Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel

Nach dem Überraschungs- und Achtungserfolg des ersten Mad Max folgte der bis heute in Sachen Endzeitszenario Maßstäbe setzende Mad Max II – Der Vollstrecker. Das Bindeglied zwischen diesem Kultfilm und dem gigantischen Mad Max: Fury Road ist Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel. Ein Film, der einerseits recht gut in die sich über die Filme entwickelnde Welt passt, andererseits ob seines überdrehten Gestus von vielen in die Zone des Vergessens verdrängt wurde.

But how the world turns. One day, cock of the walk. Next, a feather duster.

Story

Nach einer kurzen Auseinandersetzung mit Schergen der berühmt-berüchtigten Aunty Entity wird Max in die großgewachsene Wüstensiedlung Bartertown gebracht. Die angehende Matriarchin sieht in ihm schnell den richtigen Mann, um die Stadt endgültig unter ihre Kontrolle zu bringen. Denn sie braucht ein menschliches Werkzeug, das in einem Gladiatorenkampf gegen das lästige Duo Master und Blaster erfolgreich absolviert, damit ihrem Machtanspruch nichts mehr im Wege steht.
Die zu erzwingende Auseinandersetzung ist für Max Rockatansky aber erst der Anfang der Abenteuer in und um Bartertown.

Kritik

Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel hat verschiedenartige Stellenwerte inne, weil er so auffällig aus der Filmreihe herausfällt. Damit ist er natürlich nicht alleine, denn der erste Mad Max war natürlich mindestens ein ebensolcher „Ausreißer“, ist der Seriengrundstein doch mehr Drama bzw. tragischer Thriller denn tatsächlicher Endzeitfilm nach der Formel, die Mad Max eben zugeschrieben wird. Die große Auffälligkeit von Jenseits der Donnerkuppel ist aber nicht seine Ästhetik und auch nicht der Plot, sondern sein Tonfall. Bereits im zweiten Teil zeichnete sich eine neue, etwas grobschlächtig-komödiantische Ader ab, die sich primär aus dem Irrsinn einiger Figuren speiste. Die Geschichte um Tina Turners Donnerkuppel ist beileibe kein Schnellschuss, liegen doch immerhin 4 Jahre zwischen ihm und seinem Vorgänger – und somit doppelt so viele als zwischen Teil eins und Teil 2. Trotzdem wirkt alles an dem Film so, als sei es einer.

Erst einmal ist aber die erstaunlich gut gealterte, weil eben zeitlose Ästhetik zu loben. Bartertown ist, „klassisch Mad Max“. Der blanke Wahnsinn, der als Gerippe der Zivilisation übrig blieb, wird eindrucksvoll dargestellt. Die Stadt ist ein halbzivilisatorisches Provisorium, das tatsächlich so aussieht, als wäre diese Siedlung nach und nach durch immer neue Schrottanbauten zu dieser Wüstenmetropole erwachsen. Sie bietet viele architektonische Ideen und beachtenswerte Randdetails und verströmt generell eine wenig einladende, trotzdem aber faszinierende Atmosphäre – wie ein heruntergekommener, etwas unheimlicher Zirkus.
Zirkus ist in vielerlei Hinsicht auch das Stichwort, denn Figurentechnisch ist Mad Max III nun tatsächlich zur Freakshow verkommen. Schrille Körperbilder, aufgeblähte Bäuche, überproportionale Muskelgebilde bestimmen das  – im doppelten Sinne – Menschenbild des Films. Die comichafte Gestaltung macht nicht Halt bei der Architektur, sondern schwappt auch auf die Menschen über. Überzeichnung überall. Auch beim Titelhelden selbst.
Um glaubhaft zu machen, dass 15 Jahre seit den Ereignissen des zweiten Teiles vergangen sind, hat sich Mel Gibson eine wallende Mähne wachsen lassen, mit der er aussieht, als wäre er direkt aus einem Barbarenfilm gefallen. Tatsächlich scheint seine Figur eine passende Wandlung erlebt zu haben – vom Cowboy zum mythischen Barbaren mit clownesken Facetten, denn ein Teil der ursprünglichen Verbissenheit wurde gegen einen zappeligen Schalk im Nacken eingetauscht. Trotzdem scheint die Figur weiterhin Anspruch auf ihren Status als Antiheld zu erheben, bekommt zusätzlich zur neuen, weniger ernsten Seite aber spätestens durch die miterzählte Geschichte über traurige Endzeit-Waisen (später mehr dazu) ein übertrieben weiches Herz, sodass seine Figur gleich mehrfach zerrissen wirkt – und das ausnahmsweise im schlechten Sinne.
Tina Turner als machtversessene Despotin macht sich unterdessen ohne Rücksicht auf irgendwas zum Affen und es ist erstaunlich, dass sie in manchen Szenen tatsächlich so etwas wie Würde zum Ausdruck bringt.

Gerade das große Duell in der titelgebenden Donnerkuppel, bei dem die Kontrahenten  an schlabberigen Gummiseilen hängend durch die Arena springen, kann schwerlich ernstgenommen werden und stellt auch den Höhepunkt der Nähe zum Comic dar – auch wenn es zugleich natürlich eine ganz eigene Dramaturgie besitzt und so eindrucksvoll gefilmt ist, wie man so einen Kindergeburtstag eben filmen kann.
Der Film funktioniert wie eine Oper. Eine schlechte, aber opulente. Der Bombast, die Verschwendungssucht, die bizarren Comic-Reliefs, die durch den mageren Plot tanzen. Die Missgestalteten, Verkümmerten, Hässlichen und Aussätzigen sind Sensation. Fort ist die durch und durch ernste Welt des ersten Teiles und die sich mühsam an der Normalität festklammernde des zweiten Teils. Stattdessen hat man aufgegeben, erinnert sich aber noch an das, was man aufgab (zur Erinnerung: In Mad Max: Fury Road ist dann selbst das vergessen). Die Musik tölpelt vor sich hin, die Figuren quieken, Gesichter entgleisen in völligem Overacting, die Kamera hangelt sich von Actionstation zu Actionstation. Zusammen mit der bisweilen absolut grotesken Musikuntermalung ist es im Komplettpaket völlig überzogenes Theater.
Das große Spektakel  rechtfertigt aber eben nur so halb, dass Mad Max III oftmals ziemlich albern ist und sich in seiner Handlungslogik nicht selten auf das Niveau eines Kinderfilms begibt.

Immerhin: George Miller hat sich nie ausgeruht und das Mad Max-Universum stetig weiter ausgebaut, verändert, mit ihm gespielt und experimentiert. Das Ergebnis von Teil 3 ist dabei das Ergebnis das plumpste, bräsigste. Trotzdem ist dieser Teil rückblickend ein logischer Schritt zwischen zwei und vier.
Es gibt auch vereinzelte Szenen, die auf sehr positive Weise einprägsam sind. Zum Beispiel die Begegnung mit dem friedlichen Volk in der Mitte des Filmes, die auf markante Weise eine bestimmte Geschichte erzählt.
Leider stellt sich der sowieso schon sehr wackelige Film dadurch ein Bein, dass er sich selbst in zwei Teile schlägt, indem er ab der Hälfte vermeintlich endlich eine richtige Richtung einschlägt, damit aber eigentlich die bessere Richtung aufgibt. Und so wirkt der Film ähnlich zerrissen wie seine Hauptfigur.
Diese Zweiteilung ist rückblickend vielleicht das Schlimmste des Filmes, sie macht die gesamte Erzählung undynamisch und lässt sie fahriger wirken. Vielleicht ist sie integriert worden, damit der Film massentauglicher und nicht zu nihilistisch wirkt.

Unabhängig von einzelnen positiven Momenten und der unsterblichen Ästhetik: Man merkt Mad Max–  Jenseits der Donnerkuppel an, dass die Luft einfach raus war. Alles, was überdreht und irre sein mag und auch ist, ist eben auch schrecklich klamaukig und deswegen immer etwas störend. Vom Ernst vergangener Tage keine Spur mehr.
Auch die überlange Verfolgungsjagd des Finales bleibt ohne große Wirkung und  versucht einfach nur, den legendären Schluss des zweiten Teiles zu übertrumpfen, ohne aber je seine Dynamik und Intensität zu erreichen. Letztlich kann nur spekuliert werden, ob die vielen Unsauberkeiten des Filmes der Co-Regie von George Ogilviec geschuldet sind, welcher sich vornehmlich um die Storyszenen kümmerte, während Miller die Spektakelszenen zukamen. Definitiv trägt aber der Umstand Schuld, dass der dritte Mad Max niemals der dritte Mad Max werden sollte, sondern als unabhängige postapokalyptische Herr der Fliegen-Geschichte gedacht war. Mad Max als Protagonist wurde ungelenk hineingeschrieben.

Fazit

Man hat den dritten Teil der Mad MaxSaga in der Regel zwiespältig in Erinnerung. Eine erneute Sichtung bestätigt dies leider. Die Geschichte pendelt von einer spielshowartigen Situation zur nächsten und findet seine Mitte irgendwo zwischen Schlag den Raab, Takeshi’s Castle, Peter Pan, der Ewok-Serie und Herr der Fliegen. Das klingt abenteuerlich, ist in den meisten Momenten aber nur leidlich interessant, wirkt an vielen Stellen zu bemüht und bestätigt letztlich: Es war gut, dass so viele Jahre ins Land ginge, ehe George Miller zum Schlag ausholte, der Mad Max: Fury Road schließlich werden sollte.

Briefe eines Toten

1986 brachte Konstantin Sergejewitsch Lopuschanski mit dem postapokalyptischen Nihilismusmanifest Briefe eines Toten ein Biest von einem Magnum Opus hervor, das damals wie (vor allem) heute viel zu wenig Zuwendung seitens der Medien erhielt und -hält. Zwar spukt der Film immer noch ganz oben in den heiligen Hallen einiger Filmliebhaber herum, die Aufmerksamkeit, die er ungebrochen verdient, bleibt ihm aber bisher verwehrt. (Das nachstehende Video ist ausnahmsweise kein Trailer, da sich keiner finden ließ, sondern ein beispielhafter Ausschnitt.)

I love it for it’s tragic fate.

Story

Die Welt, wie wir sie kennen, verbrannt einer Art von Feuer, die sich Prometheus wohl nie zu erträumen gewagt hätte. Die Menschen verscharren sich selbst in maroden Kellergewölben und bauten mit der Zeit eine Gesellschaft aus den Trümmern des Jetzt, die ihre ganz eigenen, den widrigen Umständen angemessene Gepflogenheiten hat. Alle leben in Angst davor, dass die Regierung das versprengte Trüppchen aufspürt und mit in ihre zweifelhaften Pläne zur Rettung der Menschheit einbezieht, die noch weniger geheuer sind als das Todesurteil des Status quo, in der jede Art von Existenz nur ein Provisorium im Schatten des Zerfalls sein kann.
Die Verbliebenen schaffen sich mit ihrer unbeholfenen Sicherheit eine absurde, grausam neue Art von Alltäglichkeit, wenn sich die Menschen ihre Hüte auf die Gasmasken setzen und Normalität aus etwas machen müssen, was ein ständiges Extrem ist. Sie versuchen weiterzumachen. Nicht aus Hoffnung, sondern weil ihnen nichts anderes bleib.
Ein Professor versucht derweil, etwas Zuversicht zwischen den sich und einander aufgebenden Trümmermenschen zu säen.

Kritik

Die Kamera bewegt sich rückwärts aus dem Bunker, durch ein Loch in einer Wand aus Schutt, die unsinnig dem radioaktiven Wind trotzt, und die Musik schwillt an, wird unangenehm, als würde uns ein Hauch von eben diesem berühren. Wir begeben uns nach draußen, durch das Loch, aus dem Loch, in das sich die Menschen zurückgezogen haben, um wie in einem Kerker zu kauern und darauf zu warten, dass alles endet Doch noch sehen wir nichts. Langsam schält sich der Rest von Zivilisation aus dem Giftdunst. Es zeichnen sich Wracks ab, noch mehr Schutt, Müll in Säcken und ohne Säcke, und Wahnsinn. Unrat auf Unrat, Elend neben Elend. Am Ende der Fahrt, wenn die Rückwärtsbewegung stoppt, stellen wir fest: Sie verdecke gar nichts, hinter der Kamera wurde uns nichts vorenthalten, denn mehr als das ist da draußen nicht. Nur die Asche der Vergangenheit, Staub und Nebel, so dicht gedrängt, das kein weiterer Platz für Hoffnung ist. Herzlich Willkommen in der Welt von Briefe eines Toten, ein Film, der aussieht, wie eine Krankheit.
Bei der Optik wurde auf Farben fast gänzlich verzichtet, sie sind dank bis aufs Maximum reduzierter Sättigung nur leicht, manchmal auch gar nicht vorhanden, lediglich ein eitriges Tschernobyl-Gelb färbt die Bilder des Bunkers – semantisch andere Räume bekommen andere Farben, in jedem Fall aber sondern die monochromen Duplex-Töne eine unangenehme Wirkung ab.

Nach dem kurzen Blick auf das, was mal das Freie war, geht es zurück in die Katakomben. In dieser sonderbaren Welt werden auch die Bewohner sonderbar und wuchsen zu verschrobenen, bitteren Kreaturen heran, die als pathologisches Splitterwerk durch die Gedärme eines ehemaligen Museums rotten und nicht einmal sich selbst noch die Nahesten sind. Die Kinder schweigen als wären sie stumm, die Erwachsenen sind im besten Falle kalt, jeder lebt in seiner ganz eigenen Art von destruktivem Schock. Häufig bewegt sich die Kamera auf Kinderaugenhöhe. Der Zuschauer ist – wie auch jeder andere – in dieser Welt ein Kind, das das Grauen schaut und zum ersten Mal überhaupt nicht als Symbol für Hoffnung und Zukunftsglauben herhalten kann. Ständiger Wind ist auch in den tiefsten Kammern zu hören und über fast allem liegt ein elendes Dröhnen, als wäre es die Welt selbst, die unter Schmerzen klagt.

Man macht dort weiter, wo man aufhörte: Das Treffen fataler Entscheidungen aufgrund von Egoismus, verdrehter Annahme von Effizienz und höherem Allgemeinwohl. Aufgenötigter, in sich selbst verdorbener Altruismus siecht allüebrall und wucherte zu seiner eigenen Antithese heran. So oft man es sonst auch hört, hier stimmt es wirklich: Alle Hoffnung ist gefahren. Die Ausgangssituation von Briefe eines Toten ist bekannt, die Umsetzung aber absolut brillant. In gnadenloser Differenziertheit portraitiert der Film eine Gesellschaft von Übermorgen, die ihren eigenen Nährboden verseuchte und sich nun nur noch dabei betrachten kann, wie sie langsam von Innen heraus fault.
Völlige Verzweiflung schlägt in Wahnsinn um. In jeder Figur sitzt ein wenig davon, während sie ihre persönlichen Vorstellungen auf eigentümliche Weise in die traurige Tat umsetzt. Das gipfelt nicht nur in ein paar niederschlagenden Kuriositäten, sondern auch in interessante Gespräche. Gezeigt werden in einzigartig einnehmender Weise Dinge, die passieren, wenn eine Generation feststellt, dass alle Vorherigen vernichtet und alle Nachkommenden unmöglich sind.

Eine klar auszumachende Geschichte gibt es zwar ebenso wie einen Protagonisten, doch stehen beide ganz im Dienste der Situationsstudie. Wichtig ist nicht, was passiert, sondern dass es überall auf eben diese Weise passiert. Dabei verkommt Konstantin Lopuschanskis Abgesang aber niemals zu einer selbstgerechten und selbstzweckhaften Leidensschau, die nichts tut, außer mit all ihrem Pessimismus den Zuschauer zu quälen. Dank der handwerklichen Raffinesse des Filmes, dank der Passion, mit der gedreht wurde, und dank der völlig trittsicheren Regie ist der Film zu einem vollkommenen Erlebnis geworden, das nie langweilt, nie lediglich durch seine Ödnis betrübt, sondern ein bewundernswerter Schaukasten ist, der einen Blick auf eine Welt voller Details, ausgeklügelter Einfälle und unabsehbarer Ereignisse gewährt. Und später, wie aus dem Nichts, überrumpelt einen das tschechische Kleinod mit Bildern, die in ihrer Ästhetik zeitlos sind, in ihrer unnahbaren Mächtigkeit bestürzend und ob ihrer Schrecklichkeit schön, aber auch erstarren lassend. Eine von Wahnsinn beseelte Aufnahme des Auslösers dieses Elends trifft wie ein herzhafter Schlag in die Magengrube. Diese Szene ist der Kern des Filmes, unnachahmlich und unnachgiebig intensiv. Eine der schönsten Hässlichkeiten, die mit Widerhaken aus Zucker tief unter die Haut geht.

Wie um das zu verstärken, gibt es trotz dieses Bildes der vollkommenen Niederlage auch Humor. Ein paar Szenen sind umschmeichelt von stautrockenen Pointen, die in ihrem Rahmen aus Bitterkeit stichgleich Wirkung zeigen. Es ist wie die störrische Hoffnung, das ewige Weitermachen der Menschen, von dem der Film erzählt. Humor ist Teil davon, denn Humor ist das Ignorieren von Tatsachen, aus dessen Bewusstmachung eine Erkenntnis gerinnt, die Absurdität verlachen lässt. Humor ist eine Art Triumph trotzdem; etwas, das dem Menschen nicht genommen werden kann, mag auch alles andere vergehen.

Fazit

Bei Briefe eines Toten handelt es sich um das vielleicht eindringlichste Angstzeugnis aus Zeiten des Kalten Krieges. Es ist ein kluges Portrait über ein speziesübergreifendes Selbstbegräbnis mit eindringlichen Sequenzen, einer fesselnden Ästhetik erschütternden Bildern und voller Perfektion. Es wird nie langweilig oder zäh, immer ist es trotz dem repetitiven Bunkeralltag fesselnd und interessant. Die 87 Minuten sind voll mit durchdachte Bilder in durchdachter Reihenfolge, jede Szene birgt Potenzial für Gänsehaut und in seiner völlig eigenen Stimmung ist Briefe eines Toten letztlich selbst ein rares Unikat.
Konstantin Lopuschanski schuf einen großen Film mit großen Ideen und großer Eindringlichkeit, der in seiner Bekanntheit – zuvorderst wohl wegen Verfügbarkeitsproblemen – auf fast schon herätische Weise sehr klein geworden ist.

The Rover

David Michôds Animal Kingdom war ein beachtlicher wie berechtigter Überraschungserfolg. Es war überdies sein erster Langfilm. Zwischendurch sammelte er noch etwas Drehbucherfahrung beim skurrilen Kleinstadtchaos-Kaleidoskop Hesher, ehe er sich zum zweiten mal hinter Drehbuch und Kamera setzte, um einen Endzeitfilm im australischen Outback zu drehen.
Und was für einen.

I was a farmer and now I am here.

Story

Australien, 10 Jahre nach dem Zusammenbruch; die Welt ist Hinterland. In der großen Weite aus Staub steht ein Bretterverschlag, in dem Bretterverschlag steht ein bärtiger Mann, dessen Gesicht mit der Welt und ihrem Treiben nichts mehr zu tun haben scheint, er selbst ist Hinterland.
Plötzlich stehlen drei Menschen seinen vor der Tür parkenden Wagen und er nimmt die Verfolgung auf. Auf seinem Weg trifft er Reynolds, einen einfach gestrickten Jungen, der sich als der Bruder eines der Verfolgten herausstellt, welcher zum Sterben zurückgelassen wurde.
Der Verfolger nimmt ihn als Mittel zum Zweck mit auf seine Reise, die das ungewöhnliche Dou ins trockene Herz der Finsternis führt.

Kritik

Wir erinnern uns an Mad Max. Nicht den zweiten oder dritten Teil, sondern den ersten. Jenen Teil, in dem die Postapokalypse nicht durch Selbstbau-Boliden und unterkomplexe Freaks mit Irokesenschnitt definiert wurde, sondern durch ein Setting, das tatsächlich nur ein paar Jahre von der Gegenwart entfernt zu liegen scheint, aber Komfort ebenso vermissen lässt wie Ordnung und Sicherheit einer staatlich geregelten Gesellschaft. Hieran erinnert The Rover zu Beginn. Nicht abgehoben, aber definitiv nach der Sozialordnung, die wir kennen. Jeder ist auf sich gestellt, Vertrauen Luxus und statt manischer Anarchie herrscht bittere Gnadenlosigkeit in einem brachliegenden Land, wo der Mensch isst, was er in die Hände bekommt, den Wert von Leben nicht mehr so recht kennt und wo das Auto – oder irgendein anderer wahllos erwählter Gegenstand – höchstes Gut ist.
Die Parallelen beginnen im weiteren Verlauf undeutlicher zu werden. Die Welt von Mad Max besitzt ein eindeutiges Verständnis von Gut und Böse, Falsch und Schlecht. Moral mag nicht allgegenwärtig und aller Menschen Maxime sein, aber vergessen ist sie keineswegs.
Dies ist ein Punkt, der in The Rover nicht existiert. Das macht den Film schockierend schmerzhaft, wahrhaft erschreckend und beinahe schon ekelhaft. Wenn das Maß von Richtig und Schlecht nicht mehr nur ignoriert wird, sondern wenn es schlichtweg nicht mehr vorhanden ist, scheint plötzlich alles möglich, auch das Undenkbare. Dies führt der wortkarge und ausgesprochen zielgerichtete Protagonist, dessen Namen erst im Abspann offenbart wird, nach gut einer halben Stunde Filmlaufzeit auf scheußliche Weise vor Augen. Der Turn, der den Zuschauer hier erwartet, ist einzigartig in seiner markerschütternden Drastik.
In diesem Land der mürben Gesichter, zusammengekniffen von Leuten, die ob der Umstände und fehlenden Spiegel längst nicht mehr wissen, dass, geschweige denn wie sehr sie ihre Gesichter zusammenkneifen, sind ethische Richtwerte verschluckt. Manch einer hat eine mürbe Erinnerung an Zeit, in der sie noch existent waren, doch es ist die Erinnerung an abgeschlossene Zeit, die mit der Gegenwart nichts mehr zu tun hat. Es gibt kein gemeinsames Wertesystem mehr, sondern nur noch individuelle Prioritäten. Antagonismus entsteht damit auf unkalkulierbare Weise, Rechtschaffenheit und ihr Gegenteil sind nicht mehr denkbar. The Rover formuliert dieses Gedankenspiel mit einer kunstvollen Konsequenz aus, wie es zuvor kaum ein Film gekonnt hat. Während viele Geschichten nihilistisch sind, fehlt es in dieser Endzeitversion gar an Dingen, die sich verneinen lassen.
Die Handlung selbst ist minimalistisch, denn auch die klassische Vorstellung von Abenteuer und dessen Ausmaßen hat keinen Wert mehr. Was regiert ist eine widerwärtige, unerbittliche Kontingenz, die zu Ende bringen wird, was der große Zusammenbruch ein Jahrzehnt zuvor zu beenden begonnen hat: Die Menschheit.
Umwickelt ist das karge Geschehen von einer fest verzahnten Bild-Ton-Ästhetik, die dem Rahmen dieses kaum auszuhaltenden Portraits eine perfide Schönheit verleihen. Die Bilder, die in ihrer Farbgebung, die unterdrücktem Lodern gleicht, tief eindringen und bedrückend schöne Panoramen liefern, werden getragen von manischem Zupfen und kakophonischen Streichern in gedrosseltem Tempo. Überhaupt ist die gesamte Soundkulisse, in der jeder Ton, so unbedeutend er auch sein mag, eine große Schwere in sich trägt, eine Klasse für sich. David Michôds Film ist in seiner Ästhetik ebenso kompromisslos und bis ins Detail stimmig und durchdacht, wie das durch sie Erzählte.
Dass das so gut funktioniert, liegt insbesondere an der Ein-Mann-Show, die Guy Pearce abliefert, der als Monolith von einem Menschen undurchdringlich und –durchschaubar wirkt, zugleich aber nie zur Gänze gleichgültig. Sein Namenloser Jäger ist ein Mann, der das, was er tut, abgrundtief hasst und es dennoch mit gnadenloser Inbrunst ausführt. Sein beschränktes Mitbringsel, auf dessen Gesicht sich ununterbrochen die einfachsten Emotionen in brachialer Größe bekriegen, wird gemimt von Robert Pattinson, der hier endgültig versucht, seinen Twilight-Fluch loszuwerden. Dass ihm das hiermit gelingt, steht außer Zweifel, auch wenn seine Figur in jeder Szene immer einen Deut zu viel mit ihrem verkrampften Gesicht zappelt. Der Rest des Casts ist an einer Hand abzuzählen und gleichsam ausnahmslos großartig.
The Rover ist so grausam und erbarmungslos, wie ein Film nur sein kann. Dabei ist er in seiner Gewaltdarstellung nicht über die Maßen explizit und die Anzahl der Sterbenden ist nicht übermäßig hoch. Es ist das Drumherum, das ihn so unerträglich gestaltet.
Das Ende bringt dann schließlich Schönheit, zumindest eine Art von Schönheit, aber auch noch mehr Wut, Verhärtung und Bitternis. Und es zeigt, wie verheerend Unschuld sich auswirken kann, wenn alles andere nur noch Schuld ist.

Fazit

Zwischen Mad Max, Twin Peaks und dem Kahlschlag der Menschlichkeit erzählt The Rover eine Geschichte, die mit verstörender Einmaligkeit in einer Welt spielt, die zur Gänze von Moral befreit ist. In The Rover ist quasi gar nichts mehr intakt. Es macht keinen Spaß, diesen Film zu schauen – so hinreißend schön er auch ist –, es verursacht Schmerzen. Wenn er am Ende berührt, tritt diese Rührung mit einer qualvollen Erleichterung ein.
In seiner Kompromisslosigkeit, seiner formvollendeten Ausführung, der enorm tiefgreifenden Stimmung und den Figuren, die sämtlich am Rande des Wahnsinns ihren eigenen Untergang unterstreichen, ist der Film aber auch eine der intensivsten, mächtigsten und beachtlichsten Genreproduktionen überhaupt.

Quintett

8 Jahre nach dem famosen McCabe & Mrs. Miller, dem einzigen Film, der die Bezeichnung ‚Antiwestern‘ mit Recht trägt, und 6 Jahre nach Der Tod kennt keine Wiederkehr, der besten Chandler-Verfilmung, die es gibt, drehte Robert Altman Quintett, einen heute fast vergessenen Endzeitfilm. Die Kritik erörtert, weshalb der Film dem Vergessen anheimfiel.

Trying to find a meaning where there is none?

Story

Essex kommt aus dem Süden, wo er die letzten lebenden Robben erlegt und verspeist hat. Er ist ein Mann in einer postapokalyptischen Welt, die nur noch aus Eis und Tod besteht. Als er nach über 10 Jahren zusammen mit seiner Begleiterin seine alte Heimatsiedlung betritt, begegnen ihm die Bewohner mit Argwohn.
Kurz nachdem er seinen Bruder ausfindig gemacht hat, wird eine Bombe in dessen Haus gezündet. Sein Bruder, dessen Familie und Essex‘ Begleiterin kommen um. Letztere war die einzige bekannte Frau, die noch schwanger werden konnte. Der Reisende findet eine Liste mit Namen bei den Opfern und stellt Nachforschungen an. Die erwähnten Personen verbindet eine ausgeprägte Leidenschaft zum frenetisch bejubelten Brettspiel Quintett, das der alleinige Lebensinhalt der überlebenden Menschen zu sein scheint.

Kritik

Altman ist dafür bekannt, dass seine Filme Genres dekonstruieren. Sei es der Western, sei es der Film Noir. Immer wieder zerpflückte der Regisseur analytisch die standardisierten Erzählstrukturen, hielt narrativen Konventionen den Spiegel vor und ließ sie so vor sich selbst erschrecken. Man darf, so man Quintett noch nicht kennt, sich also fragen, ob hier vielleicht Science-Fiction im Generellen oder Endzeitszenarien im Speziellen umgegraben werden.

Die Welt des Filmes ist eine betuliche, kalte Welt. Der Film ist ein betulicher, kalter Film. Alles ist grau und weiß, die wenigen dreckbelegten Glühbirnen bringen eine Farbe ins Spiel, die nicht warm und einladend, sondern kränklich und gefährlich wirkt. Die Handlung ist unterlegt mit klirrend frostigen Klängen, die unentwegt im Hintergrund raspeln und das Gehör mit der ein oder anderen fast schon kakophonischen Spitze auf die Probe stellen. Um das Bild liegt permanent ein verengender Raureifeffekt, der große Teile des Gezeigten milchig macht und inständig an sowjetische Märchenfilme erinnert.
Quintett wirkt insgesamt viel älter und inszenatorisch überholter als die zeitlosen Altman-Werke, die vor diesem Film entstanden sind.
Wer stirbt, den holen die Hunde, die in Rudeln offenbar herrenlos um die Häuser streifen und auf frische Kadaver warten. Gesellschaftstiere als Gegenpart einer Gemeinschaft ohne Werte und Zusammenhalt, die sich selbst zerfleischt. Hunde, die in ihrer Geschlossenheit und gegenseitigen Loyalität die größte Bedrohung darstellen für eine Spezies der Vereinzelung, bei der Missgunst und Korruptheit andere Werte aushöhlten.

Das Wort „betulich“ am Anfang des vorigen Absatzes ist mit schwerer Betonung und in der langsamsten Artikulation zu lesen. Denn Quintett schleppt sich mühselig dahin und kommt selbst damit nicht vom Fleck.
Diese Langsamkeit ist nicht zwingend schlecht, zumindest nicht dann, wenn man Zugang findet. Dann ist der Film mit seinem vereisten Tempo fraglos atmosphärisch. Findet man den Zugang nicht, ist er in erster Linie wohl ganz unerträglich zäh. Die Gespräche sind seltsam komponiert, die Handlung seltsam strukturiert und die Figuren mit ihren lächerlichen Hüten und bedeutungsschwangeren Namen seltsam konzipiert. Dreh- und Angelpunkt ist das Brettspiel, das dem Film seinen Namen gibt und dessen Regeln für den Zuschauer wie auch für den Protagonisten undurchschaubar bleiben.
Da schimmert dann doch ein wenig der bekannte Stil des Filmemachers durch: Einen Endzeitfilm zu drehen, dessen Kern ein Gesellschaftsspiel ist, dafür bedarf es schon einen Querdenker wie ihn.
Aber auch dann, wenn man sich mit dem gemächlichen Tempo so sehr anfreunden kann, dass man bereit ist, es der Habenseite des Filmes zuzurechnen, kann man die offensichtlichen Fehler der Regie nicht sämtlich schönreden. Ebensowenig wie die Tatsache, dass die über 2 Stunden erzählte Geschichte eigentlich grässlich mager ist. Zudem die Verwicklungen innerhalb des Figurenkosmos nur leidlich interessanter Natur sind.
Zwar sorgen die hübsche Ausstattung mit den netten Ideen, die die Kultur dieser Gesellschaft charakterisieren, für ein spannendes Szenario, was sich in diesem dann an Filmhandlung abspielt, ist jedoch bestenfalls mit ‚seltsam‘ zu beschreiben. Es werden Handlungsstränge angestoßen, die dann niemals fortgeführt werden (so spielt es nach den ersten Minuten keine Rolle mehr, dass und warum keine Kinder mehr geboren werden können), Gespräche geführt, die nirgends hinführen und eine Spannung behauptet, die schlichtweg nicht existiert. Das alles ist derart kurios, in einem solchen Maße seltsam, dass man die Summe der schwer bekömmlichen und nicht zueinander passen wollenden Versatzstücke, aus denen der Film besteht, nur schwer als Versehen oder Unvermögen abtun kann. Jemand wir Robert Altman muss sich der Tatsache bewusst gewesen sein, was für einen großen Schmu er da produziert.

Man kann es dann auch so sehen, dass Altman hier nicht die Antithese zu einem bestimmten Genre formuliert, sondern gleich das letzte Level betritt und einen Anti-Film im Sinn hatte. Bewegungslos, ohne Fokus, zusammenhangslose Figurenkonstellationen und eine Geschichte, die nicht mal als Alibiplot durchgeht. So gesehen ist das nicht nur eine interessante, gegen den Strich gebürstete Seherfahrung, sondern kann dann sogar verstanden werden als Charakterisierung einer Welt,  die sich schlicht weigert, ihre Probleme anzuerkennen – vom Lösen ganz zu schweigen.
Das ist die Welt von Quintett. Eine Welt, wo es nicht zum guten Ton gehört, Türen zu verriegeln, weshalb es keine Schlüssel gibt, während Nacht für Nacht eingebrochen wird.
Und es geht irgendwie auf. Ein Spiel, dessen Regeln wohl nicht mal Altman kannte, eine Welt aus Nichts, ein Finale, das der Zuschauer nicht bekommt, und ein Ende, das das Ganze noch einmal mit Weiß unterstreicht. Ein törichter Film über eine törichte Welt. Ein experimentelles Kuriosum, das keinen Spaß macht und streckenweise fast schon quälend daherkommt, womöglich deswegen sein Ziel erreicht, jedoch auf keinen Fall Sehvergnügen im herkömmlich gemeinten Sinne bereitet.

Fazit

Selbst wenn man Quintett mit viel gutem Willen als ‚Anti-Film‘ betrachten kann, als welcher er durchaus funktioniert, hat man es schwer mit diesem Machwerk. Die zerfaserte, aus dem Nichts kommende und ins Nichts führende Handlung, die selbst nur eine abgewandelte Form von Nichts ist, vermag nur aufgrund ihrer Absonderlichkeit und des konsequenten Nihilismus zu fesseln. Im herkömmlichen Sinne zu loben sind Ausstattung und kleinere Ideen, während die weiteren Bestandteile im besten Fall Mittelmäßigkeit erreichen.
Selbst mit viel Toleranz, Offenheit und Liebe zum Anderssein lässt sich aus Quintett wohl nur Ratlosigkeit gewinnen. Experiment geglückt, vielleicht.

Nausicaä aus dem Tal der Winde

Nausicaä aus dem Tal der Winde ist ein Manga aus der Feder von Hayao Miyazaki, der sich selbst der Anime-Adaption seines Stoffes annahm und damit derart erfolgreich war, dass das berühmte Studio Ghibli gegründet werden konnte.
Damit war der Film Grundstein für Perlen wie Das wandelnde Schloss, Prinzessin Mononoke, Chihiros Reise ins Zauberland und Die letzten Glühwürmchen.
Das Mädchen Nausicaä mit der sonderbaren Schreibweise war die Mutter der Biographie eines Herren, der heute einstimmig als der bessere Disney bezeichnet wird.

Gehen wir…dieses Dorf wird bald im Meer der Fäulnis versinken.

Story

Nausicaä, die Prinzessin des Tals der Winde, ist das Kind einer postapokalyptischen Welt. Spuren der früheren Zivilisation sind weitestgehend getilgt. Was bleibt, sind verwaschene Erinnerungen und vereinzelte Relikte. Die Zivilisation beschränkt sich auf Gemeinden in Dorf- und Kleinstadtgröße, die dort liegen, wo der Boden noch fruchtbar genug ist, um Nahrung anzubauen und Bäume zur Erhaltung der Frischluft zu pflanzen.
Das Meer der Fäulnis greift unaufhaltsam um sich und treibt die Menschen vor sich her. Wo die giftigen Sporen hinfallen, wachsen bald schon giftige Pilze wie Geschwüre an allen Pflanzen und verderben ganze Landstriche. Die Sporen zerstören Lungen in kürzester Zeit, wenn kein Atemschutz getragen wird, und im Meer der Fäulnis wimmelt das grausigste Getier.
Als im Dorf ein Luftschiff aus dem Königreich Torumekia abstürzt, bricht Chaos aus. Soldaten marschieren ein und besetzen das Tal der Winde. Nausicaäs Vater wird getötet und die kriegerische Prinzessin Kushana steht kurz davor, die riesigen Stahlgiganten, die einst für den Untergang der Zivilisation sorgten, wieder zum Leben zu erwecken, um das Land wieder urbar zu machen.

Kritik

Bedrohlich wirkende Tiere robben durch eine Flora, die wirkt, als gedeihe sie in einer außerirdischen Unterwasserwelt. Und Sporen, überall Sporen, denen der Mensch nur auf Zeit und mit Luftfilter trotzen kann. Giftstürme toben über das Land. Der Boden ist ein Gewimmel aus Insektenpanzern und vielgliedrigen Beinen, die viel zu massige Körper tragen. Der Luftraum ein einziges Brummen und Surren das von riesigen Wesen mit spröden Flügeln herrührt. Seltene Relikte aus längst vergessenen Zeiten zerfallen bei Berührung zu Asche. Die Welt ist Feind.
Beachtlich ist an Nausicaä aus dem Tal der Winde vor allem anderen die einzigartig dichte Atmosphäre der Bedrohlichkeit, die im Meer der Fäulnis Publikum und Heldin in Empfang nimmt. Geschaffen durch eine fremdartige Soundkulisse, gedämpft von der pollenschweren Luft, und den detailversessenen Zeichnungen. Die tote Welt in Hayao Miyazakis erstem großen Streich ist so lebendig, wie sonst kaum eine. Auch die bäuerliche Gesellschaft wird mit Liebe präsentiert, doch so mitreißend in Szene gesetzt ist nur das Außerhalb.
Das liegt nicht zuletzt an der damals wie heute sehr speziellen Version der Postapokalypse. Wir sehen keine Häuserruinen, keine evakuierten Städte, durch deren Straßen nun der nukleare Wind pfeift und das Knochenmehl zersetzter Gerippe abträgt. Miyazaki greift viel weiter in die Zukunft, wo auch Ruinen bereits von Zeit verschluckt wurden und selbst Sagen im Sterben liegen. Die Natur, die der Mensch verformte, hat ihn sich wieder ganz Untertan gemacht.
Dazu kommt ein furchtbar wilder Mix unterschiedlicher Epochen. Krieger in Ritterrüstung strömen aus Steam-Punk-Luftschiffen, schwingen Schwerter und bedienen Feuerwaffen, die aus dem ersten Weltkrieg stammen könnten. Viktorianisch anmutende Befehlshaber invadieren mittelalterliche Siedlungen mit Strohdächern, wo die zwergischen Bauern mit einfachstem Gerät in Furcht vor und Einklang mit der Natur leben. Besonders hier macht sich bemerkbar, dass Miyazakis zuvor an der allseits bekannten Heidi-Serie mitgewirkt hat – in positivem Sinne. Dazu kommen futuristische Luftgefährte mit Raumschiff-Design, Sci-Fi-Relikte und sogar eine Art Cleopatra. Zu allem Überfluss ist das Ganze auch noch inspiriert von der antiken griechischen Sage der Königstochter Nausikaa, das Ende kann als Erlösergeschichte gelesen werden und einfach, weil der Film es kann, leistet er am Anfang eine freundliche Reminiszenz an den SF-Klassiker Die Reise zum Mittelpunkt der Erde. Das klingt nach ungenießbarem Stilkompott, aber der Film schafft es spielend, diese Elemente zu einem harmonischen Ganzen zu verrühren, denn nichts wirkt erzwungen oder aufgesetzt.
Im Hintergrund wird eine faszinierende Mythologie gewoben und die wenigen Rückblicke aufgrund von mündlich tradierten Legenden kreieren ein beunruhigendes Untergangsszenario, an dem teilzuhaben mehr als nur unangenehm sein würde.

Im Gegensatz zu tatsächlichen Ghibli-Produktionen wird in diesem Frühwerk eine noch sehr östliche Instrumentalisierung eingesetzt, auch wenn erste studiotypische-Themen bereits zögerlich durchschimmern. Kein Wunder, denn dies war die erstmalige Zusammenarbeit des visionären Filmemachers mit seinem Stammkomponisten Joe Hisaishi. Die Musik ist aber auch der Grund dafür, dass es manchmal etwas rührseliger vorgeht, als es eigentlich nötig wäre – hie und da (aber nicht zu oft) wird der Klangteppich zu dick und aufdringlich ausgelegt.
Die spannende Geschichte um das tapfere Mädchen (etwas verstörend: Unter ihrem kurzen Rock ist sie nackt, wird aber niemals sexualisierend inszeniert) fesselt von der ersten Minute und hat altbekannten Ghibli-Charme. Leider findet im letzten Drittel dann eine Fokusverlagerung statt, die dem Film nicht nur Gutes tut. Weg vom Individuum und seiner Aufgabe, hin zu großen und kleinen Schlachten und dem Schicksal weiterer Figuren. Der Kriegstreiberei wird zum Schluss zu viel Gewicht gegeben. Einnehmend inszeniert ist sie zwar, doch vermisst man die taffe Protagonistin, die man eigentlich begleiten möchte. Der Grund für die starke Rollenbindung ist auch in einer Gewohnheit gegründet: Nausicaä aus dem Tal der Winde strotzt nämlich nur so vor Märchenelementen und –symbolik. Angefangen bei der Hexe und der bösen Königin über die Tiere als Helferlein bis hin zum kleinen Held mit großer Queste – die Verneigung vor dem westlichen Mythenfundus ist unübersehbar, doch liebenswert und niemals plump oder zum reinen Selbstzweck eingebracht. Dazu gehört natürlich auch die notwendige Moral. Wie in vielen Werken des Studios Ghibli gibt es auch hier die Reibungspunkte Zivilisation und Natur. Die ökologische Botschaft mag für den einen oder anderen Zuschauer vielleicht ein klein wenig zu überpräsent sein, eigentlich fügt sie sich aber problemlos in den gegebenen Rahmen.

Mangavorlage und Verfilmung unterscheiden sich übrigens vor allem in ihrem Ende – wie so oft kam der Stoff auf die Leinwand, bevor der Schluss in Panelform vorlag, weshalb deutliche Abweichungen vorherrschen, die in diesem Fall aber der Erfinder der Geschichte selbst zu verantworten hat, weshalb von Quellenverrat kaum die Rede sein kann.

Notabene: Erst seit ein paar Jahren ist der Film in seiner Ursprungsfassung hierzulande erwerbbar. Wer vorher in den Genuss des ganzen Werks kommen wollte, musste andere Wege gehen. Als er 1985 aufgrund seines durchschlagenden Erfolges bei Fans auch nach Deutschland kam, benannte man ihm kurzerhand in Warriors of the Wind um, schnitt satte 23 Minuten aus ihm raus und modelte die Message von Frieden und Naturvertrauen um in einen biederen Gut-Gegen-Böse-Plot, in dem sich plötzlich eine „Prinzessin Sandra“  gegen furchtbare „Gorgonenmonster“ behaupten muss. Klingt auch sympathisch, mit der eigentlichen Geschichte hatte es aber kaum noch was zu tun. Tatsächlich kursierte damals sogar ein VHS-Tape, das den völlig inhaltsfernen Titel Die Sternenkrieger trug. Das Studio distanzierte sich ausdrücklich von der misshandelten Form ihres Filmes.

Fazit

Mit Nausicaä aus dem Tal der Winde gelang Ghibli-Vater Hayao Miyazaki der erste große Schritt und hinterließ Fußstapfen, die bis heute maßgeblich sind. Eine Heldin, die menschlich ist und sofort ins Herz geschlossen wird, eine fantastische Welt mit greifbarer Bedrohung und all das in einer spannend erzählten Geschichte. Sicher, so formvollendet, wie es die preisträchtigen Nachfolgewerke wie z.B. Das Schloss im Himmel sind, ist der Film noch nicht, aber der unnachahmliche Esprit, den die Produktionen dieses Studios versprühen, ist bereits zur Gänze vorhanden.
Quasi alle anderen Animes, die danach kamen, sind auf die ein oder andere Weise Erbe dieses Filmes.