehr töten die Fünf ihren Bewährungshelfer und müssen die Tat nicht nur vertuschen und mit deren Folgen leben, sondern zusätzlich lernen, ihre eigenen Kräfte irgendwie zu beherrschen und sich vor denen anderer in Acht nehmen.

Kritik

Da ist er also, der Gegenentwurf zu den strahlenden Helden im Elastananzug, der wie das verhaltensauffällige Kind von Chronicle und Heroes wirkt. Und die Idee, ein paar Vertretern der No-Future-Generation klassische Superkräfte zu verleihen, geht erstaunlich gut auf.
Manche Serien fangen spitze an und sinken ins Unerträgliche ab, manche starten unerträglich und werden spitze. Misfits versucht nicht, dem Zuschauer etwas vorzuspielen und schlägt von Minute 1 einen Ton an, der dem die restlichen Episoden treu bleiben werden.
Die Kombination aus hoffnungslos asozialen Jugendlichen und dem Sci-Fi-Einschlag durch Superkräfte schafft eine ganz spezielle Atmosphäre, die von der tristen Farbgebung und den grauen Spielorten noch untermauert wird. Der Serie glückt eine schwere Gratwanderung, indem die Hürde genommen wird, den Zuschauer für die Charaktere zu interessieren, obwohl ein jeder von ihnen mehr als nur eine unsympathische Eigenschaft parat hat. Selbst Figuren, die auf den ersten Blick vollkommen unerträglich wirken, lassen einen spätestens nach zwei Folgen nicht mehr zur Gänze kalt. Die vollkommene Normalität der Protagonisten bringt nämlich auch nachvollziehbare und vertraute Probleme mit sich, die ihr Handeln vielleicht nicht legitimieren, aber immerhin verständlich machen.
Nicht nur die Charaktere sind auf ihre Weise beschränkt, auch der Handlungsort und die Tragweise der Geschehnisse sind es. Das Wirken der völlig überforderten Jugendlichen beschränkt sich nämlich auf einen kleinen Kreis. Kein übermächtiger Widersacher ist zu bezwingen, keine Präsidenten, Cheerleader oder Galaxien harren ihrer Rettung. Stattdessen spielt die Serie zu großen Teilen am aufgezwungenen Arbeitsplatz der Kleinkriminellen, in winzigen Wohnungen oder an dreckigen Flussufern, während die Protagonisten mit ihren eigenen Alltagsdämonen zu kämpfen haben und dabei regelmäßig Feigheit dem Edelmut vorziehen. Das Wetter ist schlecht, die Darsteller ungeschminkt und das Mundwerk der Figuren ausgesprochen lose.
Trotzdem kommt das vom Genre gepachtete Motto „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung.“ auch hier zum Tragen, nur eben in viel kleinerem Maße, als es zu erwarten wäre. Die Superkräfte selbst sind in der ersten Staffel ein Element, das gar nicht entscheidend ist. Sie spielen nur am Rande eine Rolle, während die unfreiwilligen Helden, die unter ihren Kräften mehr leiden als von ihnen zu profitieren, ihre normalen Probleme meist mit normalen Mitteln lösen.
Zwar ist in erster Linie die durch ihr gemeinsames Geheimnis aneinandergebundene Gruppe die Hauptperson, eine klare Leitfigur existiert aber trotzdem. Der vom Gewitter scheinbar übersehene Nathan ist es, dem nicht nur die meiste Screentime gewährt wird, sondern zudem auch ein tragisches Familienverhältnis und das mit Abstand größte Schandmaul der Serie. Obwohl es seine primäre Eigenschaft zu sein scheint, anderen Leuten mit seiner Dreistigkeit auf den Geist zu gehen, bindet man sich dank einiger starker Charaktermomente schnell und gerne an ihn. Die sehr charismatische Darstellung von Robert Sheehan hat hieran fraglos den wichtigsten Anteil.

Dem Anspruch an sich selbst, größtmögliche Authentizität an den Tag zu legen, wird die Serie hinsichtlich Figuren und Spielorten also gerecht. Erzählerisch wird leider nicht ganz so geschickt vorgegangen.
Die Zufälle stapeln sich einfach zu hoch. Insbesondere beim ersten großen Zeitsprung, der in bester Und täglich grüßt das Murmeltier-Manier stattfindet, wird dies überdeutlich. Dass die Protagonisten schon lange vor ihrem bewussten Zusammentreffen Ort und Zeit miteinander geteilt haben, ist narrativ zwar handgerecht, aber alles andere als glaubwürdig. Erschwerend kommt hinzu, dass so gut wie jede Figur, zu der unsere Antihelden Kontakt haben oder zuvor Kontakt hatten, ebenfalls vom Gewitter beeinflusst wurde – so unwahrscheinlich das auch scheinen mag. Deswegen läuft Misfits ein ums andere Mal in Gefahr, in ein typisches Monster-of-the-Week-Schema zu verfallen, bei dem alle Merkwürdigkeiten bequem durch das anfängliche Unwetter gerechtfertigt werden. Das ist schade, denn dadurch ist die Serie bei weitem nicht so einzigartig, rotzig und rebellisch, wie sie gerne wäre. Es gilt zu akzeptieren, dass es vorerst nicht um Erklärungen geht, sondern einzig um die Figuren und deren Weisen und Möglichkeiten, mit der veränderten Welt umzugehen und diese schließlich in Beziehung zu ihren eigenen Veränderungen zu setzen.
Aus diesem Grund tut es der ersten Staffel gut, dass sie nur aus 6 und nicht aus 25 Episoden besteht, sodass Abnutzungserscheinungen überwiegend ausbleiben.

Schon in Folge 1 wird klar, dass der Ab 18-Flatschen nicht grundlos auf den DVD-Hüllen klebt. Sowohl die teils doch sehr derbe Wortwahl der Protagonisten als auch der axtschwingende Bewährungshelfer sind definitiv nicht jugendfrei.
Überhaupt werden die sozialen Randexistenzen geschickt dafür genutzt, Witze abseits der Norm zu platzieren. Diese funktionieren zwar nicht immer, wirken in diesem Umfeld aber sehr natürlich und sorgen zusammen mit der ziemlich guten Musikauswahl (siehe Trailer) für die einmalige Stimmung der Serie.
Die Synchro funktioniert trotz Ausrutscher ganz anständig, ist – wie bei fast allen britischen Serien – aber dem O-Ton nicht ebenbürtig.

Fazit

Experiment geglückt. Misfits zwingt verantwortungslosen Mittzwanzigern Superkräfte auf und beobachtet, was passiert. Von der skurrilen Ausgangssituation mit der Gewitterwolke bis zum vorbildhaften Charakterdesign ist alles bestens. Die ärgerlich hohe Anzahl der Zufälle sorgt leider dafür, dass die britische Sci-Fi-Serie unterm Strich doch nicht so speziell ist, wie sie sich gibt. Doch die Weichen sind gestellt und mit den nächsten Staffeln geht das Spektakel erst so richtig los.