Sado Tempest

15. Japan-Filmfest Special 8

Gefühlt wurde kein anderes Stück Shakespeares so häufig verfilmt wie Der Sturm; es ist ja auch kein anderes so freudig weit geöffnet für alle möglichen verqueren Deutungsbefüllungen.

The whole world is skating on thin ice.

Story

Japan. 2042. Gerade noch steht der Frotman einer J-Rock-Band auf der Bühne, hält eine Ansprach, will in den Song einsteigen. Dann stürzt er auf die bedeutungsvollen Bretter. Die Welt, die sie bedeuten, wird schwarz, kippt und verschwindet. Man sieht ihn auf einer Gefangeneninsel, gerade neu eingetroffen, wo er mit anderen Inhaftierten tagsüber im seit fünfzehn Jahren währenden Winter Gold schürfen muss und nachts in seiner kargen Zelle ruht. Immer und überall kreischt der Wind. Der Aufseher ist ein sadistischer Unhold und eine Flucht scheint unmöglich. Sprengköpfe, Kannibalen, Dämonen. Die Geschichten über die Greuel der Insel sind so zahl- wie facettenreich. Und sollte auch keine davon stimmen, warten im besten Falle Hunger und Kälte.
Als Künstler hat der Sänger eine besondere Stellung. Er soll singen, trägt ihm der Aufseher auf. Doch er verweigert, denkt nur an Flucht. Eine vereinsamte Frau jammert in Dämmerlicht ihre Lieder von diesem Ort, fern aller Orte.

Kritik

Egal, wie viele Tasten man mit seinen Fingerkuppen schon abgenutzt hat. Egal, wie viele Filme schon verdaut und für andere neu angerichtet wurden. Der Anfang einer Kritik ist meistens das Schwierigste. Vor allem bei Filmen wie Sado Tempest. Filmen, die genau den Geschmack des Schreiberlings treffen, durchdachte mit seinen Nerven spielen, Vorlieben bedienen und auf selten vielen Ebenen Anklang finden. Filmen, die keinen Hehl darum machen, für einen verschwindend kleinen Zuschauerkreis gemacht zu sein und dem Rest zu missfallen. Filmen, die als pseudointellektuelle, gewollt bohemienhafte Kunstscheiße, als selbstverliebter Egotrip eines völlig überambitionierten Regisseurs und seiner verblendeten Jünger abgestempelt werden. Und all das wohl irgendwie zu Recht. Filmen, die gefallen und trotz hoher Wertung nicht ihr Publikum finden werden, ebenso zu Recht.
Man male sich aus, Apichatpong Weerasethakul hätte das Drehbuch zu Valhalla Rising verfilmt. Wem dies gefallen könnte, der sei an dieser Stelle angehalten, weiterzulesen und sich um Gottes Willen den Filmtitel für den Fall einer zukünftigen Veröffentlichung zu notieren. Oder sich das Produkt direkt aus dem Ausland zu bestellen.
jitterbug2   maxresdefault   Prisoners in snow
Eine ungewöhnlich verkeilte Kamera zeigt mystisch-klare Bilder einer öden kalten Landschaft aus zackigem Vulkangestein, die aber unerklärlich warm wirken. Ins Trübe stierende, vor Dreck starre Gesichter auf den Schultern entrückter Gestalten gleiten durchs Bild, dazu okkult anmutender klerikaler, seltsam amelodiöser Gesang und eine Instrumentalisierung, die in minimalistischer Weise glasklar nachhallende Töne hervorbringt. Entweder beunruhigend kaltes Licht oder endlos tiefe Schatten. Mehr gibt es nicht in dieser, unserer Welt.
Sado Tempest ist kontemplativ, stachelig, finster und voller Musik von keineswegs angenehmer Stimmung; ist verschlossen, unerklärlich, hochgradig merkwürdig; Sado Tempest hat Hoffnung als durchgängiges Leitmotiv, das sich abhebt vor allem Elend, Tod und Versagen, das durch jede Niederlage und jedes Eingeständnis schimmert, als Keim in allem Scheitern liegt, am Leben hält und auf den richtigen Augenblick zum Sprießen wartet. Geduld als Hoffnung. Beharrlichkeit als Hoffnung. Menschlichkeit als der Versuch, dieses sonderbare Phänomen zu begreifen.
John Williams Film ist wie der blinde Pilger, der einem später begegnet. Er bewegt auf einem schmalen Weg, der nur Abgrund um sich hat, doch in der Tiefe liegt alles. So kryptisch die Geschichte auch anmutet und so wenig Aufschluss diese Besprechung wohl verspricht: Auch wenn man für sich keinen passenden Lektüreschlüssel findet, erschließt sich das Werk einem doch auf eine intuitive Weise ganz automatisch. Der erwartete J-Rock bleibt nach dem Prolog weitestehend aus, ersetzt wird er von einem urtümlichen Rhythmus, dem die Inszenierung folgt. Man muss sich an ihn gewöhnen, sich ihm anpassen, ist das erst einmal gelungen, ist keine Anstrengung mehr vonnöten. Der Film trägt einen, erzählte Zeit und Erzählzeit beginnen sich voneinander zu lösen, das Schauen wird Erlebnis.
Das vermeintlich Reale ist durch Schwarzweiß verfremdet, das vermeintlich Irreale in kühl-realistischen Farben gehalten.
Dass Sado Tempest trotz seinem Hang zur Chiffrierung unablässig spannend ist, ist damit hauptsächlich Verdienst der Wechselwirkung zwischen Filmmaterial und Zuschauerleistung. Dass das funktioniert, liegt aber an der formalen Perfektion, die an den Tag gelegt wirkt und einzigartig präzise Bilder liefert, eingefangen in genau durchdachten Einstellungen, die zusammen schlüssig ein Ganzes ergeben. Die Unbeirrbarkeit, mit der der Film seinen Stil durchhält, macht sein Faszinosum aus. Das Ergebnis ist eines, in dem man sich eigentlich nur verstricken kann, so verboten Stilsicher ist es geworden. Ein Erlebnis, das so undurchlässig ist, wie der Wille des Protagonisten selbst.
Ein Film über die Dünne von Eis.

Fazit

Wenn nicht nur der Anfang, sondern die Kritik zur Gänze schwerfällt, wird es beim Fazit nicht leichter. So unkonventionell die Besprechung, so unkonventionell ist auch Sado Tempest. Wen die hier verlorenen Worte neugierig machen, der ist vielleicht an der richtigen Adresse. Die Art von Film, bei dem der schale Ausspruch ‚Man hasst es oder liebt es, dazwischen ist nichts‘, ausnahmsweise zutrifft.
Eine packend harte, aus dem Raum gefallene Geschichte über das Prinzip Hoffnung. Unzugänglich, verschlossen, schwierig, aber auch poetisch, bewegend und unerklärlich intuitiv. Nur eben nicht für jeden.