Control of Violence

Japan-Filmfest Hamburg 2015 Special 2


Story

In Osakas Unterwelt beginnt es zu brodeln, als ein maskierter Killer auf bestialische Weise bestens trainierte Mitglieder der Yakuza exekutiert. Verdächtigt wird das ehemalige Mitglied Goda, der mittlerweile eine Maultaschen-Manufaktur leitet und auf die Vorwürfe nur mit überlegenem Schulterzucken reagiert. Als dann der unberechenbare Psychopath Sub Zero aus dem Gefängnis entlassen wird und eine Schneise aus Leichen hinterlässt, kocht der kriminelle Mikrokosmos über. Drei übermenschlich versierte Bestien und eine Heerschar hilfloser Yakuza-Lakaien steuern unaufhaltsam in einem blendenden Maskeradensturm aus Gewalt und Häme aufeinander zu.

Kritik

Wer die vorherigen Werke von Takahiro Ishihara kennt, wird gewisse Erwartungen gehegt haben. Mit welchem Vorwissen man sich aber auch immer Control of Violence nähert, man kommt gewiss aus der falschen Richtung. Dass es so schwierig ist, mit Worten einem (Kino)erlebnis wie diesem beizukommen, ist vielleicht der glaubwürdigste Zeuge dafür.
Die Welt der Yakuza, in deren Erzählzentrum primär das Ex-Mitglied Goda steht, ist eine absonderliche. Der Anfang des Filmes ist ein ebenso absonderlicher. Nach dem beiläufigen Schlachten der verschleierten Tötungsmaschine folgt der Film dem Alltag des vormaligen Gangsters und schnell wird klar: Control of Violence hat eine höchst eigensinnige Form für seine Geschichte erwählt. Lebendig wird sie durch ihre Figuren, die alle ausreichend Raum für Geheimnisse haben, alle mit einem Knall-Effekt eingeführt werden, ansonsten aber nur ihre Sicht auf die Welt teilen. Sie agieren überlegen, spöttisch, über den Dingen stehend. Davon abgesehen, sind die Charaktere so verschieden wie vielschichtig. Sie alle haben eine eigene Weise, sich zu bewegen, stilbewusst, aufbrausend und äffisch, ohne dass diese Aufteilung motorischer Eigenschaften irgendwie störend wirkt. So ist jeder Figur von der ersten Szene an eine besondere Aura eigen.
Die Art und Weise, wie sie miteinander in Interkation treten, ist einerseits von permanenter Bedrohlichkeit unterlegt, steckt andererseits aber auch voller Humor. Ishihara beweist mit seinem sonderbaren Ausflug ein Meisterhaftes Timing – viel Lustigkeit rührt daher, dass mit Zeit und deren Verstreichen gespielt wird. So entstehen absurde Dialoge und perfekt getimte Auftritte, die in Zusammenarbeit mit den nassforschen, unverfrorenen und angreiferischen Figuren eine Verkettung von herrlich amüsanten Sequenzen ergeben, in denen sich Pointe an Pointe reiht.
Dabei ist Control of Violence beileibe aber keine Komödie, auch wenn die Arbeit mit Genrebegriffen hier sowieso eine vergebliche darstellt. Ständig ist der Film an zischen, immer kurz vor dem Überdruck – die namensgebende Kontrolle ist in vielerlei Weisen deutbar, auf den Stil des Filmes lässt sich ganz eindeutig beziehen. Das Geschehen ist ein stilisiertes, beizeiten fast schon theatergleiches mit Auf- und Abgängen und einstudierten Choreographieren, während es aber stets organisch und flüssig wirkt. Die häufigen Exzesse der aufeinander losgehenden Gruppierungen sind dabei rabiat und schonungslos in ihrer Ausführung, aber zurückhaltend in der Darstellung. Blut spielt nur selten (jedoch an bedeutsamen Stellen) eine Rolle, stattdessen verhalten die sich beharkenden und einander das Leben nehmenden Kontrahenten sich ebenso wie zwischen Theatervorhängen, wenn sie glaubwürdig und schmerzerfüllt zusammenbrechen, aber unversehrte Körper haben. Was klingt wie eine nachlässige Ausführung, ist ein meisterhaft umgesetztes Konzept, das in all seinen Facetten aufgeht. Die unbekannte Mischung aus roher Körperlichkeit und ästhetischer Verfremdung der aufgeweckten Regie gebiert eine eigene Welt, in der Hässlichkeit und Schönheit im Sprint aufeinander zulaufen und schließlich miteinander verschmelzen. Dass all das in Schwarzweiß gehalten ist, ist eine ähnlich gelungene wie auch in Miss Zombie. Gemeinsam mit langen Einstellungen, akzentuierender Ausleuchtung und den an Nicolas Winding Refns Drive erinnernden erfüllt den Film eine rauschhafte Ästhetik, die Zugang zu einer ganz eigenen Welt gewährt.

Fazit

Takahiro Ishiharas jüngstes Werk ist ein überraschender Trip voller Witz, Härte, Stil – ein Bündel von miteinander verkletteten Alleinstellungsmerkmalen und damit starker Anziehungspunkt für große Faszination.
Man kann sagen, Control of Violence bringe damit zur Aufführung, was japanisches Kino in vielen Fällen so besonders macht: Die Unvorhersehbarkeit, mit der sich Witze entwickeln, der berauschende, freigeistige Stil und eine außergewöhnliche Herangehensweise an die zu erzählende Geschichte.

Slum-Polis

15. Japan-Filmfest Special 3

Frischer, unbefangener Esprit eines Teams von Grünschnäbeln, große Inspiration durch ein ebenso großes Vorbild, Gespür fürs Essenzielle, ein glückliches Händchen für Locations und das glücklichste für Ästhetik. Mehr braucht es nicht.

Kalt!

Story

Ein gewaltiges Erdbeben zerstörte im Jahre 2018 das bekannte Gesicht Japans. Während die Schäden in den urbanen Zentren mit der Zeit behoben wurden, herrscht in den Randgebieten immer noch das Chaos. Ein solcher Bezirk ist Slum-Polis, wo das Gesetz das Feld freiwillig rivalisierenden Gangs überlassen hat, die das Leben in den Trümmern mit Prostitution und Drogenhandel bestimmen.
Als die beiden Freunde Asu und Joe eine zentrale Figur des Rauschgifthandels töten und sich seine Ware unter den Nagel reißen, eröffnen sich ihnen verheißungsvolle Perspektiven, während sie gleichzeitig auf der Abschussliste der großen Gangs landen.
Verkompliziert wird die Situation durch die mittellose Künstlerin Anna. Anfängliche Streitpunkte verlieren rasch an Bedeutung. Die zarte freundschaftiche Dreiecksbeziehung gewährt den Dreien einen Augenblick des Friedens. Man malt, schießt auf Büchsen und klimpert auf dem Keyboard, stets in der Gewissheit, dass der Frieden nicht von Dauer sein kann.

Kritik

Wird bei Menschen gemeinhin der erste Eindruck als der Wichtigste erachtet, liegt es bei Kunst anders. Entscheidend ist, was man mit hinausnimmt, wie sie nachhallt, sich entwickelt und im besten Falle erst dann so richtig wächst, wenn sie von sich allein gelassen wurde, immer wieder bereichert durch die Arbeit des Rezipienten.
Daher stellt diese Rezension Slum-Polis gleich zu Beginn als eine unverkennbare Nachahmung vor. Die Art der Inszenierung, die Zusammensetzung der Diegese, die Betrachtungsweise der Figuren, dr Verlauf und die Gangart der Geschichte; das Grundgefühl des Filmes bis hinein in einzelne Szenenbilder und -verläufe ist übernommen von Shunji Iwais großem Meisterwerk Yentown – Swallowtail Butterfly.
Und nun zu den wichtigen Aspekten, die es verdienen, in Form des finalen Eindrucks erinnert zu werden.
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Slum-Polis, und das ist das Verblüffendste, ist ein Uni-Abschlussfilm. Aber auch das ist eigentlich sofort zu vergessen und wird auch ab der ersten Szene vergessen. Denn Slum-Polis ist außerdem ein perfektionistisches Kleinord, das in sämtlichen formalen Aspekten brilliert.
Die Geschichte entrollt sich wie von alleine aus der erdrückenden Atmosphäre, die unter dem allgegenwärtigen Elend der Menschen, die ihr Heil in Selbstaufgabe suchen, ständig Lebenswillen und ungebremst eurphorische, im besten Sinne romantische Energie grollen lässt. Der Kamera gelingt es, den verheerten Landstrichen der Fukushima-Katastrophe eine urtümliche und bewegende Friedfertigkeit abzugewinnen. Die ungezwungene, sehr aufmerksame Kameraarbeit und die bestechend stimmige Mise en Scène kreieren freche wie sanftmütige Eindrücke. Hand in Hand mit dem visuellen Ästhetikbewusstsein geht das Gespür für den richtigen Ton. Immer wieder präsentiert der Film Collagen der Entwicklung oder stimmungsgebende Impressionen aus dem Alltag der drei Protagonisten, zu denen der herausragende Score gespielt wird. So gut das durchweg funktioniert, merkt man an diesem Punkt doch am deutlichsten, dass es sich um das Erstlingswerk eines sehr jungen Regisseurs handelt, denn der manipulierende Einsatz von Musik findet entschieden zu oft statt, sodass man schon früh auf den Gedanken käme, dass sich die Erzählung viel zu sehr auf diesen Aspekt verlassen würde, wenn diese Sequenzen nicht jedes Mal trotzdem direkt ins Herz gingen.
Neben dem inflationären Musikeinsatz findet sich ein zweiter klassischer Anängerfehler: Die Geschichte verpasst ihr eigenes Ende. Der richtige Augenblick, einen pointierten Schluss der Geschichte zu finden, wenn sie sich in voller Blüte befindet, wird von Slum-Polis verpasst. Stattdessen läuft der Film noch eine gute halbe Stunde weiter. Wie schon beim Musikeinsatz ist das eigentlich zu verschmerzen, weil alle Eigenarten, die dem Film seine Großartigkeit geben, natürlich beibehalten werden, doch erleidet gerade ein eigentlich ausgezeichnetes Werk durch solche Unstimmigkeiten merklich schaden. Gen Ende wird die emotionale Schraube ein paar mal zu weit
gedreht, obwohl eigentlich schon alles erreicht ist.

Es beginnt rhythmisch, treibend, pulsierend in einem Club. Körper flackern und beben. Das ‚Slum‘ in Slum-Polis ist ebenso zu erkennen wie das ‚Polis‘. Unsere beiden Protagonisten töten aus Habgier einen Mann und rennen davon. Wie talentiert Newcomer Ken Ninomiya ist, lässt sich schon daran ablesen, dass er es trotzdem schafft, die beiden Mörder binnen Minuten als liebenswerte Wesen einzuführen, die vor Sehnsucht bersten und Taten wie Umfeld zum Trotz viel Schönes in sich verwahren. Neben den veredelten Bildern ist es die bemerkenswert geschickte Schauspielführung, die dazu führt, dass dieser dystopisch-trostlose Film allem voran ein eine erbende Erzählung über das Wunder der Freundschaft geworden ist. Über die Suche nach Glück, Erfüllung und auch ein wenig nach sich selbst. Vor allem das außergewöhnliche, herzerwärmende Minenspiel von Asu öffnet ein direktes Tor in die emotionale Welt der Männer. Denn natürlich ist Slum-Polis vor allem ein Stimmungsbild der Sinnsuche einer orientierungslosen Generation, die mit Sehnsüchten aufwächst, die zu erfüllen ihre Zeit nicht in der Lage ist. Es ist ein Fim über Kompensation und Genügsamkeit, ebenso wie über Eskalation, Verzweiflung und Liebe.

Wäre Yentown – Swallowtail Butterfly einfach in seinem ersten Drittel hängengeblieben, dann wäre es vielleicht Slum-Polis geworden. Doch ist der Film viel zu tief, viel zu ehrlich und vor allem viel zu bezaubernd, um ihm mit gutem Gefühl als Plagiat zu bezeichnen. Hommage wäre wohl das passendere Prädikat – und einen einzigartigen und eigentlich unnachahmlichen Film wie Yentown mit einer derart versierten Überzeugung zu ehren, ist schon eine Leistung für sich, die kaum genug gewürdigt werden kann.

Fazit

Slum-Polis mag auf dem Papier eine Gangsterballade in dystopischer Umwelt sein. Als direkte Erfahrung ist es jedoch ein kleines Meisterwerk mit viel Liebe. Vor allem die Liebe fürs Kino selbst. Dass ein Debütant mit einem solchen Maß an Stilsicherheit zu Werke geht, lässt ihn zum vielleicht größten Hoffnungsträger des Gegenwartskinos werden

Upstream Color

Gleich noch ein Film, der sich mit Realitätsentzug beschäftigt. 2004 erhitzte ein verrätselter Science-Fiction-Film namens Primer die Gemüter, denn Zeitreisen wurden noch die so bodenständig und zugleich derart verworren dargestellt. Der Alleinverantwortliche Shane Carruths galt als neue Hoffnung –  und verschwand weitestgehend in der Versenkung.
Kurz war er als Beteiligter für Looper im Gespräch, doch waren seine Ideen zu kostspielig in der Umsetzung
2013, geschlagene 9 Jahre nach seinem Ersterfolg, stahl sich Upstream Color in die Filmwelt.


It is better than anything you’ve ever tasted. Take a drink now.

Story

Ein Unbekannter züchtet exotische Würmer und verabreicht sie der Frau Kris. Der Parasit beginnt sich in ihr einzunisten und der Wirt verliert zusehends die Haftung in der Realität. In halluzinierender Fügsamkeit hat sie nur einen kurzen lichten Moment, in dem sie merkt, wie ihr geschieht.
Später begegnet sie Jeff. Beide scheint ein ähnliches Schicksal zu verbinden, beide fühlen sich einander verbundener und bekannter, als es möglich sein könnte. Die Spuren der Vergangenheit, in der sie als Wirte für die bewusstseinsverändernden Wirbeltiere fungierten, lassen sich nicht ablegen und so beschäftigen sie sich wieder mit der seltsamen Symbiose, die sie mit den Wesen eingingen.

Kritik

Nach Shane Carruths kühl bebildertem, überkomplex erzählten Erstlingswerk Primer konnte man alles und nichts erwarten. Dass dann so etwas wie Upstream Color die Vita des studierten Mathematikers bereichern sollte, war hingegen kaum absehbar. Erfreulich ist es nichtsdestotrotz, dass das Ergebnis ganz entschieden näher an „‘alles‘ denn an ‚nichts‘ ist.
Das Überraschendste ist, wie auf den Punkt gefilmt die Bilder des Werks sind, mit ihren nebligen, aber bejahend weichen Farben. Dies in Zusammenarbeit mit der Tonspur, auf der sich Musik, Geräusche und Sprache wie ein Lied ergänzen, ergibt eine selten runde Komposition. Rückblickend lässt sich dieses Potenzial zwar schon irgendwie in Primer erkennen, doch hätte man ein derart überästhetisiertes Werk wie Upstream Color definitiv nicht erahnen können.
Sucht man nach Vergleichbarem in der Filmlandschaft, stößt man schnell auf den Namen Terrence Malick (The New World, The Tree of Life, Der schmale Grat) und muss feststellen, so weit hergeholt, wie sich diese Verwandtschaft erst einmal anhören mag, ist sie gar nicht. Beide Regisseure erschaffen eine ganz ähnliche Bildpoesie und sowohl Malick wie auch Carruths kreieren mit ihren Werken einen Sog, der sich ganz allein aus der Kombination von Bild und Ton ergibt, aus der sich eine Geschichte entfaltet, die mit herkömmlicher Erzählweise kaum noch etwas zu tun hat.
Und der Rezensent lacht sich ins Fäustchen, weil er Gelegenheit bekommt, auf seinem Science-Fiction-Blog mal ein paar huldigende Worte über Malick zu verlieren, ohne dass diese furchtbar deplatziert wirken. Auch deswegen ist Upstream Color ein toller Film.
Die Sequenzen leben von Kleinigkeiten, obwohl die Geschichte eigentlich von etwas Riesigem erzählt. Aber auch Riesiges besteht halt aus Winzigem. Manchmal sind es nur die platschenden Geräusche nackter Füße auf Parkett. Manchmal sind es nur die verschwommenen Köpfe von Fremden, die schemenhaft am Rand ins Außen des Bildausschnittes gedreht sind. Manchmal erkennt man sich in den Augen eines Schweines wieder; jenes Wesen, dessen genetischer Code zu 90% mit dem menschlichen übereinstimmt.
Ganz unabhängig von der Geschichte schlüsselt Upstream Color die Welt des Alltags auf und zeigt, wie wunderschön die einzelnen Momente eigentlich doch sind, wenn man sie mit den Augen eines Kindes erblickt. Lässt man sich führen, nimmt man diese Welt exakt so wahr, so scheu und unschuldig wird sie von den einzelnen Einstellungen eingefangen.
Von Anfang bis Ende ist der Film überwältigend in Bild und Ton, versiert im Schnitt – schon bei seinem zweiten Langfilm beweist Shane Carruths, der übrigens auch gleich eine der Hauptrollen bekleidet, unwiderruflich, dass er ein Meister der Montage ist.
Unweigerlich drängt sich die Frage auf, ob der Stil des jungen Regisseurs auch dann aufginge, wenn er damit eine ordinäre Geschichte erzählte. Ganz einfach ist die Frage wohl nicht zu beantworten, aber eigentlich ist die Geschichte, die er mit Upstream Color vermittelt, eine gewöhnliche. Einzig die Bildausschnitte, in denen sie erzählt wird, sind außergewöhnlich. Außergewöhnlich klein, außergewöhnlich poetisch, und ausgewöhnlich gut ausgesucht. Sein Regiestil ist ein Stil der ekstatischen Details; und das ist etwas, das nur sehr wenige mit dieser Selbstverständlichkeit beherrschen.

Es wurde sich nun ausschweifend über die Machart des Filmes ausgelassen, aber kaum ein Wort darüber verloren, um was es eigentlich geht. Das liegt daran, dass das Werk hier recht unkonventionell zu Werke geht. Ein wenig lässt es narrative Konventionen einfach beiseite liegen. Nicht, indem es sich störrisch über sie hinwegsetzt, sondern weil es sie einfach ignoriert, da es sie nicht braucht. Einige Dinge in der Welt von Upstream Color sind anders und was in unserer Welt sonderbar und fremdartig wirken würde, ordnet sich dort recht unaufgeregt in den Strom der Dinge ein. Das muss man verstehen und hinnehmen, dann lässt sich der Film auch ohne großen Kraftaufwand genießen.
Mag man sich darauf nicht einlassen (und das ist auch einfach nicht jedermanns Sache, so wie Rosenkohl – Gott sei Dank! – nicht jedermanns Sache ist), dann kann man dem Film vorwerfen, er würde zu wenig erzählen und das, was er erzählt, unnötig verworren und adynamisch präsentieren. Dann aber muss man zumindest eingestehen, dass er es schafft, sogar etwas eigentlich langweiliges wie eine U-Bahn-Fahrt auf eine Wiese zu zeigen, als wäre sie ein Traum vom Paradies. Oder der Umgang mit einem Richtmikrofon, als wäre dieses der auditive Schlüssel zum Höllenportal.
Trotz der ernst klingenden Thematik ist dies kein düsterer Science-Fiction-Film, sondern eine sehr wohltuende Erfahrung mit warmen Charakteren. Ein Versuch, über Grenzen hinwegzuschauen. Ein durchaus gelungener obendrein.
Er bedient sich an Zutaten aus Science-Fiction, Drogen-Film, Mystery-Thriller, Missbrauchs-Drama, Liebesfilm und sicherlich noch etlicher Motivsammlungen mehr. Vor allem der Liebesfilm tritt stark hervor, denn die Beobachtung der Charaktere ist ebenso gut getroffen, wie die reinen Atmosphäreaufnahmen.
Wer mag, kann die Story und ihre Unterkapitel als Analogie auf irgendwas lesen. Aber das würde zwangsläufig auf plumpes Nachzeichnen von Linien hinauslaufen. Daher lassen wir das einfach mal sein und bleiben auf der Erzähloberfläche. Denn die ist schön wie sonst kaum eine.

Fazit

Schon mit seinem zweiten Film erweist sich Shane Carruths als meister der Montage und liefert eine audiovisuelle Sondererfahrung, die sich fast schon auf Augenhöhe mit dem Stil Terrence Malicks befindet.
Ebenso sonderbar ist die erzählte Geschichte, die nur dann voll funktionieren kann, wenn man es schafft, Erwartungen an Normalität für 96 Minuten zuzudecken. Wenn man es schafft, sich ganz auf die hypnotische und irgendwie manische Welt einzulassen, möchte man sie am Ende nur widerstrebend verlassen.
Bleibt zu hoffen, dass nicht wieder 9 Jahre bis zu seinem nächsten Film vergehen.

Love

Love ist bekannt, weil Finanzen und Musik von der Rockband Angels & Airwaves stammen. Angels & Airwaves  sind bekannt, weil blink-182-Frontmann Tom DeLonge mitmischt. Love heißt dieser Film, weil das 2009er Album der Band diesen Namen trägt. Dieses gab es kostenlos als Download. Der gleichnamige Film war nicht ganz so günstig, mit einer halben Million US-Dollar aber immer noch ein echtes Schnäppchen.

FK these noises.

Story

20 Jahre lang hat kein Mensch mehr die Erde verlassen. Am 07.07 2039 wird diesem Missstand ein Ende gesetzt und Astronaut Lee Miller ins All geschossen. Genauer gesagt auf die 360 Kilometer entfernte Raumstation L-E-O, um dort nach dem Rechten zu sehen.
Anfangs sieht alles gut aus und Lee, der dort unten eine kleine Berühmtheit ist, erledigt seine Aufgaben mit routinierter Gelassenheit.
Kurz darauf bricht der Kontakt zur Erde ab und der junge Raumfahrer sitzt vollkommen isoliert auf der beengenden Station fest. Aus Stunden werden Tage, aus Tagen Jahre. Die Lebenserhaltungssysteme funktionieren weiter, Luft und Verpflegung sind gewährleistet, alles weitere nicht.
Vielleicht stimmt etwas auf der Erde nicht, vielleicht stimmt etwas nicht in der lebensfeindlichen Schwärze des Alls; vielleicht sowohl als auch. Womöglich stimmt auch einfach mit Lee selbst etwas nicht, der zusehends durch die Einsamkeit eingeht.
Während einer Reparatur entdeckt er ein sorgfältig verstecktes Tagebuch aus Bürgerkriegszeiten, das einen außergewöhnlichen Fund dokumentiert.

Kritik

Spätestens seit Kubriks Monolith 2001 – Odyssee im Weltraum dienen cineastische Ausflüge ins All nicht mehr nur Thrill und Staunerei. Der Weltraum ist längst nicht mehr nur voll mit Wunder und exotischen Planeten, sondern allzu oft auch leer, karg und beispiellos einsam.
Der erste gute Punkt: Love ist keine Promotion für Angels & Airwaves. Deren Musik untermalt immer mal wieder unaufdringlich aber passend die Szenen und baut in Einklang mit den Bildern eine aufgekratzte Stimmung der Isolation und Unsicherheit, ohne dabei zu dominant oder anstrengend zu werden.
Künstlerische Vollmacht bekam der relativ junge William Eubank, der mit Love nicht nur sein Spielfilmdebut als Regisseur ablieferte, sondern sich außerdem auch für Drehbuch, Kamera und so manches anderes verantwortlich zeigt.
Da man sich vom krümeligen Budget nicht wie geplant das Set von Apollo 13 mieten konnte, baute der Herr einfach den Garten seines Elternhauses um. Nicht nur die gesamte Raumstation bastelte er aus Baumarktutensilien zusammen, auch hob er in dreiwöchiger Arbeit eigenhändig die Schützengräben für die kurzen Kriegsszenen aus.
Und so sieht das 500.000 Dollar-Projekt aus: Nicht billig, sondern nach Liebe, Schweiß und Herzblut. Die Raumstation ist vollends überzeugend und wirkt bis ins Detail glaubwürdig. Einziges Manko: Genaugenommen müsste  in L-E-O Schwerelosigkeit herrschen. Dieser Fakt wird ein paar Mal angedeutet – etwa wenn Lee auf seinem Funkstuhl mit einem Gurt festgeschnallt ist – aber niemals gezeigt. Schon eine Szene später bewegt er sich durch seine Bleibe als herrsche normale Erdanziehungskraft und schwitzt bei Liegestützen. Doch verzeihen wir dem Film das und setzen eine künstliche Schwerkraft voraus.
Vor allem als Kameramann brilliert Eubank auf ganzer Linie, indem er pausenlos stimmungsvolle Eindrücke festhält, die primär nicht durch ihr Motiv, sondern durch tolle Farben Atmosphäre schaffen. Love ist ein Film wirklich starker Bilder.
Diese sorgen dafür, dass die quälende Einsamkeit des völlig abgekapselten und ahnungslosen Protagonisten nachvollziehbar wird. Es ist beeindruckend, wie abwechslungsreich und vielfältig die beschränkte Umgebung präsentiert wird, indem immer wieder neue ungewöhnliche Kamerapositionen gefunden werden und trickreiche Schattenspiele dem eigentlich sterilen Ort etwas sehr Dunkles und Verstörendes geben.
Die sehr langsam aber auch stimmungsvolle Geschichte macht neugierig. Inhaltlich wird diese Neugierde am Schluss ausreichend befriedigt, wenn das auch nicht jeder so sehen mag.
Love ist mehr Atmosphäre denn Geschichte. Die meiste Zeit ist es ruhig, drückend und angespannt. Die einzige richtige und nur wenige Sekunden andauernde Actionsequenz in der Filmmitte wirkt dadurch doppelt so intensiv. Die komplett in Zeitlupe ablaufenden Schlachtensequenzen des Bürgerkriegsszenarios laufen konsequent sphärisch und überstilisiert ab, sodass sie eher einem traurigen Tanz als Kriegsgeschehen gleichen. Auch wenn die beunruhigende Stille und die erdrückende Eintönigkeit auf der Station an manchen Stellen etwas zu sehr auf die Spitze getrieben werden, wird das Ziel erreicht: Der Sci-FI-Film ist nicht nur überdurchschnittlich schön, sondern auch ungemein stimmungsvoll.
Thematisch orientiert man sich vor allem an Genrevertretern wie Solaris, Lautlos im Weltraum und immer wieder an obengenanntem 2001 – Odyssee im Weltraum, bei dem Love auch unverhohlen zugibt, dass er als klares Vorbild diente.
Und eindeutiges Zitieren von Stanley Kubricks Sci-Fi-Epos ist nie verkehrt – vor allem dann nicht, wenn es so gelungen geschieht, wie im Finale.
Kaum zu verleugnen ist außerdem ist die nahe Verwandtschaft zu Duncan Jones‘ Moon, der gerade erstes Kritikerlob einheimste, als die Produktion von Love sich dem Ende näherte.

Wenn Lee später immer stärker in eine Schizophrenie hineindriftet, erringt das Klischee allerdings einen kleinen Sieg.  Es gibt einfach bessere Wege, Einsamkeit erzählerisch zu intensivieren, als mit gespaltener Persönlichkeit um die Ecke zu kommen. Und das trifft letztlich auf den ganzen Film zu. Obwohl das Ganze niemals spannungsarm ist, sind die einzelnen Elemente häufig einen winzigen Tick zu abgedroschen. Nie so sehr, dass es ernsthaft ärgerlich zu werden droht, aber immer genug, um sich dessen bewusst zu sein.

Eigentlich versteht sich Love aber sowieso als Abhandlung über den Menschen als soziale Kreatur, die ihresgleichen Bedarf. Die Zwischenmenschlichkeit als funktionelle Bedingung, die Herde, das Kollektiv, die Notwendigkeit, gemeinsam zu sein. Während Love atmosphärisch brilliert und auch eine durchaus passable Geschichte erzählt, schrammt die Motivation, darüber hinaus eine existenzielle Botschaft zu vermittelt, nah am Scheitern vorbei, weil das Mitgeteilte viel zu abgeschmackt und flach ist.
Das liegt zuvorderst daran, dass irgendwelche Personen, die vermutlich Lees Vorgänger darstellen sollen, in kurzen Einschüben immer mal wieder lehren, wie wichtig Kommunikation und Zwischenmenschlichkeit doch seien. Weshalb Love sich diesen Kunstgriff erlaubt, bleibt völlig im Dunkeln. Auch ohne die Vorträge der herumdrucksenden Gestalten, die sich offensichtlich in einer Interview-Situation befinden, wären die zentralen Themen des Filmes und die Probleme seines Protagonisten hinreichend evident gewesen. Die abgehackten Monologe wirken wie eine unnötige Erklärung der aussagestarken Bilder und sind deshalb überwiegend redundant. Es entsteht der Verdacht, man wollte mit dieser Zusatzebene vor allem die 80 Minuten vollkriegen.
Zum Glück hat man sich wenigstens dafür entschieden, die kitschigen Schicksalsgeschichten der drei Interviewten wieder rauszuschneiden, welche außerdem noch mit kaum zum Rest passender Angels & Airwaves-Musik unterlegt waren, die als einzige im Film Gesang enthalten hätte.

Unterm Strich bleibt eine Schwierigkeit. Love ist sehr schwer zu bewerten. Man kann das SciFi-Werk ihn nicht nur lieben oder hassen, sondern auch furchtbar mittelmäßig finden. Für jedes dieser Urteile befinden sich ausreichend Gründe im Film und jeder wird sie nach ganz eigenem Maßstab bewerten müssen. Die 7,8 Punkte oben könnten genauso gut 3 oder 9 sein.

Fazit

Love ist ein bemerkenswerter Film. Die sehr unterschiedlichen Puzzleteile passen nicht ganz perfekt zusammen, dessen ungeachtet entsteht am Schluss ein Gesamtbild, das sich sehen lassen kann. Ist man in der Lage, über ein paar Kleinigkeiten hinwegzusehen und stößt man sich nicht daran, dass die Handlung zugunsten der Atmosphäre sehr gemächlich vorangeht, ist der Film definitiv einen Blick wert.