I am Ichihashi – Journal of a Murderer

15. Japan-Filmfest Special 6

Until I Was Arrested lautet der Titel des autobiographischen Werks, das Tatsuya Ichihashi im Gefängnis schrieb, um seine Version der Ermordung von Engländerin Lindsay Hawker und die anschließende, zweieinhalb Jahre anhaltende Flucht durch Japan zu schildern. Die Familie des Opfers verweigerte die Annahme der Verkaufserlöse.
Regisseur Dean Fujioka übernahm in seiner Adaption ebenfalls die Hauptrolle.

Dead by suicide or misadventure.

Story

Tatsuya Ichihashi vergewaltigte und ermordete die 22-jährige Lindsay. Es war seine erste schwere Straftat. Als die Polizei ihn zu verassen versuchte, floh er nur mit einem Rucksack mit Süortkleidung. Eine Flucht, die quer durch Japan führen und über zweieinhalb Jahre andauern sollte. Eine Flucht vor einem ganzen Land, der Schuld und sich selbst.
Irgendwo auf diesem Weg willige er ein, ein Interview zu geben, bei welchem die Fragen zu barsch für sein strapaziertes Gewissen sind und er selbst zu desozialisiert für die Fragen ist.

Kritik

Das Gesicht Ichihashis ist geisterhaft leer, aber auch schön, zerbrechlich, in manchen Einstellungen durch seine Leere fast schon erhaben. Er wird zutiefst menschlich und doch unverkennbar krank dargestellt. Unverkennbar Bestie. Inkompatibel. Sich dessen bewusst, darunter leidend. Er ist ein Schatten, zerrissen, unrettbar, wie er unter der Last seines Vergehens ziellos durch Japan flieht, während die Zahl der Verfolger stetig zunimmt und sein Kopfgeld bis ins Groteske anschwillt. Eine Flucht vor den Behörden, der Schuld, vor sich selbst und den Fragen, die alle drei an ihn haben, vor allem aber wohl vor den Antworten, die gegeben werden könnten. Dabei verliert er sich vor lauter Angst zwangsläufig selbst, wird fast eigenschaftslos und leer.
Die Vermittlung der Geschichte ist direkt, schmerzhaft, nah am Mann und doch ständig mit einer gewissen Distanziertheit behaftet die dem Zuschauer seine urteilfordernde (und sei es nur das Urteil, nicht zu urteilen) Beobachterposition vorhält. Die Farben sind kalt und schwer, die Kamera spähend, häufig fast schon versteckt und Geräusche nicht selten ebenso laut wie die Stimmen der Menschen. Der Film stilisiert den Fluchtweg Ichihashis auf eine Weise, die das Essenzielle in gekonnt abstrahierter Form darbietet, sich dabei aber trotzdem fast schon naturalistisch anfühlt.
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I am Ichihashi – Journal of a Murderer ist ein gewagtes Projekt, da die thematisierten Ereignisse und ihr Gedenken noch offen und frisch sind. Der Film enthält sich einer Bewertung der Ereignisse. Er spricht sich nicht für seinen Protagonisten aus – distanziert sich durch Texttafeln am Anfang und Ende sogar kritisch – verweigert aber ebenso eine Tendenz zum Schuldspruch. Er ist ein Beobachter, der sich eines Werturteils enthält. Und mit ihm der Zuschauer, der sich in der unangenehmen Situation empfindet, selbst Antworten und eine eigene Positionierung der Hauptperson gegenüber finden zu müssen. Eine keineswegs angenehme Aufgabe. Es ist kein Film über die Suche nach Schuld, vielmehr stellt er die leise Frage nach der Natur von Schuld. Es ist eine Geschichte, die von dem Trauma eines Mannes berichtet, der seine Identität ablegte und sich Schuld überstreifte, um sich rastlos und auf der Suche nach einem unmöglichen Neuanfang einem Ende anzunähern. Die Unmöglichkeit seiner Suche findet im letzten Drittel ihr Kulminationsmoment, wenn er auf einer leeren, kahlen wie kalten Insel seinen Irrgang durch sinnlos verwuchertes Dickicht antritt, ohne die Möglichkeit auf ein Ziel, sondern das Ziel in der Kreisbewegung, im Nomadentum findet, wenn auch nur kurzfristig. Es ist kahl, verwittert, lerr, bitter, windig, wüst, durch und durch trübsinnig. Ichihashis Odyssee entpuppt sich mit jeder Station, mit jeder neu angenommenen Identität als metaphysische Reise in den gesellschaftlichen wie individuellen Nexus.
Unterbrochen wird die Reise des Mörders von Interviewausschnitten, die zeitlich und räumlich vorerst unverortbar sind. Die Fragen, die dem zusammengekauerten Flüchtling gestellt werden, stehen im harten Kontrast zum Rest des Filmes. Sie sind nicht nur streng, sondern aggressiv und wenig ergiebig, wirken zu gestellt im Vergleich zum abgeklärten Rest und stören den Fluss des Filmes, obwohl sie als erzählerische Klammer durchaus sinnvoll sind.
So interessant I am Ichihashi auch ist, leicht genießbar ist dieses Werk kaum. Zu sperrig, zu sehr in die eigene Leere gerichtet und ohne klassisches Narrativ. Wie auch ihre quasi einzige Figur erscheint die Erzählung selbst ziel- und beinahe willenlos getrieben. Das ist notwendig, da sich der Film entscheidet, ein Urteil zu meiden, führt aber somit zu einer Seherfahrung, die durchaus ins Anstrengende übergleiten kann. Auch deshalb, weil der Film zwangsläufig im Nichts enden muss und den Zuschauer ratlos und erschöpft in ein verwirrend fröhliches Abspannlied entlässt.

Fazit

Eine mutig eingenommene Perspektive auf noch frische Ereignisse, die sich nie der Suche nach Schuld widmet, sondern dem Zuschauer die seltene wie anspruchsvolle Aufgabe überlässt, den gebrochenen Täter auf seiner Flucht kennenzulernen und sich möglichst unbeeinflusst ein Urteil zu bilden. Gestützt wird das Wagnis von einer kalten, abweisenden Atmosphäre in noch kälteren Bildern. Dass I am Ichihashi – Journal of a Murderer keine einfache Seherfahrung ist und einen auch nicht mit dem Bedürfnis nach Tanzliedern zurücklässt, ist quasi obligatorisch.

Survival of the Dead

Die goldenen Jahre George A. Romeros liegen in den 70ern. Nach seiner langen Schaffenspause versucht er seit 2005 an alte Taten anzuknüpfen und den Zombiekosmos ein zweites Mal in seinem Leben umzukrempeln. Das Ergebnis seiner Bemühungen sind sehr mittelmäßige, sehr unbeholfene Werke. Interessante Ideen in uninteressanter Ausführung. War Land of the Dead noch schmerzfrei anzusehen, ist Diary of the Dead wohl als definitiver Tiefpunkt von Romeros Karriere zu betrachten.
Survival of the Dead sieht sich ausgerechnet als direkter Nachfolger der Wackelkamera-Katastrophe.

What if it’s out of gas?

Story

Vor knapp einer Woche war es mal wieder so weit. Die Toten raffen ihre Gebeine zusammen und klabustern mit knurrendem Magen die gute alte Welt. Nur dass sie weder gut noch alt ist, sondern ein Ort voller Zank, Missgunst und kindlichem Trotz.
Man sollte meinen, auf einer Insel geht es während so einer Zombie-Seuche halbwegs sicher zu. Schließlich sind die alten Leichen zu grobmotorisch, um elegant zu kraulen, weshalb man sich auf autarker Basis einigeln und freundlich zu seinen Nachbarn sein kann.
Pustekuchen, denkt man sich auf dem Eiland mit dem Namen Delaware. Zwei verfeindete Clans sind zänkischer denn je, seit sich dieses Zombie-Problem nicht mehr totschweigen lässt. Während Patrick O’Flynn alles, was sich nicht regt, mehrfach durchsiebt und die Zombie-Gretchenfrage für sich lieber zu vorsichtig als zu nachsichtig beantwortet, fährt sein alter Rivale Shamus Muldoon eine vergleichsweise liberale Schiene und spekuliert darauf, die resoluten Leichen domestizieren zu können.
Inmitten dieses Konflikts nähert sich eine Gruppe desertierter Soldaten dem vermeintlich paradiesischem Fleckchen.

Kritik

Romero tut wie immer furchtbar differenziert. Zombies sind doch auch nur, Menschen, oder? Zumindest aber doch eine eigene Spezies, die der Evolution genauso wenig ausweichen kann, wie die unsrige. Deswegen verdienen sie es wenigstens, dass man abwägt, ob nicht auch sie ein Recht auf Existenz haben, mit all ihren Bedürfnissen und dem eventuellen Potenzial.
Vielleicht sind sie die Ablösung. Oder Gottes gerechte Strafe. Oder beides. Immerhin sind wir mit unserem Hochmut und unserer Gewissenlosigkeit ja regelmäßig der Auslöser für die Zombo-Apokalypse. Weil wir Kriege mit Massenvernichtungswaffen führen, in synthetisch erschaffenen Krankheitserregern rumrühren, unbedacht Voodoo-Formeln in uns reinmurmeln und einfach am falschen Ort zur falschen Zeit das Falsche machen – weil wir eben ein furchtbar unfähiger Haufen sind und seit der Verbannung aus dem Paradies rein gar nichts gelernt haben.

Doch so differenziert, wie er gerne tut, ist der verehrte Herr leider schon länger nicht mehr gewesen. So angenehm die Vorstellung auch ist, die eigentlich stabilen Grenzen des Genres versuchsweise mal ein wenig zu dehnen, fällt der Versuch regelmäßig auf ähnliche Weise plump und ernüchternd aus.
Plump ist das Wort, welches seine neueren Filme recht gut im Gesamten umschreibt.
An der nötigen Differenzierung fehlt es allem voran den Charakteren. Es gibt nur lässig und gut; nur grob und schlecht. Mischformen sind die Ausnahme. Genau wie bei den Zombies versucht Romero ebenfalls hier, die Mauern transparenter werden zu lassen, aber scheitert an der Verwendung seiner eigenen Mittel. In diesem Fall treffen zwei Gruppen aufeinander, von denen beide unsympathisch und scher erträglich sind. Das klappt, wenn man ein gutes Drehbuch und einen fähigen Regisseur zusammenbringt. Geht dies schief, müssen die Zuschauer schlimmstenfalls einen 90-minüten Zank zwischen lästigen Idioten ertragen. Survival of the Dead ist sehr nah dran an diesem Szenario.

Die Sache mit der Zombie-Evolution hat noch ein anderes, sehr hausgemachtes Problem. Reitende und Autofahrende Zombies sehen grundsätzlich lächerlich aus. Deshalb ist Fido zum Beispiel eine Komödie und kein Horrorfilm. Das merkte wohl auch der zuständige Regie-Senior und zog den Stoff als groben Klamauk  auf, der, wie gewohnt, vollkommen am Zeitgeist vorbeischrammt. Dumme Sprüche und völlig grässliche Slapstickeinlagen sind Romeros Vorstellung von gutem Witz und mittlerweile steckt er so viel wie nur möglich davon in seine Filme. Das Ganze wird garniert mit Effekten, die entschieden zu oft aus sichtlich schlechter CGI denn aus Handwerkskunst bestehen, und einer humpelnden Dramaturgie, welche alles mehr schlecht als recht aneinander leimt.
Hinzu kommt ein raschelnder Haufen aus Kleinigkeiten. Wie die Tatsache, dass so gut wie alle Zombies völlig unversehrt sind. Nur ihre Gesichtsfarbe zeugt von der Verwandlung. Das würde aber bedeuten, dass jene, die sie infiziert haben, sich gar nicht von ihnen ernährten. Da Nahrungsaufnahme aber nun mal das primäre Anliegen der trottenden Wiedergänger darstellt – auch in Survival of the Dead ist dies ein Kernthema – ergibt es leider keinerlei Sinn, dass die Kadaver nicht die typischen Genussmerkmale aufweisen.
Deswegen ist es schon in Ordnung, dass in Romeros bisher letztem Werk die Untoten fast schon zu einer Randerscheinung herabgestuft werden, die das trashige Hintergrundrauschen zu den trashigen Kleinkriegen der Lebenden bildet.

Das alles hat natürlich einen Sinn, auch wenn man für ihn nicht sonderlich tief graben muss. Aber Romero mag seine Botschaften halt so direkt wie seine Plagen.
Die Zombies sind nicht nur auch Menschen, sie sind die besseren Menschen. Zombies werden schrittweise menschlich, während sich die untergehende Spezies immer weiter und scheinbar ohne Chance auf Rettung zur Bestie entwickelt. Wenn anderswo der Zombie als Spiegelbild der Gesellschaft herhalten muss, müssen bei Romero Zombie und Gesellschaft selbst als dieser dienen. Diese Tendenz ist vielleicht am stärksten in seinem Land of the Dead zu erkennen, wo sogar Mitleid mit dem Klagen in die Nacht röhrenden Big Daddy evoziert wird. Ein Mitleid, das durchaus berechtigt ist. Schließlich handelt es sich bei der Gestalt Zombie um eine tragische Gestalt, die einer permanente Vergewaltigung unterworfen ist. Etwas hat Besitz ergriffen vom Privaten des Leibes, es annektiert, und missbraucht es nun für eigene Zwecke, die denen des ursprünglichen Besitzers aller Wahrscheinlichkeit zuwider sind. Es hat schon was Trauriges, wenn darum geeifert wird, diesen bemitleidenswerten Knechten, Blei in die sumpfigen Schädel zu jagen. Nicht, weil auf diesem ja das Gesicht der Tochter, des Anwalts oder des Fahrlehrers von irgendeinem sitzt, sondern weil man gezwungenermaßen jemanden richtet, der sich schuldlos schuldig macht. Jeder weitere Film in Romeros Universum scheint eine weitere Etappe darzustellen, in der sich die Schleckermäuler Menschlichkeit aneignen. Die große Frage ist natürlich, was dann aus den eigentlichen Menschen wird – behalten sie ihre kriegerische Natur bei, ist eine Koexistenz per se undenkbar.
Das Schlussbild von Survival of the Dead liefert die Andeutung einer Antwort. Der Filmtitel selbst aber auch.

Eigentlich gäbe es noch viel zu erwähnen, denn es steckt durchaus einiges drin in diesem Film. Die Kreuzung mit dem Western ist neu bei Romero und wer mag, darf sich Gedanken über Parallelen zu den Geschichten der Gründungsväter ziehen, darüber, wofür der klassische Western stand und steht – und wie sich diese Bedeutung in einer postapokalyptischen Zombie-Zukunft verschiebt, wo sich die Menschen, allen überlebensgroßen Sorgen zum Trotz, die Köpfe aufgrund von Nichtigkeiten von den Hälsen säbeln. Man könnte Seiten füllen mit Spekulationen über das generelle Spaltungsphänomen, das in vielen solchen Filmen und besonders in Romeros Werken immer wieder überdeutlich zutage tritt.
Weshalb darauf nun verzichtet wird, wurde schon gesagt: Der Film ist schlecht. Natürlich ist die Zombiethematik eine verhältnismäßig dankbare, sodass man auch dem unterirdischsten Horrorfilm diverse Botschaften unterstellen kann, ohne so richtig falsch zu liegen. Romero hatte fraglos viele Ideen – die er alle roh in den Film gewürfelt hat, wo nun die meisten von ihnen recht verloren umherschwimmen und nur sehr schlecht miteinander harmonieren. Der Film selbst aber, seine Geschichte, ihre Inszenierung und das Gefühl, das diese Kombination an den Zuschauer weitergibt, ist leider ein wenig erfreuliches Resultat.

Fazit

Survival of the Dead, so schlecht er ist, macht es einem bei einer Bewertung nicht so leicht, wie man anfangs meinen könnte. Im Grunde haut nichts hin. Spannung entsteht selten, die Figuren sind hassenswert, die Effekte lieblos und die Geschichte auf eine traurige Weise überraschungsarm und total abgehoben zugleich.
Trotz allem ist Romero immer noch Romero, so banal diese Erkenntnis auch sein mag. Es hätte, rein theoretisch, ein wirklich guter Film werden können, wenn der Vater des Pop-Zombies sich auf wenige Dinge beschränkt und diese dafür gewissenhaft ausformuliert hätte.
Stattdessen ist Survival of the Dead eine Wiederholung des ständig Gleichen, beschmutzt mit gescheitertem Humor. Es wird versucht, aus dem Genre, wie es in Romeros Kopf zu existieren scheint, durch kräftiges Wringen etwas Neues herauszubekommen – doch sammelt sich kaum genug wahre Innovation für einen einzigen, zitternden Tropfen.
Letztlich wirkt der sechste Film aus Romeros Zombiewerkstatt selbst etwas untot.