The Time to Die

Das Jahr 1970 war ein wunderliches Jahr für Kinogänger. Der Bruch zwischen zwei Zeiten war spürbar – besonders im europäischem Film. The Time to Die von André Farwagi ist ein Paradebeispiel hierfür mit seiner träumerischen Eleganz, eine durch und durch komische, verwunschene Welt darzustellen.

A film can be destroyed. Not this one.

Story

Ein Mädchen flieht zu Ross vor einer unbekannten Gefahr, verliert die Kontrolle und stürzt. Aus ihrer Hand löst sich eine Filmrolle und kullert davon, bis sie direkt neben dem im Wald ein Nickerchen machenden Leibwächter von Max Topfer liegenbleibt.
Was darauf zu sehen ist, ist mehr als verstörend: Max Töpfer wird von einem Unbekannten in einem seiner Räume erschossen. Doch Max Töpfer lebt und die Filmrolle selbst scheint nirgends registriert. Auch das verunfallte Mädchen ist mehr Rätsel als Hilfe. Nach ihrem Sturz scheint sie an partieller Amnesie zu leiden, weiß aber noch genau, dass sie im Domizil von Max Töpfer wohnt und scheint es auch bestens zu kennen. Nur wurde sie noch nie zuvor von Töpfer oder einem seiner Untergebenen gesehen.
Das vermeintliche Opfer ist wie besessen von dem mysteriösen Filmdokument und macht sich an die Analyse – bis mit dem wohlhabenden Firmeninhaber Hervé Breton der auf dem Band zu sehende Mörder identifiziert ist und mit der unmöglichen Aufzeichnung konfrontiert werden soll.

Kritik

Anna Karino, die schöne Dänin, die als Muse Jean-Luc Godards große Bekanntheit erlangte und in zahlreichen seiner erfolgreichsten Filmen mitspielte, hat im Laufe ihres Lebens schon so einiges gemacht – sie war erfolgreich auf der Theaterbühne, am Mikrofon, auf dem Regiestuhl, an der Schreibmaschine und so fort. Bis zum heutigen Tage. Da ist es von fast schon zwingender Notwendigkeit, dass manche ihrer Arbeiten in Vergessenheit geraten. Dass wiederum andere aber nie, auch nicht zur Zeit ihres Erscheinens, einem größeren Kreis von Leuten bekannt waren, ist hingegen schon ungewöhnlich. Gerade dann, wenn es sich um einen französischen Film handelt, der außerdem auch noch Größen wie Bruno Cremer und Jean Rochefort in den Hauptrollen vorzuweisen hat. The Time to Die ist aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz ein solches Phänomen. Dass Regisseur André Farwagi ansonsten kaum etwas und vor allem nichts Besonderes gemacht hat, kann zum Teil als Erklärung dienen – jedenfalls so lange, bis man sieht, was der Regisseur hier Bemerkenswertes geleistet hat. Doch der Reihe nach.
The Time to Die scheint in einer nicht näher definierten Zukunft zu spielen, macht aber keine große Sache daraus. Neben einigen Apparaturen ist es vor allem, ein bläulicher Kopf von beunruhigender, an klassische Aliens erinnernder Form auf einer Leinwand in der Villa des Protagonisten, der Zukünftiges markiert. Und dieses merkwürdige Artefakt vereint alle Sonderbarkeiten in sich, die auch den Rest der Welt ausmachen. Seine Herkunft und Beschaffenheit: Ungeklärt und auch nicht zu hinterfragen. Seine Disziplin: Rationalität. Füttert man ihn mit Informationen, vermag er es, Lösungen und Wahrscheinlichkeiten auszurechnen. Dabei scheint er aber nicht bloße Maschine zu sein, sondern hat durchaus Züge eines eigenständigen Charakters. Zugleich scheint Max Topfer dieser Entität ausgeliefert, übergibt er doch jede neue Information sofort an das blaue Orakel und überlässt diesem den Großteil der Kombinationsarbeit. Wieso es auf einem Bildschirm zu sehen ist, ob es nur ein Programm, ein Avatar oder ein tatsächlich irgendwo real lebendes Wesen ist, man weiß es nicht. In vielerlei Hinsicht präsentiert der Film nur einen hermetisch abgeriegelten Mikrokosmos, der als geschlossenes System funktioniert, in das nichts unkontrolliert ein- oder ausdringen kann.
Max Topfer, der mafiös anmutende, exzentrische Patriarch des abgelegenen Anwesens, umgibt sich mit einer Heerschar aus Leibwächtern und scheint in der Welt eine Legende zu sein – als und für was genau, erfährt der Zuschauer aber bestenfalls indirekt. Die von Bruno Cremer geliehene Mimik und Körpersprache erinnern an die italienische Schauspiellegende David Hemmings und verleihen der unnahbaren Figur Charisma, Gefühl, Eleganz und große Ausstrahlung, sodass sie in allem, was sie tut, interessant wirkt.
Der ihm entgegenstehende Hervé Breton wird gleichsam als kühler Herrscher über sein kleines Reich dargestellt, nur dass er in der totalen Öffentlichkeit und nicht in der totalen Abgeschiedenheit lebt. Als Kopf seiner Firma, aufgebaut durch das Geld seiner Frau, wirbt er für die Art von Urlaub, die Max in seinem ausgegrenzten Walddomizil rund um die Uhr hat. Er ist ein abgeklärter Geck und Dandy, den in seiner wohltemperierten Arroganz kaum etwas aus der Fassung zu bringen scheint. Das Aufeinandertreffen der beiden markanten und zugleich undurchsichtigen Figuren, von denen sich ein jeder auf unbekanntes, unheimliches Gebiet begibt und dort verletzlich macht, ist unaufdringlich und gelassen inszeniert, wirkt dadurch aber nicht minder spannend.
Das führt zum Herzstück von The Time to Die – die lupenreine, glasklare Inszenierung, die, auch aufgrund ähnlicher Ausgangssituation und Verortung, an Gialli aus eben jener Zeit oder die elegantesten Neo-Noirs erinnert. Die Bildsprache der Kamerabilder Willy Kurants ergibt zusammen mit dem klugen Schnitt eine Stimmung, die den Film vor allem besonders macht. Die durch kleine Einrichtungsdetails und Kameraeinstellungen immer etwas fremdartig wirkenden Räume, die Natur außerhalb des Anwesens, in welcher dem Zuschauer nie klare Orientierungspunkte gegeben werden, die tänzerischen Bewegungen der Figuren – all das wirkt die ganze Zeit über wie ein merkwürdiger Traum. Dass es sich bei The Time to Die um einen dieser Filme handelt, die sich durch die Filmrolle als MacGuffin stark selbstreferenziell sind, verstärkt diese Wirkung beträchtlich. Da ist es fast schon passend, dass der eigentliche Plot fast schon egal ist – wohin all das führt, wie es aufgelöst wird, all das ist im Großen wenig befriedigend und zum Glück auch gar nicht so wichtig. Es ändert nichts an der mysteriösen Ausstrahlung, dem unheimlichen Fatalismus hinter allem und der Schönheit der einzelnen Elemente.

Fazit

The Time to Die ist ein weiteres obskures Relikt aus dem Frankreich der 70er – und wie so viele andere dieser Relikte so unbekannt wie schwer zu bekommen. Doch die Suche lohnt sich. Belohnt wird man nämlich mit einem Film, der sich in eine diffuse Lücke zwischen Science-Fiction, Mystery und Krimi setzt, sich von Anfang bis Ende wie ein aufregender Traum anfühlt und einen allein durch die Stimmung so geschickt mitnimmt, dass der verhältnismäßig dünne Plot (vor allem durch die Augen der Gegenwart) zur totalen Nebensächlichkeit verkommt.

Assassination Classroom

Yûsei Matsuis Manga mit dem herrlich schrillen Titel Assassination Classroom wurde 2012 erstveröffentlicht und bekam dank zunehmendem Erfolg bereits ein Jahr später mit einem 30-minütigen Anime-Kurzfilm erweitert, eh er dann 2015 nicht nur eine ganze Anime-Serie mit bisher 44 Episoden, sondern auch zwei Filme spendiert bekam. Assassination Classroom ist der erste davon von Eiichirô Hasumi, der bisher primär mit kleineren Comicverfilmungen gewesen ist.


Story

Es sind seltsame Zeiten. Etwas hat zwecks Machtdemonstration ein riesiges Loch in den Mond gerissen und kündigt an, nach einer selbstgesetzten Frist, die gesamte Erde zu zerstören. Dieses Etwas ist ein menschgroßer gelber Oktopus mit einem smileygleichen Dauergrinsen auf dem kugelrunden Kopf. Um sich selbst eine Herausforderung zu stellen, gewährt das Wesen dem Blauen Planeten eine Chance: Ein Jahr lang wird es der neue Klassenlehrer der 3-E der Kunugigaoka-Mittelschule sein – jener Klasse, die gemeinhin als Gruppe der zum Scheitern verurteilten Außenseiter bekannt ist. Neben den normalen Fächern unterrichtet er die Jugendlichen außerdem in der Kunst des Tötens. Gelingt es ihnen, innerhalb der Frist einen Erfolgreichen Anschlag auf ihn zu verüben, bleibt die Erde verschont.
Die Überschallgeschwindigkeit, die außergewöhnlichen Reaktions- und Regenerationsfähigkeiten und nicht zuletzt die zahlreichen unbekannten Eigenschaften des wirbellosen Lehrkörpers erschweren dieses Vorhaben ebenso wie sein exzentrischer und irgendwie charismatischer Charakter.
Während das Fortbestehen der Erdenbevölkerung somit von den Fähigkeiten eines Haufens stark unterdurchschnittlicher Schüler abhängt, bleibt auch die Regierung nicht untätig und arbeitet ständig an neuen Kniffen, um die Chancen gegen das übermächtige Wesen zu vergrößern.

Kritik

Was für eine Geschichte! Und was für eine Optik. Der erfolgreiche Manga wurde mit viel Geld umgesetzt und lässt die reale Welt mit der comichaften Oktopuskreatur verschmelzen. Und das nicht ganz risikolose Experiment gelingt. Assassination Classroom ist die symbiotische Kombination von beiden Stilen mit Bravour gelungen und erschafft so eine recht individuelle Grundlage für diese nicht minder individuelle Geschichte.
Als gleichsam geglückt kann das Beisammensein der völlig überdrehten Ausgangslage mit der von den Figuren als durch und durch realen Gefahrensituation betrachtet werden. Und auch die Chemie zwischen dem alienhaften Aushilfslehrer und seinen Schülern stimmt durchweg. Eiichirô Hasumis Adaption fußt demnach auf einer starken Ausgangssituation und hat damit ob der irren Prämisse eigentlich auch schon die größte Hürde genommen.
Doch leider erschöpft sich das sehr bizarre Setting im Laufe des Filmes zusehends. Auch nach der hurtigen Einführung legt Assassination Classroom zwar erst einmal ein forsches Tempo vor, wird aber von Minute zu Minute langsamer und hat irgendwann all seine Trümpfe ausgespielt und überreizt. Natürlich wird der Oktopus sympathischer, natürlich gilt es, Eliminierungsversuche von dritten, eigenmächtig handelnden Parteien zu vereiteln oder zu überstehen – und natürlich geht es im Grunde darum, wie die 3-E zusammenwächst und -arbeitet.
Das eigentliche Mysterium und der vorgebliche Hauptkonflikt spielen in dem Film dafür nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dass die Gefahr nie global sichtbar ist, sondern sich so gut wie alles auf das Schulgelände beschränkt, ist durchaus sympathisch. Dass die Identität des Kraken ebenso wie die Gründe für sein Handeln entweder nur sehr vage angedeutet oder aber gar nicht erst thematisiert werden, nimmt dem größten Pluspunkt des Filmes – nämlich der Absurdität der Situation und insbesondere des grinsenden Tentakellehrers – zugleich auch sukzessive seine Einschlagskraft.
Nachdem die ersten großen Ideen abgefeuert wurden, wird Assassination Classroom dann leider Stück für Stück gewöhnlicher und stellt sich schließlich als im Herzen erzkonservativer Film heraus.
Zu einem schlechten Film wird Assassination Classroom dadurch noch lange nicht. Nicht nur die wunderliche Prämisse, auch in regelmäßigen, wenn auch zu langen, Abständen eingeworfene schräge Ideen füllen den Spaß immer wieder etwas auf.

Fazit

Unterm Strich verlässt sich  Assassination Classroom zu sehr auf die Attraktivität seiner irren Ausgangssituation und bietet im weiteren Verlauf zu wenig Außergewöhnliches. Optisch beeindruckt der Film vor allem durch die gelungene Eingliederung des animierten Comickraken, inhaltlich läuft sich die Grundidee aber ein wenig müde und enttäuscht gerade auch angesichts der hohen Erwartungen an das Szenario.
Die Entscheidung, die Geschichte auf zwei Filme aufzuteilen (der zweite erscheint dieses Jahr), hat sich letztlich vielleicht nicht monetär, gewiss aber künstlerisch als eine falsche herausgestellt.

Der Große Japaner – Dainipponjin

Der Comedian Hitoshi Matsumoto hat gut 5 Jahre an seinem ersten Film gearbeitet. Der Große Japaner – Dainipponjin ist oberflächlich betrachtet eine Verballhornung japanischer Monsterfilme, sogenannter Tokusatsu-Sendungen, geworden, was bereits in seinen zahlreichen Sendungen sein Markenzeichen war. Wird man mit dem Film konfrontiert, präsentiert er sich schnell als einer der seltsamsten und keineswegs genießbarsten Filme des letzten Jahrzehnts.

Brustwarzen sind wichtig. Ja…

Story

Das Tolle an Regenschirmen ist, sie werden nur groß, wenn man sie braucht. Seegras ist aus ähnlichen Gründen ganz wunderbar. Fahrräder mag er eher weniger. Mit der achtjährigen Tochter läuft es dafür nicht so rund. Sie lebt bei ihrer Mutter, einmal im Monat gehen Masaru Daisato und sie ins Kino. Der schwermütige Tropf, der hier tagein tagaus von einem Kamerateam begleitet wird, ist in seinem Alltag ein ganz normaler Japaner. Zugleich ist er aber auch der Letzte einer langen Reihe von Menschen, die durch direkte Starkstromeinwirkung zu Hünen mutieren, um Japan wann immer es nötig ist vor haushohen Ungeheuern zu beschützen.
Doch brach die Heldenverehrung lange ab. Japan hat die Begeisterung für seinen kühnen Nationalhelden längst verloren und empfindet den Retter eher als Störenfried und Plage. Immerhin ist er ein Beschützer sechster Generation. Nun ist sein Leben armselig, sein Gehalt mickrig, die Einschaltquoten nicht nennenswert.

Kritik

20 Minuten lang sieht man Masaru Daisato atonal, verunsichert, etwas schusselig reden, gefilmt von einer amteuerhaft geführten Handkamera, inteviewt von einem nie zu sehenden Fragensteller, der nicht durchblicken lässt, ob seine Fragen gut überlegt oder unvorbereitet und ahnungslos improvisiert sind. Das Gespräch ist banal, seine Antworten sind laff.
Dann beginnt der erste Kampf gegen ein Ringmonster mit schütterem Haar und Seitenscheitel, das wie ein irre gewordener Wal klingt und wo es nur kann laicht. Vom Design her sind die Monstrositäten äußerst gelungen. Die riesigen Hybriden aus abstrakten Organismen mit menschlichen Gliedern und überproportional großen Köpfen, wie sie auf den Schultern eines jeden Bürgers nicht auffielen, sind zugleich bemitleidenswert und derart unästhetisch und vulgär, dass automatisch Unwohlsein auslösen. Dass die Animationen der Riesen fast schon laienhaft ausfallen, passt dafür erstaunlich gut ins Bild. Die Kämpfe sind bewusst träge, die absurde Bewaffnung unseres Hauptdarstellerhühnen in Form einer kurzen Eisenstange herrlich unangemessen – und seine knappe purpurne Unterhose genauso unangenehm wie jede anderfe Art von Körperlichkeit in Dainipponjin.

Der Humor ist sehr leise, ergibt sich nur aus der absonderlichen Situation und nicht aus direktem Witz. Der Film ist zum Glück diszipliniert genug, nicht albern zu werden und das zerbrechliche Gleichgewicht zwischen lakonischer Tristesse und bizarrer Parallelwelt zu gefährden.
Doch dabei ist es eigentlich nur selten wirklich komisch, mit fortschreitender Laufzeit, in der wir den einsamen, in sich gekehrten Melancholiker begleiten, erhält der Film erst eine Aura der Bedrohlichkeit, die sich im Hintergrund immer spürbarer auftut und wird dann plötzlich einfach nur noch leer und trostlos.

Das Problem des Filmes: Dainipponjin – Der große Japaner setzt sich zusammen aus sehr vielen ruhigen Interviewpassagen, die nur dann und wann von den skurrilen Monstermissionen abgelöst werden. Die einzelnen Geschehnisse sind vom Prinzip her groß, hängen aber in keiner Weise zusammen. Sobald klar ist, dass die Geschichte genaugenommen nur eine lose Kette unzusammenhängender Ereignisse darstellt, ist es schwer, den Film mit großer Aufmerksamkeit weiterzuverfolgen, da die Einzelheiten nicht interessant genug sind und im Kontext des Gesamten keine nennenswerten Verknüpfungen zueinander aufbauen.
Der Mockumentary-Stil entschuldigt in gewissem Maße zwar die sehr lieblos geführte Kamera, ganz vergessen machen kann er sie aber nicht.
Trotzdem lässt sich eine sonderbare Art der Anziehung nicht bestreiten. Es gibt witzige Momente, die davor bewahren, Langeweile entstehen zu lassen. Aber das ist nicht der ausschlaggebende Punkt. Bemerkenswert sind vielmehr die weitaus zahlreicheren Szenen, die höchst irritierend sind, ohne dabei wirklich verstörend zu werken. Sie sind einfach nur seltsam. Und sonst nichts. Irgendwo in der Schnittmenge aus Scham, Mitleid und peinlicher Berührtheit spielt sich der Film ab.
Das klingt eigenartig und das ist eigenartig. Dainipponjin baut eine ungeheuer eigene Atmosphäre auf, die definitiv keinen Spaß macht, aber fraglos was für sich hat und behaupten kann, höchst eigen zu sein.. Ob das genügt, sich auf den Film einzulassen, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Die letzten 15 Minute sind dann urplötzlich ein Feuerwerk des Einfallsreichtums, wunderbar absurd, überdreht und spritzig. Dadurch entsteht ein Kontrast zum restlichen Film, der so enorm ist, dass es das Gesamtwerk fast schon rund macht. Doch das soll und kann nicht verheimlichen, dass bis zu diesem Zeitpunkt die Satire nicht saftig genug ist, die Komödie nicht ausreichend witzig, die Tragödie zu zerfahren und nicht zuletzt auch das Spiel von Hitoshi Matsumoto nicht ausdrucksstark genug.

Fazit

Japans Comedian Hitoshi Matsumoto in Personalunion als Regisseur, Autor, Produzent und Hauptdarsteller schafft mit seinem Regiedebut etwas einzigartig Spleeniges, das dennoch nicht zwangsläufig sehenswert ist, da über Dainiponjin bei besten Willen nicht gesagt werden kann, dass er Spaß macht. Die Tokusatsu-Filme werden durch die orientierungslose Dramatik in gewisser Weise zwar treffend aufs Korn genommen, das Bemerkenswerteste an diesem Kuriosum ist aber zweifelsohne seine kaum zu beschreibende Atmosphäre, die sich aus merkwürdig anstößig anmutenden Schlichtheiten selbst gebärt.

Tetsuo: The Iron Man

Tetsuo: The Iron Man bedeutete den großen Durchbruch von Shinya Tsukamotos, der hier als Drehbuchautor, Produzent, Regisseur und Schauspieler tätig war. Der Erfolg ermöglichte ihm daraufhin eine kunterbunte Vita mit Filmen wie Vital, Tokyo Fist und Nightmare Detective, die vor allem eines sind – einander sehr unähnlich. Es folgten zudem zwei weitere Sprösslinge des Tetsuo-Universums. Im Jahre 1992 Tetsuo II: Body Hammer und 2010 Tetsuo: The Bullet Man. Den Kultstatus, den der erste Teil der Cyberpunk-Trilogie innehat, konnten die Nachfolgewerke natürlich nicht heraufbeschwören, das Thema ist aber das gleiche geblieben: Der Verlust von Menschlichkeit.

Story

Ein Mann ist besessen von Metall. Seine Wohnung ist ein Gestrüpp aus Eisen in jeder erdenklichen Form. Doch würde seine Obsession sich nur in einer Sammelleidenschaft äußern, würde ein Tsukamoto keinen Film daraus machen wollen. Besitz alleine genügt nicht, selbst aus Metall will dieser Mann bestehen und implementiert sich Eisen direkt in den Körper. Nach dieser mehr oder minder geglückten Selbstoperation wird er von einem Büroangestellten angefahren und im Graben liegend zurückgelassen. Der Eisenmann sinnt auf ganz spezielle Rache. Er macht den flüchtigen Fahrer ausfindig und reiht ihn ohne Umschweife ein, in seine Welt, der nur der Rost was anhaben kann.

Kritik

„Kaijyu Theatre präsentiert: Eine Serie über mysteriöse Durchschnittsmenschen“ lautet die nüchterne, aber passende Prophezeiung zu Beginn. Natürlich möchte der Film eine Aussage treffen – die Entfremdung des Menschen von sich selbst bei immer ansteigender Technisierung, die Furcht vor Kontrollverlust. Natürlich ist der Protagonist namenlos, natürlich sind es die biederen, rigiden Menschen, die bis zur Haarspitze geschniegelt und herausgeputzt schließlich von Technik einverleibt, ein Werkzeug des Werkzeuges werden. Obwohl Tetsuo durchaus als große Metapher verstanden werden kann, ist es nicht der inhaltliche Part, der den 67-Minüter so besonders, interessant und weltbekannt macht und machte. Es ist die technisch-ästhetische Seite, die ihn auszeichnet.

Schwarzweiß, verwackelt, körnig ist das Bild. Die ersten Sequenzen wecken Erinnerungen an den Mockumentaryklassiker Mann beißt Hund. Sie gibt uns ungewöhnliche Ausschnitte an die Hand – ein paar Füße, eine Gesichtshälfte und ein dazu passender Torso. Kamerafahrten durch Ansammlungen aus Schrott, der auf seltsam organische Weise strukturiert zu sein scheint. Rohre, Stahlseile, große Metallstücke mit schartigen Kanten, Draht und Rost. Elemente, die als Komponenten vertraut wirken, für sich alleine aber jeglichen Sinn verlieren. Die Tonspur steuert dumpfe Industrialklänge von Chu Ishikawa aka Der Eisenrost bei, genauso körnig wie das Bild. Dann schneidet sich der Mann den Oberschenkel auf, immer noch nicht klar zu erkennen und aus einem unmöglichen Kamerawinkel beobachtet. Durch den klaffenden Schlitz presst er ein Rohr in sein Bein.
Nach nach diesem Anfang endet die Normalität.

Tetsuo ist ein Experimentalfilm reinsten Wassers, der sich dem Thema Bodyhorror auf eine Weise annimmt, die selbst Altmeister Cronenberg mit Leichtigkeit das Wasser reichen kann.
Würde man Ereaserhead, Universal Soldier und Cronenbergs Die Fliege übereinanderlegen dann und vom jungen Salvador Dalí im Zeitraffer abspielen lassen, erhielte man wohl so etwas wie eine Ahnung davon, was Tetsuo ist.
Was schon reichlich unkonventionell startet, entwickelt sich rapide zu einem irrsinnigen Höllentrip. Die Verwandlung des Protagonisten zum röhrenden Schrott-Hulk ist ein Weg, der von unzähligen Grausamkeiten, Perversionen und sprunghaften, höchst befremdlichen Geschehnissen gesäumt ist. So verrückt wie die Story, so verrückt ist auch die Machart. Die Charaktere bewegen sich in einer Art Stop-Motion-Zeitraffer vorwärts, die an sich simple Handlung vollführt verwirrende Sprünge, der Soundtrack strahlt eine technische Bedrohlichkeit aus und das Schwarzweißbild ist phasenweise massiv von Störeffekten durchsetzt. Alles im allem gibt der Film dem Zuschauer eine Erfahrung, die jener nahekommen muss, tatsächlich die Metamorphose zum Metallbiest am eigenen Leib zu erfahren. Eine fesselnde Atmosphäre des Unangenehmen umgibt den gesamten Film.
Die belastend glaubhafte Maske, die unzähligen Einzelbilder und die beachtliche Ausstattung lassen nur erahnen, welche Menge an Arbeit in diesem Projekt stecken muss.
Das Ergebnis ist ein unglaublich einnehmender Fiesling von einem Science-Fiction-Film, dem man sicher einen Hang zum Exploitationfilm unterstellen kann, dessen surrealistische Grausamkeiten interessanteweise aber nie dem Selbstzweck dienen.
Für so manchen mag Tetsuo sicher wenig mehr als geschmackloser Schund sein. Und in gewissem Maße ist dieser Streifen das ohne Zweifel auch – nicht nur provokativ, sondern auch geschmacklos, ohne Rücksicht auf Sehgewohnheiten und im großen Stil verstörend. Aber eben auch sagenhaft fantasievoll, ein pulsierendes Bündel von entarteter Kreativität, das sich von Szene zu Szene weiterverwandelt, dort beginnt, wo andere Filme stoppen und dort endet, wo zuvor und auch danach kaum ein anderer Film gewesen ist.
Zum Ende hin versackt die Geschichte mehr und mehr im surrealistischen Matsch, der mehr an ein Tool-Video in Verbindung mit einem Horrortrip erinnert denn an einen klassischen Film mit nachvollziehbarer Handlung. Bis man schließlich gar nicht mehr weiß, wer gut und wer böse ist – und ob es etwas derart Banales überhaupt jemals in der Welt von Tetsuo gegeben hat.
Anstrengend ist er folglich, dieser Film, und das nicht aufgrund der teils expliziten Gewalt, sondern in erster Linie durch die filmische Herangehensweise, die tiefe Beklemmung hervorruft, und den Zuschauer zum Schluss hilflos zurücklässt.
Dialogisch ist der Film aufs Wesentliche reduziert – ein paar Interjektionen, hie und da ein Satzfetzen, seltene leere Worthüllen. Das war es. Der Rest der Tonspur gehört Soundtrack und Geräuschen. Doch auch dies passt, da in einer Welt der Maschinen die verbale Kommunikation schlicht nicht benötigt wird.

Fazit

Tsukamotos Experimentalkult ist gewordener Rausch zwischen Bildstörung und albtraumhaften Cyborg-Monstrositäten, der unter Garantie nur einer Minderheit gefällt, aber von jedem, der sich für Ausgefallenes erwärmen kann, zumindest einmal erprobt werden sollte.
Trotzdem kann diese Empfehlung auch gleichermaßen als Warnung verstanden werden, da Tetsuo selbst für japanisches Kino äußerst abgedrehte Kost liefert.