The Adventures of Bellring Girls Heart Across the 6th Dimension

Japan-Filmfest Hamburg 2015 Special 6

Andalusian Style

Story

Êigentlich will die aufstrebende Idol-Popband namens Bellring Girls Heart nur brav ihre Auftritte absolvieren. Als ihr liebenswerter Manager Butch jedoch von der Alienkönigin Remone in die 6. Dimension entführt wird, von wo aus die machtgierige Tyrannin sich der Erde bemächtigen will (und zwar mit einem interessanten Nachbau eben jener), können die aufgeweckten Mädels nicht einfach tatenlos rumsitzen.

Kritik

Manchen Filmen wird selbst eine Rezension von tausenden Wörtern nicht gerecht. Bei The Adventures of Bellring Girls Heart Across the 6th Dimension hingegen würde es fast schon genügen, den Titel für sich sprechen zu lassen.
Weil dies der Angelegenheit gegenüber dann aber doch nicht ganz fair wäre, soll an dieser Stelle der Versuch gestartet werden, dem Leser nahezubringen, wieso ein gutes Drehbuch, ein halbwegs dickes Budget und talentierte Darsteller keine unentbehrlichen Notwendigkeiten sind, um einen guten Film zu produzieren.
Es reichen stattdessen auch eine Idol-Group mit Mut zur Selbstzersetzung, ein paar weitere Darsteller, deren Schamgrenze nicht überdurchschnittlich niedrig angesetzt ist und die Dreistigkeit, in wenig mehr als einer Stunde Zeit alles unterzubringen, was einer Gruppe drogenaffiner Kreativer an Unvernünftigkeiten in den Sinn kommt.
So verbinden sich ewig lange Songs mit herrlich schiefem Gesang und von einer unbeholfenen Performance der Idol-Sängerinnen in Schulmädchenuniform in einem kargen Kämmerlein mit abgedrehten Invasionsfantasien, denen man liebevoll aus den simpelsten Alltagsgegenständen und etwas Kleber ein wundervoll albernes Gesicht verlieh . The Adventures of Bellring Girls Heart Across the 6th Dimension zelebriert das Dilettantische, feiert die Liebe zur idealistischen, auf alle fremden Urteile pfeifenden Billigproduktion und wirft dem Zuschauer massenweise in voller Absicht „schlecht“ gebastelte Kostüme und Requisiten vor die Augen. In Verbindung mit dem schrillen Humor und den abgedrehten Charakteren, die sich auch nicht zu schade sind, völlig sinnlos zu agieren, entsteht ein knallbuntes Schaulaufen wirrer und noch wirrerer Ideen, die sich spätestens dann zu sich selbst ins Quadrat setzen, wenn die draufgängerischen Mädels jeweils eine Handvoll Aliendrogen (als Platzhalter bedient sich der Film Jelly Beans) schlucken und damit das Tor zur 6. Dimension öffnen, die mit Modellbauten, Spielzeugfiguren und kreischend grellen Kinderzimmereffekten den gesamten Film sprengt und eine flotte Irrfahrt sondergleichen einleitet, die in ihren schillerndsten Momenten den besten Tripfilmen in nichts nachsteht.
So ist der Film eine ganze Weile ein herber Schwank, der lustig und unbeschwert bestens zu unterhalten weiß und viele losgelöste Lacher zu verantworten hat, weil seine gespielte Naivität am laufenden Band Kurioses produziert und man sich ganz nebenbei auch noch mit kolibrihaftem Augenzwinkern über sein eigenes Medium lustig macht, indem man eine ganze Handvoll selbstreflexiver Ebenen betanzt.
Nach dieser Verkettung von wahnsinnigen Höhepunkten werden Tempo und Verrücktheitsgrad gedrosselt, um gut 15 Minuten auf Sparflamme weiterzumachen. In dieser Zeit breitet sich Ermüdung wie eine Krankheit aus und die kurze Laufzeit wird tatsächlich von einer subjektiv empfundenen Länge verunreinigt. Wenn der Film dann endlich wieder fast zu alter Form zurückkehrt, um ins Finale zu purzeln, lässt sich dieser Eindruck nicht zur Gänze vertreiben.

Fazit

The Adventures of Bellring Girls Heart Across the 6th Dimension ist ein mit Heiterkeit behangener, von Anspielungen beschwipster Schalk, filmgewordene Selbstironie, die mit unzähligen verrückten Einfällen brilliert und durch die intendiert ärmliche Ausstattung eine außergewöhnliche Wachsmalstiftewelt auf die Leinwand kritzelt.
Wenn die knallbunte in der zweiten Hälfte für eine Weile verschossen scheint, macht sich eine Leere breit, die auch eine anschließende Wiederauferstehung der Tugenden nicht ganz vertreiben kann.

Raining Blood

Japan-Filmfest 2015 Special 5


Story

Naoto fischt eines Tages ein Päckchen aus der Post, das neben dem Roman Live eine ziemlich eindeutige Videobotschaft beinhaltet: Seine Mutter ist in den Fängen eines Entführers und Naoto soll sich an den Verlauf der Romangeschichte – dessen Protagonist ebenso heißt wie er – halten, wenn er nicht den Tod der Entführten verantworten will.
Als er sich zur ersten Station begibt, wo Trikot und Headset auf ihn warten, begegnet er zahlreichen anderen Menschen, die das gleiche Ziel haben und in der gleichen Situation sind.

Kritik

Raining Blood wäre gerne eine professionelle Rebellion gegen den guten Geschmack, perfektionierter Spaß, der einen dann doch das ein oder andere Mal heftig schlucken lässt, ehe sich der Kloß in schallendem Gelächter auflöst.
In erster Linie ist der Film aber eine menschenverachtende Fleischbeschau, der mit seinem offensiven Sexismus – so selbstironisch er sich auch darstellt – weniger Wut auf die hier unglücklich veräppelten Moralkonventionen, sondern eher auf den Film selbst macht, der die gähnend leere Selbstzweckhaftigkeit all seiner vorgetragenen Scheinargumente und Eskapaden nie auch nur ansatzweise verdecken kann.
Zwar sieht der Film gut aus und wirkt mit ausreichendem Budget ausgestattet, doch spielt er sich dann doch zur Hälfte in einem Lagerhaus ab. Zwar gibt es durchaus ein paar gelungene Splatter-Comedy-Szenen, die Spaß machen, doch können die Effekte nie ganz überzeugen. Anders als in Noboru Iguchis vorherigen Filmen ist die nicht zu verhehlende Computerherkunft der Gemetzelsequenzen nicht allzu störend, da die CGI-Natur einem dieses Mal nicht kräftig ins Gesicht springt, dafür fallen die wenigen handgemachten Effekte aber umso negativer auf, die genauso lieblos umgesetzt sind, wie die uninspirierten Slapstickeinlagen. Am meisten aber verärgert das Drehbuch, das oft etwas von angeblicher Relevanz einführt, um es dann einfach aus den Augen zu verlieren, sodass viele Dinge ergebnislos ins Leere verlaufen. Der von den zahlreichen Logikfehlern am offensichtlichsten herausragendste ist zweifelsohne die Tatsache, dass niemand auf die Idee kommt, gleich zu Beginn mal zu überprüfen, die die den Verlauf diktierende Geschichte von Live denn ausgeht.
Sowohl die blutrünstigen Bikini-Assassinen auf Rollerblades als auch einige verstreute, durchaus passable Einfälle sorgen zwar für Kurzweil, zwischendurch ist die Hatz aber nicht nur durchsetzt mit dämlichen Figurenentscheidungen, sondern auch mit Durststrecken und Wiederholungen, bei denen auch der wunderliche Soundtrack nichts zu retten vermag.
Bei der dümmlichen Auflösung des Ganzen kann man mit viel guter Absicht zwar auch unterstellen, dass sich der Film hier absichtlich erbärmlich anstellt, doch wäre auch diese Letztbegründung so selbstzweckhaft, dass man Raining Blood es eigentlich nicht gestatten möchte, sich so billig aus der Affäre zu mogeln.

Fazit

Ohne Frage gibt es launige Momente in Noboru Iguchis Raining Blood und auch die Idee, das Buch Live in der Verfilmung desselbigen eine Rolle spielen zu lassen, ist ein netter Kniff. Das schludrige Drehbuch und viele offenkundige Fahrlässigkeiten machen den Film dann aber zu nicht mehr als einer hysterischen, menschenverachtenden Olympiade für Voyeure, die die Herkunft des Regisseures aus dem Pornofach immer wieder aufblitzen lässt. Dabei ist es fast schon ein kleines Geständnis, dass man zugebeben muss, dass einige der Unterhaltungswerte trotzdem funktionieren und man auch durchaus Spaß an dem Film haben kann.

Unknown Town

Japan-Filmfest Hamburg 2015 Special 4


Maybe

Story

Als Yuji nach Hause kommt und feststellen muss, dass sich ein mit ihm befreundeter Tagedieb bei ihm auf einer eigens mitgebrachten Couch eingenistet hat, ahnt er noch nicht, dass dies noch das mildeste Ereignis der nun kommenden Tage sein wird.
Er, der eigentlich Besuch von einem Familienmitglied erwartet, trifft die unbekannte und sich leicht sonderbar verhaltende Frau Ryoko an seiner Tür. Sie habe, erzählt sie ihm, früher in seiner Wohnung gelebt und erwartet, ihren damaligen Lebensgefährten Goto dort anzutreffen.
Später am Abend glaubt sein ungebetener Gast einen Geist zu sehen. Und damit beginnt eine Verkettung von Ereignissen, in der sich Yuji sehr schnell verliert.

Kritik

Wer bei der Inhaltsangabe einen spröden Geisterfilm nach Schema-F erwartet, wird anfangs schon eines Besseren belehrt – und dabei doch auf eine ganz andere Weise vom Film genarrt. Wir begegnen zwei verschrobenen Charakteren, die mit ihrem gesunden Humor, knackigen Dialogen und ihrer flapsigen, miteinander vertrauten Art eine überraschend lockere und launige Atmosphäre schaffen.
Schon früh gibt Unknown Town seine Stärken preis. Die Gespräche sind ausnahmslos toll geschrieben, bestehen aus treffsicheren, sehr präzisen Alltagsbeobachtungen mit einem Bewusstsein für den Kern von Dingen, wie man es nur in sehr guter Literatur vorfindet, und punkten mit einem feinsinnigen Gespür für Natürlichkeit. Bebildert wird dies von einfallsreichen Collagen einer Kamera, die genau wie die Dialoge ein enormes Talent dafür besitzt, die richtigen Dinge in der richtigen Einstellung zu zeigen. Unknown Town ist ein wahres Stilungeheuer, dabei aber so unaufdringlich, dass einem die Herkunft des Zaubers, den der Film ausstrahlt, erst beim genaueren Nachdenken offenbar wird.

Immer wieder springt die Geschichte hin und her zwischen der Perspektive Yujis und der Ryokos, ohne dass der konkrete Zusammenhang zwischen den beiden Handlungsebenen zur Gänze erkennbar ist. Dadurch wirkt der stilistisch so homogene Film nach einer Weile seltsam zerrissen zwischen der fesselndem Machart und der sehr freien Geschichte. Das jedoch ist nur die Vorbereitung für einen immer größer werdenden Bruch, bis die zu Beginn noch lockere Stimmung ganz in den Hintergrund gerückt ist und einem mit einem Schlag gewahr wird, dass hier etwas ganz anderes, viel Größeres im Gange ist, das nur schwer zu fassen ist. Irgendwann im Verlaufe dieser Metamorphose wird Unknown Town zu einer beunruhigenden, teils David Lynch-artigen Erfahrung, die den Zuschauer so alleine lässt, wie der Protagonist es ist. Das Geschehen wird immer rätselhafter, vermeintliche Tatsachen lösen sich vollends auf und zurück bleibt das Gefühl, das Geschehene nur mit Mühe und trotzdem nur beinahe fassen zu können – wie einen Geist.
Seiner ergreifenden, völlig unprätentiösen Machart bleibt dieser mysteriöse Sonderling aber bis zum Schluss treu. All das ist gleich noch viel erstaunlicher, bedenkt man, dass es sich um das Erstlingswerk einer bisher in der Filmlandschaft überhaupt nicht in Erscheinung getretenen Person handelt.

Fazit

Nach einem lockeren Start erfährt Unknown Town eine Spaltung und wird unterwegs selbst zu einem engimatischen Gespenst. Ein Gespenst jedoch, das voll ist mit aufmerksamen Beobachtungen und einer einzigartigen Liebe zum Detail, inhaltlich und audiovisuell.
Was am Ende bleibt, ist, neben den nachhallenden Eindrücken, der Wunsch, den Film ein zweites Mal zu schauen, um ihm sein Geheimnis abzuringen.

Bedauerlich ist es nur, dass dies einer jener Filme ist, die rasch in der Versenkung verschwinden werden (ein Schicksal, das z.B. auch der Geniestreich Slum-Polis erlitt – der Film hat nicht einmal einen IMDB-Eintrag)… selbst die Recherche nach einem Poster bleibt erfolglos.

Samurai of the Dead

Japan-Filmfest Hamburg 2015 Special 3


It pups and you are gone.

Story

Die Edo-Zeit sieht ihrem Ende entgegen und das Leben in Kyoto verläuft in halbwegs beschaulichen Bahnen. Auch für Gesutaro Kuzuyama, der ganz in seiner frischen Liebe zu sich selbst und seiner neuen Angebeteten aufgeht, könnte das Leben schön sein, würde nicht ein Untoter, verkauft als Attraktion, von einem amerikanischen Geschäftsmann in die Gegend gebracht werden – und prompt ausbrechen.
Es dauert nicht lange und der Infizierte haut seine Zähne ins satte Fleisch des Samurais. Während man am rätseln ist, was zu tun sei und was überhaupt vor sich geht, erweist sich der Fremde Ryôma Sakamoto als hilfreich – denn wie der Zombie auch, spricht der Einzelgänger Englisch.

Kritik

Selbst der weichherzigste Genrefan hat angesichts der unkontrollierten Schwemme an Zombie VS […]-Filmen schon lange nicht nur den Überblick, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach die größte Lust verloren, sich an die x-te Variation des Themas heranzuwagen.
Umso schöner ist es, wenn einem eine Perle vom Kaliber eines Samurai of the Dead auf der Leinwand begegnet. Hier geht es nicht darum, dass sich eine Gruppe verschanzt und dann nach und nach verkleinert wird. Und es geht auch nicht darum, effektvoll die markantesten Markenzeichen der Gruppe gegen die Übermacht an untoten Stöhnschleichern im Einsatz zu sehen (was sich der Erfahrung nach binnen 3 Minuten erschöpft hat und in müder Wiederholung endet). Hier geht es nicht um Spektakel, hier geht es nicht um Trash. Hier geht es um ein überraschend gutes Drehbuch, in dem mehrere Figuren teils parallel, teils miteinander ein gemeinsames Abenteuer erleben und – hier haben wir im besten Sinne dann doch eine klassische Genre-Entsprechung – vorrangig miteinander auskommen müssen, bevor es dann den Wiedergängern an den Kragen geht.
Das Ganze ist im besten Sinne albern, wobei der Humor primär aus den Kontrasten zwischen den Figuren erwächst – und diese sind denkbar groß, prallen hier doch Eastern und Western aufeinander, während es der Film sich nicht nehmen lässt, beide Genres liebevoll durch den Kakao zu ziehen. Dass das Ganze von einem Funksoundtrack untermalt wird, der an klassische Agentenfilme erinnert, macht die Mischung perfekt. Der Zündstoff zwischen dem urkomischen Kuzuyama (gespielt von Comedy-Star Yûki Himura), der als so korpulenter wie selbstverliebter Draufgänger sowohl als Figur als auch in der Darstellung völlig überzogen ist – und ziemlich bald als eingesperrter Infizierter endet –, dem japanischen Westerner Ryôma, dessen anfängliche Coolness bald einer gutgläubigen Liebenswürdigkeit weicht, klassischen Samurai und einem skrupellosen Geschäftsmann aus dem teuflischen Amerika ist unablässig am knistern und gerät alle paar Meter zur Explosion.
Der gesellige Offtext-Sprecher, der das Geschehen unterlegt, verleiht dem Humor die nötige Trockenheit, während die Figuren sich in einem ständigen Tanz aus Vorsicht und Übervorteilung miteinander befinden, und der Spaß, den alle Beteiligten gehabt haben müssen, in jeder Minute spürbar ist. Auch handwerklich ist Samurai of the Dead nichts vorzuwerfen, wobei vor allem die Bildkomposition überzeugt. Die Maske der Zombies ist absichtlich etwas trashiger geworden – sie sind grün! –, spätestens, wenn sich herausstellt, dass dies keineswegs typische Vertreter ihrer Zunft sind, trägt aber auch dieses Stilmerkmal erfolgreich zur Stimmung bei.
Dass der Zombievirus von einem raffgierigen Kapitalisten aus Amerika ins reine Japan importiert wurde, ist natürlich ein nur schwer übersehbarer Seitenhieb auf die fortschreitende Verwestlichung des traditionsreichen Landes, die die Globalisierung zwangsläufig mit sich bringt. Machart und Inhalte des Filmes bezeugen aber ebenso, dass sich Regisseur und Autor Kazushi Watanabe (Als Schauspieler bekannt als Visitor in Miikes grandiosem Visitor Q, als Filmemacher seit 19 und Captain Tokio immer populärer) mit diesem Umstand sehr gut abgefunden hat.

Fazit

Dass Samurai of the Dead keineswegs eine der unzählbar gewordenen Filme ist, in denen Zombiehorden gegen eine literarisch beliebte Gruppe antreten, konnte man bei dem Regisseur vielleicht schon erwarten, doch ist man dieser Tage bei diesem Genre zurecht sehr vorsichtig.
Die Optimisten bestätigend, liefert der Film mit seinem bunten Figureninventar und der miltiverspektivischen Herangehensweise neben einer – nicht so ganz Romero-tauglichen – Erweiterung des Zombiemythos‘ viele zahlreiche gelungene Gags und One-Liner, während die überraschend komplex erzählte Geschichte mit ihren lediglich 72-Minuten wie im Fluge vergeht.

Control of Violence

Japan-Filmfest Hamburg 2015 Special 2


Story

In Osakas Unterwelt beginnt es zu brodeln, als ein maskierter Killer auf bestialische Weise bestens trainierte Mitglieder der Yakuza exekutiert. Verdächtigt wird das ehemalige Mitglied Goda, der mittlerweile eine Maultaschen-Manufaktur leitet und auf die Vorwürfe nur mit überlegenem Schulterzucken reagiert. Als dann der unberechenbare Psychopath Sub Zero aus dem Gefängnis entlassen wird und eine Schneise aus Leichen hinterlässt, kocht der kriminelle Mikrokosmos über. Drei übermenschlich versierte Bestien und eine Heerschar hilfloser Yakuza-Lakaien steuern unaufhaltsam in einem blendenden Maskeradensturm aus Gewalt und Häme aufeinander zu.

Kritik

Wer die vorherigen Werke von Takahiro Ishihara kennt, wird gewisse Erwartungen gehegt haben. Mit welchem Vorwissen man sich aber auch immer Control of Violence nähert, man kommt gewiss aus der falschen Richtung. Dass es so schwierig ist, mit Worten einem (Kino)erlebnis wie diesem beizukommen, ist vielleicht der glaubwürdigste Zeuge dafür.
Die Welt der Yakuza, in deren Erzählzentrum primär das Ex-Mitglied Goda steht, ist eine absonderliche. Der Anfang des Filmes ist ein ebenso absonderlicher. Nach dem beiläufigen Schlachten der verschleierten Tötungsmaschine folgt der Film dem Alltag des vormaligen Gangsters und schnell wird klar: Control of Violence hat eine höchst eigensinnige Form für seine Geschichte erwählt. Lebendig wird sie durch ihre Figuren, die alle ausreichend Raum für Geheimnisse haben, alle mit einem Knall-Effekt eingeführt werden, ansonsten aber nur ihre Sicht auf die Welt teilen. Sie agieren überlegen, spöttisch, über den Dingen stehend. Davon abgesehen, sind die Charaktere so verschieden wie vielschichtig. Sie alle haben eine eigene Weise, sich zu bewegen, stilbewusst, aufbrausend und äffisch, ohne dass diese Aufteilung motorischer Eigenschaften irgendwie störend wirkt. So ist jeder Figur von der ersten Szene an eine besondere Aura eigen.
Die Art und Weise, wie sie miteinander in Interkation treten, ist einerseits von permanenter Bedrohlichkeit unterlegt, steckt andererseits aber auch voller Humor. Ishihara beweist mit seinem sonderbaren Ausflug ein Meisterhaftes Timing – viel Lustigkeit rührt daher, dass mit Zeit und deren Verstreichen gespielt wird. So entstehen absurde Dialoge und perfekt getimte Auftritte, die in Zusammenarbeit mit den nassforschen, unverfrorenen und angreiferischen Figuren eine Verkettung von herrlich amüsanten Sequenzen ergeben, in denen sich Pointe an Pointe reiht.
Dabei ist Control of Violence beileibe aber keine Komödie, auch wenn die Arbeit mit Genrebegriffen hier sowieso eine vergebliche darstellt. Ständig ist der Film an zischen, immer kurz vor dem Überdruck – die namensgebende Kontrolle ist in vielerlei Weisen deutbar, auf den Stil des Filmes lässt sich ganz eindeutig beziehen. Das Geschehen ist ein stilisiertes, beizeiten fast schon theatergleiches mit Auf- und Abgängen und einstudierten Choreographieren, während es aber stets organisch und flüssig wirkt. Die häufigen Exzesse der aufeinander losgehenden Gruppierungen sind dabei rabiat und schonungslos in ihrer Ausführung, aber zurückhaltend in der Darstellung. Blut spielt nur selten (jedoch an bedeutsamen Stellen) eine Rolle, stattdessen verhalten die sich beharkenden und einander das Leben nehmenden Kontrahenten sich ebenso wie zwischen Theatervorhängen, wenn sie glaubwürdig und schmerzerfüllt zusammenbrechen, aber unversehrte Körper haben. Was klingt wie eine nachlässige Ausführung, ist ein meisterhaft umgesetztes Konzept, das in all seinen Facetten aufgeht. Die unbekannte Mischung aus roher Körperlichkeit und ästhetischer Verfremdung der aufgeweckten Regie gebiert eine eigene Welt, in der Hässlichkeit und Schönheit im Sprint aufeinander zulaufen und schließlich miteinander verschmelzen. Dass all das in Schwarzweiß gehalten ist, ist eine ähnlich gelungene wie auch in Miss Zombie. Gemeinsam mit langen Einstellungen, akzentuierender Ausleuchtung und den an Nicolas Winding Refns Drive erinnernden erfüllt den Film eine rauschhafte Ästhetik, die Zugang zu einer ganz eigenen Welt gewährt.

Fazit

Takahiro Ishiharas jüngstes Werk ist ein überraschender Trip voller Witz, Härte, Stil – ein Bündel von miteinander verkletteten Alleinstellungsmerkmalen und damit starker Anziehungspunkt für große Faszination.
Man kann sagen, Control of Violence bringe damit zur Aufführung, was japanisches Kino in vielen Fällen so besonders macht: Die Unvorhersehbarkeit, mit der sich Witze entwickeln, der berauschende, freigeistige Stil und eine außergewöhnliche Herangehensweise an die zu erzählende Geschichte.

Ryūsei

Japan-Filmfest 2015 Special 1

Just take your pills and get some sleep.

Story

Beim gemeinsamen Betrachten des Schauspiels eines Meteoritenschauers äußern die Schüler Toru, Ryuta und Haruhiko ihre größten Wünsche für ihre Zukunft. Nach der Schule trennen sich ihre Wege. Als sie Jahre später in ihre Heimatstadt zurückkehren, werden sie durch das kaum veränderte Milieu ihrer Jugend damit konfrontiert, dass sich ihre Leben nicht den Erwartungen entsprechend entwickelt haben.

Kritik

Knapp 80 Minuten verfolgt der Episodenfilm die Rückkehr dreier junger Männer in die Kleinstadt ihrer Kindheit, wo einstmalige Weggefährten sich ebenso wenig veränderten wie das Bild von urbanem und ruralem Raum. Diese Stasis ist es, die den Protagonisten vor Augen hält, dass die Konzepte, die man sich als Jugendlicher, der sich inmitten der Formungsphase der Adoleszenzkrise befindet, vom Wunsch eines Erwachsenenlebens macht, selten mit dem realem Werdegang des tatsächlichen übereinstimmen. Stattdessen findet die Genese eines Menschen mit unkontrollierbarer Eigenlogik statt; oder, um mit George Herbert Mead zu sprechen, das impulsive Ich steht handelnd immer an erster Stelle, ehe das reflektierte Ich sich seiner Handlungen annehmen kann und gezwungen ist, die so gewachsene Biographie zu verstehen.
Die Erlebnisse der Drei werden in kurzen Zeitfenster erzählt, die sich gegenseitig immer wieder mit sehr unvermittelten Sprüngen unterbrechen. Die sehr unterschiedlichen Orte, an denen die Geschichten sich entfalten, sorgen zusätzlich für eine angenehme Abwechslung, ohne dass die Ruhe des Filmes dadurch gestört würde.
Die Kamera ist dabei auffällig ruhig, die Bewegungen lassen sich vermutlich problemlos an einer Hand abzählen, so wie auch im Leben der Protagonisten eine stete Steifheit herrscht. Wenn dann doch mal ein Schwenk den Stillstand durchbricht, fällt er umso stärker ins Gewicht.
Zwar fallen die Nebendarsteller manchmal etwas ab, im Gesamten spielt das Ensemble aber sehr angemessen und zur sanften Filmmusik entsteht ein leises Portrait mit gefühlvollen Beobachtungen über schicksalsgleiche Unplanbarkeit und die große Herausforderung, vor diesem Faktum nicht zu resignieren, sondern es stattdessen als Positives zu begreifen.
Eine der drei Geschichten kommt jedoch deutlich kürzer als der Rest und wirkt im direkten Vergleich daher auch etwas unbeholfen. Dennoch gelingt es der Gesamterzählung im Verlauf, eine gelungene Steigerung von Relevanz und Dramatik zu generieren – überhaupt ist es wohl der größte Verdienst des Filmes, die Thematik nicht spröde oder kitschig (wie es manche Poster befürchten ließen) auszukleiden, sondern sie so darzustellen, dass sie ganz ohne zusätzliche Beimischung von künstlichen Konflikten oder Pathos permanent interessant wirkt.
Darüber hinaus handelt es sich bei Ryūsei auch über eine ansatzweise Abhandlung über die Entfremdung voneinander in der gegenwärtigen japanischen Kultur, die die Generation der 20 – 30-jährigen in einem Gestrüpp aus westlich-kommerziellen und väterlich-traditionellen Appellen aussetzt, in dem sich zurechtzufinden ein permanenter Kampf ist. Auch stellt der Film die Frage über die Diachronität moralischer Banden in sozialen Beziehungen – es ist ein unaufgeregter aber aufrichtiger Film über die Probleme von Durchschnittsmenschen, die sich vor allem damit abfinden müssen, Durchschnittsmenschen zu sein.
Bei keinem dieser Komplexe greift Kenji Tanis Studie in die Tiefe und so wird naturgemäß auch nichts Verblüffendes zutage gefördert. Es ist ein Film, der vor sich hinplätschert, ohne zu langweilen, der auf seine Weise aufrichtig ist, ohne umzuwerfen. Ganz wie die Leben, die er schildert.

Fazit

Ryūsei ist kein großes Werk mit Tiefgang und fesselnder Story, ganz im Gegenteil. Es ist ein kleiner, stiller Film über die Schwierigkeit, sich selbst zu akzeptieren, der nie mehr sein möchte. Gerade in dieser bescheidenen Wiese liegt die angenehme Wirkung des Filmes, der keine großen Ansprüche stellt, sondern sich damit begnügt, die richtigen Bilder für ein alltägliches Problem zu finden, das jeden etwas angeht.

Space Pirate Captain Harlock

Seit 1977 macht der rebellische Weltraumpirat Harlock nun schon das All unsicher, bekam nach seiner Manga-Reihe Anime-Serie und Filme spendiert und ist bis heute eine lebendige Größe in der japanischen Popkultur. Der neuste Ableger ist ein 30 Million teurer Animationsfilm aus der Toei Animation-Schmiede.
Der verpflichtete Regisseur Shinji Aramaki ist vor allem bekannt für seine Appleseed-Filme und legte vor Space Pirate Captain Harlock (so der Name im Englischen) Hand an Starship Troopers: Invasion.

Let’s make this quick.

Story

Die Menschheit expandiert ins weite All und explodiert in ihrer Anzahl. Doch auch auf neuem Terrain regieren alte Probleme: Ressourcen werden knapp, alles geht den Bach runter und man besinnt sich des Heimatsplaneten. Die Erde sieht sich plötzlich konfrontiert mit einem enormen Zuwandererstrom, woraufhin eine gewaltige Schlacht um den Blauen Planeten entbrennt.
Harlock, der namensgebende und außerdem unsterbliche Weltraumpirat, schert sich nicht um den Blick über die Schulter zurück und macht mit seinem gefürchteten Raumschiff Arcadia, das so unzerstörbar wie er selbst zu sein scheint, den Weltraum unsicher, indem er Schiffe der herrschenden Gaia Sanction überfällt.
Der junge Yama heuert auf dem Kahn an und tut sich rasch durch seine hervorragenden Qualitäten als Bordschütze hervor. In Wirklichkeit schleuste er sich im Auftrag des obersten Kommandeurs der Gaia Sanction ein, um Harlock das Handwerk zu legen und seinen geheimen Plan zu vereiteln.

Kritik

Legt man den Kopf ein wenig schief und vergisst man darüber hinaus, dass man einen Film schaut, so sieht Space Pirate Captain Harlock aus, wie eine der besseren Zwischensequenzen eines der besseren Videospiele. Das liegt zum einen daran, dass Zwischensequenzen moderner Videospiele teilweise zum Niederknien gut aussehen, und zum anderen an der etwas zu geringeren Auflösung sowie den fehlenden Details; erinnert man sich an den Reichtum der Gesichter in Final Fantasy VII: Advent Children, fällt trotz des für einen Animationsfilm gehobenen Alters des Square-Enix-Streifens auf, dass der Weltraumpirat ein paar Schritte zurückliegt. Das ist aber bei Weitem nichts, was den Sehgenuss stört, denn tatsächlich ist die Optik das Meisterstück des Filmes. Das Artdesign ist so speziell wie rund, besonders die Liebe zum Detail sticht hervor. Seien es die merkwürdigen Rüstungen von Harlocks Mannschaft – irgendwo zwischen Ritter, Taucher und Roboter –, sei es die verkörperte Häme in Vogelform auf der Schulter des Kapitäns oder die Architektur der Arcadia selbst, die sowieso der geheime Star des Filmes ist. Die rasante Inszenierung, einnehmende Kamerafahrten und gekonnte Spielerei mit Perspektiven tragen den Rest dazu bei, dass Space Pirate Captain Harlock ein ziemlicher Augenschmaus ist.

Wie es in der Harlock-Geschichte Tradition ist, legt man großen Wert darauf, Piratenmotiven eine weltraumtaugliche Transformation zu bieten. Es ist beeindruckend, wenn der Kapitän verwegen das Steuerrad kurbelt und auf Kollisionskurs lenkt, wenn der dicke Pott dann mit seinem protzigen Totenkopf am Bug, der zugleich als Ramme dient, sich in ein feindliches Schiff gräbt und das Entern der blutdurstigen Crew beginnt. Auch auf moralischer Ebene wird das Piratendasein am Anfang noch mit Konsequenz gewürdigt. So feuert die Mannschaft rücksichtslos auf Unschuldige und tötet, ohne einen Gedanken an sie zu verschwenden, Hunderte in wenigen Minuten, um ihr Ziel zu erreichen. Der Film folgt keinen Helden, sondern einer Gruppe von Mördern, die das Gemetzel lieben und siegreich sind, weil sie einfach das bessere Kriegswerkzeug und die größere Dreistigkeit besitzen. Die Geschichte hat ansprechende Wendungen zu bieten und die – allem voran moralische – Ambivalenz Harlocks wird lange Zeit aufrechterhalten. Welche der beiden Seiten im Recht ist, oder ob beide sich irren, dafür liefert der Film geschickt mal die eine, mal die andere Antwort, sodass der Zuschauer genau wie Yama schnell in eine Haltung der Unsicherheit kommt.
Was sich selbst als interessantes Erzählprojekt mit Möglichkeit auf eine Kontroverse und ein draufgängerisches und bitterböses Piratenmärchen im Weltraum ankündigt, entwickelt sich mit fortschreitender Laufzeit immer mehr zu einer klassischen Action-Abenteuer-Episode.

Außerhalb der Arcadia verliert Space Pirate Captain Harlock ordentich an Schwung und auch an fühlbarer Inspiration. Die alleinig den Antagonisten gewidmeten Szenen fallen im Vergleich holprig und keineswegs frei von Klischees aus, allerdings handelt es sich hierbei auch nur um wenige Minuten. Ein Großteil des Films spielt an Bord des geheimnisvollen Schiffes – und das ist gut so. Zwar verspricht auch das Universum mit seinen unzähligen brachliegenden Planeten spannende Erfahrungen, doch ist das geheimnisvolle Piratenschiff mit seinem noch geheimnisvolleren Kapitän zweifelsfrei das interessanteste Objekt in eben diesem. Zusammen mit dem jungen Rekruten erkundet der Zuschauer das Gefährt, kommt seinen Bewohnern n näher und macht sich langsam einen Reim auf die Geschehnisse. Das funktioniert anfangs anstandslos gut, ist stets spannend und vor allem bestens in Szene gesetzt. Wie erwähnt, verlieren die Charaktere dadurch aber an Schneid. Aus den Raubeinen werden semi-sympathische Stereotype, die es eigentlich nur gut meinen und die interessanten Fragen werden schon früh mit denkbar uninteressanten Antworten bedacht.
Immer öfter stellt sich Leerlauf zwischen den Kämpfen ein und leider steigt exponentiell zur sinkenden Spannung der Pathos an. Dialoge werden lahm, Harlocks Mantel wird ein paar man zu häufig geräuschvoll zur Seite geworfen und manchmal ist die Musik derart huldigend und kitschig, dass die Finger wie von selbst an die Regler wandern.

Fazit

In seinen temporeichen Momenten ist Space Pirate Captain Harlock wunderbar anzusehen und absolut unterhaltsam. Je länger der Film dauert, desto verbrauchter wirken die Figuren und das Setting. Alles, was interessant und vielversprechend wirkte, schält sich nach gut 20 Minuten aus seiner Hülle und ist plötzlich doch nur arg gewöhnlich. Der ebenfalls über die Laufzeit erstarkende Pathos ist nie so fatal und lachhaft, wie in Space Battleship Yamato, strapaziert aber doch die Nerven.
Was bleibt, ist ansehnliche Action, ein cooler Antiheld und die verstörende Ahnung, dass dieser Film in 3D womöglich besser gewesen werde.

Judge

15. Japan-Filmfest Special 9

Yoshiki Tonogai großer Mangaerfolg Doubt ließ Judge folgen, der von den Fans ähnlich frenetisch verschlungen wurde. Regisseur und Drehbuchautor Yo Kohatsu nahm sihc den Stoff als Vorlage für einen selten müden Film.

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Story

Sieben Menschen erwachen aus ihrem Schlaf. Festgekettet auf einem Stuhl vor einem Tisch, eingekerkert in einen abgeriegeltem Raum von unbekannter Lage. Und alle tragen überdimensionale Tiermasken auf ihren Köpfen.
Vor jedem öffnet sich ein Bildschirm aus der Tischplatte, auf dem die Namen der Anwesenden geschrieben stehen. Es stellt sich heraus, dass alle hier Versammelten eine irgendwie amoralische Vergangenheit haben, für die sie nicht büßen mussten. Bis jetzt.
Der Computer verlangt von den Gefangenen, dass sie sich bei laufender Uhr gegenseitig Nominieren. Der Träger des Namens mit den meisten Stimmen wird maschinell hingerichtet.

Kritik

Der erste Eindruck ist ein durchaus positiver, da der Zuschauer umweglos in das Geschehen geschleudert wird und gemeinsam mit den Figuren in einem unbekannten Raum mit eine Sack voller Fragen aufwacht und kaum Zeit hat, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. Als erstes fällt die ambitionierte Kameraarbeit auf, die den Raum mit großer Mühe ausformuliert und das Kunststück schafft, den sehr limitierten Schauplatz, der aus wenig mehr als einem rechteckigem leeren Zimmer besteht, nervös und spannend in unterbeleuchteten Bildern einzufangen. Wären da nicht die grundlosen Surrgeräusche bei den Zooms und Schwenks sowie wiederkehrende Bildstörungen, die inhaltlich nicht begründbar sind und atmosphärisch keinen Gewinn einfahren, könnte man der Präsentation wenigstens auf dem Papier kaum etwas vorwerfen.
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Es ist wichtig, dass der Film keine Zeit verliert und darum bemüht ist, möglichst rasch voranzuschreiten. Den Figuren aber wird durch die überhastete Erzählweise eine glaubwürdige Entwicklung gänzlich unmöglich. Einzig ein Herr mit Hasenmaske bekommt ein wenig Profil, während alle anderen grob und lieblos ihre plumpen, vorhersehbaren Funktionen erfüllen. Doch nicht einmal besagter Hasenkopf ist auch nur im Ansatz sympathisch. Durch die konstruierten Probleme, die auftreten („Ich brauche meine Medizin!“), und die völlig unmotivierten Entscheidungen der Gefangenen entstehen beim Zuschauer im besten Falle Antipathien, meist bleibt es aber bei bloßer Gleichgültigkeit den Gefangenen gegenüber. Sie sind flach, vollkommen uninteressant, fast sämtlich hysterisch und bar jedes Entwicklungspotenzials. Es ist egal, dass sie Reih um Reih sterben, weil eine Sorge um sie unmöglich entstehen kann.
Judge macht keinen Hehl aus seinem Wunsch, furchtbar gerne eine Art Saw mit der Atmosphäre eines Cube sein zu wollen, erreicht aber nicht einmal die fragwürdige Klasse eines der Sequels genannter Filme. Mit einer völlig aussagelosen Bildsprache erzählt der Film eine Geschichte, die durch ihre Prämisse Überraschungen verspricht, tatsächlich aber mit keiner einzigen unvorhersehbaren Wendung aufwarten kann. Alles verläuft nach Schema F, ist furchtbar ideenarm und lasch. Judge ist ein atmosphärisches Bild und 78 Minuten heiße Luft, ein Kartenhaus, das nach zwei aneinandergelegten Karten unspektakulär in sich zusammenfällt und dabei nichts verursacht, als ein wenig aufgewirbelten trockenen Staubt.
Trotz der unverkennbaren Vorbilder versucht der Film nicht, mit Gewalt zu punkten. Die Sterbeszenen sind so unblutig wie unspektakulär. Viel lieber wäre er ein psychologisches Kammerspiel über menschliche Abgründe, der die Sensation der Brutalität nicht braucht. Ein ehrenwertes Vorhaben, das zur Durchführung aber interessante Charaktere und eine erzählenswerte Geschichte bräuchte. Yo Kohatsus Manga-Adaption hat nichts davon. Die bemitleidenswerte Pointe des Filmes ist dann der eigentlich schon überflüssige letzte Sargnagel eines total irrelevanten Blenders.

Fazit

Nach einem interessanten Anfang entpuppt sich Judge als ideenlose Hülle ohne Potenzial. Trotz seiner knappen Laufzeit gibt sich der Film zäh und umschifft gelangweilt jede Möglichkeit auf Überraschung.
Ein schön fotografierter Raum, der nicht gefüllt wird.

Sado Tempest

15. Japan-Filmfest Special 8

Gefühlt wurde kein anderes Stück Shakespeares so häufig verfilmt wie Der Sturm; es ist ja auch kein anderes so freudig weit geöffnet für alle möglichen verqueren Deutungsbefüllungen.

The whole world is skating on thin ice.

Story

Japan. 2042. Gerade noch steht der Frotman einer J-Rock-Band auf der Bühne, hält eine Ansprach, will in den Song einsteigen. Dann stürzt er auf die bedeutungsvollen Bretter. Die Welt, die sie bedeuten, wird schwarz, kippt und verschwindet. Man sieht ihn auf einer Gefangeneninsel, gerade neu eingetroffen, wo er mit anderen Inhaftierten tagsüber im seit fünfzehn Jahren währenden Winter Gold schürfen muss und nachts in seiner kargen Zelle ruht. Immer und überall kreischt der Wind. Der Aufseher ist ein sadistischer Unhold und eine Flucht scheint unmöglich. Sprengköpfe, Kannibalen, Dämonen. Die Geschichten über die Greuel der Insel sind so zahl- wie facettenreich. Und sollte auch keine davon stimmen, warten im besten Falle Hunger und Kälte.
Als Künstler hat der Sänger eine besondere Stellung. Er soll singen, trägt ihm der Aufseher auf. Doch er verweigert, denkt nur an Flucht. Eine vereinsamte Frau jammert in Dämmerlicht ihre Lieder von diesem Ort, fern aller Orte.

Kritik

Egal, wie viele Tasten man mit seinen Fingerkuppen schon abgenutzt hat. Egal, wie viele Filme schon verdaut und für andere neu angerichtet wurden. Der Anfang einer Kritik ist meistens das Schwierigste. Vor allem bei Filmen wie Sado Tempest. Filmen, die genau den Geschmack des Schreiberlings treffen, durchdachte mit seinen Nerven spielen, Vorlieben bedienen und auf selten vielen Ebenen Anklang finden. Filmen, die keinen Hehl darum machen, für einen verschwindend kleinen Zuschauerkreis gemacht zu sein und dem Rest zu missfallen. Filmen, die als pseudointellektuelle, gewollt bohemienhafte Kunstscheiße, als selbstverliebter Egotrip eines völlig überambitionierten Regisseurs und seiner verblendeten Jünger abgestempelt werden. Und all das wohl irgendwie zu Recht. Filmen, die gefallen und trotz hoher Wertung nicht ihr Publikum finden werden, ebenso zu Recht.
Man male sich aus, Apichatpong Weerasethakul hätte das Drehbuch zu Valhalla Rising verfilmt. Wem dies gefallen könnte, der sei an dieser Stelle angehalten, weiterzulesen und sich um Gottes Willen den Filmtitel für den Fall einer zukünftigen Veröffentlichung zu notieren. Oder sich das Produkt direkt aus dem Ausland zu bestellen.
jitterbug2   maxresdefault   Prisoners in snow
Eine ungewöhnlich verkeilte Kamera zeigt mystisch-klare Bilder einer öden kalten Landschaft aus zackigem Vulkangestein, die aber unerklärlich warm wirken. Ins Trübe stierende, vor Dreck starre Gesichter auf den Schultern entrückter Gestalten gleiten durchs Bild, dazu okkult anmutender klerikaler, seltsam amelodiöser Gesang und eine Instrumentalisierung, die in minimalistischer Weise glasklar nachhallende Töne hervorbringt. Entweder beunruhigend kaltes Licht oder endlos tiefe Schatten. Mehr gibt es nicht in dieser, unserer Welt.
Sado Tempest ist kontemplativ, stachelig, finster und voller Musik von keineswegs angenehmer Stimmung; ist verschlossen, unerklärlich, hochgradig merkwürdig; Sado Tempest hat Hoffnung als durchgängiges Leitmotiv, das sich abhebt vor allem Elend, Tod und Versagen, das durch jede Niederlage und jedes Eingeständnis schimmert, als Keim in allem Scheitern liegt, am Leben hält und auf den richtigen Augenblick zum Sprießen wartet. Geduld als Hoffnung. Beharrlichkeit als Hoffnung. Menschlichkeit als der Versuch, dieses sonderbare Phänomen zu begreifen.
John Williams Film ist wie der blinde Pilger, der einem später begegnet. Er bewegt auf einem schmalen Weg, der nur Abgrund um sich hat, doch in der Tiefe liegt alles. So kryptisch die Geschichte auch anmutet und so wenig Aufschluss diese Besprechung wohl verspricht: Auch wenn man für sich keinen passenden Lektüreschlüssel findet, erschließt sich das Werk einem doch auf eine intuitive Weise ganz automatisch. Der erwartete J-Rock bleibt nach dem Prolog weitestehend aus, ersetzt wird er von einem urtümlichen Rhythmus, dem die Inszenierung folgt. Man muss sich an ihn gewöhnen, sich ihm anpassen, ist das erst einmal gelungen, ist keine Anstrengung mehr vonnöten. Der Film trägt einen, erzählte Zeit und Erzählzeit beginnen sich voneinander zu lösen, das Schauen wird Erlebnis.
Das vermeintlich Reale ist durch Schwarzweiß verfremdet, das vermeintlich Irreale in kühl-realistischen Farben gehalten.
Dass Sado Tempest trotz seinem Hang zur Chiffrierung unablässig spannend ist, ist damit hauptsächlich Verdienst der Wechselwirkung zwischen Filmmaterial und Zuschauerleistung. Dass das funktioniert, liegt aber an der formalen Perfektion, die an den Tag gelegt wirkt und einzigartig präzise Bilder liefert, eingefangen in genau durchdachten Einstellungen, die zusammen schlüssig ein Ganzes ergeben. Die Unbeirrbarkeit, mit der der Film seinen Stil durchhält, macht sein Faszinosum aus. Das Ergebnis ist eines, in dem man sich eigentlich nur verstricken kann, so verboten Stilsicher ist es geworden. Ein Erlebnis, das so undurchlässig ist, wie der Wille des Protagonisten selbst.
Ein Film über die Dünne von Eis.

Fazit

Wenn nicht nur der Anfang, sondern die Kritik zur Gänze schwerfällt, wird es beim Fazit nicht leichter. So unkonventionell die Besprechung, so unkonventionell ist auch Sado Tempest. Wen die hier verlorenen Worte neugierig machen, der ist vielleicht an der richtigen Adresse. Die Art von Film, bei dem der schale Ausspruch ‚Man hasst es oder liebt es, dazwischen ist nichts‘, ausnahmsweise zutrifft.
Eine packend harte, aus dem Raum gefallene Geschichte über das Prinzip Hoffnung. Unzugänglich, verschlossen, schwierig, aber auch poetisch, bewegend und unerklärlich intuitiv. Nur eben nicht für jeden.

I am Ichihashi – Journal of a Murderer

15. Japan-Filmfest Special 6

Until I Was Arrested lautet der Titel des autobiographischen Werks, das Tatsuya Ichihashi im Gefängnis schrieb, um seine Version der Ermordung von Engländerin Lindsay Hawker und die anschließende, zweieinhalb Jahre anhaltende Flucht durch Japan zu schildern. Die Familie des Opfers verweigerte die Annahme der Verkaufserlöse.
Regisseur Dean Fujioka übernahm in seiner Adaption ebenfalls die Hauptrolle.

Dead by suicide or misadventure.

Story

Tatsuya Ichihashi vergewaltigte und ermordete die 22-jährige Lindsay. Es war seine erste schwere Straftat. Als die Polizei ihn zu verassen versuchte, floh er nur mit einem Rucksack mit Süortkleidung. Eine Flucht, die quer durch Japan führen und über zweieinhalb Jahre andauern sollte. Eine Flucht vor einem ganzen Land, der Schuld und sich selbst.
Irgendwo auf diesem Weg willige er ein, ein Interview zu geben, bei welchem die Fragen zu barsch für sein strapaziertes Gewissen sind und er selbst zu desozialisiert für die Fragen ist.

Kritik

Das Gesicht Ichihashis ist geisterhaft leer, aber auch schön, zerbrechlich, in manchen Einstellungen durch seine Leere fast schon erhaben. Er wird zutiefst menschlich und doch unverkennbar krank dargestellt. Unverkennbar Bestie. Inkompatibel. Sich dessen bewusst, darunter leidend. Er ist ein Schatten, zerrissen, unrettbar, wie er unter der Last seines Vergehens ziellos durch Japan flieht, während die Zahl der Verfolger stetig zunimmt und sein Kopfgeld bis ins Groteske anschwillt. Eine Flucht vor den Behörden, der Schuld, vor sich selbst und den Fragen, die alle drei an ihn haben, vor allem aber wohl vor den Antworten, die gegeben werden könnten. Dabei verliert er sich vor lauter Angst zwangsläufig selbst, wird fast eigenschaftslos und leer.
Die Vermittlung der Geschichte ist direkt, schmerzhaft, nah am Mann und doch ständig mit einer gewissen Distanziertheit behaftet die dem Zuschauer seine urteilfordernde (und sei es nur das Urteil, nicht zu urteilen) Beobachterposition vorhält. Die Farben sind kalt und schwer, die Kamera spähend, häufig fast schon versteckt und Geräusche nicht selten ebenso laut wie die Stimmen der Menschen. Der Film stilisiert den Fluchtweg Ichihashis auf eine Weise, die das Essenzielle in gekonnt abstrahierter Form darbietet, sich dabei aber trotzdem fast schon naturalistisch anfühlt.
I_am_Ichihashi_-_Journal_of_a_Murderer-1   I_am_Ichihashi_-_Journal_of_a_Murderer-2   I_Am_Ichihashi_Journal_of_a_Murderer

I am Ichihashi – Journal of a Murderer ist ein gewagtes Projekt, da die thematisierten Ereignisse und ihr Gedenken noch offen und frisch sind. Der Film enthält sich einer Bewertung der Ereignisse. Er spricht sich nicht für seinen Protagonisten aus – distanziert sich durch Texttafeln am Anfang und Ende sogar kritisch – verweigert aber ebenso eine Tendenz zum Schuldspruch. Er ist ein Beobachter, der sich eines Werturteils enthält. Und mit ihm der Zuschauer, der sich in der unangenehmen Situation empfindet, selbst Antworten und eine eigene Positionierung der Hauptperson gegenüber finden zu müssen. Eine keineswegs angenehme Aufgabe. Es ist kein Film über die Suche nach Schuld, vielmehr stellt er die leise Frage nach der Natur von Schuld. Es ist eine Geschichte, die von dem Trauma eines Mannes berichtet, der seine Identität ablegte und sich Schuld überstreifte, um sich rastlos und auf der Suche nach einem unmöglichen Neuanfang einem Ende anzunähern. Die Unmöglichkeit seiner Suche findet im letzten Drittel ihr Kulminationsmoment, wenn er auf einer leeren, kahlen wie kalten Insel seinen Irrgang durch sinnlos verwuchertes Dickicht antritt, ohne die Möglichkeit auf ein Ziel, sondern das Ziel in der Kreisbewegung, im Nomadentum findet, wenn auch nur kurzfristig. Es ist kahl, verwittert, lerr, bitter, windig, wüst, durch und durch trübsinnig. Ichihashis Odyssee entpuppt sich mit jeder Station, mit jeder neu angenommenen Identität als metaphysische Reise in den gesellschaftlichen wie individuellen Nexus.
Unterbrochen wird die Reise des Mörders von Interviewausschnitten, die zeitlich und räumlich vorerst unverortbar sind. Die Fragen, die dem zusammengekauerten Flüchtling gestellt werden, stehen im harten Kontrast zum Rest des Filmes. Sie sind nicht nur streng, sondern aggressiv und wenig ergiebig, wirken zu gestellt im Vergleich zum abgeklärten Rest und stören den Fluss des Filmes, obwohl sie als erzählerische Klammer durchaus sinnvoll sind.
So interessant I am Ichihashi auch ist, leicht genießbar ist dieses Werk kaum. Zu sperrig, zu sehr in die eigene Leere gerichtet und ohne klassisches Narrativ. Wie auch ihre quasi einzige Figur erscheint die Erzählung selbst ziel- und beinahe willenlos getrieben. Das ist notwendig, da sich der Film entscheidet, ein Urteil zu meiden, führt aber somit zu einer Seherfahrung, die durchaus ins Anstrengende übergleiten kann. Auch deshalb, weil der Film zwangsläufig im Nichts enden muss und den Zuschauer ratlos und erschöpft in ein verwirrend fröhliches Abspannlied entlässt.

Fazit

Eine mutig eingenommene Perspektive auf noch frische Ereignisse, die sich nie der Suche nach Schuld widmet, sondern dem Zuschauer die seltene wie anspruchsvolle Aufgabe überlässt, den gebrochenen Täter auf seiner Flucht kennenzulernen und sich möglichst unbeeinflusst ein Urteil zu bilden. Gestützt wird das Wagnis von einer kalten, abweisenden Atmosphäre in noch kälteren Bildern. Dass I am Ichihashi – Journal of a Murderer keine einfache Seherfahrung ist und einen auch nicht mit dem Bedürfnis nach Tanzliedern zurücklässt, ist quasi obligatorisch.