10 Cloverfield Lane

Cloverfield von 2008, der dank der starken Präsenz von Bad Robot Productions einzig J. J. Abrams zugeschrieben wird, obwohl Matt Reeves inszenierte und Drew Goddard das Buch beisteuerte, war vor allem dank der großen viralen Kampagne ein enormer Erfolg.
Vom Sequel 10 Cloverfield Lane darf man endlich mal zurecht behaupten, dass es wirklich alles anders macht: Quasi keinerlei Werbung, eine Ankündigung kurz vor Filmstart, ein anderes Genre, kein Erfolg und besser als sein Vorgänger, der im Herzen eigentlich nur ein verwackelter Monsterfilm gewesen ist.

Santa Claus!

Story

Michelle nimmt Reißaus. Sie sitzt in ihrem Wagen, fährt davon von ihrem Freund Ben, ihrem alten Leben, vielleicht auch vor ihrer Verantwortung. Dann plötzlich bringt irgendwas das Fahrzeug ins Schleudern und Michelle verunfallt.
Als sie aufwacht, ist sie an ein Bett gekettet. Der kaum einzuschätzende Howard begrüßt sie und erwartet ihren Dank, weil er sie am Unfallort aufgefunden habe und in seinen Bunker brachte, kurz bevor draußen die große Katastrophe ausbrach. Aufgrund eines chemischen, biologischen oder atomaren Angriffs, erklärt er ihr geduldig, könne man den Bunker nicht verlassen, für mindestens zwei Jahre. Dritter im Bunde ist Emmett, ein etwas naiver junger Mann, der Howard damals bei der Konstruktion des Bunkers half und sich nun dankend einquartiert hat.
Doch vieles an Howard ist verdächtig. Ist er der Wohltäter, als den er sich ausgibt? Ist er einfach nur ein Spinner? Oder ist er ein gefährlicher Psychopath, der Wahnvorstellungen und üble Absichten vereint?

Kritik

Noch etwas ist besonders an 10 Cloverfield Lane: Es ist von Vorteil, wenn man den ersten Teil nicht gesehen hat. Denn ob und, falls ja, was da draußen vor sich geht, steht durch den Film von 2008 ja halbwegs fest. Wobei dem Team hinter dem Film zugutegehalten werden muss, dass es selbst ein Mysterium daraus macht, inwiefern die beiden Filme verknüpft sind. Ob das vorgebliche Sequel überhaupt im selben Universum spielt wie Cloverfield, wurde von den kreativen Hintermännern ähnlich oft bestätigt wie in Zweifel gestellt.
All dies ändert aber erst einmal nichts an der bedrohlichen Ambivalenz von Howard, gespielt von Schauspielschwergewicht John Goodman, den man hier endlich mal wieder in einer großen Hauptrolle bewundern darf und der auf so gekonnte Weise den unangenehmen Patriarch der unterirdischen Minifestung spielt, dass man schon nach der ersten Szene mit ihm sein Image als Schauspieler vergessen hat und nur noch Howard sieht, den bedrohlichen Howard mit der kurzen Lunte, dem negativen Charisma  und seiner Neigung  zu Verschwörungstheorien jeder Facion. Er ist das zementierte Zentrum des Filmes. Das weiß auch der Film, der primär die Geschichte erzählt, wie Michelle sich daran abarbeitet, sich dieser Naturgewalt anzupassen. Mary Elizabeth kann hier nun auch erstmals ein großes Zeichen, das es verdient hätte, in ihrer sehr bunten Filmographie zwischen Stirb Langsam – Ein guter Tag zum Sterben, Death Proof und Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt heraus zu leuchten. John Gallagher, Jr. als leicht einfältiger Emmett ist da eher das fünfte Rad am Wagen. Der Charakter wirkt in seinen Anlagen unentschlossen und teils fast widersprüchlich angelegt und vor allem neben den beiden starken Hauptfiguren blass und letztendlich verzichtbar. Abseits seiner Funktion als Informationsspender für Michelle hat er keine zwingende Daseinsberechtigung – und es darf gemutmaßt werden, dass 10 Cloverfield Lane ein noch einmal deutlich intensiverer Film geworden wäre, wenn das Duell zwischen Michelle und dem Bunkermonarchen ohne ein solches Anhängsel stattgefunden hätte.

Apropos intensiv. 10 Cloverfield Lane beginnt unerwartet kräftig mit dem wirkungsvollsten Anfang seit langem. Danach begeistert der Film für eine ganze Weile durch eine großartige Inszenierung. Scheinbar unwichtige Details kommen plötzlich in mehrfacher Weise sehr einfallsreich in den Fokus, indexikalische Zeichen werden kunstvoll als Mininarrationen in das Bild eingeflochten und was die Kamera aus mit Räumen macht, wie sie Winkel und Ecken nutzt, eigenständig Fluchten generiert oder die Enge mit betont nahen Einstellungen zugleich verstärkt und nimmt, ist auf einem Level mit den Monumenten der Kammerspielgeschichte – so muss man e sagen. Die Verunsicherung von Michelle, die Verunsicherung der gesamten Situation wird dadurch verstärkt, dass Komik und Terror in diesem Film Nachbarn sind, die sich gerne einmal besuchen. Mehrere Was-Wäre-Wenn-Gedankenspiele sorgen unterdessen dafür, dass die klaustrophobische Anspannung gehalten wird.
So klug, kunstvoll und ergreifend wie in der ersten Hälfte bleibt es aber nicht. Mit steigender Laufzeit nimmt die Dichte der zündenden Ideen und das Kunstvolle des Umgangs mit dem reduzierten Setting etwas ab. Zwar gibt es noch eine Handvoll Szenen, die dem irgendwann vorhersehbarem Fortgang Elan verleihen, dass das anfänglich außerordentlich hohe filmische Niveau im Fortlaufe stetig ein wenig abfällt, ist trotzdem nicht von der Hand zu weisen. Keinesfalls soll das aber heißen, der Film würde schlecht oder langweilig werden, er ist ab einem bestimmten Punkt einfach nur nicht mehr so perfekt und durchkomponiert. Was das gern gescholtene Ende anbelangt: Ja, hier findet ein erwartbarer Bruch statt, der an sich jedoch nicht wirklich schlecht ist, sondern der Geschichte wie auch der Charakterentwicklung eine logische Klimax verabreicht. Einzig einige konkrete Handlungen Michelles lassen stutzen, weil sie in ihrer Heftigkeit zum bisher etablierten Charakter wie auch Genre nicht passt – Entwicklung hin oder her.  Andererseits steht die sehr standardisierte Weise, wie dies passiert, aber auch fast schon bildlich dafür, dass der Film es am Ende eben nicht ehr mit seinem Anfang aufnehmen kann.

Fazit

10 Cloverfield Lane beginnt so stark, so mächtig, so eindrucks- und zugleich kunstvoll wie schon lange kein Genrefilm mehr. Narrativ und handwerklich spitzt sich die Situation weiter zu und John Goodman ist eine Naturgewalt. Die stimmige Dichte an Ideen kann leider nicht gehalten werden, weshalb der Film nach und nach in etwas durchschnittlichere Gefilde klettert – und in einem passend durchschnittlichen Schluss sein Ende findet. Bis dahin ist das unorthodoxe Sequel zum 8 Jahre alten Monsterfilm jedoch ein absolut sehenswertes Erlebnis, das sich auch im Ganzen nicht nur, aber fraglos auch wegen seines prächtigen Anfangs lohnt.

Ex Machina

Ex Machina ist der erste Film von Drehbuchautor Alex Garland. Zusammen mit einem kleinen, aber spannend zusammengestellten Cast wurde der 11 Millionen teure Film binnen 6 Wochen (udn mit anschließenden 6 Monaten Postproduktion) in Norwegen und London gedreht. Das Ergebnis ist ein großartig inszeniertes Kammerspiel, dessen technische Ausführung ebenso klug ist wie die inhaltlichen Ansätze.

If I did, would that be cheating?

Story

Caleb ist 26 Jahre jung, begnadeter Programmierer auf Rechnung der führenden Suchmaschine Blue Book und Gewinner einer betriebsinternen Ausschreibung. Er darf eine Woche auf dem abgelegenen Anwesen des exzentrischen Konzernchefs Nathan mit eben diesem verbringen.
Dort angekommen trifft er auf einen trinkfreudigen Sonderling, der in seinem luxuriösen High-Tech-Bunker mitten im sattesten Grün der Welt einen Vorschlag zu machen hat. Caleb wurde aufgrund seiner Fähigkeiten ausgewählt. Er soll die Zeit nutzen, um Ava, einer humanoiden, weiblichen künstlichen Intelligenz im mechanischen Frauenkörper, einem ganz besonderen Turing-Test unterziehen.
Aufgeregt, aber auch ein wenig skeptisch willigt der junge Programmierer ein und erlebt 7 Tage, in denen stetig unklarer wird, wer wem etwas vormacht und verschweigt, wer den benutzt und was es heißt, Gefühle zu haben.

Kritik

So wie sein Protagonist Caleb war auch Alex Garland 26 Jahre alt, als er seinen Durchbruchsroman The Beach schrieb, welcher bekanntlich die Grundlage eines viel besprochenen Filmes wurde. Danach blieb Danny Boyle dem Talent treu und verpflichtete Garland als Drehbuchautoren für seinen eigenen riesigen Erfolg: 28 Days Later und drei Jahre später Sunshine. Seine dritte Autorenarbeit fürs Science-Fiction-Genre im Kino war dann schließlich Dredd.
Trotzdem blieb er erfolgsverwöhnte Brite immer im Hintergrund. Nun, 19 Jahre nach The Beach, inszeniert er seinen ersten eigenen Film. Natürlich ist es Science-Fiction nach selbstverfasstem Drehbuch.
Nicht ganz so natürlich ist die Perfektion und Zurückhaltung, die bei diesem Regiedebut an den Tag gelegt wird. Zwar ist die Benennung seiner Figuren Caleb, Nathan und Ava mit eindeutigem Bibelbezug und sprechender Bedeutung etwas plump, abgesehen davon aber beweist Alex Garland großes Fingerspitzengefühl und Stilbewusstsein, um aus seinem Film über die eventuelle Menschlichkeit einer Künstlichen Intelligenz etwas ganz Besonderes zu machen, das sich von ähnlichen Filmen mühelos abhebt. Seine größte Hilfe dürfte Kameramann Rob Hardy gewesen sein, der selbst bisher nur mit wenigen, kaum bekannten Filmen in Erscheinung trat, unter der Leitung von Garland jedoch Bilder kreiert, die nicht etwa die Figuren, sondern vor allem die Architektur des Handlungsortes in den Vordergrund rücken. Das verwinkelte, abgeschiedene und ebenso abgeschottete Fort, in das Nathan sich zurückgezogen hat, ist ein grell-futuristischer Symmetriewahn, dessen Räume von viel kaltem Licht, strenger, steriler Gemütlichkeit und zahllosen klar definierenden Linien geprägt werden. In diesem technokratischen Klaustrophobie-Palast spielt sich 95% des kammerspielartigen Filmes ab. Die Art, wie die Kamera seine Figuren darin zeigt, wie sie, obwohl sie organische Fremdkörper sind, fast in den verschachtelten Gemächern versinken, verweist immer wieder eindeutig auf Stanley Kubricks größtes Genre-Werk – und das mit vollem Erfolg.

Die Figuren, die in diesem Käfig agieren, sind gleichsam verschlossen. Über die gesamte Spieldauer hält sich die mulmige Gewissheit, einem kalkulierten Macht- und Täuschungsspiel beizuwohnen. Das joviale Gebaren des jungen Internetmilliardärs Nathan, der Caleb gleich zu Beginn auf eine konstruierte, verlogen erscheinende Augenhöhe drängt und dabei von einer inneren Getriebenheit und Unruhe durchschüttelt wird, wird so gut gespielt, dass Oscar Isaac hinter seinem vollbärtigen und glatzköpfigen Charakter vollkommen verschwindet. Domhnall Gleeson als Caleb wirkt neben ihm naturgemäß etwas blasser, schafft es aber, den Zwiespalt seiner Figur gekonnt auszuspielen, muss sie sich doch unentwegt und vielfach zwischen zwei entgegengesetzten Richtungen entscheiden. Und damit wären wir bei Ava, der von „Geburt“ an in den Forschungsräumen Nathans eingeschlossenen Maschine, die sich wie eine Prinzessin danach sehnt, aus ihrem goldenen Käfig ausbrechen zu können, um die wahrhaftige Welt zu erfahren. Alicia Vikander mimt sie mit einer Mischung aus Unschuld, bewusst verführerischem Grundton und bedrohlich-faszinierender Unberechenbarkeit.
Dabei befinden sich die drei Figuren niemals zusammen in einem Raum – Ex Machina wird ausschließlich in Zwiegesprächen entwickelt. Vor allem hier kommt das Talent Garlands als Autor zum Vorschein, wenn er die Königsdisziplin, natürlich wirkende Gespräche zwischen einander Näherkommenden zu entwerfen, makellos in seinen Film integriert.
In den 108 Minuten wächst die beunruhigende Vorahnung, dass das Psychoduell zwischen den Figuren auf eine große Eskalation und eine ebenso große Enthüllung zusteuert, rasant an. Das maskenhafte Spiel zwischen gegenseitiger Überwachung, Kontrollsucht, permanenter Angespanntheit und der halbgaren Vermutung, dass sich alle gegeneinander ausspielen, während sie sich vorspielen, dass alles in bester Ordnung sei, während niemand um die Motive des Gegenübers weiß, bleibt bis zum Ende gerissen, angespannt und frei von Substanzlosigkeit.
Thematisch im Zentrum steht dabei natürlich der Diskurs über die Autonomie und Verantwortung einer und die Autonomiegewährung und Verantwortung gegenüber einer künstlich geschaffenen Lebensform, deren Komplexität zu Resultaten führt, die die Vorhersagemöglichkeiten ihres Erschaffers überschatten. Dabei begeht der Film nicht den Fehler, sich in plumpen Phrasen zu verfangen oder hundertfach Gesagtes stilbewusst wiederzukäuen. In Ex Machina werden Themen durch geschicktes Andeuten behandelt; der Film brüstet sich nicht damit, einfache Antworten auf schwierige Fragen zu haben, sondern genügt sich im richtigen Maß darin, diese Fragen erst zu stellen und dann höchstens eine von vielen Antworten zu geben. Trotzdem gelingt dem Film damit ein Beitrag zum Diskurs über Maschinenethik, wie er im filmischen Bereich bisher ausschließlich von Her geleistet wurde. Auch Überlegungen, was es überhaupt für einen Unterschied macht, eine Künstliche Intelligenz als Frau und nicht als Mann – oder gleich vollends geschlechtslos – zu konstruieren, wie sich das Frauenbild des Internets, das des Unterbewusstseins des Einzelnen und das in der Gesellschaft hochgetragene voneinander unterscheiden und ob es einen Punkt geben könnte, an dem mit menschlichen Kategorien nichts mehr zu erreichen ist, werden erwähnt und auf ihre ganz eigene Weise abgehandelt, ohne dabei einen Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit erheben zu wollen.
Damit all das gelingt, muss das Drehbuch von vornherein etwas zurechtgebogen werden. Um nichts zu verraten, sei hier exemplarisch nur erwähnt, dass es natürlich eigentlich quatsch ist, dass die Zugangsberechtigungen in Nathans Anwesen mit Karten geregelt werden und nicht etwa auf Stimm- oder/und Gesichtserkennung zurückgreifen, was viel sicherer, naheliegender und einfacher wäre. Solche Kniffe erlaubt sich das Drehbuch, damit es das größtmögliche Spannungspotenzial aus seiner Geschichte schöpfen kann. Und man kann es ihm eigentlich nicht übelnehmen, denn Ex Machina ist eben nicht nur ein kluger und ungemein atmosphärischer Film, sondern darüber hinaus auch ein enorm spannender. Das Finale, das man in dieser Form noch nicht gesehen haben dürfte, stimmt dem zu.

Fazit

Auf Alex Garlands ersten selbstgedrehten Film musste man lange warten. Das Ergebnis rechtfertigt diese Wartezeit absolut. Ex Machina ist ein makellos komponierter, stilbewusster und atmosphärisch dichter Dialogthriller in einem so beunruhigenden wie fesselnden Science-Fiction-Rahmen geworden, der kluge Fragen auf ebenso kluge Weise stellt. Gewissermaßen könnte man sagen, Spike Jonzes Her und Alex Garlands Ex Machina sind zwei Seiten derselben Münze.
Der Umstand, dass beide Filme gerade jetzt herauskommen, spricht eigentlich für sich, was die Dringlichkeit, die Relevanz, besonders aber das nur schwer fassbare Irritationspotenzial ihrer Thematik anbelangt.

Die Innere Zone

Fosco Dubini macht mit teils großen Zeitabständen in erster Linie Dokumentarfilme mit ganz eigenen Themen. Seit 1978. Mit Die Innere Zone liegt nun sein zweiter Spielfilm vor, nachdem er mit 2001 mit Die Reise nach Kafiristan einen ersten Erfolg im Raum des Fiktionalen einfahren durfte.

Wo ist Walter?

Story

Seit die Psychologin Marta vor zwei Jahren – im Jahr 2024 – bei einem Biosphärenexperiment eine Hirnschädigung davontrug, leidet sie unter Erinnerungslücken und Halluzinationen, ein Phänomen, das sie Echos tauft.
Als sie zu einer Tunnelbaustelle in die Schweizer Alpen gerufen wird, beschleicht sie die Ahnung, dass die Experimente von früher genau dort wieder aufgenommen wurden.
Sie trifft auf einen verwirrten Ingenieur und eine russische Krankenschwester. Gemeinsam müssen sie die labyrinthischen Tunnels nach vermissten Wissenschaftlern durchforsten und herausfinden, ob die sich häufenden seltsamen Vorkommnisse von radioaktiver Strahlung aus den Tiefen rührt, von klimaverändernden Luftgemischen ausgelöst werden oder aus ganz anderer Quelle stammen.

Kritik

Es wogt eine rätselhafte Stimmung durch die Bilder, die gleichsam ruhig und unruhig erscheinen, weil eine eigenständige Kameraführung natürliche Blickbewegungen imitiert, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. So erinnert der Blick auf das Geschehen häufig wie der eines stillen Beobachters, der oftmals schon am Ort des Geschehens wartet, bevor die Akteure eintreffen. Und irgendwie passt dies auch, ist der Zuschauer doch der Inspekteur von Martas Seelenzustand, um sich mittels Interpretationen eine Analyse anzumaßen. Bereits von Anfang an, wenn eine betörende Cellointerpretation von Nothing Else Matters eine Kamerafahrt durch die Alpen steuert, generiert Die Innere Zone eine sehr eigene Atmosphäre aus sich heraus, die vor allem von der gut abgemischten Geräuschkulisse profitiert, die die Bilder aufwühlt und dem Film einiges an Tiefe verleiht. Die Regie und auch die Produktionsmittel sind definitiv keine Mankos des Science-Fiction-Filmes aus schweizer Landen.

Gerade zu Beginn ist ein wohlartikulierter Offtexte des Zuschauers Begleiter, der aber etwas zu wohlartikuliert wirkt, als wäre er von einer Bühne herunter gesprochen und nicht ein Gedankenmonolog. Die Assoziation mit Theater kommt nicht nur hier hervor – auch viele Darsteller agieren nicht so natürlich, wie man es sich wünscht. Und „viele“ bedeutet hier, dass jeder vom wahrhaft schmalen Cast ein bisschen neben der Spur spielt – von der Hauptdarstellerin Jeannette Hain mit ihrem charakterstarken Gesicht abgesehen, die ihre Sache wirklich gut macht. Dietmar Mössmer als schräger Ingenieur im Paranoiataumel, Nikolai Kinski als in Melancholie und Gestein vergrabener Forscher und Lilli Fichtner als engelsgleiche Krankenschwester mit Kindergesicht und völlig übertriebenen russischen Akzent sind sämtlich überzeichnet und stimmen ihr Spiel auch darauf ab. Den Dialogen fehlt es gleichfalls an Natürlichkeit. Hier kommt eine Last zum Vorschein, die einigen deutschsprachigen Produktionen eigen ist und einen immer wieder aus der Welt herausholt.

Das schlichte, eine große Ruhe ausstrahlende Setting ist dafür aber stimmig eingefangen, meist hält man sich in den Räumen eines leerstehenden Krankenhauses auf, später dann in lichtfernen Tunnels. Tatsächlich ist es gerade diese reduzierte Kulisse, eingefangen durch die erwähnt gute Regie, die den Film seine Anziehungskraft verleiht. Trotz der einzelnen Szenen mit den nicht immer nachvollziehbaren Dialogen mit ihrem nicht immer alltagstauglichen Aufbau, die nicht immer verständlich aneinandergereiht werden, verkommt das Schauen nie zum zähen Ärgernis. Und dann sind da auch noch die wirklich guten Ideen, die in regelmäßigen Abständen das Geschehen auflockern und dem gesamten Streifen eine eigene Note geben, weil sie mit einer nicht erwartbaren Einstellung oder einem nicht erwartbaren Musikeinsatz eine Überraschung servieren, die schlicht Spaß macht und darüber hinaus dafür sorgt, dass Die Innere Zone ein in sich schlüssiges Ästhetikkonzept für sich beanspruchen darf.

Vielfach hört man den Vorwurf, in einigen Szenen sei unklar, ob der Film lustig sein wolle oder nicht. Doch warum muss dies ein Makel sein? Wenn plötzlich zwei eindeutig labile Charaktere anfangen miteinander zu tanzen, ist das natürlich irritierend, aber keineswegs schlecht. Und dass man andernorts gar von slapstickhaften Ausflügen zu berichten weiß, ist das Resultat plumper Übertreibungslust, die Die Innere Zone Unrecht tut.
Keineswegs tut man dem Film aber Unrecht, wenn man ihm 10 Minuten vor Schluss ausmacht. Am Ende möchte die ganze Chose nämlich möglichst gut erklärt werden, weswegen man folgerichtig einen auf denkbar künstliche Weise einen Erklärbären in den letzten Akt pfropft, der den Film mit jedem gesprochenen Wort schlimmer macht. Hier wird einer ordentlich erzählten Geschichte nachträglich Komplexität genommen und ein vernünftiges Drehbuch zum Schluss als ein leeres Versprechen entlarvt. Weniger wäre hier definitiv mehr gewesen. Zudem das auch nichts daran ändert, dass die vorherige Verklettung von pythagoreischer Kosmologie, Verschwörungstheorie und blasigen Andeutungen hin ins Jahr 1969 mit seiner Schweizer Reaktorkatastrophe trotzdem keinen Sinn machen.

Fazit

Regie, Kameraarbeit und natürlich das Setting machen aus Die innere Zone einen eigenständigen, eigentlich guten Film. Schade, dass die Dialoge und das hölzerne Spiel von allen außer Jeannette Hain das positive Gesamtbild immer wieder trüben.
Trotzdem darf man dem Film von Fosco Dubini eine Chance geben – auch wenn man am Ende nicht und zugleich viel zu genau weiß, um was genau es eigentlich ging, ist das Schauen ganz bestimmt keine Zeitverschwendung.

Stag Night

Das Mini-Genre des U-Bahn-Horrors ist eigentlich immer gern gesehen. Egal, wie der Film denn nun eigentlich ist – Klaustrophobie und eine ordentliche Atmosphäre im finsteren Gedärm einer Stadt gibt es eigentlich inklusive. Dass daraus aber nicht zwangsläufig ein netter Film entstehen muss, beweist Stag Night nachdrücklich.

We went on the wrong tunnel.

Story

Dass sich unterhalb von New York ein zweites New York befindet, ist hinlänglich bekannt. Ein unüberschaubares, teilweise aufgegebenes Netzwerk aus U-Bahn-Tunneln zieht sich hunderte Kilometer lang durch den Untergrund, lockt Aussätzige an und fungiert als Garten Eden für Ratten. Als sich ein klassisch aus dem Ruder laufender Junggesellen-Verabschiedungs-Verband in die verlassenen Tunnel verirrt, macht dieser schnell Bekanntschaft mit ein paar mordlüsternen Mutanten.

Kritik

Irgendwann musste es mal soweit sein. Stag Night von Peter A. Dowling (der bisher vorrangig als Autor des Langweilers Flightplan bekannt war und hiermit sein Regieudebüt abgibt) steht auf dieser Seite ohne richtigen Grund, denn Science-Fiction ist das weder im engeren noch im weiteren Sinne. In der Inhaltsangabe auf dem DVD-Rücken wird irgendwas von Mutanten gefaselt, doch eigentlich werden hier nur ein paar Dumpfbacken von mundfaulen Obdachlosen zerstückelt.
Aber tun wir mal so, als handele es sich um Mutanten, und besprechen den Film. In der dritten Person.

Die vorgeblichen Mutanten, wegen denen man sich das alles antut, sind allzu oft gar nicht zu sehen, sondern huschen in unglaubwürdigen Bahnen als blamabelste Kamera-Ego-Perspektive der jüngeren DVD-Geschichte durch die Kammern und Tunnel. Sie sehen aus wie der durchschnittliche Vagant und klingen wie der unterdurchschnittliche Ork.
Begleitet wird der Unsinn von billig produzierter, viel zu verrauschter Gitarrenmusik, die manchmal in Ordnung geht, manchmal aber auch jede Möglichkeit auf Atmosphäre zunichtemacht, weil sie rücksichtslos in das Geschehen hämmert. Die Kamera agiert wie im Zeitraffer, zuckt ständig hektisch umher und scheint keinerlei Fokus zu kennen. Man kennt die Klage bei diversen Filmen, seit Handkamera en vogue geworden ist, Stag Night treibt dies mühelos auf ein gänzlich neues Level.
Gefilmt ist das Ganze wie ein Amateurfilm der Mittelklasse. So hektisch die Schnitte auch sind, wirken sie doch alle etwas neben der Spur, als hätte der Cutter nicht gewusst, wie das alles eigentlich funktioniert. – Oder eben, als hätte der desorientierte Kameramann auch gleich den Schnitt vorgenommen. Die Introduktion der Charaktere fällt gleichsam hilflos aus. Der Versuch, ihnen Tiefe zu verleihen, ist so unbeholfen wie plump, die Dialoge streckenweise kaum zu ertragen und sorgen bestenfalls dafür, dass die Protagonisten als gestelzt redende Streitsucher erscheinen und sich im Laufe der Handlung auch einzig dahingehend entwickeln, dass sie zusätzlich auch noch reichlich dämlich sind und so einen hässlichen U-Bahn-Tunnel-Mord schon irgendwie verdient haben. Zum Glück wird das Körbchen mit all den Faulen Äpfeln schnell geleert.

Dass die Handlung voller Logikfehler ist, gehört bei allem anderen dann auch zum guten Ton. Da schlendern die vom Drehbuch verurteilten seelenruhig einen U-Bahn-Tunnel hindurch, während sie nicht wissen, wie weit die Stationen voneinander entfernt sind, ihnen durchaus aber bewusst ist, dass jede Stunde ein Zug durch die Tunnel rattert. Auch dass man unentdeckt plappern darf, der blutrünstige Untergrundbewohner aber sofort aufschaut, wenn der Fuß etwas berührt, ist ein Naturgesetz in Stag NIght. Das Grüppchen ist immer unnötig laut und quasselt sorglos vor sich hin, während es sich vor den nur wenige Schritte entfernten Jägern versteckt. Trotzdem wundert man sich immer wieder aufs Neue über den Tod. Wer sich, während er von Killern durch einen scheußlichen Irrgarten getrieben wird, darüber streiten will, ob er Trauzeuge irgendeiner Hochzeit ist, oder nicht, ist ohne Wenn und Aber von einem immensen Lebensüberduss befallen.
In einigen Momenten kommt dann doch kurz so etwas wie Spannung auf, so eine Untergrundwelt, die nur wenige Meter vom menschlichen Alltag entfernt liegt, aber doch kaum begreiflich fremd und fern ist, hat einfach Potenzial. Doch die stümperhafte Regie ist in diesen Momenten immer relativ schnell zur Stelle, um den Film wieder in sein Gebiet zurückzuholen.
Nun, man mag sagen, dass das alles schon zu billigen wäre, so lange die adretten Frauen auch nach einer Terror-Hetzjagd im Zentrum des New Yorker Drecks noch wie frisch aus den Ei gepellt aussehen und die Gore-Effekte stimmen. Diese sind aber im besten Fall Mittelmaß und auch alles andere als kreativ umgesetzt. Einen Blumentopf gewinnt der Film auch damit nicht.
Da das alles ziemlich blöde daherkommt und der Streifen nicht zulässt, dass man die ‚Guten‘ mag und die Bösen ernstnimmt, lässt Stag Night einen die volle Laufzeit über herzlich kalt. Man ist nicht gelangweilt, aber so leidlich unterhalten, dass man ebenso gut abschalten und über Eis nachdenken könnte. Zu allem Überfluss zeichnet der Film auch noch ein hässliches, feindseliges Bild von der ganz unteren Bevölkerungsschicht, sodass dieses Machtwerk am Ende nicht nur an seiner bedeutungslosen Mangelhaftigkeit krankt, sondern auch noch ein fragwürdiges Weltbild transportiert.

Fazit

Stag Night ist ein hilflos inszeniertes B-Movie mit einem völlig gleichgültigen Drehbuch, in dem ein vertrottelter Trupp von Arschlöchern sich gegen verlotterte Grobiane zu Wehr setzen muss. Logik und Erklärungen bleibt der Film bis zum Ende schuldig. Allerdings ist er sich nicht zu schade, sich herablassend über Obdachlose, Frauen und den Zuschauer zu äußern.

Wer einen modernen U-Bahn-Schocker mit einem Hauch Science-Fiction, dafür aber auch in psychologisch kluger Ausführung und mit saftigem Splatter sucht, ist mit Midnight Meat Train definitiv besser bedient. Aber auch der Klassiker Tunnel der lebenden Leichen oder die kanadische Kleinstproduktion End of the Line bieten entschieden besseren U-Bahn-Horror als er hier geboten wird.

Judge

15. Japan-Filmfest Special 9

Yoshiki Tonogai großer Mangaerfolg Doubt ließ Judge folgen, der von den Fans ähnlich frenetisch verschlungen wurde. Regisseur und Drehbuchautor Yo Kohatsu nahm sihc den Stoff als Vorlage für einen selten müden Film.

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Story

Sieben Menschen erwachen aus ihrem Schlaf. Festgekettet auf einem Stuhl vor einem Tisch, eingekerkert in einen abgeriegeltem Raum von unbekannter Lage. Und alle tragen überdimensionale Tiermasken auf ihren Köpfen.
Vor jedem öffnet sich ein Bildschirm aus der Tischplatte, auf dem die Namen der Anwesenden geschrieben stehen. Es stellt sich heraus, dass alle hier Versammelten eine irgendwie amoralische Vergangenheit haben, für die sie nicht büßen mussten. Bis jetzt.
Der Computer verlangt von den Gefangenen, dass sie sich bei laufender Uhr gegenseitig Nominieren. Der Träger des Namens mit den meisten Stimmen wird maschinell hingerichtet.

Kritik

Der erste Eindruck ist ein durchaus positiver, da der Zuschauer umweglos in das Geschehen geschleudert wird und gemeinsam mit den Figuren in einem unbekannten Raum mit eine Sack voller Fragen aufwacht und kaum Zeit hat, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. Als erstes fällt die ambitionierte Kameraarbeit auf, die den Raum mit großer Mühe ausformuliert und das Kunststück schafft, den sehr limitierten Schauplatz, der aus wenig mehr als einem rechteckigem leeren Zimmer besteht, nervös und spannend in unterbeleuchteten Bildern einzufangen. Wären da nicht die grundlosen Surrgeräusche bei den Zooms und Schwenks sowie wiederkehrende Bildstörungen, die inhaltlich nicht begründbar sind und atmosphärisch keinen Gewinn einfahren, könnte man der Präsentation wenigstens auf dem Papier kaum etwas vorwerfen.
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Es ist wichtig, dass der Film keine Zeit verliert und darum bemüht ist, möglichst rasch voranzuschreiten. Den Figuren aber wird durch die überhastete Erzählweise eine glaubwürdige Entwicklung gänzlich unmöglich. Einzig ein Herr mit Hasenmaske bekommt ein wenig Profil, während alle anderen grob und lieblos ihre plumpen, vorhersehbaren Funktionen erfüllen. Doch nicht einmal besagter Hasenkopf ist auch nur im Ansatz sympathisch. Durch die konstruierten Probleme, die auftreten („Ich brauche meine Medizin!“), und die völlig unmotivierten Entscheidungen der Gefangenen entstehen beim Zuschauer im besten Falle Antipathien, meist bleibt es aber bei bloßer Gleichgültigkeit den Gefangenen gegenüber. Sie sind flach, vollkommen uninteressant, fast sämtlich hysterisch und bar jedes Entwicklungspotenzials. Es ist egal, dass sie Reih um Reih sterben, weil eine Sorge um sie unmöglich entstehen kann.
Judge macht keinen Hehl aus seinem Wunsch, furchtbar gerne eine Art Saw mit der Atmosphäre eines Cube sein zu wollen, erreicht aber nicht einmal die fragwürdige Klasse eines der Sequels genannter Filme. Mit einer völlig aussagelosen Bildsprache erzählt der Film eine Geschichte, die durch ihre Prämisse Überraschungen verspricht, tatsächlich aber mit keiner einzigen unvorhersehbaren Wendung aufwarten kann. Alles verläuft nach Schema F, ist furchtbar ideenarm und lasch. Judge ist ein atmosphärisches Bild und 78 Minuten heiße Luft, ein Kartenhaus, das nach zwei aneinandergelegten Karten unspektakulär in sich zusammenfällt und dabei nichts verursacht, als ein wenig aufgewirbelten trockenen Staubt.
Trotz der unverkennbaren Vorbilder versucht der Film nicht, mit Gewalt zu punkten. Die Sterbeszenen sind so unblutig wie unspektakulär. Viel lieber wäre er ein psychologisches Kammerspiel über menschliche Abgründe, der die Sensation der Brutalität nicht braucht. Ein ehrenwertes Vorhaben, das zur Durchführung aber interessante Charaktere und eine erzählenswerte Geschichte bräuchte. Yo Kohatsus Manga-Adaption hat nichts davon. Die bemitleidenswerte Pointe des Filmes ist dann der eigentlich schon überflüssige letzte Sargnagel eines total irrelevanten Blenders.

Fazit

Nach einem interessanten Anfang entpuppt sich Judge als ideenlose Hülle ohne Potenzial. Trotz seiner knappen Laufzeit gibt sich der Film zäh und umschifft gelangweilt jede Möglichkeit auf Überraschung.
Ein schön fotografierter Raum, der nicht gefüllt wird.