Nausicaä aus dem Tal der Winde

Nausicaä aus dem Tal der Winde ist ein Manga aus der Feder von Hayao Miyazaki, der sich selbst der Anime-Adaption seines Stoffes annahm und damit derart erfolgreich war, dass das berühmte Studio Ghibli gegründet werden konnte.
Damit war der Film Grundstein für Perlen wie Das wandelnde Schloss, Prinzessin Mononoke, Chihiros Reise ins Zauberland und Die letzten Glühwürmchen.
Das Mädchen Nausicaä mit der sonderbaren Schreibweise war die Mutter der Biographie eines Herren, der heute einstimmig als der bessere Disney bezeichnet wird.

Gehen wir…dieses Dorf wird bald im Meer der Fäulnis versinken.

Story

Nausicaä, die Prinzessin des Tals der Winde, ist das Kind einer postapokalyptischen Welt. Spuren der früheren Zivilisation sind weitestgehend getilgt. Was bleibt, sind verwaschene Erinnerungen und vereinzelte Relikte. Die Zivilisation beschränkt sich auf Gemeinden in Dorf- und Kleinstadtgröße, die dort liegen, wo der Boden noch fruchtbar genug ist, um Nahrung anzubauen und Bäume zur Erhaltung der Frischluft zu pflanzen.
Das Meer der Fäulnis greift unaufhaltsam um sich und treibt die Menschen vor sich her. Wo die giftigen Sporen hinfallen, wachsen bald schon giftige Pilze wie Geschwüre an allen Pflanzen und verderben ganze Landstriche. Die Sporen zerstören Lungen in kürzester Zeit, wenn kein Atemschutz getragen wird, und im Meer der Fäulnis wimmelt das grausigste Getier.
Als im Dorf ein Luftschiff aus dem Königreich Torumekia abstürzt, bricht Chaos aus. Soldaten marschieren ein und besetzen das Tal der Winde. Nausicaäs Vater wird getötet und die kriegerische Prinzessin Kushana steht kurz davor, die riesigen Stahlgiganten, die einst für den Untergang der Zivilisation sorgten, wieder zum Leben zu erwecken, um das Land wieder urbar zu machen.

Kritik

Bedrohlich wirkende Tiere robben durch eine Flora, die wirkt, als gedeihe sie in einer außerirdischen Unterwasserwelt. Und Sporen, überall Sporen, denen der Mensch nur auf Zeit und mit Luftfilter trotzen kann. Giftstürme toben über das Land. Der Boden ist ein Gewimmel aus Insektenpanzern und vielgliedrigen Beinen, die viel zu massige Körper tragen. Der Luftraum ein einziges Brummen und Surren das von riesigen Wesen mit spröden Flügeln herrührt. Seltene Relikte aus längst vergessenen Zeiten zerfallen bei Berührung zu Asche. Die Welt ist Feind.
Beachtlich ist an Nausicaä aus dem Tal der Winde vor allem anderen die einzigartig dichte Atmosphäre der Bedrohlichkeit, die im Meer der Fäulnis Publikum und Heldin in Empfang nimmt. Geschaffen durch eine fremdartige Soundkulisse, gedämpft von der pollenschweren Luft, und den detailversessenen Zeichnungen. Die tote Welt in Hayao Miyazakis erstem großen Streich ist so lebendig, wie sonst kaum eine. Auch die bäuerliche Gesellschaft wird mit Liebe präsentiert, doch so mitreißend in Szene gesetzt ist nur das Außerhalb.
Das liegt nicht zuletzt an der damals wie heute sehr speziellen Version der Postapokalypse. Wir sehen keine Häuserruinen, keine evakuierten Städte, durch deren Straßen nun der nukleare Wind pfeift und das Knochenmehl zersetzter Gerippe abträgt. Miyazaki greift viel weiter in die Zukunft, wo auch Ruinen bereits von Zeit verschluckt wurden und selbst Sagen im Sterben liegen. Die Natur, die der Mensch verformte, hat ihn sich wieder ganz Untertan gemacht.
Dazu kommt ein furchtbar wilder Mix unterschiedlicher Epochen. Krieger in Ritterrüstung strömen aus Steam-Punk-Luftschiffen, schwingen Schwerter und bedienen Feuerwaffen, die aus dem ersten Weltkrieg stammen könnten. Viktorianisch anmutende Befehlshaber invadieren mittelalterliche Siedlungen mit Strohdächern, wo die zwergischen Bauern mit einfachstem Gerät in Furcht vor und Einklang mit der Natur leben. Besonders hier macht sich bemerkbar, dass Miyazakis zuvor an der allseits bekannten Heidi-Serie mitgewirkt hat – in positivem Sinne. Dazu kommen futuristische Luftgefährte mit Raumschiff-Design, Sci-Fi-Relikte und sogar eine Art Cleopatra. Zu allem Überfluss ist das Ganze auch noch inspiriert von der antiken griechischen Sage der Königstochter Nausikaa, das Ende kann als Erlösergeschichte gelesen werden und einfach, weil der Film es kann, leistet er am Anfang eine freundliche Reminiszenz an den SF-Klassiker Die Reise zum Mittelpunkt der Erde. Das klingt nach ungenießbarem Stilkompott, aber der Film schafft es spielend, diese Elemente zu einem harmonischen Ganzen zu verrühren, denn nichts wirkt erzwungen oder aufgesetzt.
Im Hintergrund wird eine faszinierende Mythologie gewoben und die wenigen Rückblicke aufgrund von mündlich tradierten Legenden kreieren ein beunruhigendes Untergangsszenario, an dem teilzuhaben mehr als nur unangenehm sein würde.

Im Gegensatz zu tatsächlichen Ghibli-Produktionen wird in diesem Frühwerk eine noch sehr östliche Instrumentalisierung eingesetzt, auch wenn erste studiotypische-Themen bereits zögerlich durchschimmern. Kein Wunder, denn dies war die erstmalige Zusammenarbeit des visionären Filmemachers mit seinem Stammkomponisten Joe Hisaishi. Die Musik ist aber auch der Grund dafür, dass es manchmal etwas rührseliger vorgeht, als es eigentlich nötig wäre – hie und da (aber nicht zu oft) wird der Klangteppich zu dick und aufdringlich ausgelegt.
Die spannende Geschichte um das tapfere Mädchen (etwas verstörend: Unter ihrem kurzen Rock ist sie nackt, wird aber niemals sexualisierend inszeniert) fesselt von der ersten Minute und hat altbekannten Ghibli-Charme. Leider findet im letzten Drittel dann eine Fokusverlagerung statt, die dem Film nicht nur Gutes tut. Weg vom Individuum und seiner Aufgabe, hin zu großen und kleinen Schlachten und dem Schicksal weiterer Figuren. Der Kriegstreiberei wird zum Schluss zu viel Gewicht gegeben. Einnehmend inszeniert ist sie zwar, doch vermisst man die taffe Protagonistin, die man eigentlich begleiten möchte. Der Grund für die starke Rollenbindung ist auch in einer Gewohnheit gegründet: Nausicaä aus dem Tal der Winde strotzt nämlich nur so vor Märchenelementen und –symbolik. Angefangen bei der Hexe und der bösen Königin über die Tiere als Helferlein bis hin zum kleinen Held mit großer Queste – die Verneigung vor dem westlichen Mythenfundus ist unübersehbar, doch liebenswert und niemals plump oder zum reinen Selbstzweck eingebracht. Dazu gehört natürlich auch die notwendige Moral. Wie in vielen Werken des Studios Ghibli gibt es auch hier die Reibungspunkte Zivilisation und Natur. Die ökologische Botschaft mag für den einen oder anderen Zuschauer vielleicht ein klein wenig zu überpräsent sein, eigentlich fügt sie sich aber problemlos in den gegebenen Rahmen.

Mangavorlage und Verfilmung unterscheiden sich übrigens vor allem in ihrem Ende – wie so oft kam der Stoff auf die Leinwand, bevor der Schluss in Panelform vorlag, weshalb deutliche Abweichungen vorherrschen, die in diesem Fall aber der Erfinder der Geschichte selbst zu verantworten hat, weshalb von Quellenverrat kaum die Rede sein kann.

Notabene: Erst seit ein paar Jahren ist der Film in seiner Ursprungsfassung hierzulande erwerbbar. Wer vorher in den Genuss des ganzen Werks kommen wollte, musste andere Wege gehen. Als er 1985 aufgrund seines durchschlagenden Erfolges bei Fans auch nach Deutschland kam, benannte man ihm kurzerhand in Warriors of the Wind um, schnitt satte 23 Minuten aus ihm raus und modelte die Message von Frieden und Naturvertrauen um in einen biederen Gut-Gegen-Böse-Plot, in dem sich plötzlich eine „Prinzessin Sandra“  gegen furchtbare „Gorgonenmonster“ behaupten muss. Klingt auch sympathisch, mit der eigentlichen Geschichte hatte es aber kaum noch was zu tun. Tatsächlich kursierte damals sogar ein VHS-Tape, das den völlig inhaltsfernen Titel Die Sternenkrieger trug. Das Studio distanzierte sich ausdrücklich von der misshandelten Form ihres Filmes.

Fazit

Mit Nausicaä aus dem Tal der Winde gelang Ghibli-Vater Hayao Miyazaki der erste große Schritt und hinterließ Fußstapfen, die bis heute maßgeblich sind. Eine Heldin, die menschlich ist und sofort ins Herz geschlossen wird, eine fantastische Welt mit greifbarer Bedrohung und all das in einer spannend erzählten Geschichte. Sicher, so formvollendet, wie es die preisträchtigen Nachfolgewerke wie z.B. Das Schloss im Himmel sind, ist der Film noch nicht, aber der unnachahmliche Esprit, den die Produktionen dieses Studios versprühen, ist bereits zur Gänze vorhanden.
Quasi alle anderen Animes, die danach kamen, sind auf die ein oder andere Weise Erbe dieses Filmes.