Rabid

Wenn in den 70ern etwas entschieden besser war als heute, dann waren es… dieser Satz ist gar nicht so einfach zu beenden. Vielleicht waren es die deutschen Zusatztitel von Filmen, die damals genauso albern und freiheraus erfunden waren wie heute, dereinst aber von deutlich mehr Kreativität zeugten. 1977 legte David Cronenberg im Anschluss an Shivers – Parasiten-Mörder prompt nach mit  Rabid – Der brüllende Tod,oder, um es mit den damals in Deutschland so beliebten Alternativtiteln zu sagen, Überfall der teuflischen Bestien beziehungsweise Rabid – Bete, dass es dir nicht passiert. Damit war der Mittelpart seiner Venereal Horror-Trilogie geschaffen.

Potato man loves ketchup man.

Story

Rose und Hart tragen nicht nur klangvolle Namen, sondern haben auch Probleme mit ihrem Van. Als sie mit diesem gerade quer auf einer Landstraße stehen und die Zündung streikt, knattert ein Motorrad in sie hinein. Da Rose beträchtlich verletzt wurde, wird sie in das naheliegende Klinikum für plastische Chirurgie eingeliefert, dessen Chefarzt sich angesichts der Dringlichkeit ihrer Lage dazu gezwungen sieht, ein bislang unerprobtes, aber äußerst vielversprechendes Verfahren an ihr auszuprobieren. Er entnimmt einer unversehrten Stelle ihres Körpers Gewebe, neutralisiert den Zellkern und ersetzt das zerstörte Fleisch ihrer Wunden mit ihm. Das morphogenetisch neutralisierte Material fügt sich nahtlos in seine neue Umgebung ein. Was vormals Oberschenkel war, ist nun Gesicht. Die Wundermethode bringt nur eine ungewollte Nebenwirkung mit sich. Als Rose aus ihrem Koma erwacht, kann sie ihren Hunger nicht mehr durch gewohnte Nahrungsaufnahme stillen, sondern muss sich durch einen neu entstandenen Rüssel, der aus ihrer Achselhöhle ragt, vom Blut anderer Menschen ernähren. Irgendwas ist ja immer. Ihre Opfer werden zu Ungeheuern, die wahllos andere anfallen und diese ebenfalls infizieren. Während Rose, die trotz Blutdurst bei Verstand ist, den in Montreal wartenden Hart zu finden versucht und dabei nicht so recht versteht, was um sie herum geschieht, verbreitet sich die Krankheit bald schon mit epidemieartigen Ausmaßen im ganzen Land.

Kritik

Wieder ein paar übereifrige Wissenschaftler, die nur das Beste wollen und das Schlimmste fördern. Wieder die meiste Zeit über eine Klinik mit Kurortcharakter als limitierter Handlungsort. Dazu Monotone Instrumentalisierung à la Carpenter mit melancholischem Touch. Rabid kam zwei Jahre nach Cronenbergs Debut-Meisterstück Shivers und wirkt ein wenig wie dessen B-Seite. Hier wird Ähnliches mit kühlerer Temperatur serviert. Trotzdem lässt es nicht kalt, denn obwohl alles ein paar Nummern weniger intensiv ist als der Vorgängerfilm, ist Rabid immer noch packend inszeniert und wartet mit genug kauzigen Figuren auf, um durchweg unterhaltsam zu sein. Trotzdem, wenn man Shivers noch halbwegs gut in Erinnerung hat, wirkt Rabid irgendwie mau. Dabei hat sich der junge Cronenberg, der auch hier schrieb und inszenierte (und aufgrund der Kontoverse, die es wegen Shivers in Kanada gab, massive Probleme mit der Finanzierung hatte) sichtlich bemüht, Neues einzubringen, auch wenn der fast identische Handlungsort, die fast identische Ausgangssituation und eine sehr ähnliche Personenkonstellation auf den ersten Blick Ernüchterung walten lassen. Rabid ist so manches. Zum Beispiel eine fatalistische Sexmetapher mit umgekehrten Vorzeichen. Die Frau ist umgeben von grobschlächtigen Lüstlingen und fast jeder Mann auf ihrem Weg ein potenzieller Vergewaltiger. Doch sie hat den Stachel, der ausfährt und tief in die Männerkörper dringt, um Fleisch und Wesen zu annektieren. Geschlechter-Machtverhältnisse tauschen ihre Vorzeichen und die Maskulinität sieht sich mit steigendem Machogebaren mit proportional wachsender Ausgeliefertheit konfrontiert. Denn je aufdringlicher die Herren werden, desto prädestinierter sind sie als Opfer. Was der Körper der Frau verlangt, holt er sich einfach, während insbesondere das andere Geschlecht einzig für die Befriedigung der Triebe nützlich ist. Anders noch als in Shivers, wo Mann und Frau gleichermaßen auf die Paarung und Fressen reduziert wurden und so in animalischem Einklang wüteten.
Außerdem ist Rabid recht offensichtlich nicht nur eine Zombiefilm-Variante, sondern bedient ebenso die Merkmale von Vampirgeschichten. Eine verführerische Dame mit enormem Blutdurst saugt ihre Opfer aus und verwandelt sie in willenlose Ghule. Das alles ist auch in Hinblick auf die Aufregung um Shivers bemerkenswert. Kritisiert wurde David Cronenbergs erster Langfilm, weil er pervers, geschmacklos, abstoßend sie. Das Zweitwerk wirkt nunt – vor allem wegen seines Endes und des Endes seiner Protagonistin – wie ein ausgestreckter Mittelfinger in Richtung all der prüden und kleinkarierten Moralapostel, die den jungen Regisseur am liebsten beim Scheitern betrachtet hätten. Rabid ist weniger explizit, der schon direkt zur Anfangszeit für den Regisseur charakteristische Body Horror-Anteil verschwand hier wieder so gut wie völlig. Die Geschichte ist aber kühler, nihilistischer und hoffnungsloser als noch der zynische und verquer-märchenhafte Shivers es gewesen ist. Obwohl Cronenberg sich gegen seinen Willen mit der Wahl der Schauspielerin arrangieren musste, trug sicher auch Sissy Spacek in ihrer Hauptrolle zu diesem Eindruck bei. Bis dato war sie eine erfolgreiche Pornodarstellerin und erhielt hiermit ihre erste bekleidete Hauptrolle.
Ein diesbezüglich witziges Detail wird ausgerechnet in der US-Version zum Kuriosum: In einer Szene begibt sich Rose Pornokino. In der deutschen Version ist dies auch der Fall, wie die ziemlich eindeutige Tonspur des Films im Film bezeugt. In der englischen Version spricht der Filmtitel, der kurz an der Kinofront zu sehen ist, zwar Bände, doch wurde der Streifen fürs englischsprachige Publikum völlig neu synchronisiert, sodass statt eines Pornos ein regulärer Film läuft. Vermutlich, um den Film fürs US-Kino tauglich zu machen und auf Nummer sicher zu gehen, damit Rabid nicht auf jedem Millimeter Zelluloid als Skandalschinken abgestempelt wird. Hier ist die Synchro tatsächlich einmal näher am Original als das Original selbst. Vor allem deshalb, da die betreffende Szene nur dann zur Gänze Sinn macht, wenn die Art des Filmes klar ist.

Den angesprochenen Deutungsmöglichkeiten zum Trotz ist der Film emotional trotzdem viel oberflächlicher als Shivers, was nicht nur an der angesprochenen kühleren Art der Inszenierung liegt, sondern auch an den merkwürdigen Figuren, die auf den Zuschauer immer sehr fremd wirken und damit kaum Mitgefühl entwickeln lassen. Dadurch wird Rabid auf eine spezielle Weise sehr sonderbar, büßt aber auch an klassischem Sehvergnügen ein. Dass die Story zum Ende hin sehr fahrig wird, macht den Film dann fast ein wenig zäh. Ebenso kühl, gleichzeitig aber auch ausladend schön sind die eingefangenen Schauplätze des ländlichen Kanadas. Letztlich wohnt auch Rabid dieser unverkennbare und gleichzeitig unterschwellige Humor inne, der den frühen Cronenberg auszeichnet, aber er ist nicht nur deutlich zurückgeschraubt, sondern – so wie alles – einfach nicht ganz so bissig, perfekt und einfallsreich wie noch in Shivers. Dass sich der Film all die Vergleiche mit dem formidablen Vorgänger gefallen lassen muss, der formal zwar sehr gleichartig ist, sonst aber nichts mit ihm zu tun hat, ist sicher nicht ganz koscher. Für sich betrachtet ist auch Rabid ein sehr gelungener Film, der sich recht früh vom bloßen Metapherdasein löst und zum beklemmenden Seuchenthriller weiterentwickelt. Während in der Stadt der Ausnahmezustand immer weiter voranschreitet, verfolgt man das Geschehen über die Schultern der verschiedenen Protagonisten. Hier offenbart sich allerdings auch wieder einmal, dass Cronenberg das Kammerspielartige einfach mehr liegt als Anwandlungen epischer Breite.

Fazit

Den Vergleich mit Shivers muss Rabid einfach mit sich geschehen lassen. Zu überdeutlich sind die strukturellen Gemeinsamkeiten der beiden Werke. Und da hat Ersterer die Nase eindeutig vorn, weil er schlichtweg mehr Biss besitzt. Dennoch hat auch Rabid unverkennbare Cronenberg-Stärken, vor allem in der Inszenierung, der abwechslungsreichen Geschichte und nicht zuletzt den verschiedenen Lesarten, die der Sci-Fi-Thriller anbietet. Wie oft findet man Zombies, Vampire, Infragestellung sexueller Identität, Wissenschaftskritik und Seuchenthriller in 87 Minuten vereint – und das alles als ausgestreckter Mittelfinger in die rechts-konservative Ecke? Eben.

Parasiten-Mörder

Psychische Deformationen, repräsentiert durch körperliche Deformationen. David Cronenberg, der ‚Baron of Blood‘, wie er zu seiner frühen Schaffenszeit von einigen mehr oder weniger freundlich gesonnenen Kritikern betitelt wurde, hat in genau eben dieser ein Untergenre nicht bloß geschaffen, sondern gleichzeitig auch seine besten Vertreter hervorgebracht.
Lange vor seinen bekannten Sci-Fi-Kultwerken wie Scanners – Ihre Gedanken können töten, Videodrome und seinem Die Fliege-Remake, kam Parasiten-Mörder aka Shivers.

It’s crazy. But who cares?

Story

Eigentlich meinten die idealistischen Wissenschaftler auf ihrem abgeschotteten Eiland es nur gut, als sie anfingen, Parasiten zu züchten, die anstatt dem Wirt zu schaden, seine defekten Organe ersetzen und eine symbiotische Beziehung mit ihm eingehen sollten. Doch bei der Versuchsperson scheint es Komplikationen zu geben, die sich in besonders abnormem und immer mehr auf die Triebe reduziertem Verhalten äußern. Der Parasit will sich vermehren und immer mehr Menschen befallen. Jede schadensbegrenzende Maßnahme ist hoffnungslos.
In einem luxuriösen Wohnkomplex auf der Insel häufen sich die Seltsamkeiten. Auch Nicholas Tudor verhält sich merkwürdig, während er immer kranker wird. Seine Freu sieht keinen anderen Ausweg, als hinter seinem Rücken den  Arzt Roger St Luc zu konsultieren.
Dieser kommt der Sache zwar langsam auf die Schliche, ist angesichts des Ausmaßes und der Unaufhaltsamkeit der Bedrohung aber ebenfalls hilflos.

Kritik

Alles beginnt gut. Beinahe jedenfalls. Ein paar halbwegs beschauliche Impressionen eines Ferienortes, eine warme Stimme zählt die Vorzüge der Lokalität auf. Ein Paradies für die Geschafften, Überarbeiteten, von der Gegenwart Erdrückten.
Ein Start, der nur von der Musik verraten wird, die zwar einladend und sanft klingt, aber einen unverkennbar trügerischen, prophezeienden Unterton hat. Die Idylle bröckelt. Schon der Anfang atmet eine schräg-beunruhigende Atmosphäre.
Der direkt anschließende Mord eines archetypischen Akademikers an einer schmächtigen Frau bestätigt den Verdacht. Im hochmodernen Appartement-Komplex außerhalb von Montreal liegt etwas gewaltig im Argen.
Besagte Szene wäre hochgradig schockierend, stünde sie alleine da. Doch immer wieder wird sie unterbrochen von einem höchst kuriosen Check-In einer Familie. Die kontrastierende Ironie schwächt kaum die Wirkung der gezeigten Greuel, aber gibt dem Gesamten eine stark schwarzhumorige Note, die den Zuschauer regelmäßig auflachen und sich entspannen lässt. Immer mal wieder flutschen skurrile Abschnitte vollkommen reibungslos in reinrassige Horrorperspektiven, was schlicht wunderbar gelingt.
Und damit wäre der Film eigentlich hinreichend auf den Punkt gebracht. Sonderbar, eigentümlich witzig und nicht ganz ohne.
Das Komische gibt es auf mehreren Ebenen, die sich allesamt auf die absurden Auswüchse gesellschaftlicher Konventionen beziehen. Für die Handlung selbst völlig irrelevante Gesprächsfetzen über Gurken und die richtige Technik, um Rosen zu schneiden, dringen  von nebenan durch. Beiläufig finden so abgedrehte wie größenwahnsinnige wissenschaftliche Theorien Erwähnung und an anderer Stelle ist eine Dame mit grotesk hässlichem Schirm, den sie trotz der Abstinenz von Sonne oder Regen aufgespannt hat, blind für die Welt, so sehr klammert sie sich an ihren Schutz. Das Amüsante liegt aber nicht nur platt auf der Oberfläche, sondern findet sich auch im Subtilen. Auf so manchen Witz stößt man nur dann, weil andere Zuschauer begeistert kichern.
Zeitlich perfekt abgestimmt, lockert der Humor das Grauen auf und führt es gleichermaßen vor. Seine Wirkung bleibt dennoch erhalten, weil Cronenberg schon damals die filmischen Werkzeuge meisterhaft einzusetzen wusste. Obwohl es lange dauert,  bis es zur tatsächlichen Eskalation kommt, ist die Spannung permanent am Hochpunkt. Jedes Bild ist schwanger mit düsterer Vorahnung und Befürchtung. Cronenberg weiß einfach, wie lange und vor allem auf was die Kamera gehalten werden muss. Eine einfache und ebenso seltene Gabe. Die Bildästhetik seines frühen Schaffens ist einmalig und die Soundauswahl zwar konventionell, aber sehr durchdacht. Wenn das markerschütternde Dröhnen, Surren und Streichergekreische sich biestig über die Bilder legt, kann kein Gag der Welt verhindern, dass Parasiten-Mörder gnadenlos ernst ist, wenn er es denn möchte. Sogar die an sich ruhigen Flöten strahlen Unheil aus. Auch die sparsam eingesetzten Effekte, die nach wie vor vorzüglich aussehen, leisten ihren Beitrag. Die parasitären Schleimklumpen sind ein wahrlich widerwärtiges Gewürm.
Dass man Zeuge der Anfangszeit des Body-Horror ist, wird zu jeder Zeit deutlich. Körper werden geöffnet und mit Säure aufgefüllt und Brechstangen werden zum Brechen benutzt. Hier ist auch die eine ‚skandalöse‘ Szene zu finden, die Piranha 3DD kopierte und direkt im Trailer verbriet. Dennoch wird die Gewalt nie gefeiert oder plakativ um die Leinwand gewickelt. Der passende Winkel, die richtige Geschwindigkeit und Neigung der Kamera und gute Schnitte verbergen den eigentlichen Brennpunkt fast immer und überlassen es der Fantasie des Zuschauers, sich die hässlichen Details auszumalen.
Dass die ganze Handlung in kleinstem Raum stattfindet, verschärft die Stimmung. Dabei wird zwar ein ganz typisches Slasher-Gerüst umbaut, doch fühlt sich der Film in keiner Sekunde wie ein solcher an. Dafür haben die starken Figuren einfach viel zu viel Substanz. Jeder des Ensembles ist gleichwertig in seiner Relevanz. Trotzdem, zumindest dem Gefühl nach, gibt es eigentlich keine wirklichen Helden, sondern nur Betroffene.
Das ganze wunderbar funktionierende Geflecht aus Charakterarbeit, Humor und Grauen fordert für sein Gelingen allerdings ein paar mittelgroße Opfer von der Logik. Das Verhalten einiger Figuren ist zwangsläufig weniger nachvollziehbar, damit die Geschichte so verläuft, wie sie es tun muss, und weshalb niemand schon früh im Film auf die Idee kommt, einfach mal Hilfe zu holen, ist eines der großen ungelösten Rätsel. Stimmung geht eindeutig über Plausibilität. Aber das funktioniert auch ganz ausgezeichnet bis zum ruhelosen Ende, wenn sich Parasiten-Mörder immer deutlicher zu einer Zombiefilm-Version verwandelt, als wäre der Film selbst in seinem eigenen Fortgang an einer Infektion erkrankt.

Bei alledem sollte nie vergessen werden, dass Cronenbergs häufig zelebrierte Dekonstruktion des Leibes eine Metapher für die Schizophrenie einer ganzen Gesellschaft ist, die bei all der zivilisatorischen Scharlatanerie zwanghaft vergessen muss, dass hinter ihrem mehrschichtigen Schminkmassiv und unter dem Öl der Großstadtfloskeln ganz erbarmungswürdig einfache Triebe liegen. Wie belastend diese Unterdrückung auf lange Hinsicht sein kann, das zeigen Cronenbergs frühe Filme. Die Sehnsucht nach dem betörend Unverfälschten, für die wir uns schämen und bestrafen. Deswegen verschwendet auch niemand einen Gedanken daran, ein Gegenmittel zu entwickeln. Der Parasit lässt sich nur zusammen mit dem Wirt ausmerzen, das verrät schon die erste richtige Szene des Filmes. Übrig bleibt nur die Flucht und auch sie ist vergebens.
Am Ende versucht der ganze Apparat modernen Scheins sich aufzulehnen und kann dabei nur scheitern.

Fazit

Bittersüße Abrechnung mit der modernen Gesellschaft eines noch jungen Genies, der mit 32 ein kleines Meisterwerk schuf. Filmisch ausgereift, mit individueller Bildsprache und der perfekten Mischung zwischen Humor und Horror, ohne dass die beiden Gegenteile sich die Show stehlen.
Ein großer Sci-Fi-Film mit Effekten, die vom Alter völlig verschont geblieben sind.

Tetsuo: The Iron Man

Tetsuo: The Iron Man bedeutete den großen Durchbruch von Shinya Tsukamotos, der hier als Drehbuchautor, Produzent, Regisseur und Schauspieler tätig war. Der Erfolg ermöglichte ihm daraufhin eine kunterbunte Vita mit Filmen wie Vital, Tokyo Fist und Nightmare Detective, die vor allem eines sind – einander sehr unähnlich. Es folgten zudem zwei weitere Sprösslinge des Tetsuo-Universums. Im Jahre 1992 Tetsuo II: Body Hammer und 2010 Tetsuo: The Bullet Man. Den Kultstatus, den der erste Teil der Cyberpunk-Trilogie innehat, konnten die Nachfolgewerke natürlich nicht heraufbeschwören, das Thema ist aber das gleiche geblieben: Der Verlust von Menschlichkeit.

Story

Ein Mann ist besessen von Metall. Seine Wohnung ist ein Gestrüpp aus Eisen in jeder erdenklichen Form. Doch würde seine Obsession sich nur in einer Sammelleidenschaft äußern, würde ein Tsukamoto keinen Film daraus machen wollen. Besitz alleine genügt nicht, selbst aus Metall will dieser Mann bestehen und implementiert sich Eisen direkt in den Körper. Nach dieser mehr oder minder geglückten Selbstoperation wird er von einem Büroangestellten angefahren und im Graben liegend zurückgelassen. Der Eisenmann sinnt auf ganz spezielle Rache. Er macht den flüchtigen Fahrer ausfindig und reiht ihn ohne Umschweife ein, in seine Welt, der nur der Rost was anhaben kann.

Kritik

„Kaijyu Theatre präsentiert: Eine Serie über mysteriöse Durchschnittsmenschen“ lautet die nüchterne, aber passende Prophezeiung zu Beginn. Natürlich möchte der Film eine Aussage treffen – die Entfremdung des Menschen von sich selbst bei immer ansteigender Technisierung, die Furcht vor Kontrollverlust. Natürlich ist der Protagonist namenlos, natürlich sind es die biederen, rigiden Menschen, die bis zur Haarspitze geschniegelt und herausgeputzt schließlich von Technik einverleibt, ein Werkzeug des Werkzeuges werden. Obwohl Tetsuo durchaus als große Metapher verstanden werden kann, ist es nicht der inhaltliche Part, der den 67-Minüter so besonders, interessant und weltbekannt macht und machte. Es ist die technisch-ästhetische Seite, die ihn auszeichnet.

Schwarzweiß, verwackelt, körnig ist das Bild. Die ersten Sequenzen wecken Erinnerungen an den Mockumentaryklassiker Mann beißt Hund. Sie gibt uns ungewöhnliche Ausschnitte an die Hand – ein paar Füße, eine Gesichtshälfte und ein dazu passender Torso. Kamerafahrten durch Ansammlungen aus Schrott, der auf seltsam organische Weise strukturiert zu sein scheint. Rohre, Stahlseile, große Metallstücke mit schartigen Kanten, Draht und Rost. Elemente, die als Komponenten vertraut wirken, für sich alleine aber jeglichen Sinn verlieren. Die Tonspur steuert dumpfe Industrialklänge von Chu Ishikawa aka Der Eisenrost bei, genauso körnig wie das Bild. Dann schneidet sich der Mann den Oberschenkel auf, immer noch nicht klar zu erkennen und aus einem unmöglichen Kamerawinkel beobachtet. Durch den klaffenden Schlitz presst er ein Rohr in sein Bein.
Nach nach diesem Anfang endet die Normalität.

Tetsuo ist ein Experimentalfilm reinsten Wassers, der sich dem Thema Bodyhorror auf eine Weise annimmt, die selbst Altmeister Cronenberg mit Leichtigkeit das Wasser reichen kann.
Würde man Ereaserhead, Universal Soldier und Cronenbergs Die Fliege übereinanderlegen dann und vom jungen Salvador Dalí im Zeitraffer abspielen lassen, erhielte man wohl so etwas wie eine Ahnung davon, was Tetsuo ist.
Was schon reichlich unkonventionell startet, entwickelt sich rapide zu einem irrsinnigen Höllentrip. Die Verwandlung des Protagonisten zum röhrenden Schrott-Hulk ist ein Weg, der von unzähligen Grausamkeiten, Perversionen und sprunghaften, höchst befremdlichen Geschehnissen gesäumt ist. So verrückt wie die Story, so verrückt ist auch die Machart. Die Charaktere bewegen sich in einer Art Stop-Motion-Zeitraffer vorwärts, die an sich simple Handlung vollführt verwirrende Sprünge, der Soundtrack strahlt eine technische Bedrohlichkeit aus und das Schwarzweißbild ist phasenweise massiv von Störeffekten durchsetzt. Alles im allem gibt der Film dem Zuschauer eine Erfahrung, die jener nahekommen muss, tatsächlich die Metamorphose zum Metallbiest am eigenen Leib zu erfahren. Eine fesselnde Atmosphäre des Unangenehmen umgibt den gesamten Film.
Die belastend glaubhafte Maske, die unzähligen Einzelbilder und die beachtliche Ausstattung lassen nur erahnen, welche Menge an Arbeit in diesem Projekt stecken muss.
Das Ergebnis ist ein unglaublich einnehmender Fiesling von einem Science-Fiction-Film, dem man sicher einen Hang zum Exploitationfilm unterstellen kann, dessen surrealistische Grausamkeiten interessanteweise aber nie dem Selbstzweck dienen.
Für so manchen mag Tetsuo sicher wenig mehr als geschmackloser Schund sein. Und in gewissem Maße ist dieser Streifen das ohne Zweifel auch – nicht nur provokativ, sondern auch geschmacklos, ohne Rücksicht auf Sehgewohnheiten und im großen Stil verstörend. Aber eben auch sagenhaft fantasievoll, ein pulsierendes Bündel von entarteter Kreativität, das sich von Szene zu Szene weiterverwandelt, dort beginnt, wo andere Filme stoppen und dort endet, wo zuvor und auch danach kaum ein anderer Film gewesen ist.
Zum Ende hin versackt die Geschichte mehr und mehr im surrealistischen Matsch, der mehr an ein Tool-Video in Verbindung mit einem Horrortrip erinnert denn an einen klassischen Film mit nachvollziehbarer Handlung. Bis man schließlich gar nicht mehr weiß, wer gut und wer böse ist – und ob es etwas derart Banales überhaupt jemals in der Welt von Tetsuo gegeben hat.
Anstrengend ist er folglich, dieser Film, und das nicht aufgrund der teils expliziten Gewalt, sondern in erster Linie durch die filmische Herangehensweise, die tiefe Beklemmung hervorruft, und den Zuschauer zum Schluss hilflos zurücklässt.
Dialogisch ist der Film aufs Wesentliche reduziert – ein paar Interjektionen, hie und da ein Satzfetzen, seltene leere Worthüllen. Das war es. Der Rest der Tonspur gehört Soundtrack und Geräuschen. Doch auch dies passt, da in einer Welt der Maschinen die verbale Kommunikation schlicht nicht benötigt wird.

Fazit

Tsukamotos Experimentalkult ist gewordener Rausch zwischen Bildstörung und albtraumhaften Cyborg-Monstrositäten, der unter Garantie nur einer Minderheit gefällt, aber von jedem, der sich für Ausgefallenes erwärmen kann, zumindest einmal erprobt werden sollte.
Trotzdem kann diese Empfehlung auch gleichermaßen als Warnung verstanden werden, da Tetsuo selbst für japanisches Kino äußerst abgedrehte Kost liefert.