Judge

15. Japan-Filmfest Special 9

Yoshiki Tonogai großer Mangaerfolg Doubt ließ Judge folgen, der von den Fans ähnlich frenetisch verschlungen wurde. Regisseur und Drehbuchautor Yo Kohatsu nahm sihc den Stoff als Vorlage für einen selten müden Film.

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Story

Sieben Menschen erwachen aus ihrem Schlaf. Festgekettet auf einem Stuhl vor einem Tisch, eingekerkert in einen abgeriegeltem Raum von unbekannter Lage. Und alle tragen überdimensionale Tiermasken auf ihren Köpfen.
Vor jedem öffnet sich ein Bildschirm aus der Tischplatte, auf dem die Namen der Anwesenden geschrieben stehen. Es stellt sich heraus, dass alle hier Versammelten eine irgendwie amoralische Vergangenheit haben, für die sie nicht büßen mussten. Bis jetzt.
Der Computer verlangt von den Gefangenen, dass sie sich bei laufender Uhr gegenseitig Nominieren. Der Träger des Namens mit den meisten Stimmen wird maschinell hingerichtet.

Kritik

Der erste Eindruck ist ein durchaus positiver, da der Zuschauer umweglos in das Geschehen geschleudert wird und gemeinsam mit den Figuren in einem unbekannten Raum mit eine Sack voller Fragen aufwacht und kaum Zeit hat, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. Als erstes fällt die ambitionierte Kameraarbeit auf, die den Raum mit großer Mühe ausformuliert und das Kunststück schafft, den sehr limitierten Schauplatz, der aus wenig mehr als einem rechteckigem leeren Zimmer besteht, nervös und spannend in unterbeleuchteten Bildern einzufangen. Wären da nicht die grundlosen Surrgeräusche bei den Zooms und Schwenks sowie wiederkehrende Bildstörungen, die inhaltlich nicht begründbar sind und atmosphärisch keinen Gewinn einfahren, könnte man der Präsentation wenigstens auf dem Papier kaum etwas vorwerfen.
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Es ist wichtig, dass der Film keine Zeit verliert und darum bemüht ist, möglichst rasch voranzuschreiten. Den Figuren aber wird durch die überhastete Erzählweise eine glaubwürdige Entwicklung gänzlich unmöglich. Einzig ein Herr mit Hasenmaske bekommt ein wenig Profil, während alle anderen grob und lieblos ihre plumpen, vorhersehbaren Funktionen erfüllen. Doch nicht einmal besagter Hasenkopf ist auch nur im Ansatz sympathisch. Durch die konstruierten Probleme, die auftreten („Ich brauche meine Medizin!“), und die völlig unmotivierten Entscheidungen der Gefangenen entstehen beim Zuschauer im besten Falle Antipathien, meist bleibt es aber bei bloßer Gleichgültigkeit den Gefangenen gegenüber. Sie sind flach, vollkommen uninteressant, fast sämtlich hysterisch und bar jedes Entwicklungspotenzials. Es ist egal, dass sie Reih um Reih sterben, weil eine Sorge um sie unmöglich entstehen kann.
Judge macht keinen Hehl aus seinem Wunsch, furchtbar gerne eine Art Saw mit der Atmosphäre eines Cube sein zu wollen, erreicht aber nicht einmal die fragwürdige Klasse eines der Sequels genannter Filme. Mit einer völlig aussagelosen Bildsprache erzählt der Film eine Geschichte, die durch ihre Prämisse Überraschungen verspricht, tatsächlich aber mit keiner einzigen unvorhersehbaren Wendung aufwarten kann. Alles verläuft nach Schema F, ist furchtbar ideenarm und lasch. Judge ist ein atmosphärisches Bild und 78 Minuten heiße Luft, ein Kartenhaus, das nach zwei aneinandergelegten Karten unspektakulär in sich zusammenfällt und dabei nichts verursacht, als ein wenig aufgewirbelten trockenen Staubt.
Trotz der unverkennbaren Vorbilder versucht der Film nicht, mit Gewalt zu punkten. Die Sterbeszenen sind so unblutig wie unspektakulär. Viel lieber wäre er ein psychologisches Kammerspiel über menschliche Abgründe, der die Sensation der Brutalität nicht braucht. Ein ehrenwertes Vorhaben, das zur Durchführung aber interessante Charaktere und eine erzählenswerte Geschichte bräuchte. Yo Kohatsus Manga-Adaption hat nichts davon. Die bemitleidenswerte Pointe des Filmes ist dann der eigentlich schon überflüssige letzte Sargnagel eines total irrelevanten Blenders.

Fazit

Nach einem interessanten Anfang entpuppt sich Judge als ideenlose Hülle ohne Potenzial. Trotz seiner knappen Laufzeit gibt sich der Film zäh und umschifft gelangweilt jede Möglichkeit auf Überraschung.
Ein schön fotografierter Raum, der nicht gefüllt wird.

Nothing

Vincenzo Natali ist einer dieser Menschen, die mit etwas Unerwartetem aus dem Nichts kommen und alle überraschen. In seinem Fall war das Unerwartete das Horror-Kammerspiel Cube. Als er fünf Jahre später sein Cypher vorstellte, wurde die Vorfreude schnell durch Desinteresse ersetzt. Zu erzwungen seltsam und zerstückelt wirkte der Sci-Fi-Film.
Mit Nothing  versuchte er 2003 dann etwas ganz anderes. Die Kritik beleuchtet, wieso den Wenigsten bekannt ist, dass dieser Film überhaupt existiert.



We can’t be dead, we have cable.

Story

Andrew ist ängstlich und noch ängstlicher, seit seine Mutter verschieden ist. Er  ist ein sogenannter Hikikomori – ein Mensch, der soziale Kontakte auf ein Minimum reduziert hält und sich nicht vor die Tür wagt. Die Sache verbessert sich keineswegs, als sein Kindheitsfreund Dave ausziehen will und Andrew zu Unrecht von einer Pfadfinderin der Belästigung bezichtigt  wird. Dave hingegen ist egoistisch, aber ein kompletter Verlierer, der von seiner Freundin übers Ohr gehauen wird und deshalb mit einem Prozess wegen Veruntreuung von Firmengeldern sitzenbleibt. Gemeinsam beschließen die beiden Soziopaten, ihr zwischen zwei Autobahnbrücken gelegenes Heim zu verkaufen und einfach die Koffer zu packen und das Weite zu suchen. Doch prompt steht eine Behörde vor der Tür  und verkündet, das Haus in den nächsten Stunden abreißen zu müssen – Verstoß gegen Paragraph 23, zu nah an der Autobahn errichtet..
Im Nu sammeln sich so Demonstranten, Abrissunternehmen, Sondereinsatzkommandos und empörte Mütter vor der Tür des unbescholtenen Dous.
Doch dann wird es hell, ein grelles Licht flutet das Haus – und im nächsten Augenblick scheint die Welt verschwunden zu sein. Nur noch das Haus und ein Teil des Grundstücks existieren und sind umgeben von einer offenbar endlos weißen Fläche. Nach kurzem Zögern entscheiden Andrew und Dave sich, vom Hunger getrieben, das weite Nichts zu erkunden.

Kritik

Toronto ist eine schief und krumm gewachsene urbane Schändlichkeit, die direkt aus den Gehirnwindungen eines Jean-Pierre Jeunet entsprungen sein könnte. Man verstehe, wieso die beiden Antihelden die Ferne suchen. Zudem ihr Heim, eingepfercht zwischen röhrenden Autobahnen, ein wirklich jämmerliches Bild abgibt. Und hier endet das, was man an Nothing als gelungen bezeichnen könnte.
Die Grausamkeit der Welt mit ihren kleinen grausamen Menschen wird auf albern-überdrehte Weise gezeigt. Erwachsene spielen ihrem armem Kollegen Jungenstreiche und lachen dabei manisch, während der Betroffene wiederholt in Hundekot trampelt und leidend dreinblickt.
Das ist das Niveau, auf dem sich der Humor des Filmes so gut wie ständig bewegt. Denn entgegen den Erwartungen, die der Trailer wecken könnte, handelt es sich hierbei nicht um einen Thriller, sondern um einen Klamauk-Streifen der ganz überspannten Sorte.
Das soll nicht heißen, dass der humoristische Aspekt von Nothing gänzlich für die Füße sei, denn die ein oder andere Idee zündet dann doch. Zum Beispiel, dass als erstes eine Buddha-Statue  ins weiße Nichts geworfen wird, um dessen Stofflichkeit auszutesten, oder die Protagonisten darauf kommen, dass das Nichts aussehe wie Tofu – „der ironischerweise nach Nichts schmeckt.“
Dann aber ist der Film plötzlich wieder dermaßen geschmacklos albern, dass sogar Dumm und Dummer-Anhänger ins Schämen verfallen könnten. Die Weise, wie sich die Hauptpersonen sich im Sekundentakt zum Deppen machen, ist der im kultigen Film der Farrelly-Brüder ziemlich ähnlich. Vermutlich erhoffte sich Vincenzo Natali , einen ähnlich verrückten Spaß wie das Tim Burton-Debüt Pee-Wee’s irre Abenteuer abzuliefern , doch fehlt dem Film überdeutlich das grandiose Timing.
Wirklich unterhaltsam sind eigentlich nur die Spekulationen der beiden Vorzeige-Versager, die sich unablässig fragen, was der Grund für die bizarre Situation sein könnte. Von Alienentführungen über Zeitschleifen bis hin zur Vermutung, dass sie eigentlich Videospielcharaktere seien,  wird ein bunter Strauß an  Möglichkeit in Betracht gezogen und sogleich wieder verworfen.-

Zusammen mit den Figuren erhofft der Zuschauer sich vom Spaziergang die Aufklärung des Rätsels. Doch der Film denkt zu keiner Sekunde daran, Antworten zu liefern, und nutzt die volle Laufzeit dafür, stupide Blödeleien aneinanderzureihen, und das durchgehend bis zur unbefriedigenden Schlusseinstellung.

Das ganze Werk erweckt den Anschein, als hätte Regisseur Natali die Absicht verfolgt, eine Persiflage auf seinen bis dato größten Erfolg Cube zu drehen. Hier wie dort finden sich Menschen in einem mysteriösen neuen Umfeld wieder, das sie dazu zwingt, nicht nur mit den neuen Umständen, sondern vor allem miteinander zurechtzukommen. Doch wo das eine ein klaustrophobisches Spiel mit Urängsten ist, ist das andere einfach nur ermüdend.

Fazit

Nothing ist Natalis kolossal gescheiterter Versuch, nach seinen Mystery-Erfolgen ins Komödienfach zu wechseln. Geschichte, Schauspiel und Humor sind schrecklich überdreht und das interessant klingende Szenario wird einzig dafür genutzt, tumbe Kindereien aufeinanderzustapeln, die zu allem Überfluss oftmals auch noch hochgradig ideenarm wirken. Trotz allem kann man dem Film nicht ganz absprechen, auf eine wenig bekömmliche Weise kurzweilig zu sein, was zuvorderst aber daran liegt, dass man etwas erwartet, was nie geliefert wird.
Hier wurde eine gute Idee nicht für einen guten Film, sondern als Ausrede für schlechte Witze benutzt.