Stuff – Ein tödlicher Leckerbissen


Schon deutlich länger al sein halbes Jahrhundert treibt Larry Cohen sein Unwesen in der Filmlandschaft und schert sich weitestgehend kaum darum, eine gewisse Konstanz in Qualität und Thematik seines Gesamtwerks zu bringen. Irgendwo zwischen Maniac Cop und Nicht Auflegen! befindet sich The Stuff.  

I don’t think you’re quiet as dumb as you’re appear to be.

Story

Durch Zufall stößt ein Arbeiter auf eine merkwürdige Substanz auf dem Boden und, ein weiterer Zufall, kostet sie. Das Ergebnis ist umwerfend: Der joghurtartige Schleim schmeckt auf eine süßliche Art wie nichts anderes. Prompt wird der Fund als Speise auf den Markt gebracht und ein durchschlagender Erfolg. Überall schießt die Nachfrage nach dem „Stoff“ durch die Decke, jeder, der einmal davon kostete, ist hingerissen und will mehr.
Nur der Junge Jason ahnt, dass mit dem Fabrikat etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist, nachdem er beobachtete, wie es sich selbstständig im Kühlschrank bewegte, und schließt folgerichtig, es würde von langer Hand planen, allen Leckermäulern den Hals umzudrehen. Der ehemalige FBI-Agent und nun als Industriespion tätige David „Mo“ Rutherford wird auf seiner Suche nach den Ursprüngen der Substanz ebenfalls schnell skeptisch.

Kritik

Filme, die die damit beginnen, dass verwirrte Männer in den Schnee greifen und essen, was sie darin finden, beginnen ehrlich. Der Mensch ist Tier und es wird keine Motivation gesucht, es wird einfach genascht. Ein Film, der sich selbst The Stuff nennt, trägt diese Ehrlichkeit bereits im Titel, denn selten stand ein Film so schamlos dazu, sich um einen bloßen McGuffin zu drehen, wie es hier der Fall ist.
Wer mit der Arbeit von Larry Cohen vertraut ist, weiß aber sowieso schon grob, was ihn erwartet. Als Drehbuchautor verdanken wir ihm kleine Genre-Meilensteine wie Maniac Cop und It’s Alive. Seine Regiearbeiten hingegen werden immer wieder auffällig durch eine seltsame Nachlässigkeiten, als wäre das Buch für ihn viel wichtiger als dessen lästige  filmische Umsetzung.

Und so wirkt auch The Stuff, als wäre der Film nicht immer ganz vollständig, als hätte man hier und da Szenen rausgenommen oder verkürzt und auch die beizeiten recht wackelige Kamera wirkt manchmal äußerst verwirrt.
Es handelt sich um einen sehr sonderbaren Film, in dem vieles nicht so recht stimmen will, der aber einfach im Kleine so rund ist und so launig gut funktioniert, dass die großen Probleme zur Nebensächlichkeit verkommen. Michael Moriarty (der 2006 in der Masters-of-Horror-Episode Pick Me Up wieder mit Cohen zusammenarbeitete) spielt einen Rotschopf mit Südstaatenakzent, der eher durch die Handlung irrt als dass er einen Plan zu verfolgen scheint und dabei fast schon wahllos das restliche, nicht minder wunderliche Figurenset mit einbezieht, das gerne mal knapp an der Karikatur entlangschrammt und sich auch nichts daraus macht, unterwegs einfach mal eine Nebenfigur zu verlieren. Überhaupt: Was wann warum passiert, ist manchmal etwas wahllos. Auch hier wirkt das Drehbuch so, als hätte man viele tolle Ideen zu einem Thema gehabt, aber nicht die eine Idee, das alles auch kohärent zu verbinden.
Es gibt frisch wirkende, impulsive Witze und geschmackvolle Dummheiten, aber nie platt oder nervig, sondern immer angenehm verschroben sind. Der Humor ist situativ und bezieht stilvoll die Mise En Scène mit ein. Das Ganze ist die Verpackung für nicht unbedingt  filigrane Kapitalismuskritik. Natürlich. Ein recht bizarrer Auftritt von Coca Cola, bei dem nicht klar ist, ob es sich um Preis oder Hohn handelt, ist außerdem vertreten.
Dazu gibt es seltene, aber rohe Splattereffekte, die gar nicht zum sonstigen fast schon familientauglichen Ton des Filmes passen wollen, dadurch aber einen sehr eigenen Kontrast zu erzeugen wissen. Grundsätzlich, und hier lässt sich dann doch ein sonderbares Konzept erkennen, wird die Schraube des Abgedrehten im Laufe des Filmes immer fester gedreht.
So weit, dass man sich am Ende des Tages einfach eingestehen muss, dass es egal ist, wie viele Fehler eine Sache hat, solange sie Spaß macht.

Fazit

The Stuff ist ein kleines Kuriosum, das wie die meisten seiner Art weitestgehend von der Zeit zurückgelassen wurde. Es ist ein heiterer Film, der sich immer wieder anschickt, den Zuschauer zu überraschen, und dabei darauf pfeift, ganz konventionell einen bleibenden Protagonisten zu haben, sondern wie ein Kind das zeigt, was gerade am Interessantesten scheint. Und das ist schön, auch wenn am Ende beileibe nicht alles aufgeht, toll ist oder Verbeugung einfordert.

Horrors of Malformed Men

Wunder beleidigen. Deshalb sprang der Filmexzess Horrors of Malformed Men von Fließband-Regisseur Teruo Ishii, der selbst einen Takashi Miike wie einen drehfaulen Müßiggänger aussehen lässt, quasi direkt nach Release auf die Indexe dieser Welt und erblickte erst viele Jahrzehnte nach Erscheinung – nämlich im August 2007 – in Form einer DVD-Veröffentlichung das Licht dieser bis dato viel zu normalen Welt.
Da Wunder aber nicht nur empören, sondern auch über die Dekaden hinweg Wunder bleiben, ist diese Mischung aus Frankenstein-Ekstase mit Hiroshima-Aufarbeitung, Detektiv-Groteske und Slapstick-Horror auch heute noch in der Lage, in Begeisterung zu versetzen.


A warped dream…

Story

Hitomi Kousuke ist Medizinstudent, wacht in einem Irrenhaus auf und hat so ziemlich keine Ahnung, warum er wer wo ist. Er bricht aus und besucht einen Zirkus, wo er eine Akrobatin trifft, die ebenfalls an Amnesie leidet, daraufhin aber recht bald das Zeitliche segnet, woraufhin der Unglücksrabe nun auch noch als Mörder gejagt wird. Folglich lässt sich erst einmal massieren – eine gute Idee, denn die Masseurin setzt ihn davon in Kenntnis, dass sich ein merkwürdiges Mal auf seiner Fußsohle befindet, das, ganz nebenbei, verblüffende Ähnlichkeit mit einer Swastika aufweist. Da ein kürzlich verstorbener und zudem sehr reicher Mann ihm bis aufs Haar ähnelt und selbiges Zeichen aufweist, nimmt er prompt die Identität des Doppelgängers an, indem er vorgibt, lediglich scheintot gewesen zu sein. Ein Beutelchen Intrigen und Verwicklungen später findet sich Hitomi auf einer geheimnisumwitterten Insel ein, wo ein wahnsinniger Wissenschaftler, der zugleich Vater seiner neuen Identität ist, gräuliche Ungeheuer erschafft, indem er die Körperteile verschiedener Menschen zusammenflickt und dabei finster lacht.
Irgendwo in dieser Armee aus Entartung wartet die verdrehte Antwort auf die Fragen, die sich Hitomi und Zuschauer stellen. Zum Beispiel, weshalb ihm dieses eine Schlaflied so verdammt bekannt vorkommt.

Kritik

Es ist eine Herausforderung, die Handlung von Horrors of Malformed Men (江戸川乱歩全集 恐怖奇形人間 Edogawa Rampo Zenshū: Kyoufu Kikei Ningen) anzudeuten, weil dieser Film in seinen weniger als 100 Minuten so wahnsinnig (hier steht absichtlich ‚wahnsinnig‘ und kein Synonym wie ‚unfassbar‘) viel ist, tut, will und kann.
Weise Zeitgenossen widmen sich einem Werk im besten Fall mit einem Minimum an Vorwissen, um für ein unbefangenes Erlebnis zu sorgen und kommen so sehr wie noch nie auf ihre Kosten: Trailer und Titel suggerieren ein bestimmtes Genre und bereiten damit niemanden auf das vor, was der Film tatsächlich zu bieten hat. Nach einem Vorspann aus wimmelnden Insekten kredenzt Szene eins vor Wahnsinn tanzende Geishas mit Hang zum Oberteilverlust, bevor im  Anschluss die kriminalistische Rekonstruktionsgeschichte und Doppelgängerkomödie beginnt, die erst nach einer ganzen Weile auf die Insel der namensgebenden Männer führt. Köstlich amüsieren tut man sich dabei von Anfang an, obwohl man sich dabei unentwegt im falschen Film wähnt. Durchsetzt ist das ganze mit herrlich skurrilem Humor der Marke Japan-Extrem-Situationsirrsinn. Während die üblichen Filme mit Doppelgängerthematik einen oder zwei Fehltritte zeigen, die den Schwindler bis kurz vor die Enttarnung führen, wartet man hier einfach mit allen nur Denkbaren aus dieser Richtung auf. Egal, ob Hände, Hunde oder Höschen – Hitomis Schwindel droht mit jedem Schritt aufzufliegen. Was den ganzen Film hinweg ungemein zur Erheiterung beiträgt, ist das ständig verdatterte Gesicht des Protagonisten, welches er bis zum konsequent inskonsequenten Ende nicht abzulegen gedenkt. Die Sympathiefigur schaut permanent so, als würde sie soeben aus dem Schlaf gerissen und ohne Übergang und Vorbereitung den immer abstruser werdenden Situationen ausgesetzt worden. Genaugenommen trifft das ja aber auch zu. Und genaugenommen kann der Zuschauer sich nur aus diesem Grund ein wenig in ihr wiederfinden.

Und gerade, wenn man sich anfängt heimisch zu fühlen in diesem vergnüglichen Wirrwarr, geht es auf die Insel und der Film schlägt eine Richtung ein, die jenseits von allem liegt, was man aufgrund von Titel, Trailer oder bisheriger Filmerfahrung erwarten könnte. Da wäre der Ausdruckstanz liebende Doktor (Japans Exzentriker-Größe Kichijirô Ueda) mit Spinnweben-Händen, der mit seinen bebenden, gedrungenen Bewegungen und ständigen Kurzauftritten immer wieder für zuckende Augenlider sorgt. Da wären seine Geschöpfe, die irgendwo zwischen purem Leid und neuer Daseinsfreude pendeln und dabei einer Spannbreite gerecht werden, die von billiger Maskenbildner-Knete bis hin zu wunderbarem Kreationen zwischen Jodorowsky und Tool reicht. Der Höhepunkt ist wohl eine gedehnte, surrealistische Sequenz kurz nach der Ankunft auf dem Eiland, in der verstörend-schöne Impressionen aus dem Moloch des Doktors vorgeführt werden. Jenseits von Trash und überzeichnetem (nie aber unangemessen übertriebenem) Humor finden sich immer wieder erschreckende und zugleich erschreckend eindringliche Szenen ein, die zusammen mit der beschwörenden Musikuntermalung eine seltsam erhabene Atmosphäre zwischen Anziehung und Abstoßung generieren.

Manch einer wird dem Drehbuch vorwerfen, ein lückenhaftes, aus Versatzstücken bestehendes Flickwerk zu sein. Aber gerade hier liegt das Geheimnis der tranceartigen Rhythmik des Filmes verborgen, der immer wieder von Neuem verblüfft und schockiert.
Das Ganze Abenteuer, in dem sich übrigens allen Gerüchten zum Trotz kaum ausgezogen wird, kulminiert schließlich in der wunderlichsten, unpassendsten und zugleich auch unnötigsten Pseudo-Aufklärung aus dem Reich des Unwägbaren, indem es in letzter Sekunde wieder auf die detektivische Szene springt und damit auch dem letzten Fass den Boden ausschlägt. Schlichtweg wunderbar.

Fazit

Es grenzt an Anstrengung, Horrors of Malformed Men mit einer angemessenen Synopsis einzufangen. Eine passende Kritik zu verfassen, ist unweit schwieriger, das Ganze dann mit einem Fazit zu vollenden, schlicht unmöglich. Die einzigartige Atmosphäre des Filmes, der mehr als 50 Jahre nach seinem Erscheinen auch heute noch Einmaliges zeigt, zu beschreiben, ist Worten kaum möglich. Filmische Irritation als Schnittmenge von zig dekonstruierten Genres und irgendwo zwischen Trash, Kunst, Überheblichkeit und Wahnsinn – vor allem und ganz nebenbei aber ein Meiststück in Sachen Kurzweil.
Schauen, nein: Erleben. Nicht lesen.

Die einfachste Methode, an dieses viel zu lang verpönte und deswegen entschieden zu unbekannte Schmuckstück zu gelangen, ist der Umweg über einen Import aus Amerika.