Tag

Sion Sono wird schon lange als der Nachfolger Takashi Miikes gehandelt. Bis zu 5 Filme pro Jahr und ein Themenspektrum, das zwar noch nicht ganz das des alteingesessenen Tausendsassas abdeckt, aber sich trotzdem vom vierstündigen Coming-of-Age-Höschenblitzer-Fanatismus-Terrorismusfilm Love Exposure bis hin zur elegischen SciFi-Parabel wie dem gerade laufenden A Whispering Star erstreckt.

Story

Mitsuko befindet sich zusammen mit ihrer Klasse aus der Mädchenschule auf einem Ausflug in einem Bus. Sie ist eher introvertiert und daher auch mit sich selbst und ihren Gedichten beschäftigt, die sie bedächtig zu Papier bringt, während die anderen Mädchen sich ausgelassen miteinander vergnügen. Und dies rettet sie. Als sie sich gerade nach ihrem heruntergefallenen Stift bückt, rauscht ein rasiermesserscharfer Wind vorbei und halbiert den fahrenden Bus und all seine Insassen. Nur Mitsuko überlebt das mysteriöse Massaker. Auf der Flucht vor der unsichtbaren Gefahr stolpert sie durch den Wald und wechselt ihre bluttriefende Uniform mit der einer verstorbenen Schülerin.
Plötzlich befindet sie sich nur noch mit bruchstückhafter Erinnerung wieder an der Schule. Doch ist sie weiterhin sie selbst? War der grauenhafte Vorfall ein Traum?

Kritik

Tatsächlich häufen sich die Literaturverfilmungen aus dem Hause Sono so langsam (bei einer derartigen Institution darf man mittlerweile wohl Worte wie Haus in den Mund nehmen). Während das Meisterwerk Himizu allenthalben auf seinen literarischen Ursprung aufmerksam machte, obschon der Film selbst durch die Fukushima-Katastrophe eigentlich stark von diesem abwich, wirkt Tag eigentlich überhaupt nicht so, obwohl hier sogar ein Roman von Yûsuke Yamada als Vorlage herhielt. Vielmehr erinnert der zügig erzählte Film an eine moderne Anime-Serie – denn der Handlungsverlauf ist latent episodisch und entblößt mit jedem neuen Kapitel ein wenig mehr Aufklärung und zugleich ein wenig mehr Mysterium. Dass Sono vom Quellmaterial teils streng abweicht, ist nur eine Erklärung für den ersten, nicht aber für den zweiten Eindruck.
Weil Tag demnach eine dieser Geschichten erzählt, deren entscheidender Auflösungskern nach und nach zum Vorschein kommt, während sich die Fragen gleich Zwiebelhäuten sukzessive von ihm lösen, ist es umso wichtiger, möglichst unbescholten und bar jeden Vorwissens an den Film heranzutreten. Deshalb ist auch der Handlungsabschnitt hier entsprechend knapp und vage ausgefallen.
Und wie ist er nun, der vorletzte und sage und schreibe sechste Film Sion Sonos aus dem Jahr 2015? Gut, solide gut. Durch seine Levelarchitektur bietet Tag große Abwechslung und nutzt diesen Spielraum für die Kreation angenehm gegensätzlicher Pole. Die Szenen, in denen die Protagonistin mit ihren Schulfreundinnen ausgelassen durch den Wald tollt, wirken ganz ungekünstelt wie ein berauschender Befreiungsschlag – vor allem dank des erhebenden Postrocks von Mono, der dem Film tatsächlich eine emotionale Zusatzdimension von großer Wichtigkeit verleiht.
Inszenierung und Geschichtsaufbau sorgen für eine Beständigkeit des Gefühls von Mysterium, schnellen aber auch so sehr durch die 85 Minuten Laufzeit, dass man ein wenig die charakterliche Tiefe bei den Nebenfiguren vermisst. Dank dieser Rasanz, wodurch sich der Eindruck eines Computerspiels noch verstärkt, läuft der Film aber auch nie Gefahr, seinen peitschenden Flow zu verlieren. Ein paar stark hervorstechende komödiantische Elemente sorgen außerdem dafür, das Interesse eng zu binden.
Die Auflösung der Geschichte entpuppt sich schließlich als janusköpfige Angelegenheit – denn so banal sie ist, so facettenreich kann sie gelesen werden. Und gerade in Form einer klar feministischen und Aussage, die in ihrer Formulierung durchaus Mut beweist, fungiert Tag als Gegengewicht zu Sonos ein Jahr zuvor erschienen Meisterwerk obszöner Eleganz Tokyo Tribe, dessen misogynen Elemente nicht immer sofort als Satire zu erkennen sind.

Fazit

Irgendwie ist ein Film wie Tag eine Zwangsläufigkeit in einem Gesamtwerk wie dem von Sion Sono. Denn bei einem Output von bis zu sechs Filmen pro Jahr muss irgendwo irgendwann zu erkennen sein, dass Prioritäten gesetzt und damit an anderer Stelle Eingeständnisse gemacht worden sind. So wirkt Tag dann auch eher wie eine kurze Fingerübung des enfant terrible des japanischen Gegenwartkinos. Doch dieser Eindruck kann nur im Vergleich mit seinen sonstigen Werken entstehen (und ist immer noch weitaus besser als z. B. bei Auftragsarbeiten wie Shinjuku Swan, die einzeln betrachtet aber ebenfalls immer noch mehr als ordentlich sind), für sich genommen ist dieses voranpreschende Abenteuer nämlich immer noch sehenswert – vor allem für Fans japanischen Kinos. Denn obwohl es sich hier um einen eher kleineren Film aus der Schmiede Sion Sonos handelt, darf man hier nicht erwarten, nicht auf exzentrische Einfälle und Cha-Cha-Cha tanzende Verrücktheiten zu treffen.

Assassination Classroom

Yûsei Matsuis Manga mit dem herrlich schrillen Titel Assassination Classroom wurde 2012 erstveröffentlicht und bekam dank zunehmendem Erfolg bereits ein Jahr später mit einem 30-minütigen Anime-Kurzfilm erweitert, eh er dann 2015 nicht nur eine ganze Anime-Serie mit bisher 44 Episoden, sondern auch zwei Filme spendiert bekam. Assassination Classroom ist der erste davon von Eiichirô Hasumi, der bisher primär mit kleineren Comicverfilmungen gewesen ist.


Story

Es sind seltsame Zeiten. Etwas hat zwecks Machtdemonstration ein riesiges Loch in den Mond gerissen und kündigt an, nach einer selbstgesetzten Frist, die gesamte Erde zu zerstören. Dieses Etwas ist ein menschgroßer gelber Oktopus mit einem smileygleichen Dauergrinsen auf dem kugelrunden Kopf. Um sich selbst eine Herausforderung zu stellen, gewährt das Wesen dem Blauen Planeten eine Chance: Ein Jahr lang wird es der neue Klassenlehrer der 3-E der Kunugigaoka-Mittelschule sein – jener Klasse, die gemeinhin als Gruppe der zum Scheitern verurteilten Außenseiter bekannt ist. Neben den normalen Fächern unterrichtet er die Jugendlichen außerdem in der Kunst des Tötens. Gelingt es ihnen, innerhalb der Frist einen Erfolgreichen Anschlag auf ihn zu verüben, bleibt die Erde verschont.
Die Überschallgeschwindigkeit, die außergewöhnlichen Reaktions- und Regenerationsfähigkeiten und nicht zuletzt die zahlreichen unbekannten Eigenschaften des wirbellosen Lehrkörpers erschweren dieses Vorhaben ebenso wie sein exzentrischer und irgendwie charismatischer Charakter.
Während das Fortbestehen der Erdenbevölkerung somit von den Fähigkeiten eines Haufens stark unterdurchschnittlicher Schüler abhängt, bleibt auch die Regierung nicht untätig und arbeitet ständig an neuen Kniffen, um die Chancen gegen das übermächtige Wesen zu vergrößern.

Kritik

Was für eine Geschichte! Und was für eine Optik. Der erfolgreiche Manga wurde mit viel Geld umgesetzt und lässt die reale Welt mit der comichaften Oktopuskreatur verschmelzen. Und das nicht ganz risikolose Experiment gelingt. Assassination Classroom ist die symbiotische Kombination von beiden Stilen mit Bravour gelungen und erschafft so eine recht individuelle Grundlage für diese nicht minder individuelle Geschichte.
Als gleichsam geglückt kann das Beisammensein der völlig überdrehten Ausgangslage mit der von den Figuren als durch und durch realen Gefahrensituation betrachtet werden. Und auch die Chemie zwischen dem alienhaften Aushilfslehrer und seinen Schülern stimmt durchweg. Eiichirô Hasumis Adaption fußt demnach auf einer starken Ausgangssituation und hat damit ob der irren Prämisse eigentlich auch schon die größte Hürde genommen.
Doch leider erschöpft sich das sehr bizarre Setting im Laufe des Filmes zusehends. Auch nach der hurtigen Einführung legt Assassination Classroom zwar erst einmal ein forsches Tempo vor, wird aber von Minute zu Minute langsamer und hat irgendwann all seine Trümpfe ausgespielt und überreizt. Natürlich wird der Oktopus sympathischer, natürlich gilt es, Eliminierungsversuche von dritten, eigenmächtig handelnden Parteien zu vereiteln oder zu überstehen – und natürlich geht es im Grunde darum, wie die 3-E zusammenwächst und -arbeitet.
Das eigentliche Mysterium und der vorgebliche Hauptkonflikt spielen in dem Film dafür nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dass die Gefahr nie global sichtbar ist, sondern sich so gut wie alles auf das Schulgelände beschränkt, ist durchaus sympathisch. Dass die Identität des Kraken ebenso wie die Gründe für sein Handeln entweder nur sehr vage angedeutet oder aber gar nicht erst thematisiert werden, nimmt dem größten Pluspunkt des Filmes – nämlich der Absurdität der Situation und insbesondere des grinsenden Tentakellehrers – zugleich auch sukzessive seine Einschlagskraft.
Nachdem die ersten großen Ideen abgefeuert wurden, wird Assassination Classroom dann leider Stück für Stück gewöhnlicher und stellt sich schließlich als im Herzen erzkonservativer Film heraus.
Zu einem schlechten Film wird Assassination Classroom dadurch noch lange nicht. Nicht nur die wunderliche Prämisse, auch in regelmäßigen, wenn auch zu langen, Abständen eingeworfene schräge Ideen füllen den Spaß immer wieder etwas auf.

Fazit

Unterm Strich verlässt sich  Assassination Classroom zu sehr auf die Attraktivität seiner irren Ausgangssituation und bietet im weiteren Verlauf zu wenig Außergewöhnliches. Optisch beeindruckt der Film vor allem durch die gelungene Eingliederung des animierten Comickraken, inhaltlich läuft sich die Grundidee aber ein wenig müde und enttäuscht gerade auch angesichts der hohen Erwartungen an das Szenario.
Die Entscheidung, die Geschichte auf zwei Filme aufzuteilen (der zweite erscheint dieses Jahr), hat sich letztlich vielleicht nicht monetär, gewiss aber künstlerisch als eine falsche herausgestellt.

Deadball

Yūdai Yamaguchis Filme können ohne Ausnahme zum Genre der japanischen Splatterkomödie gezählt werden. Die einzige Variation findet auf der Skala zwischen Horror und Klamauk statt, wobei er in der Regel als Autor auftritt. Zu seinem bekanntesten Filmen gehören Versus, Alive, und Meatball Machine. Seine erste Regiearbeit von 2003 namens Battlefield Baseball hat in entsprechenden Kreisen durchaus Kultcharakter. Deadball soll nicht nur thematisch an diesen Erfolg anknüpfen.

Story

Als der junge Jubeh Yakyu mit seinem übermenschlich starken Wurf versehentlich seinen Vater beim Baseballtraining tötet, schwört er, nie wieder diese Wurfpraktik anzuwenden. Jahre später ist Jubeh ein aufsässiger Erwachsener und wird infolge von Selbstjustiz in eine Justizvollzugsanstalt eingewiesen.
Er landet in einem Gefängnis unter der Leitung von Ishihara Enkelin eines deutschen Kriegsverbrechers im zweiten Weltkrieg. Diese wiederum zwingt Jubeh, der von ihr aufgestellten Gefangenenmannschaft beizutreten und mit dieser Baseball zu spielen. Dieses Team höchst unterschiedlicher Spieler tritt in einem Turnier gegen andere Gefängnismannschaften an.
Rasch stellt sich heraus, dass diese Veranstaltungen eine perfide, abgekartete Sache sind.

Kritik

Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass Deadball thematisch direkt an Yudai Yamaguchis Kultnachlass Battlefield Baseball anschließt. Auch hier spielt die Sportart absolut gar keine Rolle, auch hier ist ihre bloße Nennung Auslöser einer Geschichte, die beim leisesten Windhauch in sich zusammenzufallen droht, auch hier die Rechtfertigung für allerhand blutigen Blödsinn.
Für wen ist dieser Film? In erster Linie natürlich für Fans des Regisseurs und seiner Stilverwandtschaft – diese Sorte japanischer Kunstblutalbernheit, wie sie seit Jahrzehnten Hochkonjunktur haben. Wobei, so ganz stimmt das nicht – denn wie so viele aus dieser Sparte setzt Yudai Yamaguchi nicht auf Gallonen roter Farbe, sondern auf Körpersäfte und andere Mensch-Zutaten aus dem Rechner. Und das sieht man. Natürlich sind die Effekte bewusst durchschaubar gehalten, de facto ist es aber sehr selten, dass ein CGI-Blut-Film mit dem Charme liebevoller Handarbeit mithalten kann.
Ansonsten mangelt es dem Drehbuch an kreativen Spitzen eigentlich nicht. In den 99 Minuten steckt so viel Unfug, dass der Film über die volle Laufzeit durchaus bei der Stange zu halten weiß. Am bemerkenswertesten ist dabei, wie viele Gags man um den Hitlergruß herumbauen kann.
Der an Italo-Westerner angelehnte Protagonist Yakyû Jubei hat genügend krude Charaktereigenschaften, um den Film zu tragen – dank dem für diese Filme quasi gepachteten Tak Sakaguchi, der zusammen mit dem Regisseur durch Versus Bekanntschaft erreichte und in gefühlt jedem trashig angehauchten, semi-reflektierten östlichen Unfug mitspielt.
Nun steht und fällt ein solcher Film nicht nur mit seiner Kreativität, sondern auch mit der Qualität seines Humors. Und hier gerät Deadball einige Male ins Straucheln. Denn erst einmal muss gesagt werden, dass kein Witz oder Running Gag wirklich vom Hocker haut, stattdessen gibt es viele passable, einige nette und wenige sehr nette Späße, die primär durch ihr Timing zu überzeugen wissen. Doch ist hier eben auch Platz für Blödeleien, deren Plumpheit auch durch den Reflexivitäts-Stempel nicht aufgewertet werden und bestenfalls die Augen verdrehen lassen, meist aber zum partiellen Verabschieden des Grundinteresses führen.

Fazit

Letztlich ist Deadball natürlich genau das, was man von Yudai Yamaguchi erwartet und vermutlich auch erwünscht. Bewusst schrottiger Splatterblödsinn, der durch zahlreiche Absurditäten zusammengehalten wird und in seiner überhöhten, aber nie völlig abgehobenen Weise auch zu befrieden weiß. Die arg tumben Witze der Marke Flatulenzkadaver werden aber vermutlich nur den ganz harten Kern der Fanbase des Filmemachers zum Jubeln bringen.

The Adventure of Denchu-Kozo

The Adventure of Denchu-Kozo (Oder: The Adventures of Electric Rod Boy; oder: Denchû kozô no bôken; oder: 電柱小僧の冒険) ist der letzte Film, den Shinya Kutusuke drehte, ehe er mit Tetsuo: The Iron Man vollends zurecht auch der Welt außerhalb Japans ein Begriff wurde. Die Berlinale würdigte ihn zusammen mit Sogo Ishiis Isolation of 1/880000 in der neuen Sparte „Hachimiri Madness, in der sich die einmalige Gelegenheit bot, auf Leinwand zu bestaunen, was die 8-mm-Anfänge der prägenden Giganten japanischer Filmlandschaft aus der Punk-Gruft der 80er sind.

Story

Hikari ist ein gewöhnlicher Junge, der sich den Mobbingattacken seiner weniger zimperlichen Mitschüler zu stellen hat. Ihr Umgang mit ihm wird nicht dadurch verbessert, dass ihm ein Elektrizitätsmast aus dem Rücken wächst. Eines Tages schreitet das Mädchen Mome rettend ein und vertreibt die mitleidlosen Rüpel, welche Hikari das Leben schwer machen. Zum Dank zeigt dieser ihr das Ergebnis seines neuesten Bastelexperiments: Eine Zeitmaschine, durcheinander, handlich und  funktionsfähig, wie sich herausstellt, wenn Hikari plötzlich 25 Jahre in die Zukunft springt. Was er dort vorfindet, ist ein Japan, das von einem Vampirclan unterjocht wird, der alles daran setzt, eine Dr. Sariba zu töten. Nun muss Hikari seine besonderen Kräfte zum Einsatz bringen.

Kritik

Wie umschreibt man diesen nicht ganz 50-Minütigen Film über einen Jungen, dessen ihm aus dem Rücken ragender Strommast ganz unverhohlen einfach nur eine behelfsmäßig angebrachte Stange aus Pappmaché, Schaumstoff und etwas Hartmaterial ist? Der kurz sagt „Hey, ich habe da übrigens eine Zeitmaschine“, und damit eine wirre Ansammlung von Elektroschrott meint, den er mit sich rumschleppt? Der nach knapp 3 Minuten in einer Zukunft feststeckt, in der Vampire mit einer Bombe stete Dunkelheit über die Welt gebracht haben und nun eine Eva züchten, die diese Dunkelheit verewigen soll? Da The Adventure of Denchu-Kozo sowieso zwangsläufig jeder Beschreibung nur spotten kann. Und so kann hier eigentlich auch nur geraten werden, diese Explosion von Film zu schauen, denn so einmalig, rasant und altersfrei ist kaum etwas.
Die Ähnlichkeiten zu Tetsuo: The Iron Man sind offenkundig. Die Liebe zum Detail, die Fantasie in den Bildern. Der Film ist voll sind von kreativen Fleisch-Maschine-Vermengungen, Drahtknäulen, aus denen sich Kreatürlichkeit entfaltet, und Kostümen, die nahtlos mit der Umgebung verschmelzen. Dabei koexistiert bewusster Trash mit wahrhaft augenöffnenden Effekten. Wie alles im Film ergibt sich daraus eine Fusion, die in eine Diegese mündet, in der alles möglich erscheint und das meiste trotzdem überrascht.
An vielen Stellen wirkt dieser frühe Ausflug Kutusukes wie ein Musikvideo, an weiteren wie ein Experimentalfilm. Die Wahrheit liegt vielleicht irgendwo in der Mitte. Die mit einem Affenzahn durch Gänge rauschenden Vampire, welche sich ausschlich per Stop-Motion bewegen, geben das Tempo für den gesamten Film vor, der in seinen 50 Minuten Stoff verhandelt, der sich ohne Probleme auf eine zweistündige Erzählung erstrecken hätte könne.
Im Vergleich zu seinen späteren Werken fehlen die Momente der Ruhe, der ernsthaften, schmerzlichen Intensität, in denen die Mühlen kurz innehalten und Raum für Reflexion lassen. Der Film schleudert voran und heftet Irrsinn an Irrsinn, ohne Platz für Ernst zu lassen. Dieser Fehlende Ernst ist in gewisser Hinsicht aber auch das Bemerkenswerteste, weil Überraschendste Moment – an Shinya Kutusuke ist nämlich ein wahrer Komiker verlorengegangen, was man bei seinen späteren Werken allerdings nie wieder in dieser Form erahnen kann. Die zahlreichen Witze sind voller überraschender Pointen, garniert mit dreisten Wendungen und in keiner Weise an die Zeit gebunden. Hier beweist sich wieder einmal, was sich nur allzu selten beweist: Guter Humor ist nicht an Zeit gebunden. Er basiert auf dem Moment der Verblüffung, der Abkehr vom Erwartbaren. Und das ändert sich nicht mal eben in 30, 40 Jahren. Dass wir es hier mit einem Film aus (immer noch) völlig fremdem Kulturkreis zu tun haben, verstärkt diesen Effekt für den westlichen Zuschauer nur noch.
Fazit

The Adventure of Denchu-Kozo ist tatsächlich  ein Abenteuer. Eines der absolut aberwitzigen Sorte, das heute noch genauso überraschend, schockierend, energetisch und überwalzend wirkt wie vor 30 Jahren. Es braucht nur ein paar Sekunden, bis es seine metallenen Klauen um den Nacken des Zuschauers gelegt hat und ihn durchschüttelt, bis die Geschichte  in einen Abspann mündet, der dem Film in keiner Weise nachsteht.

Der Große Japaner – Dainipponjin

Der Comedian Hitoshi Matsumoto hat gut 5 Jahre an seinem ersten Film gearbeitet. Der Große Japaner – Dainipponjin ist oberflächlich betrachtet eine Verballhornung japanischer Monsterfilme, sogenannter Tokusatsu-Sendungen, geworden, was bereits in seinen zahlreichen Sendungen sein Markenzeichen war. Wird man mit dem Film konfrontiert, präsentiert er sich schnell als einer der seltsamsten und keineswegs genießbarsten Filme des letzten Jahrzehnts.

Brustwarzen sind wichtig. Ja…

Story

Das Tolle an Regenschirmen ist, sie werden nur groß, wenn man sie braucht. Seegras ist aus ähnlichen Gründen ganz wunderbar. Fahrräder mag er eher weniger. Mit der achtjährigen Tochter läuft es dafür nicht so rund. Sie lebt bei ihrer Mutter, einmal im Monat gehen Masaru Daisato und sie ins Kino. Der schwermütige Tropf, der hier tagein tagaus von einem Kamerateam begleitet wird, ist in seinem Alltag ein ganz normaler Japaner. Zugleich ist er aber auch der Letzte einer langen Reihe von Menschen, die durch direkte Starkstromeinwirkung zu Hünen mutieren, um Japan wann immer es nötig ist vor haushohen Ungeheuern zu beschützen.
Doch brach die Heldenverehrung lange ab. Japan hat die Begeisterung für seinen kühnen Nationalhelden längst verloren und empfindet den Retter eher als Störenfried und Plage. Immerhin ist er ein Beschützer sechster Generation. Nun ist sein Leben armselig, sein Gehalt mickrig, die Einschaltquoten nicht nennenswert.

Kritik

20 Minuten lang sieht man Masaru Daisato atonal, verunsichert, etwas schusselig reden, gefilmt von einer amteuerhaft geführten Handkamera, inteviewt von einem nie zu sehenden Fragensteller, der nicht durchblicken lässt, ob seine Fragen gut überlegt oder unvorbereitet und ahnungslos improvisiert sind. Das Gespräch ist banal, seine Antworten sind laff.
Dann beginnt der erste Kampf gegen ein Ringmonster mit schütterem Haar und Seitenscheitel, das wie ein irre gewordener Wal klingt und wo es nur kann laicht. Vom Design her sind die Monstrositäten äußerst gelungen. Die riesigen Hybriden aus abstrakten Organismen mit menschlichen Gliedern und überproportional großen Köpfen, wie sie auf den Schultern eines jeden Bürgers nicht auffielen, sind zugleich bemitleidenswert und derart unästhetisch und vulgär, dass automatisch Unwohlsein auslösen. Dass die Animationen der Riesen fast schon laienhaft ausfallen, passt dafür erstaunlich gut ins Bild. Die Kämpfe sind bewusst träge, die absurde Bewaffnung unseres Hauptdarstellerhühnen in Form einer kurzen Eisenstange herrlich unangemessen – und seine knappe purpurne Unterhose genauso unangenehm wie jede anderfe Art von Körperlichkeit in Dainipponjin.

Der Humor ist sehr leise, ergibt sich nur aus der absonderlichen Situation und nicht aus direktem Witz. Der Film ist zum Glück diszipliniert genug, nicht albern zu werden und das zerbrechliche Gleichgewicht zwischen lakonischer Tristesse und bizarrer Parallelwelt zu gefährden.
Doch dabei ist es eigentlich nur selten wirklich komisch, mit fortschreitender Laufzeit, in der wir den einsamen, in sich gekehrten Melancholiker begleiten, erhält der Film erst eine Aura der Bedrohlichkeit, die sich im Hintergrund immer spürbarer auftut und wird dann plötzlich einfach nur noch leer und trostlos.

Das Problem des Filmes: Dainipponjin – Der große Japaner setzt sich zusammen aus sehr vielen ruhigen Interviewpassagen, die nur dann und wann von den skurrilen Monstermissionen abgelöst werden. Die einzelnen Geschehnisse sind vom Prinzip her groß, hängen aber in keiner Weise zusammen. Sobald klar ist, dass die Geschichte genaugenommen nur eine lose Kette unzusammenhängender Ereignisse darstellt, ist es schwer, den Film mit großer Aufmerksamkeit weiterzuverfolgen, da die Einzelheiten nicht interessant genug sind und im Kontext des Gesamten keine nennenswerten Verknüpfungen zueinander aufbauen.
Der Mockumentary-Stil entschuldigt in gewissem Maße zwar die sehr lieblos geführte Kamera, ganz vergessen machen kann er sie aber nicht.
Trotzdem lässt sich eine sonderbare Art der Anziehung nicht bestreiten. Es gibt witzige Momente, die davor bewahren, Langeweile entstehen zu lassen. Aber das ist nicht der ausschlaggebende Punkt. Bemerkenswert sind vielmehr die weitaus zahlreicheren Szenen, die höchst irritierend sind, ohne dabei wirklich verstörend zu werken. Sie sind einfach nur seltsam. Und sonst nichts. Irgendwo in der Schnittmenge aus Scham, Mitleid und peinlicher Berührtheit spielt sich der Film ab.
Das klingt eigenartig und das ist eigenartig. Dainipponjin baut eine ungeheuer eigene Atmosphäre auf, die definitiv keinen Spaß macht, aber fraglos was für sich hat und behaupten kann, höchst eigen zu sein.. Ob das genügt, sich auf den Film einzulassen, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Die letzten 15 Minute sind dann urplötzlich ein Feuerwerk des Einfallsreichtums, wunderbar absurd, überdreht und spritzig. Dadurch entsteht ein Kontrast zum restlichen Film, der so enorm ist, dass es das Gesamtwerk fast schon rund macht. Doch das soll und kann nicht verheimlichen, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Satire nicht saftig genug ist, die Komödie nicht ausreichend witzig, die Tragödie zu zerfahren und nicht zuletzt auch das Spiel von Hitoshi Matsumoto nicht ausdrucksstark genug.

Fazit

Japans Comedian Hitoshi Matsumoto in Personalunion als Regisseur, Autor, Produzent und Hauptdarsteller schafft mit seinem Regiedebut etwas einzigartig Spleeniges, das dennoch nicht zwangsläufig sehenswert ist, da über Dainiponjin bei besten Willen nicht gesagt werden kann, dass er Spaß macht. Die Tokusatsu-Filme werden durch die orientierungslose Dramatik in gewisser Weise zwar treffend aufs Korn genommen, das Bemerkenswerteste an diesem Kuriosum ist aber zweifelsohne seine kaum zu beschreibende Atmosphäre, die sich aus merkwürdig anstößig anmutenden Schlichtheiten selbst gebärt.

Cyborg 009 – The End of the Beginning

Power Rangers ist eine Serie, die es offenbar immer noch gibt. Unter dem Namen Power Rangers R.P.M retten ein paar bunt gerüstete Teenager immer noch die Welt mit ihren Zords. Wenn nun, Koichi Sakamoto, der Produzent dieser Serie, seinen ersten richtig großen Film inszeniert, ist es sicher interessant, an sich selbst zu beobachten, inwiefern sich die jeweils subjektiven Erwartungen verhalten.

J-Country.

Story

Der Kalte Krieg hält seit nunmehr 140 Jahren an und immer noch beäugen und beharken sich Osten und Westen mit ungebrochener Intensität. Bisher ist es kaum mehr als ein Märchen, dass der Westblock kaltblütige Cyborgs mit übermenschlichen Fähigkeiten für seine Operationen einsetzt. Mylene Hoffman ist einer dieser Agenten. Als sie den Auftrag bekommt, ihren entführten Erschaffer zu retten, gerät sie in einen Strudel aus Verschwörungen und ihrer eigenen Vergangenheit.

Kritik

Die Welt ist geteilt. Überall Probleme. Der Erzählerin steckt elektronisches Geflirre in den Augen, bla, bla, bla: Ärsche.
Cyborg 009 – The End of the Beginning ist die Verfilmung des Mangas 009-1 von Shotaro Ishinomori, der zwischen 1967 und 1974 veröffentlicht wurde. Wenn die Adaption des Grundstoffes seiner Vorlage auch nur zu einem Drittel die Treue hält, war sie ein sehr modernes Stück Literatur. Aber auch ein sehr sexistisches und inhaltsleeres.
Die Grundsituation ist einfach. Das Syndikat ist so furchtbar böse, dass es sich jedes nur denkbaren Verbrechens schuldig macht, solange es nur verachtenswert ist und die Kamera liebt Frauenkörper. In Nahaufnahme und mit Fokus auf den aufregendsten Partien.

Entsprechend lebt die Protagonisten in einem roten Latexanzug mit Push-Up-Funktion, der horizontale Reißverschlüsse an den Brüsten besitzt. Letzteres muss so sein, denn der sexy Cyborgagent kann seine sekundären Geschlechtsmerkmale schließlich dafür nutzen, maschinengewehrgleiches Dauerfeuer abzufeuern. Hier ist dann auch klar: Cyborg 009 – The End of the Beginning will nicht als Geschichte ernstgenommen werden, sondern einfach nur ein Erlebnis sein, ein sexistischer Spaß, der am Rande versucht, den lüsternen Blick auf die weibliche Anatomie und die Freude an brachialer Action in einer fadenscheinige Geschichte zu packen.
Wer auf Fragen kommt wie die, warum irgendwas davon überhaupt passiert, kann sich zum Kreise jener Personen zählen, die schon im Vorfeld die Finger von dem Film lassen sollten.
Dann könnte man ja auch direkt fragen, wieso die Agentin überhaupt in lasziv geschnittenem Lederdress samt Röckchen herumläuft und dazu passende High Heels(!) trägt, während ihre Kollegen in normalen, asexuellen Uniformen stecken und, im Gegensatz zu ihr, nicht unentwegt sinnlich in die Kamera blicken.
Dabei hätte man aus der Ausgangssituation, die immerhin eine halbwegs ungewöhnliche Dystopie darstellt, einiges machen können. Die Handlung spielt sich in einer gar nicht so uninteressant konzipierten Welt ab, die man mit ihren Geschehnissen gerne viel mehr im Fokus hätte als die verschiedenen Körperzonen verschiedener Damen.

Die Kameraarbeit hingegen ist eine überraschend kompetente und liefert in Ansätzen immer mal wieder stimmungsschaffende Perspektiven. Die Schnitte sind dafür teils zum Augenverdrehen platt und zuverlässig in Begleitung von höchst mäßigen Effekten. Sei es das immer mal wieder umher spritzende Blut oder die futuristische Technik, die jedes Mal Budget und Erfahrung des Teams entlarvt.
Naturgemäß kommt es also auf die Konfrontationen mit anderen Körpern an. In rein martialischem Sinne, versteht sich. Der Spaß des Filmes bemisst sich daran, wie einfallsreich die Kämpfe sind, wie schick die Choreographien und wie befriedigend Prügeldramaturgie.
Das Stichwort hier ist Mittelmäßigkeit. Schergen, meist hübsch aber gesichtslos, springen ins Bild und beharken abwechselnd die Protagonistin, die sie mit der Hilfe vieler Schnitte irgendwie bezwingt. Nur selten sind auch mal zwei, drei Schläge in einem einzelnen Shot gefilmt, wodurch eine eindrucksvolel Bewegung entsteht, in der Regel spielen sich die Kämpfe aber nach dem beliebten Muster „Halbe Drehung, Schnitt, Perspektivwechsel, Treffer“ ab. Etwas interessanter wird es dann, wenn ein ebenbürtiger Widersacher den Ring betritt, aber auch dann gewinnt das Gedresche keinen Blumentopf, zudem sich hier auch das primäre Einsatzfeld der mageren Effekte befindet, die nicht nur erwähnt schlecht aussehen, sondern überwiegend auch noch völlig unnachvollziehbar eingesetzt werden. Wenn dann auch noch Explosionen und Helikopter als drittklassige Spezialeffekte hinzukommen, verliert das Filmchen endgültig seine Bodenhaftung, weshalb sich auch die Kämpfe nicht mehr nach wirklicher, geerdeter Körperlichkeit anfühlen, sondern ebenso künstlich wie die Kulissenwelt, in der Cyborg 009 – The End of the Beginning spielt.

Die völlig unmotivierten Gefühlsregungen und die damit verbundenen Flashbacks nach Kitsch-Schema-F stören zusätzlich mehr als die Scharmützel Laune machen. Nicht nur wird der Zuschauer mit Kindheitserinnerungen belästigt, es werden auch alle paar Minuten in dramatischem Duktus kürzlich erst gezeigte Szenen wiederholt, als würde man es dem Zuschauer nicht zutrauen, ein funktionierendes Gedächtnis zu besitzen.
Dass sich die Kamelle im Laufe zu einer Selbstfindungsposse entwickelt, ist dabei herzlich egal. Weniger egal sind die verzweifelten Twists, die das Drehbuch auf dem Weg dorthin ins Gehege wirft, so beliebig und armselig sind sie geraten. Deren letzter großer wiederum ist abwegi, dass er schon wieder satirisch wirkt. Denn das 15 Minuten vor Schluss noch kurz ein paar Zombies eingeführt werden, ist jenseits von Beliebigkeit – das ist fast schon Nonsense-Kino. Nur dass man Cyborg 009 – The End of the Beginning nie so recht bescheinigen kann, bewusst witzig zu sein; von einer einzigen Szene abgesehen, die daher auch am stärksten in Erinnerung bleibt.

Auf ihrer Odyssee bleibt der attraktive Cyborg natürlich alle paar Meter stehen, um ein Kind zu retten und selbstverständlich ist das Einzige, was noch unzerstörbarer als ihr Körper ist, ihre knappe Kleidung, die auch das brausendste Inferno ohne Riss übersteht. Immer dann, wenn es nicht um Gewalt oder Spezialeffekte geht, sondern die Fleischbeschauuung wieder einsetzt, operiert der Film mit der Ästhetik eines Videoclips und fühlt sehr an wie der ja recht ähnlich gelegene Ultraviolet. Wenn Frauen nicht die kaltblütigen Amazonen, sind, die dank technischer Augmentierung über ihr natürliches Maß hinaus optimiert wurden, handelt es sich bei ihnen um unselbstständige Ausstellungsobjekte fleischgewordener Passivität, die sich beim ersten Anzeichen von Gefahr in eine Ecke rollen und hysterisch schreien – um Rettung bangend, den Tod erwartend, Spielzeug der Männerwelt und des Filmes.
Weshalb Cyborg 009 – The End of the Beginning dann nicht ganz so unterirdisch ist wie z.B. Ultraviolet, liegt einzig daran, dass diese Mischung aus Pathos, unverhohlenem Sexismus und Selbstüberschätzung, die nur selten von tatsächlich funktionierenden Szenen abgelöst wird, ein Etwas, das irgendwie knuffig ist in seiner Naivität.
Aber das ist wohl einer der am wenigsten rühmlichen Pluspunkte, die man sich vorstellen kann.

Fazit

Der Power-Ranger-Produzent Koichi Sakamoto hat mit seiner Verfilmung des Mangas 009-1 ein nicht gerade feministisches Begaffen von Frauenkörpern und mäßig in Szene gesetzten Actioneinlagen geschaffen, das weniger durch erzählerische oder optische Qualitäten unterhält, an denen man sich rasch sattgesehen hat, als durch seine abwechslungsreiche Unterdurchschnittlichkeit.

The Ninja War of Torakage

Japan Filmfest Hamburg Special 10

Well, our time is up for now.

Story

Sechs Jahre ist es her, dass Torakage sich von seinen Pflichten als Ninja entbinden ließ, um gemeinsam mit seiner Geliebten und dem gemeinsamen Sohn ein bescheidenes Leben in Abgeschiedenheit zu führen.
Nach einer Weigerung, in die Tätigkeit seiner Vergangenheit zurückzukehren, entführt seine vorherige Herrin den Sohn des Paares. Gemeinsam müssen sie sich auf den Weg machen, in Dreitagesfrist eine legendäre Schriftrolle aus einem gut bewachten Schloss zu entwenden.
Zusammen mit einer zweiten, ergänzenden Rolle soll sie den Weg zu einem unermesslich wertvollen Schatz weisen.

Kritik

Was für eine Stauung von Lärm und Unsinn. Nach den ersten Minuten unterbricht ein – vermeintlich – portugiesischer Erzähler das Geschehen und weiht den Zuschauer darüber ein, wieso seine Geschichte im Speziellen und Ninjas im Allgemeinen eine interessante Angelegenheit sind. Es scheint, als hätte Regisseur und Autor Yoshihiro Nishimura all das zusammengekehrt, was er in den zahllosen Arbeiten im Filmgeschäft – wenn auch meist in der zweiten Reihe – erlebt und mitgenommen hat.
Das bedeutet: Ausnahmslos Satirisches, Gutes wie weniger Gutes.
Von letzterem wird der Film zu Anfang immer mal wieder heimgesucht. Zwar sind dank der hohen Gagdichte auch hier bereits schon einige gelungene Witze zu verzeichnen, doch finden sich auch immer mal wieder Kalauer, die so dumm und plump sind, dass sie einfach keinen Spaß machen. Das geht so weit, dass man sich als Zuschauer dann und wann in solchen Momenten ängstlich die Frage stellt, ob es überhaupt noch einen erkennbaren Unterschied zu gängigen Spoof Movies vorhanden ist. Einzig die Tatsache, dass der Film überraschend professionell inszeniert ist, eben immer mal wieder auch zündende Gags vorhanden sind und zudem einige Schauwerte geboten lassen, lassen einen die Frage verneinen. Darüber hinaus spielt die Filmmusik, die ein einziges Ennio-Morricone-Zitat ist, sich in ihrer penetranten Weise schnell tot und fängt an, zu nerven.
Doch The Ninja War of Torakage hat eine Eigenschaft, die beim Geschichtenerzählen als sehr erstrebenswert angesehen wird. Immer weiter steigert sich der Film, immer schneller und enger werden die Kreise um den eigenen Stil, bis er sich irgendwann so sehr in sich selbst hineingesteigert hat, dass bei all dem dichten Wahnsinn und der wahnwitzigen Aneinanderreihung von Ideen und Absurditäten gar kein Platz mehr bleibt für dumme Witze oder auch nur ansatzweise langweilige Passagen. Selbst der Soundtrack verliert seine aufdringliche Wirkung und passt sich besser ans Geschehen an. Das ist dann eine Wandlung, die sich gewaschen hat, denn ein solches Urteil über einen Film abzugeben, ist alles andere als selbstverständlich. Dass sich The Ninja War of Torakage aber immerfort zu steigern versteht und dies auch bis zur allerletzten Sekunde mühelos fortsetzt, ist schon eine erstaunliche Leistung. Die Karikatur von Fantasy- und Samurai-Filmen ist eine einzige überdrehte Achterbahnfahrt mit zig irrwitzigen Schrauben, Loopings und Gruseltunnels, bei denen lediglich einige computergenerierte Effekte die Laune zu trüben vermögen. Abrupt einsetzende Musicalszenen (praktiziert von körperlosen Klonköpfen!), Scherenschnitt-Montagen und Erzählmonologen des japanischen Portugiesen-Ninjas lassen all das aber vergessen. Trotzdem ist dieses Potpourri in seinem Wahnsinn nie strapaziös, sondern vorrangig sehr, sehr unterhaltsam. Es sei denn natürlich, man kann mit japanischem Humor ganz und gar nichts anfangen.

Fazit

The Ninja War of Torakage ist ein Meta-Film mit absolut abstruser Geschichte und mehr als nur einem blödelnden Schalk im Nacken. Gerade im ersten Drittel steckt noch viel Selbstzweckhaftes und Dümmliches in der Geschichte, doch mit der Zeit wird der Film auf wundersame Weise reifer, wilder und witziger, sodass am Schluss ein eindeutig positives Gefühl zurückbleibt.
Beinahe hofft man, dass die augenzwinkernd mit einer herrlichen Szene angekündigte Fortsetzung tatsächlich realisiert würde – auch wenn man weiß, dass der Spaß hier wohl kaum noch einmal neu aufgekocht werden könnte, ohne seinen würzigen Geschmack zu verlieren.

 

Rain for the Dead

Japan Filmfest Hamburg Special 9

Story

Nur durch Zufall findet Yōjirō heraus, dass Zombies nicht auf Menschen reagieren, wenn es regnet. So kann er sich bei schlechtem Wetter gefahrlos durch die tote Stadt bewegen und Besorgungen tätigen. In seiner Wohnung wartet, angekettet in einer Ecke, seine Freundin Mami. Nachdem sie von ihrem Vater infiziert wurde, versorgt Yōjirō sie mit Fleisch und hofft wider alle Wahrscheinlichkeit darauf, dass sich seine Lebenspartnerin wieder in einen Menschen verwandelt.

Kritik

Thematische Trends sind so eine Sache. Häufig sind ihre Vorgaben recht eng, die Art und Weise, wie man sie umsetzen kann, nicht allzu variabel. Wenn inhaltlich Variationen ohne Weiteres nicht mehr möglich sind, ohne den Gegenstand zu sehr zu verfremden, sucht man nach Änderungsmöglichkeiten in der Form.
Auch in Rain for the Dead hat die Oberhand der Stil, wenn auch nur ein klein wenig. Man huscht nicht durch die strolchenden Zombies, man schreitet. Eingerahmt wird dies von Kameraperspektiven, die mal einsam und traurig, mal eigentümlich majestätisch scheinen, immer aber den Ehrgeiz versprühen, irgendetwas ausdrücken zu wollen. Rain for the Dead ist ein Film des Ausdrucks über das Eindringen. Das Eindringen von gesammeltem Regen in Gebäude, von abgebrühten Kämpfern in die biedere, aber glückliche Vergangenheit und von Baseballschlägern in Schädeldecken. Letzteres jedoch nur in der Theorie, de facto wird im gesamten Film kein einziger Zombie getötet.
Der ständige Regen ergießt sich in die Gassen, wo die Toten hilflos wie Stop-Motion-Figuren durch die Pfützen zuckeln, in ihrer Roboterhaftigkeit fast schon jämmerlich. Und zwischen ihnen hindurch spaziert Yôhirô, wie ein kindlicher König, dessen Land und Volk nur Hirngespinste sind. Zombies, die als entseelte Ungeheuer einstmals selbst für die Gefahr der Gleichgültigkeit standen, begegnet man nun mit eben dieser. Was um uns herum ist, das wird zur Normalität, zum Alltag, dies ist das Tragischste im Dasein des modernen Menschen.
Passender Weise ermöglicht dies der Regen, das Melancholischste, was Mutter Natur zu bieten hat. So ist es nur folgerichtig, dass die Wiedergänger mehr Automaten als Monster sind, die immer noch alte Routinen in rudimentärer Struktur in sich tragen, Arbeitswege abschreiten, schunkelnd vor ihrer Haustür verharren oder sich zu vertrauten Werkzeugen hingezogen fühlen. Der Mensch ist vollends zur Maschine geworden, die nur dann unter Fehlfunktionen leidet, wenn der animalische Kern zum Vorschein kommt.
Diese Symbolik zieht sich auch durch die anderen Bereiche des Filmes, wo sie noch viel subtiler zum Tragen kommt. Tatsächlich sind Zombies in Rain for the Dead eher arme, bemitleidenswerte Kreaturen, hilflos und tragisch. Und so mag auch der Titel zu verstehen sein, der Regen für die Zombies fordert, wie man einst auf Regen für die Ernte hoffte, um Leben in das tote Korn zu bringen. Damit darf der Film noch stärker als viele andere Zombiefilme gesehen werden als ein zynischer Abgesang auf die (japanische) Gesellschaft entseelter Funktionsträger, die lange schon nicht mehr der Moderne mit ihrem Aufruf, sich und seinem Tun eine normative Funktion zu geben, überein zu bringen sind, sondern ganz vom Kapitalismus gefressen wurden.

Wie in den meisten aktuellen Genrebeiträgen sind die Masken über die meisten Zweifel erhaben, man fährt hier nicht mit Horden von Entstellten auf, sondern gewährt stattdessen immer mal wieder vereinzelte Blicke auf die verstümmelten Geschöpfe und ihre Opfer. Die so gesetzten kleinen Spitzen sind nicht nur effektvoller, sondern bringen häufig auch ein paar nette Ausschmückungen mit sich. Mit effekthascherischem Gestus wird aber gar nichts gezeigt, die Kamera ist nahezu gleichgültig bei ihrer Musterung des Status quo.

All das funktioniert in seinen Feinheiten anstandslos, wird aber immer wieder enorm von gerade den emotional aufgeladenen Szenen getrübt, auf die es zusteuert. Der verklärte Blick des in der postapokalyptischen Gegenwart Gefangenen auf die rosige Vergangenheit ist immer begleitet von schwermütigem Kitsch, ohne den die eigentliche Botschaft und die Last der Gefühle jedoch viel wirksamer zur Geltung kommen würden.
Vor allem die Rückblenden stehen nicht nur im krassen, sondern im viel zu krassen Kontrast dagegen. Die aufgedrehte Art der Freunde, die spießbürgerliche Alltagsidylle zwischen ihm und seiner Freundin Mami. Hier findet Kontrast nur um des Kontrasts willen statt.
Doch ist die Epidemie erst einmal im Gange, lässt auch die rührige Verklärung nach und die zunehmenden Flashbacks gleichen sich der nihilistischen Stimmung der Gegenwart an. All das strahlt eine bedrückende Tristesse und Hoffnungslosigkeit aus, die den Film sehr erdrückend und trostlos wirken, obwohl er in optischer Hinsicht immer mal wieder kurze Schönheit zulässt. Zum Ende hin kommt dann in den gerade mal 68 Minuten Laufzeit doch etwas Leerlauf zustande, wenn der Film sich nur noch darauf beschränkt, Yôhirô dabei zu zeigen, wie er seiner Liebe Mami nachtrauert. Auch, dass er eingangs noch Text über die Szenen sprach, dieses Stilmittel nach der Einführung aber nie wieder Verwendung findet, wirkt unüberlegt und so ziellos wie die Handlung selbst.
Das Zombie-Malheur als deprimierendes Kammerspiel, das gab es auch schon in Portrait of a Zombie. Rain for the Dead hätte es aber gut getan, mehr von dem Draußen, mehr von den stillen Wanderungen des Protagonisten und mehr von den armen Kreaturen und ihrem schlimmem Schicksal zu zeigen. So aber formuliert der Film weder die Welt des Außen noch die Welt des Innen ausreichend gut aus, weshalb man sich in beiden nur wie ein Besucher fühlt, der einen kurzen Blick auf die Oberfläche erhaschen kann, dann aber sofort in den Abspann weiterziehen muss, bevor man sich so richtig mit dem Geschehen vertraut machen kann.

Fazit

Die Mangaverfilmung Rain for the Dead steuert inhaltlich zwar nichts Neues zum Zombiethema bei, besticht aber durch einen eigenen Stil und seine tief trostlose Stimmung. Leider kann der Film in der kurzen Spielzeit nicht das erreichen, was er sich vornimmt, zudem er sich zu sehr mit kitschigen Rückblenden aufhält.
Trotzdem lohnt sich ein Blick dank der gut umgesetzten Ansätze und dem beklemmenden Gefühl, das dieser Film auslöst.

Das Leben des Budori Gusko

Japan-Filmfest Hamburg Special 8

Story

Gemeinsam mit seiner Schwester und den fleißigen Eltern lebt Budori ein glückliches Leben im Wald nahe eines kleinen Dorfes, wo er täglich und lernwillig die Schulbank drückt. Das beschauliche Leben ändert sich, als auf den Winter irgendwann kein richtiger Frühling mehr folgt und die Ernte über Jahre hinweg bestenfalls kümmerlich ausfällt. Nachdem Mutter und Vater verschwunden sind, erscheint ein unheimlicher Zauberer im Haus bei den hungernden Kindern und nimmt Budoris Schwester mit.
Da ihm nichts mehr bleibt, macht sich der junge Kater auf die Reise, um sein Glück zu finden. Er begegnet hilfsbereiten, aber auch wunderlichen Personen, wächst langsam heran, der ausbleibende Frühling bleibt aber eine stete Bedrohung in seinem Leben und der Welt.

Kritik

Schon in Nacht auf der galaktischen Bahnlinie sind die meisten Figuren in Gisaburō Sugiis Das Leben des Budori Gusko anthropomorphe Katzen. Bekanntheit hat der Regisseur nicht nur durch den genannten modernen Klassiker erlangt, sondern unter Freunden des anspruchsvollen Zeichentrickkinos auch dank dem ungemein lohnenden Sci-Fi-Anime Serial Experiments Lain. Auch in seiner zweiten Interpretation eines Miyazawa-Werkes (die Novelle stammt aus dem Jahr 1932) begegnet man sofort dem vertrautesten Stilmittel des Regisseurs – der Protagonist ist, wie auch seine ganze Familie und sämtliche Dorfbewohner – so unfassbar niedlich, dass man, gleich wie Hart das eigene Herz auch sein mag, gar nicht anders kann, als Sympathie und Mitleid für das selbstlose und durch und durch unschuldige Kerlchen aufzubauen. Denn natürlich ist nicht eine Katze die Hauptperson, sondern ein Mensch reinen Herzens, der lediglich die Gestalt einer Katze hat. Der so geweckte Beschützerinstinkt, ist aber ein hervorragendes Instrument, eine Bande zu der Figur aufzubauen. Dass es sich beim Protagonisten um ein Tier handelt, hat also durchaus seinen Sinn – und fällt ansonsten nicht weiter auf, denn schnell hat man sich an den, für westliche Augen, ungewöhnlichen Hauptcharakter gewöhnt und seine spitzohrige Präsenz als normal und unproblematisch akzeptiert.
Dass das gerade zu Beginn so reibungslos funktioniert, liegt einerseits an den wirklich prächtigen Zeichnungen, mit denen der Heimatwald lebendig wird und die sofort ein Gefühl von Sehnsucht und herzlicher Gemütlichkeit wachrufen. Genau wie die Charakterdesigns, evoziert der heimelige Forst mit seiner Detailfülle und den vielen entdeckungswerten Orten ein Gefühl von naturalistischer Märchenhaftigkeit, wobei die gewählten Perspektiven diese Stimmung gezielt verstärken. Wenn sich dann herausstellt, dass das hier erzählte Märchen ein sehr finsteres ist, wirkt die Schwere des Schicksals der Familie Gusko umso stärker. Der Zauber des Gehölzes macht nun Platz für eine Welt, die jenseits des Märchens existiert.
Die Odyssee, die Budori Gusko durchlebt, ist die eines Kindes, das durch Tücke und Missgunst von seiner immer nur passiven Unschuld zu einer selbstständigen Person heranwächst – erzogen nicht mehr nur im behüteten Heim der Eltern, sondern auch von einer Welt, in der der Kapitalismus mit Strenge regiert.
Allerorts spürt man den Versuch, ein Werk zu schaffen, dass die Strahlkraft und den freigeistigen Reichtum eines Studio Ghibli-Filmes besitzt.

Zudem tauchen Computeranimationen auf, die überhaupt nicht ins harmonische Bild der Zeichentrickwelt passen wollen und als hässlicher Fremdkörper die Atmosphäre verunstalten. Irgendwie passt dies, denn nach dem Austritt aus dem Wald der Kindheit strahlt Das Leben des Budori Gusko ein permanentes, aber kaum fassbares Unwohlsein aus. Die Geschichte läuft ab diesem Moment seltsam ziellos ab, Budori ist ein Charakter, der sich seinem ungnädigen Schicksal fortwährend hingibt, ohne merklich gegen es aufzubegehren. Stoisch lässt er Leid über sich ergehen und macht einfach dort weiter, wo der Wind ihn hinträgt. Durch die Fremdbestimmung der Hauptfigur wirken auch die bereisten Orte wie eine Aneinanderreihung von Zufällen. Die Geschichte, die sich über mehrere Jahre erstreckt, bleibt dabei unentwegt seltsam. Oftmals fesselt der Film weniger durch seinen etwas unmotivierten Verlauf, sondern durch die durchgehend schön gezeichneten Szenerien, in die es Budori verschlägt. Den Platz der anfangs herzigen Katzenwesen nehmen andere Gestalten ein, deren Äußeres mit Fortschreiten der Spieldauer immer alptraumhafter wird. Die Welt, in die man gemeinsam mit der Hauptfigur immer tiefer dringt, ist eine wunderliche, in der sich an Steampunk erinnernde Science-Fiction-Gerätschaften vor dem Hintergrund einer rückständigen Welt zeigen, in der Elend, Naivität Magie, bodenständige Wissenschaft und hungriger Kapitalismus eng beieinander existieren. Psychedelische Traumsequenzen bestärken die beunruhigende Stimmung des Filmes. Über allem liegt der Schatten des Magiers, der zu Beginn der Handlung Budoris Schwester mit sich nahm. Auch hier verwundert die eigenartig verstecke Motivation des Protagonisten – es wird an einigen Stellen klargemacht, dass er seine Schwester befreien will, doch aktiv dafür Eintreten sieht man ihn kein einziges Mal.
Die Krönung des sonderbaren, mulmigen Grundgefühls ist dann das Filmende selbst, das auf eine Weise bizarr einfach ist, aber auch viel Raum für Spekulation lässt.
So entlässt einen dieser eigentümliche Film auch mit dem seltsamen Gefühl, dass er seinen eigentlichen Kern erfolgreich verborgen halten konnte.
Ob das ganze Abenteuer nur der Traum eines sterbenden Kätzchens ist, ob die Geschichte eine Fabel darüber darstellt, dass sich gerade nicht in tatenloser Ergebenheit seinem Schicksal opfern sollte oder ob Gisaburō Sugiis hier tatsächlich einfach nur den sonderbaren Weg eines sehr einfachen Wesens in einer sehr komplizierten Welt zeigen wollte, auf solche Fragen gibt es keine eindeutigen Hinweise. Vielleicht bietet die Lektüre des Quellmaterials Aufschluss, vielleicht gibt es eine im Westen unbekannte Sage, die mit Unklarheiten aufräumen könnte.

Fazit

Trotz der – zum Glück seltenen – deplatzierten Computeranimationen ist Das Leben des Budori ein optisch weitestgehend herausragender Film, der viel von seiner besonderen Stimmung aus den wundervoll gezeichneten Szenerien zieht.
Die Pluralität von Botschaften, der eigentümliche Verlauf und die zugleich sehr schlichte als auch geheimnisvoll wirkende Geschichte sind etwas, das den Film interessant, aber auch ein wenig anstrengend macht.
Einen Blick ist der Film auf jeden Fall wert – doch wird er wohl einige seiner Zuschauer verschrecken. Und für Kinder ist der auf den ersten Blick putzige Animationsfilm sowieso eine Spur zu verstörend.

Patema Inverted

Japan-Filmfest Hamburg Special 7

Story

Patema lebt seit ihrer Geburt zusammen mit einer kleinen Gesellschaft in einem gut ausgebauten Höhlensystem. Trotz wiederholter Verbote entwischt sie immer wieder den befestigten Räumlichkeiten, um die Geheimnisse der ferneren Stollen zu ergründen.
Bei einem ihrer Ausflüge begegnet sie jedoch einem Fledermausmenschen – eine Kreatur, die sie bisher für ein Ammenmärchen zum Erschrecken von Kindern gehalten hat. Auf ihrer Flucht stürzt sie in die Tiefe und überlebt nur durch einen Glücksfall.
Als sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht, stellt sie fest, dass der Grund der Schlucht zugleich auch Übergang in die Stadt Aida ist. Noch erschreckender als die Tatsache, dass diese unter freiem Himmel gebaut wurde, ist aber die Tatsache, dass Oben plötzlich Unten ist. Wortwörtlich.

Kritik
Die Schöne Farbgebung der reichhaltigen, mit Kleinigkeiten vollgestopften Bilder ist das erste, was an Patema Inverted ins Auge sticht. Die Liebe zur glaubhaften Umwelt, denn eine glaubhafte Umwelt ist das Thema des Filmes. Die Detailverliebtheit lässt zu Anfang verständlich werden, wieso Patema so versessen darauf ist, die Umgebung zu erkunden, und fesselt auch für den weiteren Verlauf das Auge an das Bild, das mit sehenswerten Bestandteilen wahrlich nicht geizt. Der Film profitiert hiervon in gesteigertem Maße immer dann, wenn die Perspektive sich um 180° Grad dreht, weil die Fokalisierung von Patema auf Age wechselt oder umgekehrt. In diesen Momenten fühlt sich der Film besonders interessant an und dieses Stilmittel wird überlegt eingesetzt. Auch die variable, teils klassische Musik fügt sich gut ins Gesamtbild ein und sorgt dafür, dass Patema Inverted ganz besonders im Kino eine Sinnesfreude ist:
Die Empathie mit den beiden Figuren glückt zudem. In ihren Zweifeln und Handlungen sind die Teenager nachvollziehbar, werden aber nicht zu trocken dargestellt, sondern dienen immer mal wieder als Vehikel für harmlose Späße, die den Zuschauer daran erinnern, dass er einen Anime schaut. Die neugierige Protagonistin ist nicht, wie so oft, zu naiv unbedarft, sondern in ihrem Wissensdurst sehr gut nachvollziehbar. Die Nebencharaktere haben es leider nicht so gut. Während die unterirdische Bevölkerung, der Patema entstammt, gesichtslos bleibt, womit sehr viel Potenzial verschenkt wird, sind die relevanten Personen aus Aiga sämtlich platte Abziehbilder der Marke Willenloser Lakai in Jin-Roh-Rüstung oder diabolischer Fanatiker. Gerade das Konzept der Welten und die angedeutete Historie hätten viele Ansatzpunkte zur Verfügung stellen können, um vielschichtige Charaktere mit nachvollziehbaren Motivationen zu kreieren. Dass die Führungsriege Aigas aus stupiden Despoten ohne einen Funken verstand besteht, ist jammerschade, denn so verliert der zentrale Handlungsort des Filmes nie seinen Status als Entwurf einer eindimensionalen Konzeptwelt. Was den Film hier häufig rettet, ist der Mut, auch in ernsteren Szenen immer mal wieder ein wenig Humor zu erlauben und die Geschichte somit aufzulockern, was dem Film gut zu Gesicht steht.
Die großen anfänglichen Fragen im Film sind nicht, warum die Welt ist, wie sie ist, und wie das funktionieren kann, sondern wie die Figuren sich damit arrangieren. Antworten auf diese bekommt man trotzdem und das sogar recht früh. Gerade an diesem Punkt, der zentralen Prämisse von Patema Inverted, wurde nicht ausreichend weit gedacht, denn die Art und Weise, wie die Umdrehung der Schwerkraft funktioniert und wie sich die verschiedenen, parallel existierenden Gesellschaften erhalten können, ist, folgt man der vom Film vorgeschlagenen Logik, schlicht nicht möglich. Tatsächlich ist Gravitation in diesem Film eine völlig willkürlich funktionierende Kraft, die nicht im Sinne einer Gesetzmäßigkeit wirkt, sondern immer dann, wenn der Film es eben braucht, um richtig auszusehen. Gerade ein so zentraler Sachverhalt hätte es verdient gehabt, dass man seiner Schlüssigkeit ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenkt. So aber muss man darauf schließen, dass die phantastische Ausgangssituation nur dafür da ist, hübsch aussehende Sequenzen und eine fabelhafte Prämisse anzubieten.
Das alles reicht Dank schöner Ideen in der Umsetzung, den sympathischen Hauptfiguren und dem Spaß, die Welt schrittweise mit ihnen zu entdecken, in genügendem Maße. Mit einem durchdachteren Kern wäre jedoch noch viel mehr möglich gewesen.

Fazit

Liebenswerte Figuren führen durch die toll in Szene gesetzte Welt von Patema Inverted, deren Logik aber nur auf der Behauptungsebene funktioniert. Denkt man nicht über die physikalischen Unmöglichkeiten nach und stört man sich auch nicht an den Holzschnittartigen Nebenfiguren, ist der SciFi-Anime aber gute Unterhaltung mit einem zusätzlich netten Kniff durch die vertikalen Perspektivwechsel.