The Time to Die

Das Jahr 1970 war ein wunderliches Jahr für Kinogänger. Der Bruch zwischen zwei Zeiten war spürbar – besonders im europäischem Film. The Time to Die von André Farwagi ist ein Paradebeispiel hierfür mit seiner träumerischen Eleganz, eine durch und durch komische, verwunschene Welt darzustellen.

A film can be destroyed. Not this one.

Story

Ein Mädchen flieht zu Ross vor einer unbekannten Gefahr, verliert die Kontrolle und stürzt. Aus ihrer Hand löst sich eine Filmrolle und kullert davon, bis sie direkt neben dem im Wald ein Nickerchen machenden Leibwächter von Max Topfer liegenbleibt.
Was darauf zu sehen ist, ist mehr als verstörend: Max Töpfer wird von einem Unbekannten in einem seiner Räume erschossen. Doch Max Töpfer lebt und die Filmrolle selbst scheint nirgends registriert. Auch das verunfallte Mädchen ist mehr Rätsel als Hilfe. Nach ihrem Sturz scheint sie an partieller Amnesie zu leiden, weiß aber noch genau, dass sie im Domizil von Max Töpfer wohnt und scheint es auch bestens zu kennen. Nur wurde sie noch nie zuvor von Töpfer oder einem seiner Untergebenen gesehen.
Das vermeintliche Opfer ist wie besessen von dem mysteriösen Filmdokument und macht sich an die Analyse – bis mit dem wohlhabenden Firmeninhaber Hervé Breton der auf dem Band zu sehende Mörder identifiziert ist und mit der unmöglichen Aufzeichnung konfrontiert werden soll.

Kritik

Anna Karino, die schöne Dänin, die als Muse Jean-Luc Godards große Bekanntheit erlangte und in zahlreichen seiner erfolgreichsten Filmen mitspielte, hat im Laufe ihres Lebens schon so einiges gemacht – sie war erfolgreich auf der Theaterbühne, am Mikrofon, auf dem Regiestuhl, an der Schreibmaschine und so fort. Bis zum heutigen Tage. Da ist es von fast schon zwingender Notwendigkeit, dass manche ihrer Arbeiten in Vergessenheit geraten. Dass wiederum andere aber nie, auch nicht zur Zeit ihres Erscheinens, einem größeren Kreis von Leuten bekannt waren, ist hingegen schon ungewöhnlich. Gerade dann, wenn es sich um einen französischen Film handelt, der außerdem auch noch Größen wie Bruno Cremer und Jean Rochefort in den Hauptrollen vorzuweisen hat. The Time to Die ist aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz ein solches Phänomen. Dass Regisseur André Farwagi ansonsten kaum etwas und vor allem nichts Besonderes gemacht hat, kann zum Teil als Erklärung dienen – jedenfalls so lange, bis man sieht, was der Regisseur hier Bemerkenswertes geleistet hat. Doch der Reihe nach.
The Time to Die scheint in einer nicht näher definierten Zukunft zu spielen, macht aber keine große Sache daraus. Neben einigen Apparaturen ist es vor allem, ein bläulicher Kopf von beunruhigender, an klassische Aliens erinnernder Form auf einer Leinwand in der Villa des Protagonisten, der Zukünftiges markiert. Und dieses merkwürdige Artefakt vereint alle Sonderbarkeiten in sich, die auch den Rest der Welt ausmachen. Seine Herkunft und Beschaffenheit: Ungeklärt und auch nicht zu hinterfragen. Seine Disziplin: Rationalität. Füttert man ihn mit Informationen, vermag er es, Lösungen und Wahrscheinlichkeiten auszurechnen. Dabei scheint er aber nicht bloße Maschine zu sein, sondern hat durchaus Züge eines eigenständigen Charakters. Zugleich scheint Max Topfer dieser Entität ausgeliefert, übergibt er doch jede neue Information sofort an das blaue Orakel und überlässt diesem den Großteil der Kombinationsarbeit. Wieso es auf einem Bildschirm zu sehen ist, ob es nur ein Programm, ein Avatar oder ein tatsächlich irgendwo real lebendes Wesen ist, man weiß es nicht. In vielerlei Hinsicht präsentiert der Film nur einen hermetisch abgeriegelten Mikrokosmos, der als geschlossenes System funktioniert, in das nichts unkontrolliert ein- oder ausdringen kann.
Max Topfer, der mafiös anmutende, exzentrische Patriarch des abgelegenen Anwesens, umgibt sich mit einer Heerschar aus Leibwächtern und scheint in der Welt eine Legende zu sein – als und für was genau, erfährt der Zuschauer aber bestenfalls indirekt. Die von Bruno Cremer geliehene Mimik und Körpersprache erinnern an die italienische Schauspiellegende David Hemmings und verleihen der unnahbaren Figur Charisma, Gefühl, Eleganz und große Ausstrahlung, sodass sie in allem, was sie tut, interessant wirkt.
Der ihm entgegenstehende Hervé Breton wird gleichsam als kühler Herrscher über sein kleines Reich dargestellt, nur dass er in der totalen Öffentlichkeit und nicht in der totalen Abgeschiedenheit lebt. Als Kopf seiner Firma, aufgebaut durch das Geld seiner Frau, wirbt er für die Art von Urlaub, die Max in seinem ausgegrenzten Walddomizil rund um die Uhr hat. Er ist ein abgeklärter Geck und Dandy, den in seiner wohltemperierten Arroganz kaum etwas aus der Fassung zu bringen scheint. Das Aufeinandertreffen der beiden markanten und zugleich undurchsichtigen Figuren, von denen sich ein jeder auf unbekanntes, unheimliches Gebiet begibt und dort verletzlich macht, ist unaufdringlich und gelassen inszeniert, wirkt dadurch aber nicht minder spannend.
Das führt zum Herzstück von The Time to Die – die lupenreine, glasklare Inszenierung, die, auch aufgrund ähnlicher Ausgangssituation und Verortung, an Gialli aus eben jener Zeit oder die elegantesten Neo-Noirs erinnert. Die Bildsprache der Kamerabilder Willy Kurants ergibt zusammen mit dem klugen Schnitt eine Stimmung, die den Film vor allem besonders macht. Die durch kleine Einrichtungsdetails und Kameraeinstellungen immer etwas fremdartig wirkenden Räume, die Natur außerhalb des Anwesens, in welcher dem Zuschauer nie klare Orientierungspunkte gegeben werden, die tänzerischen Bewegungen der Figuren – all das wirkt die ganze Zeit über wie ein merkwürdiger Traum. Dass es sich bei The Time to Die um einen dieser Filme handelt, die sich durch die Filmrolle als MacGuffin stark selbstreferenziell sind, verstärkt diese Wirkung beträchtlich. Da ist es fast schon passend, dass der eigentliche Plot fast schon egal ist – wohin all das führt, wie es aufgelöst wird, all das ist im Großen wenig befriedigend und zum Glück auch gar nicht so wichtig. Es ändert nichts an der mysteriösen Ausstrahlung, dem unheimlichen Fatalismus hinter allem und der Schönheit der einzelnen Elemente.

Fazit

The Time to Die ist ein weiteres obskures Relikt aus dem Frankreich der 70er – und wie so viele andere dieser Relikte so unbekannt wie schwer zu bekommen. Doch die Suche lohnt sich. Belohnt wird man nämlich mit einem Film, der sich in eine diffuse Lücke zwischen Science-Fiction, Mystery und Krimi setzt, sich von Anfang bis Ende wie ein aufregender Traum anfühlt und einen allein durch die Stimmung so geschickt mitnimmt, dass der verhältnismäßig dünne Plot (vor allem durch die Augen der Gegenwart) zur totalen Nebensächlichkeit verkommt.

Synchronicity

The Signal war 2007 inmitten der unüberschaubaren Zombiewelle ein Ausreißer mit ungewöhnlicher Dramaturgie, ungewöhnlichen Figuren und nicht zuletzt auch ungewöhnlichem Humor. Nach ausgiebigen Komplettausflügen in die My Super Psycho Sweet 16-Reihe, eine Slasher-Trilogie aus dem Hause MTV, durfte man 2015 wieder ein komplettes Autorenwerk von Jacob Gentry erfahren: Synchronicity

You taste like ash.

Story

Jim Beale ist ein so besessener wie genialer Eierkopf, der dank der Finanzierung des dubiosen Unternehmers Klaus Meisners den Bau seiner Zeitmaschine abschließen konnte. Der erste Testdurchlauf läuft war nicht völlig vorfallfrei ab, weist aber trotzdem Anzeichen von Erfolg auf. Doch dann fällt der der zwielichtige Sponsor Beale und seinem Team in den Rücken – und dem Wissenschaftler bleibt nur, sich selbst in die Maschine zu begeben, um die vorgegebene Spanne von 5 Tagen zurückzureisen. Dort beziehungsweise dann trifft er nicht nur die mysteriöse Frau Abby, die irgendwie mit Klaus Meisner verbunden scheint, sondern schnell auch sich selbst und seine Kollegen.

Kritk

Zeitreisefilme sind in den letzten Jahren geradezu in Mode geraten – sie sind meist günstig und mit kleinem Personal umzusetzen und können rein auf der Behauptungsebene eine komplexe, spannende, stark verworrene Welten entfalten. Ihr Vorteil liegt auf der Hand: In einem stark eingeschränkten Setting, das jedoch überdurchschnittlich viel Tiefenpotenzial aufweist, kann dank vieler impliziter Regeln und spannender Ausgangssituation schnell eine Situation entworfen werden, in der fast alles möglich und absolut alles verdächtigt wird, die zum detektivischen Beobachten, Mitdenken und Theoretisieren einlädt.
Und auch narrativ ist es ein dankbares Feld – während die Zeit sich verändert, bleiben Räume und Figuren zwar auch, aber je nach Zeit(strahl) wandeln auch sie sich. Fix- und Orientierungspunkte werden zunehmend unsicherer, Grenzen von Erzählung weiten sich.
Eine Bühne mit vorgegebenen Rahmen lässt manchmal kreativer sein als ein großes Feld, auf dem alles möglich ist und aufgrund des Aufwands jeder Mut sofort die Gefahr der Ablehnung bedeutet. Trotz unendlicher Möglichkeiten der Story sind die meisten Science-Fiction- und Fantasy-Filme zahm und ordinär. In dem fast schon kammerspielartigen Rahmen eines kleinen Zeitreisefilmes aber erblühten schon die verschiedensten Abenteuer. Sei es ein Taschenformat-Krimi wie in Time Lapse, ein kleinerer Thriller wie Predestination ein etwas größerer Thriller wie Looper oder Komödien mit klassischer Struktur, wie sie Zurück in die Zukunft quasi vorgegeben hat.
Doch nun zu Synchronicity – denn das hier genutzte Genre (oder vielleicht besser: Strömung) ist der Film Noir. In Bildern, die an das Beste des Frühneunzigerkinos erinnern, lässt Gentrys Film sanft die Zeichen der Schwarzen Serie vorübertreiben. Der wahre Orientierungspunkt ist hierbei natürlich nicht der ursprüngliche Film Noir, sondern die Ästhetik eines Blade Runner. Selbst die Räumlichkeiten des Labors sind nicht vor nebelartigem Dampf befreit, der über den oden hin zur Decke wabert. Die Stadt wird ausgeleuchtet in einem trübem neon-bunt und ein permanenter Regen fällt auf sie nieder. Der Film deutet diese Ästhetik nicht an, er atmet sie. Und das trotzdem nicht aufdringlich plump, sondern erstaunlich stilbewusst und in bestmöglicher Kombination. Auch die Motivbausteine des Film Noir sind vertreten – die Dahlie, das Appartement,  die Bar, der kapitalistische Gauner, die ausufernden Gespräche im Fokus, undurchsichtige Rätsel, eine Femme fatale par excellence, selbst ein Chiaroscuro-Wandventilator und natürlich der heruntergekommene Ermittler wider Willen, gegen den sich das gesamte Umfeld verschworen zu haben scheint und der das undurchdringliche Dickicht mysteriöser Unstimmigkeiten um sich herum kaum aus eigener Kraft überschauen kann. Und am Ende eine Auflösung, bei der nicht ganz klar, ob sie ein Auflösung ist – bei der noch einige Bausteine fehlen, um sich ganz sicher sein zu können. Auch das ist Film Noir: Das Geheimnis ist stärker als die Wahrheit.
Möglich sind am Ende mehrere Dinge, welche davon nun wirklich stattfinden, darüber schweigt die Geschichte. Darüber nachzudenken, einzelne Theorien auf Plausibilität abzuklopfen und sie bei einer weiteren Sichtung auf Dichte zu überprüfen, das macht auch bei diesem Zeitreisefilm den Reiz aus. Bloß ist es hier eben nicht nur das, sondern eben auch das glaubhafte Noir-Blut, das durch den Film gepumpt wird und ihn zu einem ganz eigenen Leben erweckt und sehr besonders macht.
Dass aber auch dieser Zeitreisefilm kommt nicht mit intakter Logik davonkommt und sogar ziemlich offensichtliche Ungereimtheiten aufweist, die ebenso hätten vermieden können, lassen die Geschichte unsauber durchdachter wirken, als sie es tatsächlich ist. Denn auf der anderen Seite glänzt Synchronicity durch den geschickten Einsatz von Auslassungen und Pointen, sodass auch zwangsläufige Wiederholungen nicht langweilen, sondern immer wieder Neues eröffnen – nicht bloß dank wechselnden Perspektiven, wie es sonst der Fall ist.

Fazit

Es ist gar nicht so einfach, Synchronicity zu bewerten. Ästhetisch – und hier scheiden sich durchaus die Geister – ist der Film ein gelungener Wurf. Die Art und Durchführung der Geschichte ist durchaus speziell, ist aber auch absichtlich – und manch einer mag bemängeln unnötig – konfus erzählt. Spannend und interessant ist dieser Film aber ohne Zweifel – und ein weiterer Beweis dafür, dass Zeitreisefilme sich noch lange nicht totgelaufen haben.