Control of Violence

Japan-Filmfest Hamburg 2015 Special 2


Story

In Osakas Unterwelt beginnt es zu brodeln, als ein maskierter Killer auf bestialische Weise bestens trainierte Mitglieder der Yakuza exekutiert. Verdächtigt wird das ehemalige Mitglied Goda, der mittlerweile eine Maultaschen-Manufaktur leitet und auf die Vorwürfe nur mit überlegenem Schulterzucken reagiert. Als dann der unberechenbare Psychopath Sub Zero aus dem Gefängnis entlassen wird und eine Schneise aus Leichen hinterlässt, kocht der kriminelle Mikrokosmos über. Drei übermenschlich versierte Bestien und eine Heerschar hilfloser Yakuza-Lakaien steuern unaufhaltsam in einem blendenden Maskeradensturm aus Gewalt und Häme aufeinander zu.

Kritik

Wer die vorherigen Werke von Takahiro Ishihara kennt, wird gewisse Erwartungen gehegt haben. Mit welchem Vorwissen man sich aber auch immer Control of Violence nähert, man kommt gewiss aus der falschen Richtung. Dass es so schwierig ist, mit Worten einem (Kino)erlebnis wie diesem beizukommen, ist vielleicht der glaubwürdigste Zeuge dafür.
Die Welt der Yakuza, in deren Erzählzentrum primär das Ex-Mitglied Goda steht, ist eine absonderliche. Der Anfang des Filmes ist ein ebenso absonderlicher. Nach dem beiläufigen Schlachten der verschleierten Tötungsmaschine folgt der Film dem Alltag des vormaligen Gangsters und schnell wird klar: Control of Violence hat eine höchst eigensinnige Form für seine Geschichte erwählt. Lebendig wird sie durch ihre Figuren, die alle ausreichend Raum für Geheimnisse haben, alle mit einem Knall-Effekt eingeführt werden, ansonsten aber nur ihre Sicht auf die Welt teilen. Sie agieren überlegen, spöttisch, über den Dingen stehend. Davon abgesehen, sind die Charaktere so verschieden wie vielschichtig. Sie alle haben eine eigene Weise, sich zu bewegen, stilbewusst, aufbrausend und äffisch, ohne dass diese Aufteilung motorischer Eigenschaften irgendwie störend wirkt. So ist jeder Figur von der ersten Szene an eine besondere Aura eigen.
Die Art und Weise, wie sie miteinander in Interkation treten, ist einerseits von permanenter Bedrohlichkeit unterlegt, steckt andererseits aber auch voller Humor. Ishihara beweist mit seinem sonderbaren Ausflug ein Meisterhaftes Timing – viel Lustigkeit rührt daher, dass mit Zeit und deren Verstreichen gespielt wird. So entstehen absurde Dialoge und perfekt getimte Auftritte, die in Zusammenarbeit mit den nassforschen, unverfrorenen und angreiferischen Figuren eine Verkettung von herrlich amüsanten Sequenzen ergeben, in denen sich Pointe an Pointe reiht.
Dabei ist Control of Violence beileibe aber keine Komödie, auch wenn die Arbeit mit Genrebegriffen hier sowieso eine vergebliche darstellt. Ständig ist der Film an zischen, immer kurz vor dem Überdruck – die namensgebende Kontrolle ist in vielerlei Weisen deutbar, auf den Stil des Filmes lässt sich ganz eindeutig beziehen. Das Geschehen ist ein stilisiertes, beizeiten fast schon theatergleiches mit Auf- und Abgängen und einstudierten Choreographieren, während es aber stets organisch und flüssig wirkt. Die häufigen Exzesse der aufeinander losgehenden Gruppierungen sind dabei rabiat und schonungslos in ihrer Ausführung, aber zurückhaltend in der Darstellung. Blut spielt nur selten (jedoch an bedeutsamen Stellen) eine Rolle, stattdessen verhalten die sich beharkenden und einander das Leben nehmenden Kontrahenten sich ebenso wie zwischen Theatervorhängen, wenn sie glaubwürdig und schmerzerfüllt zusammenbrechen, aber unversehrte Körper haben. Was klingt wie eine nachlässige Ausführung, ist ein meisterhaft umgesetztes Konzept, das in all seinen Facetten aufgeht. Die unbekannte Mischung aus roher Körperlichkeit und ästhetischer Verfremdung der aufgeweckten Regie gebiert eine eigene Welt, in der Hässlichkeit und Schönheit im Sprint aufeinander zulaufen und schließlich miteinander verschmelzen. Dass all das in Schwarzweiß gehalten ist, ist eine ähnlich gelungene wie auch in Miss Zombie. Gemeinsam mit langen Einstellungen, akzentuierender Ausleuchtung und den an Nicolas Winding Refns Drive erinnernden erfüllt den Film eine rauschhafte Ästhetik, die Zugang zu einer ganz eigenen Welt gewährt.

Fazit

Takahiro Ishiharas jüngstes Werk ist ein überraschender Trip voller Witz, Härte, Stil – ein Bündel von miteinander verkletteten Alleinstellungsmerkmalen und damit starker Anziehungspunkt für große Faszination.
Man kann sagen, Control of Violence bringe damit zur Aufführung, was japanisches Kino in vielen Fällen so besonders macht: Die Unvorhersehbarkeit, mit der sich Witze entwickeln, der berauschende, freigeistige Stil und eine außergewöhnliche Herangehensweise an die zu erzählende Geschichte.

Briefe eines Toten

1986 brachte Konstantin Sergejewitsch Lopuschanski mit dem postapokalyptischen Nihilismusmanifest Briefe eines Toten ein Biest von einem Magnum Opus hervor, das damals wie (vor allem) heute viel zu wenig Zuwendung seitens der Medien erhielt und -hält. Zwar spukt der Film immer noch ganz oben in den heiligen Hallen einiger Filmliebhaber herum, die Aufmerksamkeit, die er ungebrochen verdient, bleibt ihm aber bisher verwehrt. (Das nachstehende Video ist ausnahmsweise kein Trailer, da sich keiner finden ließ, sondern ein beispielhafter Ausschnitt.)

I love it for it’s tragic fate.

Story

Die Welt, wie wir sie kennen, verbrannt einer Art von Feuer, die sich Prometheus wohl nie zu erträumen gewagt hätte. Die Menschen verscharren sich selbst in maroden Kellergewölben und bauten mit der Zeit eine Gesellschaft aus den Trümmern des Jetzt, die ihre ganz eigenen, den widrigen Umständen angemessene Gepflogenheiten hat. Alle leben in Angst davor, dass die Regierung das versprengte Trüppchen aufspürt und mit in ihre zweifelhaften Pläne zur Rettung der Menschheit einbezieht, die noch weniger geheuer sind als das Todesurteil des Status quo, in der jede Art von Existenz nur ein Provisorium im Schatten des Zerfalls sein kann.
Die Verbliebenen schaffen sich mit ihrer unbeholfenen Sicherheit eine absurde, grausam neue Art von Alltäglichkeit, wenn sich die Menschen ihre Hüte auf die Gasmasken setzen und Normalität aus etwas machen müssen, was ein ständiges Extrem ist. Sie versuchen weiterzumachen. Nicht aus Hoffnung, sondern weil ihnen nichts anderes bleib.
Ein Professor versucht derweil, etwas Zuversicht zwischen den sich und einander aufgebenden Trümmermenschen zu säen.

Kritik

Die Kamera bewegt sich rückwärts aus dem Bunker, durch ein Loch in einer Wand aus Schutt, die unsinnig dem radioaktiven Wind trotzt, und die Musik schwillt an, wird unangenehm, als würde uns ein Hauch von eben diesem berühren. Wir begeben uns nach draußen, durch das Loch, aus dem Loch, in das sich die Menschen zurückgezogen haben, um wie in einem Kerker zu kauern und darauf zu warten, dass alles endet Doch noch sehen wir nichts. Langsam schält sich der Rest von Zivilisation aus dem Giftdunst. Es zeichnen sich Wracks ab, noch mehr Schutt, Müll in Säcken und ohne Säcke, und Wahnsinn. Unrat auf Unrat, Elend neben Elend. Am Ende der Fahrt, wenn die Rückwärtsbewegung stoppt, stellen wir fest: Sie verdecke gar nichts, hinter der Kamera wurde uns nichts vorenthalten, denn mehr als das ist da draußen nicht. Nur die Asche der Vergangenheit, Staub und Nebel, so dicht gedrängt, das kein weiterer Platz für Hoffnung ist. Herzlich Willkommen in der Welt von Briefe eines Toten, ein Film, der aussieht, wie eine Krankheit.
Bei der Optik wurde auf Farben fast gänzlich verzichtet, sie sind dank bis aufs Maximum reduzierter Sättigung nur leicht, manchmal auch gar nicht vorhanden, lediglich ein eitriges Tschernobyl-Gelb färbt die Bilder des Bunkers – semantisch andere Räume bekommen andere Farben, in jedem Fall aber sondern die monochromen Duplex-Töne eine unangenehme Wirkung ab.

Nach dem kurzen Blick auf das, was mal das Freie war, geht es zurück in die Katakomben. In dieser sonderbaren Welt werden auch die Bewohner sonderbar und wuchsen zu verschrobenen, bitteren Kreaturen heran, die als pathologisches Splitterwerk durch die Gedärme eines ehemaligen Museums rotten und nicht einmal sich selbst noch die Nahesten sind. Die Kinder schweigen als wären sie stumm, die Erwachsenen sind im besten Falle kalt, jeder lebt in seiner ganz eigenen Art von destruktivem Schock. Häufig bewegt sich die Kamera auf Kinderaugenhöhe. Der Zuschauer ist – wie auch jeder andere – in dieser Welt ein Kind, das das Grauen schaut und zum ersten Mal überhaupt nicht als Symbol für Hoffnung und Zukunftsglauben herhalten kann. Ständiger Wind ist auch in den tiefsten Kammern zu hören und über fast allem liegt ein elendes Dröhnen, als wäre es die Welt selbst, die unter Schmerzen klagt.

Man macht dort weiter, wo man aufhörte: Das Treffen fataler Entscheidungen aufgrund von Egoismus, verdrehter Annahme von Effizienz und höherem Allgemeinwohl. Aufgenötigter, in sich selbst verdorbener Altruismus siecht allüebrall und wucherte zu seiner eigenen Antithese heran. So oft man es sonst auch hört, hier stimmt es wirklich: Alle Hoffnung ist gefahren. Die Ausgangssituation von Briefe eines Toten ist bekannt, die Umsetzung aber absolut brillant. In gnadenloser Differenziertheit portraitiert der Film eine Gesellschaft von Übermorgen, die ihren eigenen Nährboden verseuchte und sich nun nur noch dabei betrachten kann, wie sie langsam von Innen heraus fault.
Völlige Verzweiflung schlägt in Wahnsinn um. In jeder Figur sitzt ein wenig davon, während sie ihre persönlichen Vorstellungen auf eigentümliche Weise in die traurige Tat umsetzt. Das gipfelt nicht nur in ein paar niederschlagenden Kuriositäten, sondern auch in interessante Gespräche. Gezeigt werden in einzigartig einnehmender Weise Dinge, die passieren, wenn eine Generation feststellt, dass alle Vorherigen vernichtet und alle Nachkommenden unmöglich sind.

Eine klar auszumachende Geschichte gibt es zwar ebenso wie einen Protagonisten, doch stehen beide ganz im Dienste der Situationsstudie. Wichtig ist nicht, was passiert, sondern dass es überall auf eben diese Weise passiert. Dabei verkommt Konstantin Lopuschanskis Abgesang aber niemals zu einer selbstgerechten und selbstzweckhaften Leidensschau, die nichts tut, außer mit all ihrem Pessimismus den Zuschauer zu quälen. Dank der handwerklichen Raffinesse des Filmes, dank der Passion, mit der gedreht wurde, und dank der völlig trittsicheren Regie ist der Film zu einem vollkommenen Erlebnis geworden, das nie langweilt, nie lediglich durch seine Ödnis betrübt, sondern ein bewundernswerter Schaukasten ist, der einen Blick auf eine Welt voller Details, ausgeklügelter Einfälle und unabsehbarer Ereignisse gewährt. Und später, wie aus dem Nichts, überrumpelt einen das tschechische Kleinod mit Bildern, die in ihrer Ästhetik zeitlos sind, in ihrer unnahbaren Mächtigkeit bestürzend und ob ihrer Schrecklichkeit schön, aber auch erstarren lassend. Eine von Wahnsinn beseelte Aufnahme des Auslösers dieses Elends trifft wie ein herzhafter Schlag in die Magengrube. Diese Szene ist der Kern des Filmes, unnachahmlich und unnachgiebig intensiv. Eine der schönsten Hässlichkeiten, die mit Widerhaken aus Zucker tief unter die Haut geht.

Wie um das zu verstärken, gibt es trotz dieses Bildes der vollkommenen Niederlage auch Humor. Ein paar Szenen sind umschmeichelt von stautrockenen Pointen, die in ihrem Rahmen aus Bitterkeit stichgleich Wirkung zeigen. Es ist wie die störrische Hoffnung, das ewige Weitermachen der Menschen, von dem der Film erzählt. Humor ist Teil davon, denn Humor ist das Ignorieren von Tatsachen, aus dessen Bewusstmachung eine Erkenntnis gerinnt, die Absurdität verlachen lässt. Humor ist eine Art Triumph trotzdem; etwas, das dem Menschen nicht genommen werden kann, mag auch alles andere vergehen.

Fazit

Bei Briefe eines Toten handelt es sich um das vielleicht eindringlichste Angstzeugnis aus Zeiten des Kalten Krieges. Es ist ein kluges Portrait über ein speziesübergreifendes Selbstbegräbnis mit eindringlichen Sequenzen, einer fesselnden Ästhetik erschütternden Bildern und voller Perfektion. Es wird nie langweilig oder zäh, immer ist es trotz dem repetitiven Bunkeralltag fesselnd und interessant. Die 87 Minuten sind voll mit durchdachte Bilder in durchdachter Reihenfolge, jede Szene birgt Potenzial für Gänsehaut und in seiner völlig eigenen Stimmung ist Briefe eines Toten letztlich selbst ein rares Unikat.
Konstantin Lopuschanski schuf einen großen Film mit großen Ideen und großer Eindringlichkeit, der in seiner Bekanntheit – zuvorderst wohl wegen Verfügbarkeitsproblemen – auf fast schon herätische Weise sehr klein geworden ist.

Slum-Polis

15. Japan-Filmfest Special 3

Frischer, unbefangener Esprit eines Teams von Grünschnäbeln, große Inspiration durch ein ebenso großes Vorbild, Gespür fürs Essenzielle, ein glückliches Händchen für Locations und das glücklichste für Ästhetik. Mehr braucht es nicht.

Kalt!

Story

Ein gewaltiges Erdbeben zerstörte im Jahre 2018 das bekannte Gesicht Japans. Während die Schäden in den urbanen Zentren mit der Zeit behoben wurden, herrscht in den Randgebieten immer noch das Chaos. Ein solcher Bezirk ist Slum-Polis, wo das Gesetz das Feld freiwillig rivalisierenden Gangs überlassen hat, die das Leben in den Trümmern mit Prostitution und Drogenhandel bestimmen.
Als die beiden Freunde Asu und Joe eine zentrale Figur des Rauschgifthandels töten und sich seine Ware unter den Nagel reißen, eröffnen sich ihnen verheißungsvolle Perspektiven, während sie gleichzeitig auf der Abschussliste der großen Gangs landen.
Verkompliziert wird die Situation durch die mittellose Künstlerin Anna. Anfängliche Streitpunkte verlieren rasch an Bedeutung. Die zarte freundschaftiche Dreiecksbeziehung gewährt den Dreien einen Augenblick des Friedens. Man malt, schießt auf Büchsen und klimpert auf dem Keyboard, stets in der Gewissheit, dass der Frieden nicht von Dauer sein kann.

Kritik

Wird bei Menschen gemeinhin der erste Eindruck als der Wichtigste erachtet, liegt es bei Kunst anders. Entscheidend ist, was man mit hinausnimmt, wie sie nachhallt, sich entwickelt und im besten Falle erst dann so richtig wächst, wenn sie von sich allein gelassen wurde, immer wieder bereichert durch die Arbeit des Rezipienten.
Daher stellt diese Rezension Slum-Polis gleich zu Beginn als eine unverkennbare Nachahmung vor. Die Art der Inszenierung, die Zusammensetzung der Diegese, die Betrachtungsweise der Figuren, dr Verlauf und die Gangart der Geschichte; das Grundgefühl des Filmes bis hinein in einzelne Szenenbilder und -verläufe ist übernommen von Shunji Iwais großem Meisterwerk Yentown – Swallowtail Butterfly.
Und nun zu den wichtigen Aspekten, die es verdienen, in Form des finalen Eindrucks erinnert zu werden.
Slum-Polis Slum-Polis 8 MVI_0199.MOV.Still016

Slum-Polis, und das ist das Verblüffendste, ist ein Uni-Abschlussfilm. Aber auch das ist eigentlich sofort zu vergessen und wird auch ab der ersten Szene vergessen. Denn Slum-Polis ist außerdem ein perfektionistisches Kleinord, das in sämtlichen formalen Aspekten brilliert.
Die Geschichte entrollt sich wie von alleine aus der erdrückenden Atmosphäre, die unter dem allgegenwärtigen Elend der Menschen, die ihr Heil in Selbstaufgabe suchen, ständig Lebenswillen und ungebremst eurphorische, im besten Sinne romantische Energie grollen lässt. Der Kamera gelingt es, den verheerten Landstrichen der Fukushima-Katastrophe eine urtümliche und bewegende Friedfertigkeit abzugewinnen. Die ungezwungene, sehr aufmerksame Kameraarbeit und die bestechend stimmige Mise en Scène kreieren freche wie sanftmütige Eindrücke. Hand in Hand mit dem visuellen Ästhetikbewusstsein geht das Gespür für den richtigen Ton. Immer wieder präsentiert der Film Collagen der Entwicklung oder stimmungsgebende Impressionen aus dem Alltag der drei Protagonisten, zu denen der herausragende Score gespielt wird. So gut das durchweg funktioniert, merkt man an diesem Punkt doch am deutlichsten, dass es sich um das Erstlingswerk eines sehr jungen Regisseurs handelt, denn der manipulierende Einsatz von Musik findet entschieden zu oft statt, sodass man schon früh auf den Gedanken käme, dass sich die Erzählung viel zu sehr auf diesen Aspekt verlassen würde, wenn diese Sequenzen nicht jedes Mal trotzdem direkt ins Herz gingen.
Neben dem inflationären Musikeinsatz findet sich ein zweiter klassischer Anängerfehler: Die Geschichte verpasst ihr eigenes Ende. Der richtige Augenblick, einen pointierten Schluss der Geschichte zu finden, wenn sie sich in voller Blüte befindet, wird von Slum-Polis verpasst. Stattdessen läuft der Film noch eine gute halbe Stunde weiter. Wie schon beim Musikeinsatz ist das eigentlich zu verschmerzen, weil alle Eigenarten, die dem Film seine Großartigkeit geben, natürlich beibehalten werden, doch erleidet gerade ein eigentlich ausgezeichnetes Werk durch solche Unstimmigkeiten merklich schaden. Gen Ende wird die emotionale Schraube ein paar mal zu weit
gedreht, obwohl eigentlich schon alles erreicht ist.

Es beginnt rhythmisch, treibend, pulsierend in einem Club. Körper flackern und beben. Das ‚Slum‘ in Slum-Polis ist ebenso zu erkennen wie das ‚Polis‘. Unsere beiden Protagonisten töten aus Habgier einen Mann und rennen davon. Wie talentiert Newcomer Ken Ninomiya ist, lässt sich schon daran ablesen, dass er es trotzdem schafft, die beiden Mörder binnen Minuten als liebenswerte Wesen einzuführen, die vor Sehnsucht bersten und Taten wie Umfeld zum Trotz viel Schönes in sich verwahren. Neben den veredelten Bildern ist es die bemerkenswert geschickte Schauspielführung, die dazu führt, dass dieser dystopisch-trostlose Film allem voran ein eine erbende Erzählung über das Wunder der Freundschaft geworden ist. Über die Suche nach Glück, Erfüllung und auch ein wenig nach sich selbst. Vor allem das außergewöhnliche, herzerwärmende Minenspiel von Asu öffnet ein direktes Tor in die emotionale Welt der Männer. Denn natürlich ist Slum-Polis vor allem ein Stimmungsbild der Sinnsuche einer orientierungslosen Generation, die mit Sehnsüchten aufwächst, die zu erfüllen ihre Zeit nicht in der Lage ist. Es ist ein Fim über Kompensation und Genügsamkeit, ebenso wie über Eskalation, Verzweiflung und Liebe.

Wäre Yentown – Swallowtail Butterfly einfach in seinem ersten Drittel hängengeblieben, dann wäre es vielleicht Slum-Polis geworden. Doch ist der Film viel zu tief, viel zu ehrlich und vor allem viel zu bezaubernd, um ihm mit gutem Gefühl als Plagiat zu bezeichnen. Hommage wäre wohl das passendere Prädikat – und einen einzigartigen und eigentlich unnachahmlichen Film wie Yentown mit einer derart versierten Überzeugung zu ehren, ist schon eine Leistung für sich, die kaum genug gewürdigt werden kann.

Fazit

Slum-Polis mag auf dem Papier eine Gangsterballade in dystopischer Umwelt sein. Als direkte Erfahrung ist es jedoch ein kleines Meisterwerk mit viel Liebe. Vor allem die Liebe fürs Kino selbst. Dass ein Debütant mit einem solchen Maß an Stilsicherheit zu Werke geht, lässt ihn zum vielleicht größten Hoffnungsträger des Gegenwartskinos werden