Scanners – Ihre Gedanken können töten

Eigentlich sollen hier keine absolut gefeierten Klassiker besprochen werden, da sie schließlich jedem ein Begriff sind und so kaum Mehrwert für die Leser entsteht – trotzdem werden sie es immer wieder. Um sie wieder ins Gedächtnis zu rufen, um sie aus heutiger Perspektive in Augenschein zu nehmen, um bestimmte Gedanken zu äußern, die einfach zu stark sind, um unter Verschluss gehalten zu bleiben.
Und so hat auch David Cronenberg schon einige Einträge auf scififilme.net – Videodrome, Rabid, Shivers und nun eben auch Scanners – jener Film, der gleich zwei Fortsetzungen und eine kurzlebige Serie nach sich folgen ließ; beides selbstredend nicht mehr unter der Regie des Kanadiers.

You’re one of me?

Story

Cameron Vale ist ein Wrack. Ein Streuner, der scheinbar unter Schizophrenie leidet und am Rande der Gesellschaft lebt. Nach einem Zwischenfall aber wird er von dem dubiosen Wissenschaftler Professor Dr. Paul Ruth unter die Fittiche genommen und aufgeklärt, dass seine Probleme ganz woanders liegen. Cameron gehört zu den Scannern – Menschen, die ihr Nervensystem auf geheimnisvolle Weise mit denen Anderer verknüpfen können, um ihnen ihren Willen aufzuzwingen. Oder ihre Köpfe platzen zu lassen.
Und: Cameron soll als Agent eingesetzt werden, denn eine Untergrundorganisation um den teuflischen Darryl Revok herum versucht mit ihren Scanner-Fähigkeiten, die Welt zu unterjochen.

Kritik

Scanners – Ihre Gedanken können töten lautet der deutsche Verleihtitel, welcher eins zu eins von der amerikansichen Werbekampagne übernommen wurde, und beweist, wie viele deutsche Verleihtitel und Trailer generell, dass der Film nicht so recht verstanden wurde, weil es sich hier dezidiert nicht um Telepathie, sondern um etwas anderes handelt, etwas, das nicht passives Lesen, sondern aktives Grenzüberschreiten der fremden wie auch der eigenen Grenze ist. Aus Scanners stammt das wohl ikonischste Bild, das man bis heute mit dem Namen David Cronenberg verbindet – der hemmungslos in alle Richtungen platzende Schädel eines Scanners, die einen Kampf mit Darryl Revok verloren hat. Es ist nicht nur einer von Cronenbergs berühmtesten Filmen, sondern auch derjenige, mit dem er zum ersten Mal richtig Kasse machte und sich im Anschluss den wirklich großen Projekten zuwenden konnte. Und das ist aus so vielen Gründen merkwürdig. Denn Scanners entstand quasi im freien Fall. Plötzlich mussten aus Steuergründen Gelder verbraten werden – man drückte sie dem Filmemacher in die Hand, der von nun an ein paar Wimpernschläge Zeit hatte, sich einen Film aus den Rippen zu schneiden. Mit nur ein paar Sätzen als Script begann der Dreh, während Cronenberg die frühen Morgenstunden dafür nutzte, eilige Drehbuchideen für den folgenden Arbeitstag zusammenzuflicken. Jennifer O’Neill, die so etwas wie die Love Interest der Hauptfigur spielt, wusste bis zum Ende nicht, in was für einen Streifen sie sich da begibt, wurde unter Vorspiegelung falscher Tatsachen am Se gehalten – und hätte auch nicht mitgewirkt, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass es explodierende Köpfe gibt. Ihre Figur ist eine Frau mit wenig Eigeninitiative und einem falschen Instinkt in einer Welt, in der Frauen nur Werkzeuge machthungriger, manipulationssüchtiger Männer darstellen. Der große Erfolg ist irritierend, vielleicht aber auch dadurch erklärbar, dass es sich bei Scanners um einen relativ schlichten Agententhriller handelt. Natürlich gibt es auch hier viel zu entdecken, über die Einrichtungen, über Innen- und Außenverhältnisse, über Mannwerdung, und Identitätsbildung zu erzählen. Doch das wäre Detailarbeit an einem Film, der in seiner Gesamtheit schlicht nicht so richtig gut gealtert ist – das zeigt sich nicht zuletzt an der besagten Schädelexplosionsszene, die vielleicht weniger überzeugend aussieht, als alle anderen Effekte, die jemals in einem Cronenberg-Film aufgefahren wurde.
Das wirkliche Problem des Filmes ist aber sein Hauptdarsteller Cameron Vale, der einfach, und man kann es nicht anders sagen, ein ganz, ganz mieser Schauspieler ist. Egal, wie sehr man betonen möchte, dass der Scanner natürlich entfremdet, verfremdet, distanziert und kühl wirken muss, Vales Schauspiel ist eine Darbietung völliger Überforderung. Er stakst ausdruckslos durch die Szenen, wirft aufgesetzte leere Blicke durch die Räume und scheint jeden einzelnen Satz falsch und unnatürlich zu betonen. Cameron Vales zuzuschauen, wie er sich durch diesen Film stümpert ist, und ein solches Urteil wurde in dieser Schärfe noch nie hier gefällt, wirklich schwer zu ertragen. Besonders fällt dies auf im Kontrast zu Michael Ironside, der seinen Gegenpart mimt, und mit seiner wabernden Mimik und dem ausufernden Wahnsinn in seinem Spiel jede Szene im Handumdrehen für sich gewonnen hat. Auch Patrick McGoohan: als doppelgesichtiger Wissenschaftler Paul Ruth macht aus seiner Figur einen wunderbar exzentrischen, vor sich hin brummelnden Wunderling, der seine ganz eigene Aura mit sich herumträgt. Aber alle leiden sie an der schemenhaften Leistung Cameron Vales.
Am Bemerkenswertesten sind vielleicht noch die zahlreichen Parallelen, die sich zu Cronenbergs späterem Meisterwerk Crash ziehen lassen. Doch die machen den Film nur retrospektiv und theoretisch interessant, während er ansonsten kaum verbergen kann, dass es sich bei ihm um eine schwere, sich wehrende Zwangsgeburt handelte, deren wenige gute Szenen häufig Zusammenhang vermissenlassen. Nichtsdestotrotz gibt es diese Szenen und ihn ihnen schimmert das altvertraute Genie des kanadischen Auteurs hervor, die vielen kleinen Ideen in der Ausstattung, die Umsetzung mancher Räume und der Mut zu offenen Fragen machen Scanners natürlich trotzdem zu einem sehenswerten Film, von dem hier auf gar keinen Fall abgeraten werden soll.
Doch ist es eben auch ein Film Cronenbergs, der – ausgenommen Fast Company und zusammen mit Rabid – mit am wenigsten Freude bereitet und manchmal sogar etwas anstrengend daherkommt.

Scanners

Cronenbergs finanzieller Durchbruch ist, im Vergleich zu seinen sonstigen Filmen, nicht bestmöglich gealtert, nicht immer mit Freude zu schauen und nicht so ganz ausgeglichen in seinen vielen Elementen. Allem voran aber ärgert Hauptdarsteller Cameron Vale mit seinem unbeholfenen Spiel in den meisten Szenen und droht manchmal, die vorhandenen guten Ansätze zu übertünchen.

Stuff – Ein tödlicher Leckerbissen


Schon deutlich länger al sein halbes Jahrhundert treibt Larry Cohen sein Unwesen in der Filmlandschaft und schert sich weitestgehend kaum darum, eine gewisse Konstanz in Qualität und Thematik seines Gesamtwerks zu bringen. Irgendwo zwischen Maniac Cop und Nicht Auflegen! befindet sich The Stuff.  

I don’t think you’re quiet as dumb as you’re appear to be.

Story

Durch Zufall stößt ein Arbeiter auf eine merkwürdige Substanz auf dem Boden und, ein weiterer Zufall, kostet sie. Das Ergebnis ist umwerfend: Der joghurtartige Schleim schmeckt auf eine süßliche Art wie nichts anderes. Prompt wird der Fund als Speise auf den Markt gebracht und ein durchschlagender Erfolg. Überall schießt die Nachfrage nach dem „Stoff“ durch die Decke, jeder, der einmal davon kostete, ist hingerissen und will mehr.
Nur der Junge Jason ahnt, dass mit dem Fabrikat etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist, nachdem er beobachtete, wie es sich selbstständig im Kühlschrank bewegte, und schließt folgerichtig, es würde von langer Hand planen, allen Leckermäulern den Hals umzudrehen. Der ehemalige FBI-Agent und nun als Industriespion tätige David „Mo“ Rutherford wird auf seiner Suche nach den Ursprüngen der Substanz ebenfalls schnell skeptisch.

Kritik

Filme, die die damit beginnen, dass verwirrte Männer in den Schnee greifen und essen, was sie darin finden, beginnen ehrlich. Der Mensch ist Tier und es wird keine Motivation gesucht, es wird einfach genascht. Ein Film, der sich selbst The Stuff nennt, trägt diese Ehrlichkeit bereits im Titel, denn selten stand ein Film so schamlos dazu, sich um einen bloßen McGuffin zu drehen, wie es hier der Fall ist.
Wer mit der Arbeit von Larry Cohen vertraut ist, weiß aber sowieso schon grob, was ihn erwartet. Als Drehbuchautor verdanken wir ihm kleine Genre-Meilensteine wie Maniac Cop und It’s Alive. Seine Regiearbeiten hingegen werden immer wieder auffällig durch eine seltsame Nachlässigkeiten, als wäre das Buch für ihn viel wichtiger als dessen lästige  filmische Umsetzung.

Und so wirkt auch The Stuff, als wäre der Film nicht immer ganz vollständig, als hätte man hier und da Szenen rausgenommen oder verkürzt und auch die beizeiten recht wackelige Kamera wirkt manchmal äußerst verwirrt.
Es handelt sich um einen sehr sonderbaren Film, in dem vieles nicht so recht stimmen will, der aber einfach im Kleine so rund ist und so launig gut funktioniert, dass die großen Probleme zur Nebensächlichkeit verkommen. Michael Moriarty (der 2006 in der Masters-of-Horror-Episode Pick Me Up wieder mit Cohen zusammenarbeitete) spielt einen Rotschopf mit Südstaatenakzent, der eher durch die Handlung irrt als dass er einen Plan zu verfolgen scheint und dabei fast schon wahllos das restliche, nicht minder wunderliche Figurenset mit einbezieht, das gerne mal knapp an der Karikatur entlangschrammt und sich auch nichts daraus macht, unterwegs einfach mal eine Nebenfigur zu verlieren. Überhaupt: Was wann warum passiert, ist manchmal etwas wahllos. Auch hier wirkt das Drehbuch so, als hätte man viele tolle Ideen zu einem Thema gehabt, aber nicht die eine Idee, das alles auch kohärent zu verbinden.
Es gibt frisch wirkende, impulsive Witze und geschmackvolle Dummheiten, aber nie platt oder nervig, sondern immer angenehm verschroben sind. Der Humor ist situativ und bezieht stilvoll die Mise En Scène mit ein. Das Ganze ist die Verpackung für nicht unbedingt  filigrane Kapitalismuskritik. Natürlich. Ein recht bizarrer Auftritt von Coca Cola, bei dem nicht klar ist, ob es sich um Preis oder Hohn handelt, ist außerdem vertreten.
Dazu gibt es seltene, aber rohe Splattereffekte, die gar nicht zum sonstigen fast schon familientauglichen Ton des Filmes passen wollen, dadurch aber einen sehr eigenen Kontrast zu erzeugen wissen. Grundsätzlich, und hier lässt sich dann doch ein sonderbares Konzept erkennen, wird die Schraube des Abgedrehten im Laufe des Filmes immer fester gedreht.
So weit, dass man sich am Ende des Tages einfach eingestehen muss, dass es egal ist, wie viele Fehler eine Sache hat, solange sie Spaß macht.

Fazit

The Stuff ist ein kleines Kuriosum, das wie die meisten seiner Art weitestgehend von der Zeit zurückgelassen wurde. Es ist ein heiterer Film, der sich immer wieder anschickt, den Zuschauer zu überraschen, und dabei darauf pfeift, ganz konventionell einen bleibenden Protagonisten zu haben, sondern wie ein Kind das zeigt, was gerade am Interessantesten scheint. Und das ist schön, auch wenn am Ende beileibe nicht alles aufgeht, toll ist oder Verbeugung einfordert.

Society

15. Japan-Filmfest Special 7

Brian Yuzna, dessen bekannteste Arbeit zweifelsohne die Re-Animator-Trilogie darstellt, begann seine Regie-Karriere mit etwas Sonderbarem namens Society, der erst in den letzten Jahren Stück für Stück aus der Indizierungskammer treten konnte.

– Fuckin‘ nightmare.
– Last night?
– My Life.

Story

Bill Whitney führt kein schlechtes Leben. Seine Eltern sind wohlhabend, er wohnt in einer schicken Gegend, steht kurz vor der Wahl zum Schulliebling und ist trotzdem verkörperte 80er-Jahre-Coolness, ein Star im Klassenzimmer und mit einem der hinreißendsten Mädchen der Stadt liiert.
Alles wäre also bestens, wenn ihm nicht vermehrt unheimliche Kleinigkeiten in seiner Familie auffallen würden. Anfangs scheint seine Wahrnehmung ihn zu trügen, doch beginnen die Dinge an Relevanz zuzunehmen, als sein Freund ihm ein Tonbandgerät zeigt, auf dem klar zu hören ist, dass Unfassbares in seiner Familie vorgeht.
Doch sein ganzes Umfeld scheint ihm nicht zu glauben, bis wenig später sich sogar der Inhalt des Tonbandes ein anderer zu sein scheint – und sein Freund bei einem Autounfall am gleichen Tag stirbt.

Kritik

Society startet nicht nur langsam und unaufgeregt, sondern regelrech ernüchternd. Eine kaum bemerkenswerte Bildspache, eine grobe, wenig sorgfältige Charakterzeichnung und -entwicklung und eine wahrlich beschämende Synchronisation, in der der Film auf dem Festival mangels beschaffbarer Alternativen gezeigt wurde, verhindern Identifikation und Spannung im üblichen Sinne. Lange Zeit ist ungewiss, wohin der Film möchte und was er eigentlich ist und nur die im Hintergrund überall auftauchenden Gemälde, die vor Obszönitäten strotzen, und die leicht verschrobene Grundstimmung sind als interessante Details auszumachen, während der Rest schlichtweg sonderbar wirkt und bestenfalls narkotisierte Erinnerungen an die Eis am Stil-Zeiten wachrütteln.
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Er nach einer ganzen Weile, wird klar, dass die sonderbare, nicht selten ärmliche Fortbewegung der Geschichte einem ganz eigenen System zu folgen scheint. Nach und nach entwickelt sich die leidlich unterhaltsame Detektivarbeit des arroganten High-Society-Schülers Billy zu einer merkwürdigen Tour de Farce, die sich im letzten Drittel schrittweise, aber unaufhaltsam zu einem surrealen Kompott aufgebläht. Irgendwann sind alle Figuren nach außen gekehrt, verständigen sich mit komplett zusammenhangsfreien Sätzen und tragen Schuhwerk von Nike. Der Schluss öffnet einen Strudel sumpfiger Entartung, die in Sachen Schrägheit wahrhaftig ihres Gleichen sucht und den Zuschauer schließlich fassungslos mit nicht zu erwartenden Eindrücken und der Frage, was zum Geier es mit der Haare verputzenden Mutter auf sich hat, zurücklässt.
Mit Society lotet Yuzna bereits auf höchst eigene Weise die Grenze zwischen Normalität und surrealer Abgründigkeit aus. Das Bizarre wird mit dem Biederen auf eine noch ausführlichere und kontrastreichere und eine viel hemmungslosere Weise konfrontiert, wie wenig später in seinem Kultwerk Re-Animator.

Fazit

So unpassend der Anfang vorerst scheint und so wenig fesselnd dieser anmutet, ist er doch das einzige in Frage kommende Tor, durch das der Zuschauer schreiten muss, um das bizarre Fest fleischiger Obszönitäten am Ende in seiner ganzen Heftigkeit erfahren kann. Auch wenn der Film durch seine rücksichtslose Dramaturgie nicht jedem gefallen wird, ist kaum ein Zuschauer vorstellbar, der Society nicht mindestens als interessante Seherfahrung verbuchen wird.

Tetsuo: The Iron Man

Tetsuo: The Iron Man bedeutete den großen Durchbruch von Shinya Tsukamotos, der hier als Drehbuchautor, Produzent, Regisseur und Schauspieler tätig war. Der Erfolg ermöglichte ihm daraufhin eine kunterbunte Vita mit Filmen wie Vital, Tokyo Fist und Nightmare Detective, die vor allem eines sind – einander sehr unähnlich. Es folgten zudem zwei weitere Sprösslinge des Tetsuo-Universums. Im Jahre 1992 Tetsuo II: Body Hammer und 2010 Tetsuo: The Bullet Man. Den Kultstatus, den der erste Teil der Cyberpunk-Trilogie innehat, konnten die Nachfolgewerke natürlich nicht heraufbeschwören, das Thema ist aber das gleiche geblieben: Der Verlust von Menschlichkeit.

Story

Ein Mann ist besessen von Metall. Seine Wohnung ist ein Gestrüpp aus Eisen in jeder erdenklichen Form. Doch würde seine Obsession sich nur in einer Sammelleidenschaft äußern, würde ein Tsukamoto keinen Film daraus machen wollen. Besitz alleine genügt nicht, selbst aus Metall will dieser Mann bestehen und implementiert sich Eisen direkt in den Körper. Nach dieser mehr oder minder geglückten Selbstoperation wird er von einem Büroangestellten angefahren und im Graben liegend zurückgelassen. Der Eisenmann sinnt auf ganz spezielle Rache. Er macht den flüchtigen Fahrer ausfindig und reiht ihn ohne Umschweife ein, in seine Welt, der nur der Rost was anhaben kann.

Kritik

„Kaijyu Theatre präsentiert: Eine Serie über mysteriöse Durchschnittsmenschen“ lautet die nüchterne, aber passende Prophezeiung zu Beginn. Natürlich möchte der Film eine Aussage treffen – die Entfremdung des Menschen von sich selbst bei immer ansteigender Technisierung, die Furcht vor Kontrollverlust. Natürlich ist der Protagonist namenlos, natürlich sind es die biederen, rigiden Menschen, die bis zur Haarspitze geschniegelt und herausgeputzt schließlich von Technik einverleibt, ein Werkzeug des Werkzeuges werden. Obwohl Tetsuo durchaus als große Metapher verstanden werden kann, ist es nicht der inhaltliche Part, der den 67-Minüter so besonders, interessant und weltbekannt macht und machte. Es ist die technisch-ästhetische Seite, die ihn auszeichnet.

Schwarzweiß, verwackelt, körnig ist das Bild. Die ersten Sequenzen wecken Erinnerungen an den Mockumentaryklassiker Mann beißt Hund. Sie gibt uns ungewöhnliche Ausschnitte an die Hand – ein paar Füße, eine Gesichtshälfte und ein dazu passender Torso. Kamerafahrten durch Ansammlungen aus Schrott, der auf seltsam organische Weise strukturiert zu sein scheint. Rohre, Stahlseile, große Metallstücke mit schartigen Kanten, Draht und Rost. Elemente, die als Komponenten vertraut wirken, für sich alleine aber jeglichen Sinn verlieren. Die Tonspur steuert dumpfe Industrialklänge von Chu Ishikawa aka Der Eisenrost bei, genauso körnig wie das Bild. Dann schneidet sich der Mann den Oberschenkel auf, immer noch nicht klar zu erkennen und aus einem unmöglichen Kamerawinkel beobachtet. Durch den klaffenden Schlitz presst er ein Rohr in sein Bein.
Nach nach diesem Anfang endet die Normalität.

Tetsuo ist ein Experimentalfilm reinsten Wassers, der sich dem Thema Bodyhorror auf eine Weise annimmt, die selbst Altmeister Cronenberg mit Leichtigkeit das Wasser reichen kann.
Würde man Ereaserhead, Universal Soldier und Cronenbergs Die Fliege übereinanderlegen dann und vom jungen Salvador Dalí im Zeitraffer abspielen lassen, erhielte man wohl so etwas wie eine Ahnung davon, was Tetsuo ist.
Was schon reichlich unkonventionell startet, entwickelt sich rapide zu einem irrsinnigen Höllentrip. Die Verwandlung des Protagonisten zum röhrenden Schrott-Hulk ist ein Weg, der von unzähligen Grausamkeiten, Perversionen und sprunghaften, höchst befremdlichen Geschehnissen gesäumt ist. So verrückt wie die Story, so verrückt ist auch die Machart. Die Charaktere bewegen sich in einer Art Stop-Motion-Zeitraffer vorwärts, die an sich simple Handlung vollführt verwirrende Sprünge, der Soundtrack strahlt eine technische Bedrohlichkeit aus und das Schwarzweißbild ist phasenweise massiv von Störeffekten durchsetzt. Alles im allem gibt der Film dem Zuschauer eine Erfahrung, die jener nahekommen muss, tatsächlich die Metamorphose zum Metallbiest am eigenen Leib zu erfahren. Eine fesselnde Atmosphäre des Unangenehmen umgibt den gesamten Film.
Die belastend glaubhafte Maske, die unzähligen Einzelbilder und die beachtliche Ausstattung lassen nur erahnen, welche Menge an Arbeit in diesem Projekt stecken muss.
Das Ergebnis ist ein unglaublich einnehmender Fiesling von einem Science-Fiction-Film, dem man sicher einen Hang zum Exploitationfilm unterstellen kann, dessen surrealistische Grausamkeiten interessanteweise aber nie dem Selbstzweck dienen.
Für so manchen mag Tetsuo sicher wenig mehr als geschmackloser Schund sein. Und in gewissem Maße ist dieser Streifen das ohne Zweifel auch – nicht nur provokativ, sondern auch geschmacklos, ohne Rücksicht auf Sehgewohnheiten und im großen Stil verstörend. Aber eben auch sagenhaft fantasievoll, ein pulsierendes Bündel von entarteter Kreativität, das sich von Szene zu Szene weiterverwandelt, dort beginnt, wo andere Filme stoppen und dort endet, wo zuvor und auch danach kaum ein anderer Film gewesen ist.
Zum Ende hin versackt die Geschichte mehr und mehr im surrealistischen Matsch, der mehr an ein Tool-Video in Verbindung mit einem Horrortrip erinnert denn an einen klassischen Film mit nachvollziehbarer Handlung. Bis man schließlich gar nicht mehr weiß, wer gut und wer böse ist – und ob es etwas derart Banales überhaupt jemals in der Welt von Tetsuo gegeben hat.
Anstrengend ist er folglich, dieser Film, und das nicht aufgrund der teils expliziten Gewalt, sondern in erster Linie durch die filmische Herangehensweise, die tiefe Beklemmung hervorruft, und den Zuschauer zum Schluss hilflos zurücklässt.
Dialogisch ist der Film aufs Wesentliche reduziert – ein paar Interjektionen, hie und da ein Satzfetzen, seltene leere Worthüllen. Das war es. Der Rest der Tonspur gehört Soundtrack und Geräuschen. Doch auch dies passt, da in einer Welt der Maschinen die verbale Kommunikation schlicht nicht benötigt wird.

Fazit

Tsukamotos Experimentalkult ist gewordener Rausch zwischen Bildstörung und albtraumhaften Cyborg-Monstrositäten, der unter Garantie nur einer Minderheit gefällt, aber von jedem, der sich für Ausgefallenes erwärmen kann, zumindest einmal erprobt werden sollte.
Trotzdem kann diese Empfehlung auch gleichermaßen als Warnung verstanden werden, da Tetsuo selbst für japanisches Kino äußerst abgedrehte Kost liefert.