Eolomea

Erstaunlich ist es, was unter der Schirmherrschaft der DEFA alles entstanden ist. Neben famosen Dokumentationen wie Rangierer, Bergmänner oder Wer fürchtet sich vor’m schwarzen Mann gab es auch immer wieder Spielfilme aus dem Filmland DDR, die so überraschend, frisch, wagemutig und schlicht gut waren, dass man meinen könnte, all die Probleme dieses diktatorisch regierten realsozialistischen Staates irgendwo in Mitteleuropa hätten, wenn die Möglichkeit zum künstlerischen Ausgleich gegeben war, die Energien für großes künstlerisches Schaffen freisetzen können.
Unter diesen bemerkenswerten Filmen gibt es (gottseidank) auch Science-Fiction. Einer dieser Handvoll an Genreausflügen ist der poetische Eolomea von Regisseur Herrmann Zschoche.

Anmerkung: Es existiert im Augenblick leider kein angemessener Trailer im Internet, sondern nur eine mäßige Schwarzweiß-Version. Stattdessen gibt es hier die Anfangsszene zu bestaunen.
Er hat noch nie die Flüsse gesehen. Und die Wälder.

Story

Im direkten Umfeld der Raumstation Margot gehen Raumschiffe verschollen. Wieder und wieder. Als das achte Schiff in kürzester Zeit seinen Kontakt zur Erde abbricht, tritt ein Rat zusammen und erteilt ein Startverbot für sämtlichen interstellaren Verkehr. Interessengemeinschaften beharken sich gegenseitig, Theorien werden geboren und direkt wieder verworfen. Niemand hat eine Idee, was hinter dem mysteriösen Abhandenkommen der Schiffe samt Crew stecken könnte.
Dann bricht auch noch der Funkkontakt zur selbst Margot ab. Die Wissenschaftlerin Maria Scholl versucht, das intrigante Durcheinander zu durchschauen und macht sich auf die Suche nach Wahrheit.
Unterdessen, weit entfernt, schlagen sich Kapitän Danial Lagny und sein Lotse Olo Tal auf ihrem Raumschiff in der Nähe eines mit persönlichen Quälereien, Dienst nach Vorschrift und Regelverstößen rum.

Kritik

„Und nie wieder Kosmos! Nie wieder!“, johlt ein Mann und lässt sich rückwärts in die Wellen des Meeres fallen. Schnitt in den Vorspann: Sternennebel und ein Soundgewand, das sich irgendwo zwischen träumerischer Lounge.-Musik, Free Jazz und ein wenig Synthiegedudel austobt.
Was geschieht da? Die DEFA geschieht.

Eolomea fällt, abseits des zu lallenden und trotzdem schlecht einprägsamen Namens, weniger durch Einzeldinge auf als vielmehr durch deren geschickte Kombination. Weltraumfahrt ist an der Tagesordnung, fast täglich scheinen Schiffe jeder Art in die weite, aber auch schrecklich leere Schwärze des Alls aufzubrechen. Die Erde hat einfach nur den Bereich ausweiten können, in dem repetitive Arbeit unter fragwürdigen Bedingungen ausgeführt wird. Wecker stehen auf den Tischen dieser Schiffe und misslingender Funkverkehr quittiert sein eigenes Scheitern mit einem analogen Besetztzeichen. Die Szenenbilder sind teils putzig, die Ausstattung immer überzeugend, bisweilen aber nur gerade so noch glaubwürdig. Dass man nicht aus einem endlosen Geldfüllhorn schöpfen konnte, um den Film zu verwirklichen, ist ohne größere Mühe zu erkennen, aber keinesfalls ein Problem. Denn die Geschichte entspinnt sich nicht in üppigen Prachtbildern, sondern ganz natürlich aus vielen Gesprächen, die in tollen langen Einstellungen fotografiert sind und in erster Linie fantastisch geschrieben sind. Man hängt den Figuren schon in kürzester Zeit gebannt an den Lippen, wenn sie allesamt auf ihre charakteristische Weise Zynismus, Grübelei und Alltagsgeplänkel verbinden und mit philosophischen Exkursen versehen. Auf diese Weise vermittelt Eolomea immer mehr Details über den Zustand der Welt dieser Zukunft, sodass sich nach und nach ein erstaunlich klares Bild von Gesellschaft und politischer Situation ergibt, obwohl man von beidem nur Bruchstücke zu sehen bekam. Das mag trocken oder sogar aufgesetzt klingen, ist aber nichts davon, sondern einfach nur unaufdringliches, sehr angenehmes Konversationskino, das einen nach den ersten Sätzen mitzunehmen weiß.
Dabei springt die Erzählung hin und her zwischen den beiden Freunden Daniel und Olo an Bord ihres Raumschiffs, die eine sehr milde Form von Obrigkeitszweifel praktizieren, und der Erdprotagonistin Professor Maria Scholl, die dem Geheimnis auf den Grund zu gehen versucht. Aber nicht nur räumlich wird ein Spagat vollzogen, auch zwischen Gegenwart und Vergangenheit springt der Film immer wieder hin und her. Damit wird neben weiteren Einblicken in den Alltag und Zustand der Zukunft außerdem auch etwas Urlaubs- und sogar Agentenatmosphäre geliefert, die sich ebenso harmonisch ins Ganze fügt wie der Rest.

Sowohl an der Soundkulisse als auch an der Kameraführung von Günter Jaeuthes entzünden sich hie und da fantastische Ideen und immer wieder blitzen feine inszenatorische Einfälle durch, die das sowieso schon lockere Geschehen mit ästhetischem Fingerspitzengefühl noch weiter auflockern und manchmal sogar ein andächtiges Schaudern hervorrufen.
Das heimliche Highlight des Filmes ist aber ein Kurzauftritt des Roboters Nr. 0560, der nicht nur ein hinreißend provisorisches Aussehen vorzuweisen hat, sondern vor allem auch den insgeheimen Gipfel der sowieso schon alles andere als ironiebefreiten Dialoge erklimmt und darüber hinaus wohlig an Robby aus Alarm im Weltall erinnert.

Fazit

Stimmungsvolle Bilder, spannende Charaktere mit Profil, eine sich schlüssig entfaltende Geschichte und vor allem fantastisch geschriebene Gespräche, die all das zusammenhalte, sorgen auch heute noch für großes Sehvergnügen. . Eolomea ist also  dialoglastiger, aber nicht geschwätziger Science-Fiction-Film mit mutigen Ansätzen in einer gewieft erdachter Welt spielend – das ist tatsächlich etwas, das heute nur schwer vorstellbar ist.

Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI – Staffel 10

14 Jahre sind vergangen. Für manche auch 15, je nach Verbundenheit zu Mulder. In der Zwischenzeit gab es weniger als Nichts in Form des zweiten Akte X-Kinofilmes namens Jenseits der Wahrheit. Der Film war nicht, wie oft gescholten wurde, eine normale Episode nur länger, sondern wie eine entschieden unterdurchschnittliche Episode in viel zu lang.
14 Jahre sind vergangen. Nun sind die X-Akten wieder geöffnet, zumindest vorerst.

I know it’s hard to believe, but surprisingly I’m great in the sac.

Story

Viel ist geschehen, vor und nach Schließung der X-Akten. Und viele Dinge geschehen immer noch. Deswegen nimmt Fox Mulder sein Telefon ab und hat Direktor Skinner am Apparat. Grund ist ein auffälliger, prätentiöser Webcaster namens Tad O’Malley, an dessen provokanten Thesen über Alien-DNA vielleicht ein Fünkchen Wahrheit sein könnte.
So macht sich das Gespann Mulder und Scully in alter Dynamik irgendwo dort draußen auf die Suche nach der Wahrheit. Über Regierungsverschwörungen, Entführungen durch Außerirdische und die kleinen Wunderlichkeiten des Alltags. Alles ist wie immer. Endlich wieder.

Kritik

Endlich wieder.
Das Wiedersehen von Mulder und Scully ist keineswegs überschwänglich. Es ist von vorsichtiger, aber auch aufrichtiger Freude. Es strömt untilgbar aus: Wir kennen uns. Wir hatten unsere Differenzen, große Differenzen. Und wir wissen viel. Vieles, was wir weiterhin oder nicht mehr aussprechen. Aber wir kennen uns gut, sehr gut.
Wie es zwischen den beiden Galionsfiguren des modernen Serien-Fernsehens zugeht, so erlebt auch der Zuschauer das Wiedersehen mit Akte X. Sicher, man ist gealtert. Aber Innen ist immer noch alles so wie immer. Die Optik, das Schauspiel der anderen Darsteller, das Musik von Marc Snow, der Aufbau der Fälle. Akte X knüpft nicht nur narrativ mit seinen 6 Episoden an den Stil der Serienhochzeit an, sondern auch in jeder anderen Hinsicht. Die Charaktere sind überzeichnet, die Dramaturgie häufig bewusst ungehobelt. Es dröhnt und schillert derselbe, unveränderte Vorspann vor jeder Folge. Ja sogar die Effekte scheinen auf dem Niveau der späten Neunziger hängengeblieben zu sein. Manche nennen es treue, manche Stagnation oder das Schmücken mit alten Federn. Diese Taktik muss nicht zwangsläufig und immer gefallen, löst im Grunde aber genau das ein, was man sich wünschte, als Jenseits der Wahrheit in die Kinos kam. Und was man sich bis heute wünschte. Mehr vom Bekannten, mehr von dem, was man damals, in der Regel die ganze Woche bis und dann wieder von Montag, nervös herbeisehnte.

Es ist schon bezeichnend, dass die Pilotfolge ohne irgendeine Actioneinlage auskommt. Keine Verfolgung, keine Schießerei, nur Gespräche. Und es macht einfach nur großen Spaß, die beiden Veteranen miteinander reden zu sehen. Die Chemie stimmt allen etwaigen Differenzen zwischen Duchovny und Anderson zum Trotz.
Die Geschichten zwischen der erste und der sechsten und letzten Folge sind mehr oder weniger in sich geschlossen. Zwar bleiben die größeren und kleineren, feineren und dramatischeren Verweise auf bisher Erlebtes nie aus, die zu lösenden Fälle sind aber nicht in die die große Verschwörung eingebettet.
Was einem geboten wird, ist ein kunterbuntes Best of von dem, was Akte X in seinem vollen Spektrum zu bieten hatte. Da gibt es die etwas drastischere Splatter-Folge und Anlehnungen zu politischer relevanter Aktualität ebenso wie aus dem heiteren Himmel stürzende Comedy-Folgen, die in gewohnter Manier bis in die Knochen selbstironisch und mit kolibriartigem Augenzwinkern ablaufen. Erst die letzte Episode knüpft dann wieder an die „Hauptverschwörung“ an und macht auch dann alles genau so, wie man es von Akte X kennt und erwartet. Sie endet mit einem Cliffhanger, der sowohl dreist groß als auch liebevoll klischeegeflutet ist.

Natürlich ist nicht alles gut. Gleich Folge 2 ist etwas zu konfus und wirr erzählt, als wäre das Drehbuch obschon der 14 Jahre Pause in letzter Sekunde geschrieben worden. Nicht alle Witze erreichen das Niveau der besten Zeiten unserer Lieblingsermittler und auch die Rahmengeschichte wirkt ein wenig krampfhaft zusammengesteckt. Das dürfte auch am abgespeckten Team hinter den Kulissen liegen. Marc Snows Musik geht einem direkt ins Herz, doch die Gruppe von Autoren und Regisseuren lässt vor allem Vince Gilligan, aber auch den verstorbenen Kim Manners schmerzlich vermissen. Und über kurz oder lang, sollte die Miniserie fortgeführt werden, was im Augenblick noch völlig offen ist, wäre es auch wünschenswert, wenn die Hauptdarsteller in alter Tradition wieder folgen schreiben und inszenieren.
Ungeachtet dessen: Das ganze Verschwörungsgeseier macht immer noch Spaß, der Humbug ist immer noch spannend und hat eine Sogwirkung, wie man sie in dieser bestimmten Ausprägung und mit dieser Aura nur noch selten sah seit 2002.

Mulders Haut ist etwas schlaffer, Scullys Züge sind strenger und schärfer geworden. Sie kämpften gegen die Regierung, gegen das halbe Weltall, gegen vermeintliche Freunde und Verbündete, gegen Lügen und nur allzu oft gegen sich selbst. Und auch gegen die Zeit. Wir erinnern uns an eine Folge, in der wir das Agentenpaar vergreist sehen. Soweit ist es noch lange nicht. Es bleibt also noch viel Zeit für Abenteuer, Händchenhalten, Augenzwinkern, schweißtreibende Ritte und vielleicht ja sogar mal wieder für eine Fernsehrevolution.

Kritik

Vielleicht ließ es sich nicht zur Gänze aus diesem Text raushalten: Der Rezensent ist ein großer Fan von Akte X und konnte sogar Staffel 8 und 9 noch so Manches abgewinnen. Die Vorzeichen waren keine allzu guten. Nach dem Armutszeugnis, das der zweite Film war, waren die Befürchtungen groß. Nach den ersten Insider-Rezensionen noch größer.
Doch man kann aufatmen. Mulder und Scully sind wieder da. Nicht besser, nicht schlechter, sondern genauso wie damals. In Fällen, die sich auf die Qualitäten des Ursprungs besinnen und einem Erzählton, der sich auf eine herrlich unverkrampfte Weise kaum gewandelt hat.

Extant

Seit der vollkommenen Annahme des Quality TVs warden immer häufiger Stars als Leitfiguren vielversprechender Serien gecastet, in der Hoffnung in Sachen Einspiel und Anerkennung ein neues Game of Thrones, The Walking Dead, House of Cards oder Akte X zu schaffen. In der CBS-Serie Extant ist es die Oscarpreisträgerin (aber auch zwei mal für die Goldene Himbeere nominierte) Halle Berry, die dort die Hauptrolle übernimmt.


Five dollars for the swear jar.

Story

Molly Woods verbrachte 13 Monate auf einer Raumstation. Zurück ließ sie ihren Ehemann John, der als führender Wissenschaftler auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, vor einiger Zeit dafür sorgte, dass das Paar trotz der Unfruchtbarkeit Mollys einen Sohn haben kann. Ethan ist der Name dieses Sohnes und er ist ein Prototyp, der erste humanoide, menschenähnliche und lernfähige Roboter der Welt.
Nach der Rückkehr Mollys muss sie sich nicht nur wieder in die ungewöhnliche Familienkonstellation eingliedern, sondern auch feststellen, dass bei ihrem Arbeitgeber offenbar einiges nicht mit rechten Dingen zugeht. Viel drastischer ist aber die bald eintretende Erkenntnis, dass Molly schwanger ist. Und diese Schwangerschaft in der Zeit eingetreten sein muss, als sie sich mutterseelenallein in den Weiten des Alls befand.

Kritik

Es kann eigentlich nur ein Fluch sein, dass beinahe alle Science-Fiction-Serien am selben Problem leiden. Zu Beginn eine wahnsinnig fesselnde Inszenierung, geschickte Storyverwicklungen, eine spannende Geschichte und Charaktere mit großem Potenzial, das sich auch zügig zu entfalten scheint. Nach einer Weile wird die Story etwas dünner, die Inszenierung liebloser und die Figuren flachen ab. Denn irgendwann muss eine Erzählung, die bisher durch rätselhafte Andeutungen neugierig machte, die die Karten zeigen. Wenn sich dann herausstellt, dass sie über viele Episoden hinweg bluffte und eigentlich nur ein paar Vierten hat, fühlt man sich, anders als beim Poker, um seine Zeit und – noch schlimmer – um sein Vertrauen betrogen. Eines der besten Beispiele für einen solchen Verfall ist wohl The Event.
Und auch Extant verläuft nach diesem Muster, was aber nicht heißen soll, dass es sich nicht lohnen würde, die Serie zu schauen.
So beginnt es mehr als vielversprechend. Alle Elemente der Handlung sind zwar bereits hinlänglich vertraut, aber auf eine Weise miteinander verschaltet, die aufregend ist, zu dem es auch an allen Fronten brisant zu kriseln beginnt und wir nacheinander das Mysterium der Weltraumschwangeren erleben, um die Beziehung zu einem Androiden Bangen und eine klassische Regierungsverschwörung beobachten. Es brennt also an allen Orten des Science-Fiction-Campingplatzes. Da aber alle Stränge gut funktionieren und ebenbürtig fesselnd sind, ist diese Art von Schwerpunktvielfalt in eigentlich längst ausgeloteten Bereichen alles andere als verwerflich. Im Gegenteil, durch die diversen distinkten Merkmale aufgereihten Geschichten schafft die Serie clever arrangierte Konterpunkte für die jeweiligen Themen. Ja, es ist sogar stetig hochspannend, denn aufgrund der nebulösen Bedrohungssituation und der großen thematischen Abwechslung wirkt das sich zusammenbrauende Unheil auf sämtlichen Spielfeldern ausgesprochen gut in der ersten Handvoll Episoden.

Ganz ohne Klischees kommt die Geschichte bei solch altbekannter Themenwahl natürlich nicht aus. Gerade die tuschelnden, doppelzüngigen Regierungsbeamten aus der Chefetage entsprechen zu sehr dem Archetypen des konspirierenden Schlipsträgers. So ist die Serie interessant, weil es Geheimnisse gibt, doch nicht wegen ambivalenter Gegenspieler – diese werden von durchweg als skrupellose Widerlinge dargestellt. Und an der Plattitüde, dass Helden nur so gut und interessant wie ihre Widersacher sind, ist leider etwas dran. Auch die anderen Figuren sind kein Meisterstück in Sachen Schreibekunst, sondern alle so konstruiert, dass sie eindeutigen Lagern zugeordnet werden können. Hauptperson Molly hat es da anders, aber nicht besser getroffen. Sie ist das relativ blasse Zentrum der Geschichte. Während sich um sie herum zig übermenschliche Geheimnisse enttarnen lassen, bleibt sie eine genaugenommen sehr langweilige Person, bei der alle Vorhaben, die Initiative erfordern, entsprechend aufgesetzt wirken. Das liegt, wie gesagt, zuvorderst daran, dass die Figur einfach so konzipiert ist, aber eben auch daran, dass Frau Berry, Hand aufs Herz, einfach keine allzu begnadete Schauspielerin ist.
Neben den offensichtlichen Inhaltsmysterien lebt die Serie aber auch von der Frage, wie sich die beiden Stränge künstliche Intelligenz als Sohn, Weltraumembrio als Leibesfrucht – miteinander verbinden und ob es Extant gelingt, aus dieser Verbindung etwas Neues zu machen. Die Gefahr, dass sich die ganze Geheimniskrämerei und das lustvolle Spiel mit Verschwörungstheorien über anzugtragende Hintermänner in eine fade Staubwolke auflöst, ist natürlich gegeben, doch die Art und Weise, wie die Serie Spannung generiert und mit ihrem Personal umgeht, bewässert eine Hoffnung, die für einige Stunden hochkarätiger Unterhaltung sorgt. Skeptisch bleibt man dennoch, ist man doch von den Serien dieses Jahrzehnts oft eines Besseren belehrt worden, wenn es darum ging, große Versprechungen auf tolle Antworten zu machen. Extant hält sich aber lange sehr elegant über Wasser, auch wenn sich das Serienkonzept dazu entschließen muss, einige Wandlungen und Wendungen etwas zu abrupt darzustellen, um weiterhin ein hohes Entwicklungstempo zu garantieren.
Spätestens ab Episode 9 lässt sich ein spürbarer Regress nicht mehr übersehen und dann geht die Serie den Weg, den so viele Myster- und Science-Fiction-Serien der letzten Dekade gegangen sind. Nämlich jenen Weg, der bereits oben angekündigt wurde. Die Befürchtungen, dass sich alles nur aus faden Klischees zusammensetzt, bewahrheitet sich zusehends und in gleichem Maße sacken Potenzial und Hoffnung auf wagemutige Entwicklungen ab.
Peinliche Point-of-View-Einstellungen und generische Entwicklungen, dazu eine Überstrapazierung der alles andere als innovativen Halluzinationsevozierung des Alienbabies. Und plötzlich stellt man fest, dass die Serie, die anfangs noch so vielversprechend aussah und durch zackige Spannungskurven zur nächsten Folge drängte, in den letzten zwei Episoden qualitativ rapide abgesunken ist. Auch die anfangs noch so großzügig eingesetzten Twists lassen nach und wenn sie passieren, dann nur deshalb, weil Charaktere mit fadenscheinigen Motivationen einfach die Lager wechseln.

Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass die 1. Staffel von Extant weit mehr als über die erste Hälfte sehr gut unterhält, bis sie dann leider nachlässt. So negativ der letzte Absatz sich vielleicht auch liest, so schlimm ist es dann doch nicht. Auch in den wenig attraktiven Entwicklungen des letzten Staffeldrittels profitiert die Serie noch von ihrem vielversprechenden Anfang. Und wer weiß, vielleicht erhebt sich die Geschichte in Staffel 2 auch wieder in die Höhen, die die Serie zu Beginn noch für möglich halten lässt.

Kritik

Nach mitreißendem Start und der gekonnten Verschaltung diverser Storystränge verliert Extant in der ersten Staffel entschieden an Überzeugungskraft, weil sich viele Probleme höchst unelegant lösen, viele Fragen unbefriedigend beantwortet werden, die Figurenentwicklungen stetig unglaubwürdiger werden und die Serie – auch hinsichtlich der Inszenierung – in erschreckendem Tempo plumper wird.
Trotzdem bietet die erste Hälfte bis dahin perfekte Unterhaltung, die lediglich an der etwas zu blassen Protagonistin leidet.

Kingsman – The Secret Service

Mit Der Sternenwanderer, Kick-Ass und X-Men: Erste Entscheidung lieferte Matthew Vaughn, der lange im Schatten Guy Ritchies umherschlich, drei Filme am Stück ab, die durchweg ausgezeichnet waren.
Nach dem rasanten Trailer zu seiner neusten Comicverfilmung von Millars The Secret Service durfte man sich eigentlich sicher sein, dass diese Reihe nicht abbrechen würde.

It’s not that kind of a movie.

Story

Die Kingsmen sind ein international agierender Geheimdienst, der mit dankenswerter Regelmäßigkeit die Welt rettet. Wer dort Mitglied ist, ist quasi ein Superheld ohne Superkräfte, aber mit jeder Menge Wundergadgets, die ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus sind. Ein wenig wie Iron Man – nur ohne Flugfähigkeit, inkognito, mit maßgeschneidertem Anzug statt Rüstung und einem Höchstmaß an Etikette.
Als Agent Lancelot auf einer Mission ermordet wird, muss die leere Stelle besetzt werden und, wie es die Tradition gebietet, schlagen alle Mitglieder einen vielversprechenden Rekruten vor, der sich gegen die anderen im unerbittlichen Training behaupten muss.
Veteran Harry Hart überrascht – zum wiederholten Male – mit einer unkonventionellen Wahl, als er den unmanierlichen Tunichtgut Eggsy in die Gruppe holt. Einst war es sein Vater, der mit Harry Seite an Seite kämpfte.
Während die Anwärter im Wettkampf ihre Prüfungen durchlaufen, ballt sich im Hintergrund eine globale Katastrophe zusammen – angeleitet von dem lispelnden Milliardär Valentine.

Kritik

Die drei in der Einleitung genannten Filme haben eines gemeinsam: Ihre toll anzusehende Verpackung agiert im Dienste des Inhalts. Sie alle hatten eine Mission; jedenfalls wirkt es so, so sehr schäumen Inspiration und Esprit aus ihnen heraus. Es sind Filme, die auf einer Metaebene angesiedelt sind, immer ein – in der Regel notwendiger – Kommentar zum aktuellen Zustand des jeweiligen Genres.
Vaughns neuster Streich richtet sich nicht nach dieser besonderen Leitlinie. Deswegen ist Kingsman: The Secret Service kein schlechter Film und ganz ohne Frage unterhaltsam. Gemessen am vorherigen Schaffen des Briten stellt er trotzdem eine mittelschwere Enttäuschung dar. Denn plötzlich steht kein cleveres Motiv hinter der Kurzweil. Sondern das Clevere fehlt beinahe zu Gänze.

Da wäre die Story, die nach dem klassischsten Muster verläuft und nicht ein einziges Mal von diesem abweichen will. Die Ereignisse der mehr als zwei Stunden sind zu jedem Zeitpunkt vollkommen antizipierbar. Das reicht bis zu den Beweggründen des Oberschurken Valentine, der in Tun und Wollen austauschbarer kaum sein könnte. Samuel L. Jackson vermag der Figur keine Energie einzuhauchen, nervt im Deutschen dafür aber ungemein durch seinen Synchronsprecher, der den Sprachfehler des Schurken zur vollkommenen Farce werden lässt. Das Resultat ist, dass die Szenen mit ihm zu den schlechtesten des Filmes gehören.
Kick-Ass machte durch seinen unerwarteten Gewaltgrad nicht nur von sich reden, er lebte auch durch ihn. Plötzlich waren Kampf und Tod wieder etwas Furchterregendes im milde gewordenen Superheldenkosmos des vorsichtigen Mainstreams. Funktionieren konnte die mutige Entscheidung nur deshalb so gut, weil Kick-Ass gerade nicht von übermenschlichen Leuchtfiguren erzählte, sondern von durchschnittlichen Menschen mit all ihren dummen und peinlichen Träumen. Das Superhelden-Genre war nach Matthew Vaughns Abrechnung nicht mehr ganz dasselbe.
Kingsman: The Secret Service weidet sich an seiner martialischen Gewaltdarstellung, die gesichtslose Niemande auf brutalste Weise und mit keineswegs scheuer Kamera das Zeitliche segnen lässt. In den durchchoreographieren Schlachtfesten werden Passanten wie Vigilanten gnadenlos hingerichtet, sodass der Film es trotz seiner Lust an der Übertreibung sicher nicht ganz leicht bei der Altersfreigabe hatte. All das dient der Unterhaltung als reiner Selbstzweck, ohne sich auch nur alibihaft auf eine Aussage festlegen zu wollen. Die rauschhaften Kämpfe sind toll anzusehen und Colin Firth als stoischer Todesengel ist definitiv ein Augenschmaus, doch sind sie einfach nur Spektakel um des Spektakels Willen – und haben ob der Art dieses Spektakels einen etwas bitteren Beigeschmack. Besondere Erwähnung verdient die Kamera die gerade in den Handgemengen als selten blinzelndes Auge mit imponierenden Manöver durch das Massaker tourt, auch wenn es manchmal ein wenig zu deutlich wird, dass an diesen Stellen großzügig mit dem Computer getrickst wurde. Besonders fraglich wird das Spektakel in einer späteren Szene, in der auf allen Anstand gepfiffen wird und etwas geschieht, was man dem Film mit nur geringfügig bösen Absichten als den Versuch vorwerfen könnte, auf primitive Weise einen kleinen Skandal provozieren zu wollen.
Wenn man überhaupt so etwas wie einen über das Gesagte hinausgehenden Sinn erkennen will, dann könnte es eine Beschäftigung mit genau diesem Voyeurismus sein. Ein paar Szenen könnten auch durchaus als Hinweis hierauf gelesen werden, genaugenommen gibt sich der Plot aber keine große Mühe, diese Deutungsmöglichkeit wirklich zu erwägen.

All dies steht, wofür Vaughns fünfter Film im Gesamten steht: Für nichts als sich selbst, reine Kurzweil, die wie ein Fisch nur für ein paar Minuten überleben kann, hängt sie erst einmal am Haken an der Luft. Und hier ist ein Vergleich vonnöten, der sich von Anfang an schon aufdrängte: Hier ist viel weniger Kick-Ass, viel weniger Stardust und viel weniger X-Men drin, denn das Freche dieser Filme wich hier routiniertem Handwerk. Dafür findet man aber eine ganze Menge Wanted gemischt mit der Kühle von Vaughns Debut Layer Cake. Und so sehr Wanted seinerzeit durch seine Kampfsequenzen Wind machte, so vergessen ist er heute, läppische 7 Jahre in der Zukunft.
An dieser Stelle wird es auch nicht mehr groß verwundern, dass auch der Humor – immer eine Stärke des Regisseurs und Autors – deutlich durchschnittlicher und voraussehbarer ausfällt. Wirklich witzig ist der Film nur im Ausnahmefall aufgrund eines klugen Wortes, sondern meist nur dann, wenn er in Sachen boshafter Geschmacklosigkeit noch einmal eine Schippe drauflegt und mit einem weiteren visuellen Tabubruch verblüfft.
Was bleibt, sind gute und gut aufgelegte Darsteller in einem blutroten Pudding, der sich selbst nie so ganz sicher zu sein scheint, ob er lieber Hommage oder Persiflage sein will. Man ist nie gelangweilt, fühlt sich nie um sein Eintrittsgeld betrogen, hat aber gleichsam auch nie das Gefühl, etwas wirklich Wichtiges zu sehen. Im ganzen Film existiert nur ein kleiner Moment, der an die bekannte und hier überwiegend unterdrückte Genialität des Autors erinnert. Hier halten Film und Zuschauer kurz inne und suchen nach Neuorientierung. Sind diese kurzen Sekunden verstrichen, kehrt die Geschichte aber nahtlos zurück in ihr Korsett. Das Ganze ist so gefällig, dass es kaum eine Rolle spielt, dass das Buch einige Fehler aufweist, die es lieblos erscheinen lassen, und auch die Figuren nicht immer mit größter Überzeugung in die Geschichte geschrieben worden zu scheinen.

Fazit

Kingsman – The Secret Service beendet den Siegeslauf von Matthew Vaughn vorerst. Doch auch wenn er nicht die Brillanz seiner Vorgängerfilme teilt, ist er doch ein sehr unterhaltsamer, augenzwinkernder und in seinen gewaltreichen Kampfeinlagen berauschend gefilmter Spaß, der sich – genau wie so mancher Agent – an seinem eigenen Stilbewusstsein viel zu sehr erfreut, um etwas darüber Hinauswollendes anzustreben.
Mit 129 ist der Film nur etwas zu lang geworden, um noch als kurzweiliger Snack durchzugehen. Und wer kann, der sollte die deutsche Synchronisation unter allen Umständen umgehen.

Orphan Black – Staffel 2

Die zweite Staffel des kanadischen Überraschungshits Orphan Black wurde in Windeseile im Anschluss an den Auftakt produziert. Entgegen den natürlichen Erwartungen litt die Qualität nicht darunter, sondern wuchs sogar an.

Don’t mix your camouflage?

Story

Cosimas Krankheit wird zu einem Countdown, der sich sekündlich schneller der Null nähert, während immer noch unklar ist, mit wem ihre geliebte Delphine eigentlich doppeltes Spiel spielt. Unterdessen ist Kira immer noch in den Händen ihrer Entführer. Verzweifelt wendet sich Sarah an Arthur, der vormals noch nach ihr suchte, mittlerweile aber suspendiert ist und dem Klon immer stärker vertraut.
Alison erlebt derweil in einem ganz eigenen Universum ganz eigene Abenteuer. Nachdem sie indirekt das Ableben ihrer Nachbarin herbeiführte, die sie fälschlicherweise für ihren Monitor gehalten hat, bekommt sie deren große Rolle in ihrer Amateur-Musical-Gruppe. Doch ringen in ihr Schuldgefühle, eine neuentdeckte, verwegene Seite sowie Paranoia um die Vorherrschaft und ihr gewähltes Hilfsmittel stellt sich nicht als geeignetste Wahl heraus.
Für alles scheint es Hilfe zu geben. Doch jede neue Hoffnung könnte ebenso ein Werkzeug der Gegenseite sein.

Kritik

Nach einer spannenden und stilbewussten, doch nicht ganz ruckelfreien Einstiegsstaffel geht es in der Fortsetzung plötzlich sofort mit Höchstgeschwindigkeit los. Das lange, teils etwas zu selbstzweckhafte Integrieren der zahlreichen (und überwiegend von Tatiana Maslany gespielten) Figuren ist beendet, der Serie kam nie erwarteter Erfolg zu und es hat den Anschein, als würden die kreativen Köpfe Fawcett und Manson zur Feier nun aus sämtlichen Rohren auf einmal feuern und die Ereignisse sich purzelbaumartig überschlagen lassen. Wo sich vormals noch kleine Längen einschlichen, ist die Serie nun so straff wie nur möglich gespannt und die Charaktere eilen pausenlos von einer Klippe zur nächsthöheren. Dabei muss die Serie aufpassen, nicht in eine zu einseitige Steigerungsklimax zu fallen, die nur dann noch Spannung generieren kann, wenn die vorherige Katastrophe doch noch Unfassbareres übertrumpft wird. Ob sich die Dramaturgie fangen kann oder die Serie nun auch all ihr Pulver verschossen hat, da sie sich für weitere, noch größere Schreckmomente eingestehen müsste, zuvor nur mit Platzpatronen gefeuert zu haben, wird sich zeigen. Doch für die 10 Episoden dieser Staffel geht der Plan voll auf. Und um mehr geht es hier nicht.
Sarah, Cosima und Alison sind mittlerweile ein Gespann, das über große Distanz zusammenhält und eine vollends glaubwürdige Zuneigung untereinander entwickelt hat. Die kurzen Momente, in denen das Trio skypet und sich bangend und einander gut zusprechend auf den neusten Stand bringt, sind von der ersten Sekunde an emotional mitreißend und überflügeln in dieser Hinsicht jede andere Art von Charakterdrama in der Serie – selbst das zwischen Sarah und Töchterlein Kira. Dadurch, dass die Figuren mit ihren Einführungen im Rücken nun viel selbstverständlicher agieren können, wirken nicht nur ihre miteinander verwobenen Geschichten um Welten stimmiger. Auch Maslanys Spiel wirkt noch mal eine Spur differenzierter und zugleich natürlicher, was vor allem Cosima zu einer noch filigraneren Figur heranreifen lässt. Auch neueingeführtes Personal fügt sich gut ins Ensemble und sticht sich dank ein paar kluger Drehbuchentscheidungen nicht untereinander aus. Dass das alles klappt, liegt daran, dass Orphan Black in seiner zweiten Staffel trotz massiv hochgeschraubter Rasanz eine viel klarere Linie verfolgen kann und dies auch tut. Der Schwerpunkt liegt nun nicht mehr auf der Suche nach Orientierung, sondern auf einem agentengleichen Katz- und Mausspiel. Inszenatorisch hat man dabei einiges dazugelernt – was sicher auch am grundsätzlich konventionelleren Szenario liegt -, denn der Szenenaufbau funktioniert mittlerweile viel reibungsloser und die aufgesetzte Musik ist gänzlich verschwunden.

Es ist der Serie nur zugute zu halten, den notwendigen Mut aufzubringen, beim in Staffel 1 bewährten Konzept diese Kursänderung vorzunehmen. Vieles ist mitreißend und es gibt ein angenehmes Mittelmaß zwischen dem großen Klongeheimnis und dieses überlagernder Akutproblematiken.
Der skeptische Beiklang, den schon das Fazit zur ersten Season hatte, ist trotzdem auch hier zu finden. Häufig erinnert das Geschehen an die zweite Staffel Prison Break, bei der die Handlung auch urplötzlich vom Stationären aufs Mobile umlenkte. Wenn ausreichend weit vorausgedacht wurde, der Zufall nicht zum tragenden Element avanciert und vor allem die Mythologie im Hintergrund nicht ins völlig Banal-Abstruse schlingert, weil sich immer wieder eine nächsthöhere, noch gesichtslosere und ominösere Super-Instanz als der nun wirklich wahre Strippenzieher herausstellt, darf man mit Fug und Recht optimistisch bleiben. Und genau dies ist Orphan Black sehr zu wünschen.

Fazit

In Staffel zwei der kanadischen Sci-Fi-Serie wird vieles besser gemacht Die Handlung ist griffiger, die Erzählweise fesselnder und die Charaktere erhalten immer mehr wertvolle Basis. Lediglich der Steigerungswahn lässt befürchten, dass sich Orphan Black irgendwann nur noch auf die Mächtigkeit möglichst radikaler Twists vertraut. Doch ist dies kein Vorwurf an die Serie, sondern nur Befürchtung des Autors und hat somit an dieser Stelle genaugenommen gar nichts zu suchen.
Die Odyssee von Sarah und ihren Klonschwestern ist im zweiten Akt ein spannungsgeladenes Katz- und Mausspiel, das einen starken Sog entwickelt.

Orphan Black – Staffel 1

Orphan Black kam quasi aus dem Nichts, genoss in kurzer Zeit einen bemerkenswerten Durchbruch und wurde in sämtlichen Feuilletons mit großem Wohlwollen besprochen. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, in welch kurzer Zeit die Serie produziert wurde, welche es in deutlich weniger als zwei Jahren auf satte zwei Staffeln brachte.

How are we all related?

Story

Sarah Manning, kaltschnäuzig und großmäulig, ist gerade erst zurück in ihre Heimatstadt gereist, um erneuten Kontakt zu ihrer kleinen Tochter aufzunehmen, die von Sarahs Adoptivmutter betreut wird, zu welcher sie selbst ein keineswegs einfaches Verhältnis hat. Eine starke wie gute Bindung hat die rebellische junge Frau ohne Arbeit und Ziel zu ihrem exzentrischen Bruder Felix, der in seinem Atelier zwischen flüchtigen Männerbekanntschaften, Kunst und Drogen ein ebenso zielloses Leben führt.
Für Sarah ändert sich jedoch alles, als eine Frau, die ihr erschreckend ähnlich sieht, sich direkt vor ihren Augen vor eine U-Bahn wirft. Wie im Affekt nimmt Sarah erst die Papiere und schließlich die Identität der Selbstmörderin an, welche eine verlockend große Summe auf ihrem Konto deponiert hat.
Während dieses Doppelleben zwangsläufig auf eine Katastrophe zusteuert – die Verstorbene war Polizistin – offenbart sich zusätzlich, dass noch weitere Frauen existieren, die mit Sarah beinahe vollkommen ident zu sein scheinen. Sie ist Teil einer Klonreihe – und irgendjemand hat zur erbarmungslosen Jagd auf diese Frauen geblasen.

Kritik

Die erste Folge geht rasant vonstatten, besticht durch eine atemlose Erzählart, schillernde Figuren und hinterlässt nach dem Schauen das Bedürfnis, es auf keinen Fall bei dieser zu belassen. Bei Episode zwei wird es dann fast schon etwas zu viel, weil in die so gewöhnliche wie sympathische Welt der Lebedame Sarah Manning zusammen mit ihren kruden Klonschwestern auch ein paar andere seltsame Elemente eindringen, die erst mal wie ein Fremdkörper wirken; nicht in der dargestellten Normalität, denn das ist ja Zweck der Sache, sondern in dem Grundgefühl selbst, mit dem Orphan Black begann und welches bereits jetzt leicht angebrochen wird. Auch die nachfolgenden Episoden hinterlassen einen etwas zwiespältigen Eindruck. Das, was da vonstattengeht, ist alles andere als miserabel, wirkt dann aber doch an einigen Stellen zu konstruiert und bemüht. Dann aber kriegt die Serie einen spürbaren Schub und wird mit einem Mal sehr packend – auch, weil sie plötzlich noch stärker ihre eigene Linie findet und fährt und dadurch einiges an Eigenständigkeit dazugewinnt.
So wirkt Orphan Black als Gesamtwerk merkwürdig und lässt einen verunsichert zurück. Oftmals erweckt die Geschichte den Anschein, zu aufgeladen zu sein, und droht an einigen Stellen fast schon aus der Spur zu rutschen. Besonders so manches abgegriffenes Element fällt negativ ins Gewicht. Auf der Haben-Seiten finden sich gut geschriebene Figuren und eine sehr selbstständige Inszenierung, die sich zwar oftmals etwas unterkühlt und nicht immer so selbstsicher anfühlt, wie sie sich gibt, aufgrund ihres großen Wiedererkennungswertes und des straffen Tempos aber auch enorm zum Funktionieren des Serienkonzepts beitragen. Es ist zudem immer wohltuend, wenn Serien sich trauen, mal ein paar Folgen vollkommen aus dem von ihnen gesetzten Rahmen fallen zu lassen, und etwas grundlegend Abweichendes zu bieten. Orphan Black reiht sich in diese schwer zu meisternde Tradition ein und liefert eine Folge mit starkem Comedy-Anteil, die ihre verblüffende Wirkung nicht verfehlt. So störend manche Dinge in der Story selbst wirken, fallen sie im Gesamten doch kaum auf. Die Regie verwischt einige Fehler und die Tatsachen, dass andauernd etwas passiert und man bemüht ist, so gut wie jede Szene mit einer ganz eigenen Steigerung zu versehen, verfehlen ihre Wirkungen nicht. Bedauerlich ist trotz allem, dass zu viele ungeschickt eingebrachte Elemente der Serie den Sprung zu einer wirklich sehr guten Produktion dann doch verweigern.
Der einzige formale Kritikpunkt, der etwas schwerer ins Gewicht fällt, ist die Musik, die in ihrer affektiert hippen Weise immer wieder störend auffällt und dadurch für störende Lecks in der Diegese sorgt, die mit weniger Auffälligem noch viel einnehmender ausgefallen wäre.

Am bemerkenswerten ist natürlich die mehrfache Hauptakteurin Tatiana Maslany in ihren zahlreichen Rollen, die sie tatsächlich so glaubwürdig darstellt, dass man sie als eigenständige, vollwertige Persönlichkeiten akzeptiert. Hausfrau und Mutter mit Comic-Relief-Anteilen, Wahnsinnige, Polizistin, Göre, Wissenschaftlerin und mehr noch bekommt die Dame auf ihren Leib geschrieben und weiß diese Aufgabe eindrucksvoll zu meistern, indem sie den verschiedenen Charakteren ihre ganz eigenen Bewegungsabläufe, Manierismen, Gesichtsausdrücke und psychologische Besonderheiten verleiht und dabei beinahe immer das richtige Maß einhält. Macht man sich begreiflich, wie häufig Maslany in nur einer einzigen Folge mehrfach im Bild ist, denkt man daran, wie kompliziert die Drehs und wie anspruchsvoll der andauernde Rollenwechsel mit Doubles und Motion-Control-Strapazen für die junge Kanadierin ausfallen muss, gibt es eigentlich kaum eine Alternative zu anerkennendem Staunen. Dass die Dame in Folge mit allerhand Preisen für ihre Ausnahmeleistung geadelt wurde, verwundert daher nicht.

Der Rest steht und fällt mit dem, was da noch kommen wird. Sicher ist: Stellt Staffel 1 nur das Sprungbrett für eine im Voraus durchdachte und originelle Geschichte dar, darf man mehr als gespannt sein, denn ein beachtliches Potenzial besitzt der britische Überraschungserfolg auf jeden Fall.

Fazit

Orphan Black ist eine toll gespielte, hochwertige Produktion, nur selten Anlass, sich über klaffende Logikschluchten zu ärgern, die sich aber auch gerne selbst im Weg steht und ihre eigenen Möglichkeiten auf diese Weise etwas blockiert. Unleugbar sticht der kanadische Überraschungshit aus dem unüberschaubaren Dickicht medioker Science-Fiction-Serien heraus und bekam völlig zurecht so große Beachtung.
Auch Staffel 2 ist bereits draußen und eine weitere in Produktion. Es steht also außer Frage, dass Orphan Black in Zukunft noch häufiger hier Erwähnung finden wird.

Ghettogangz – Die Hölle vor Paris

Französische Zukunftsfantasie, Luc Besson als Produzent. Bisher keine Überraschung und kein Grund für gehobene Erwartungen. Ghettogangz – Die Hölle vor Paris oder Banlieue 13 – Anschlag auf Paris hat mit seiner satten Action aber etwas, das sich vom Durchschnitt scheidet.

Dann gehen wir mal auf Safari.

Story

Als die Kriminalitätsrate in dem verruchten Pariser Vorort nicht mehr zu senken war, schnappte sich die Stadt ein paar Steine und zog eine Mauer um den Brennpunkt. Banden führen dort nun ihr eigenes Regime und wer das Pech hat, im abgestoßenen Slum geboren zu werden, der, nun ja, hat Pech. Der fidele Leito ist Kind dieser Gegend, wird aber im Grenzbereich inhaftiert, als er sich gerade einen Kleinkrieg mit dem Anführer der schlimmsten aller Banden liefert. Leito landet im Kitchen und seine Schwester in den Fängen des grundbösen Anführers Taha. Als einige Jahre später eine Massenvernichtungswaffe in Tahas Besitz kommt, wird der alleskönnende Supercop Damien an die vorderste Front beordert. Und damit er sich da zurechtfindet, muss er sich mit Leito zusammentun.

Kritik

Eine Kamerafahrt mit einer Million versteckter Schnitte, ein zurrender Beat und Zeitlupenhagel. So wird das Paris der Zukunft vorgestellt und so stellt sich der Film selbst noch während seiner ersten Sekunden repräsentativ und ausreichend vor. Die graffitibeschmierten Stahlbetonwände, Obdachlosenstapel in den Gassen und finstere Gesichter eingefallener Kerle, die das gebrochene Paris einer sozial ausgebrannten Zeit präsentieren, tun dies in Hochglanz und mit adrenalintreibendem Schnitt.

Aber der Film ist nicht nur Oberfläche. Es ist eine düstere, dichte  Milieustudie, die in der alles deutlich überzogen ist, sich dabei aber selbst konsequent sehr ernst nimmt, was dem Film recht gut zu Gesicht steht. Parkour-Erfinder David Belle gibt einen charismatischen, aber undurchsichtigen Helden ab und bekommt mit dem wuchtigen K2 einem Feind ins Visier, der von Tony D’Amario mit wunderbarer Widerwärtigkeit, aber auch imponierender physischer Präsenz gespielt wird. Die Figuren sind markant, räudig, überzeichnet und bekommen zum Glück so zahl- wie einfallsreiche Dialoge in den Mund gelegt. Die glaubwürdige Sprache ist tatsächlich eines der Herzstücke des flinken Actionfilmes und trägt eine Menge zur Intensität seiner Welt bei. Das heißt freilich nicht, dass hier irgendwas plausibel wäre. So comichaft wie die Figuren sind, so verläuft auch die Geschichte und Logik muss hinter Geschwindigkeit zurückbleiben. In einer Welt, wo Straßenkampf wie Synchrontanzen funktioniert und hünenhafte Fettwanste mit Endboss-Charakter balroggleich in die Kamera grunzen, ist das vollkommen legitim. Ghettogangz will Spaß machen und das gelingt ihm. Das ist der einzige Anspruch des Filmes und er wird ihm mit Bravour gerecht, auch wenn das Ende sich mit seinen erzwungenen Bonus-Konflikten dann doch etwas zu viel rausnimmt.
Außerdem gilt hier in besonderem Maße: Finger weg von der Übersetzung. Auch wer kein Wort Französisch beherrscht, ist mit dem originalen Ton und Untertiteln besser aufgehoben. Die eingedeutschte Fassung ist eine Tortur für sich. Wer das nicht glaubt, der soll sich nur mal zum Vergleich den deutschen Trailer ansehen. Kern von Ghettogangz sind fraglos die atemberaubenden, aber etwas zu selten vorkommenden Parkour-Einlagen und die darin eingeflochtenen martialischen Prügeleien. Die Kämpfe sind so bretthart wie athletisch inszeniert, alles stets getrieben vom drückend-klaren Beat. Schläge, Tritte, Würfe, Sprünge, gefilmt in einer Musikvideoästhetik, die trotz allem nie glatt, sondern angenehm rau und dreckig ist.

Die beiden Protagonisten zusammen sind testosterongeschwängerte Coolness, natürlich. Aber das ist es eben, was diese Welt braucht und womit diese dekadenten, diabolisch-engstirnigen Unterweltbosse mit ihrer Heerschar an böse geschminkten und zerbrechlichen Leibwächtern bekämpft werden müssen.  Ja, es ist ein Machofilm. Aber im Vergleich zu uninspirierten Kaffeekränzchen á la Lockout, welcher sich ja ebenso ins Klapperschlangen-Subgenre einordnen lässt, ist dies ein Machofilm, der eine ordentliche Portion Energie und eine weitere Portion Ideen mitbringt.
Mit Moral darf man hier selbstverständlich nicht kommen. Menschenleben werden gegeneinander abgewogen und die ungezählten Kriminellen, die Gliedmaßen und Leben lassen, bleiben unkommentierte Bauernopfer. Und das, obwohl Ghetto-Junge Leito selbst uns mit vor Überzeugung bebender Brust  berichtet, wie scheinheilig es doch sei, Personen zu verurteilen, die nichts dafür können, unter welchen Umständen sie wo auf die Welt gekommen sind. Aber dann kommt auch schon der nächste sich über mehrere Stockwerke ziehende Kampf und der Wunsch, pingelig nach Fehlern zu suchen, wird von Adrenalin fortgespült.

Fazit

Der Film strahlt ein gehöriges Maß an Selbstverliebtheit aus, hat sich das mit seiner schweißtreibenden Inszenierung, den aufregend choreographierten Kämpfen und kernigen Dialogen aber auch verdient. Natürlich spielt Ghettogangz – Die Hölle vor Paris nie in einer Liga mit Filmen wie The Raid, fühlt sich in seinen besten Momenten aber ganz ähnlich an.

2009 erhielt der Film die Fortsetzung und Regisseur Pierre Morel empfahl sich mit Ghettogangz für Hollywood. Er drehte als nächstes 96 Hours mit  Liam Neeson.