Logan

Während sich die reguläre Filmreihe der X-Men nach einem mutigen Ausflug unter der Regie von Matthew Vaughn sowohl qualitativ als auch erzählerisch wieder nach ihrem eigenen Durchschnitt ausrichtet, der 2006 durch X-Men: Der letzte Widerstand gehörig massiv zu leiden hatte, vollführt die Spin-Off-Reihe um Säbelknabe
Wolverine etwas Erstaunliches: Sie endet mit Ansage und darüber hinaus mit dem vis dato vielleicht besten X-Men-Film überhaupt.

The world is not the same as it was, Charles. Mutants… they’re gone now.

Story

Logan aka Wolverine ist morsch und mürbe geworden. Er ist alt, verbittert und ohne Kraft, weiter nach Lösungen und Hoffnung zu suchen. Er erträgt das Leben als versteckter Flüchtling auf dem Lande, der den einstigen Mutanten-Allvater Charles Xavier pflegt, beschützt und zugleich ängstlich isoliert – in einer Mischung aus Unterschlupf und Gefängnis für den gealterten und gutherzigen Patriarchen. Sie stellen die letzten bekannten noch lebenden Mutanten auf der Welt dar, Ikonen einer verwirrenden, aber auch beendeten Ära in der Menschheitsgeschichte.
Doch die Vergangenheit holt sie ein, gleich mehrfach: Ein Trupp technisch modifizierter Söldner spürt Logan auf und fordert Informationen zum Verbleib von X-23 – einem Mädchen, das die gleiche Misshandlung erfahren haben soll wie einst Logan und nun Adamantium im Körper hat. Wie der Zufall es will, klopft quasi zeitgleich eine Frau an Logans Tür; in ihrem Schlepptau das Mädchen namens Laura.

Kritik

Während, und nur wenige mögen da zustimmen, der erste Wolverine-Film zwar kaum ambitioniert war, dafür aber auch an seinen geringen Ansprüchen an sich selbst kaum scheiterte, ging sein Nachfolger Wolverine: Der Weg des Kriegers an dem Wunsch, mehr zu sein und der zentralen Figur gerechter zu werde, kläglich zugrunde. Da die letzten X-Men-Filme nun auch nicht gerade das Gelbe vom Ei waren, durfte man angesichts des Heranrücken des nunmehr dritten und finalen Soloabenteuers des backenbärtigen Klingenwüterichs mit gutem Recht und Gewissen Zweifel hegen – denn Regisseur James Mangold verbockte schließlich schon den zweiten Teile und verärgerte zuvor mit dem Tom-Cruise-Vehikel Knight and Day – auch wenn auf der anderen Seite (das ehrlich gesagt gar nicht mal so gute) Western-Remake Todeszug nach Yuma und das (siehe vorherigen Klammerinhalt) Oscar-Biopic Walk The Line sowie Copland – „der einzige Film, in dem Silvester Stallone ein Schauspieler ist“ – stehen.
Tatsächlich aber ist Logan das Beste aus all diesen Welten geworden.
Zuerst gilt aber eines zu klären: Ist Logan, immerhin der mittlerweile zehnte Film der vor 17 Jahren gestarteten X-Men-Reihe, fest in dieser verankert oder auch ganz unabhängig zu schauen? Und die Antwort liegt relativ klar auf letzterem Fall – mit leichten Einschränkungen. Um die Funktion von Professor Charles Xavier, dem Vater der X-Men, sollte man schon wissen, um die Traurigkeit und Tiefe des Verhältnisses, das die beiden Männern zueinander pflegen, zu verstehen – aber die Kenntnis dieser quasi-ikonischen Figur darf eigentlich vorausgesetzt werden. Und dann wäre da noch Caliban, der sich, wenn auch von einem anderen Schauspieler verkörpert, aus X-Men: Apocalypse rüber gerettet hat. Doch letztlich ist diese Figur selbsterklärend – zudem sich Logan sowieso nicht als Teil des Kanons versteht. Grundsätzlich ist es aber nicht wichtig, dass es sich hier um einen X-Men-Film handelt. Es reicht das Wissen, dass es mit den Mutanten einmal eine wichtige, aber auch gefürchtete und verachtete Gruppe von Menschen gab, die von den „normalen Menschen“ nie so recht angenommen werden konnten. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich Logan als sehr elegische, düstere, enorm stimmungsvolle Dystopie, die auch jedem Comic-Muffel ans Herz zu legen ist.

Was Logan mehr als je zuvor verkörpert, auszeichnet und an ihm zehrt, ist sein Einzelgängertum. Die Einsamkeit eines langsam alternden Helden, der sich verstecken und die letzten Tage nur noch irgendwie in einer Höhle überstehen will. Der nicht mehr Pflicht ertragen kann, als die, die unmöglich abzustreifen ist – und auch diese nur mit ganz viel Ach, Krach und Fusel in der Blutbahn. Wenn es Action gibt, ist sie grob, heftig, beeindruckend und intensiv, schrecklich intensiv. Ihr Stattfinden richtet sich zum Glück nicht nach dem Rezept notwendiger Verteilung, das vorsieht, dass auf jede ruhige eine laute Szene folgen muss, sondern nach der der Geschichte inhärenten Logik. So wirken die sehr körperlichen, manchmal gnadenlos effizienten und nicht selten grausam-brutalen Kampfsequenzen nie selbstzweckhaft, sondern haben die Dramatik der Narration immer als Puls auf ihrer Seite.
Der alte Mann hat aller Verbitterung zum Trotz nicht seinen Humor verloren, ihn mit der Zeit aber noch etwas trockener und brummiger werden lassen. Erwartungsgemäß gut funktioniert daher auch die Dynamik zwischen dem bärbeißigen Logan und dem schweigsamen, trotzigen, liebenswerten Zögling Laura, brillant gespielt von der zwölfjährigen Dafne Keen. Die beiden geben ein Team ab, das ganz nach klassischen US-Buddy-Komödien-Schema funktioniert, statt funkelndem Witz aber tiefe Tragik dominieren lässt: Beide Figuren sind gebrochen und in beiden ist darüber hinaus der Bruch i der Existenz angelegt – mit sich selbst und mit der Gesellschaft. Logan am Ende des Lebens, Laura am Beginn des ihrigen. Die Chemie zwischen den beiden ist das Herz des Filmes, und dieses Herz ist kräftig.

Es ist also vieles sehr, sehr gut an Logan, gemeckert werden kann folglich nur an wenigen Stellen. Doch auch diese gibt es: Man würde sich wünschen, der Film hätte sich an manchen Stellen noch etwas mehr zurückgehalten, denn so ganz und absolut mag man dann doch nicht auf die Gunst des durchschnittlichen Zuschauers und Comicfans pfeifen. Außerdem ist der Film zum Ende hin eine Spur zu lang geworden. Dies fällt besonders deshalb auf, weil die Erzählung bis zu diesem Punkt so ungezwungen dynamisch und fesselnd ausfällt, ehe sie am Ende etwas ins Stottern gerät und dann eben doch in ein etwas zu klassisches Finale mündet.

Fazit

Logan ist elegisch und tragisch, düster, grimmig und ungewohnt erbarmungslos – in mehrfacher Hinsicht. Hugh Jackman liefert hier eine seiner größten Performances ab, steht mit seiner Leistung aber Schulter an Schulter mit Jungstar Dafne Keen, die die Kinder-Mutantin mit deutlichem Knacks und einem verhängnisvollen Hang zum Kindeszorn mit ehrfurchtgebietender Eindringlichkeit spielt. Auch Patrick Stewart als dritter Hauptdarsteller überzeugt mit einer rührenden Darbietung des ergreisten, langsam der Demenz verfallenden Mentor in entwürdigender Lage.
Logan ist nur in zweiter Hinsicht ein X-Men-Film – in erster ist er ein schaurig-schönes Road-Movie, ein tiefes Charakterdrama und eine stilvoll gezeichnete Dystopie erster Güte.
Dass der Film dann letztlich doch ein paar Eingeständnisse zu viel an den Massengeschmack macht und zum Ende hin ein paar Mal fast ins Stolpern gerät, ist zwar etwas schade, unterm Strich und angesichts der geballten Qualität dieses stimmungsvollen Heldenabgesanges aber nicht weiter tragisch.

X-Men: Apocalypse

X-Men: Apocalypse ist die teuerste X-Men-Adaption überhaupt – und Bryan Singers vierte Regiearbeit mit dem Mutantenhaufen. Warum man dem Film sein Geld überhaupt nicht ansieht und weshalb es auch nicht so wirkt, als wäre ein leidenschaftlicher Fan am Werk, der seine Vision umsetzt, dazu nun mehr.

Everything they’ve built will fall!

Story

En Saba Nur ist der vielleicht älteste Mutant aller Zeiten. 3000 v. Christus wurde er als ägyptische Gottheit verehrt. Während eines verheerenden Rituals wurde er jedoch gestürzt und in ewigen Schlaf gezwungen.
Letztlich erzählt der Film Folgendes: In der Vergangenheit passiert etwas Schlimmes, doch das Übelste konnte vereitelt und zugleich konserviert werden, die Neuzeit ist überheblich und wiederholt die Fehler. Apocalypse, wie sich der Ur-Mutant nun nennt, rekrutiert die fähigsten Mutanten, um mit seinen unvergleichlich starken Kräften die Welt zu unterjochen, die Sterblichen zu beseitigen, die Mutanten an die Spitze zu bringen – wir kennen das.
Und die X-Men sind damit nicht einverstanden.

Kritik

Da wären wir also, X-Men die Sechste. Und so langsam, könnte man meinen, Marvel-Filme hätten etwas Zyklisches, denn sie funktionieren in Trilogien. Doch diese Trilogien sind in sich sehr unterschiedlich – mal ist der erste Film maßgebend (Iron Man), mal nur lauwarm (Captin America), mal ist der zweite Film eine Offenbarung (Captain America: The Winter Soldier), mal eine Katastrophe (Iron Man 2). Und manchmal ist ein dritter Teil wirklich, wirklich schlecht – in diese Sparte fällt nun nicht mehr bloß das legendär gescheiterte Ende der ersten X-Men-Trilogie X-Men: Der letzte Widerstand, sondern ab sofort auch der der zweiten. X-Men: Apocalypse ist nämlich mehr oder weniger schon wieder ein Haufen Plastik, den man in der Sonne aufgeschichtet hat, damit er vor sich hin kokelt.
Matthew Vaughns Neugeburt der Mutanten-Clique, also X-Men: Erste Entscheidung, überzeugte mit einem neuen Grad an Realitätsbezug, mit geerdeten, nicht knallbunten Figuren inmitten einer politisch zerrissenen Welt. Dieser neu eingeschlagene Weg war aus mehreren Gründen richtig: Er zeichnete nicht nur ein neues Bild der Welt mit Mutanten, sondern erlaubte es auf innovative Weise, die Beziehung zur ersten Trilogie aufrechtzuerhalten. Er unterschied sich in Sachen Stimmung, Aufmachung und Dramaturgie von den immer erfolgreicher werdenden Ausgeburten des Marcel Cinematic Universe in hohem Maße – und hatte das Potenzial, der Grundstein eines ganz eigenen Erzähluniversums von ähnlichem oder noch größerem Umfang zu sein. Und dann kam Bryan Singer wieder und wollte sein Zepter zurück. Und damit verschwand all der neue Anspruch und mit ihm auch all das Potenzial. Was blieb, zum Glück, sind die hervorragenden Schauspieler, die dem jungen Team ihre neuen Gesichter gaben und geben. Und das ist in X-Men: Apocalypse leider auch schon das Beste.
Denn die X-Men-Welt ist wieder knallbunt, voller Action, voller aufgesetzter Dramatik und eine Heimat für gesichtslose Oberschurken. Am auffälligsten sind anfangs noch die keinesfalls überzeugenden Effekte, die uninspirierten Designs – immerhin kämpft die Welt hier gegen ein Zwei-Meter-Krokodil in Robe – und die plumpe Einbindung eigentlich wichtiger Themen. X-Men: Apocalypse ist auf traurige Weise glücklich passiert, weil das Themen Fremde und die Angst vor ihr so aktuell wie eh und je, aber im Augenblick eben auch schrecklich konkret sind. Schließlich sind die Mutanten Ausgegrenzte, die misstrauisch beäugt und im Zweifelsfall lieber eingesperrt und für alles Mögliche beschuldigt werden. Nur weiß der Film keinen sinnvollen Beitrag dazu zu liefern und belässt es bei den Floskeln, die man von Singer bereits aus anderen X-Men-Filmen kennt.

Die zahlreichen CGI-Kamerafahrten und -Installationen sind kein Zugewinn, sondern stellen eine klare Störung dar, so künstlich und fremd wirkt all der Bombast.
Im Film dominieren oft sehr plumpe Dialoge, die nur selten einen Hauch von Einfallsreichtum durchblicken lassen, ja teilweise regelrecht unvernünftig genannt werden müssen.
Die „Reiter“ der „Apokalypse“ wirken als düsterbuntes Team wie ein kleiner Haufen von 80er-Filmpunks, deren permanent purpurnes Geglammer die Sache überhaupt nicht besser macht.

Angenehm und gelungen ist, dass hier eine überraschende Gruppe der Mutantenfamilie zu heimlichen Protagonisten ernannt wird. Auf diese Weise muss ein Konzept wie X-Men zwingend funktionieren: Immer eine andere Auswahl aus dem großen Figurenpool.
Und Quicksilver hat wieder eine erinnerungswürdige funky Szene. Dafür zuckt die Motivation von Magneto unnachvollziehbar zwischen Plus und Minus hin und her, weshalb es dem so wichtigen Charakter leider immer noch an maßgeblichem Profil fehlt.
Trotz all der Kritik, langweilt der Film bei seiner Laufzeit von zweieinhalb Stunden niemals. Dafür passiert zu viel, dafür gibt es zu viele Schauplätze Figuren, zu viel Bewegung. Aber die X-Men könnten eben viel mehr sein als nur bunte Unterhaltung, sie könnten sich ernstnehmen, ernstgenommen werden und komplexe Abenteuer erleben, die Purpureffekte und beschämende Dialoge nicht bräuchten.
Man sollte Filme nicht dafür bestrafen, dass sie etwas nicht sind, wenn sie auf ihre Weise funktionieren, aber doch: Menno, Marvel!
Denn die X-Men könnten anders sein. Jetzt befinden sie sich südlich der ganzen anderen Marvelmannschaft, sie vertrauen dem Publikum noch weniger, wollen noch mehr erklären, beweisen keinen Mut und meiden jedes erzählerisch unkonventionelle Terrain.
Kaum auszudenken, wie es wohl wäre, befände sich X-Men auf der anderen Seite der Skala. Vielleicht wird die X-Men-Serie Legion aber einen Lichtbild darstellen.

Fazit

Bryan Singer führte die X-Men mit X-Men: Apocalypse nun endgültig wieder auf den Pfad seiner eigenen perfekten Vorstellung von Superheldenkino: Bunt, laut, künstlich, geradlinig und trotzdem unglaubwürdig erzählt. Mit dem Finale auch dieser X-Men-Trilogie ist abermals ein Tiefpunkt der Reihe erreicht. Letztlich ist die vermeintliche Apokalypse ein seltsam unmotivierter Karneval, bei dem das Ende von Beginn an feststeht, die Kostüme kein müdes Lächeln abringen und viele Auftritte nur Erwartbares liefern.
Dass der Film unterm Strich trotzdem unterhaltsam ist, liegt an der hochkarätigen Schauspielerriege, dem völlig unter Wert verkauften Ägypten-Setting und der schieren Masse an irrelevantem Krawall.

X-Men: Zukunft ist Vergangenheit

Nicht jeder stimmte in den Jubel mit ein, als bekannt wurde, dass Bryan Singer wieder das Ruder im neuen X-Men übernehmen würde. Nicht etwa, weil X-Men und X-Men 2 schlechte Filme gewesen wären, sondern weil Matthew Vaughn sich als der kompetentere Geschichtenerzähler erwiesen hat, als er die Mutantentruppe mit seinem X-Men: Erste Entscheidung mit einem Schlag von dem Debakel X-Men: Der letzte Widerstand emanzipierte.
Für X-Men: Zukunft ist Vergangenheit kann aber Entwarnung gegeben werden.

Patience isn’t my strong suit.

Story

Wir schreiben das Jahr 2023, die Zivilisation hat sich in sich selbst verbissen und schließlich getötet, die wenigen verbliebenen Mutanten werden von Robotern, den sogenannten Sentinels, die sich auf jede nur denkbare Fähigkeit einstellen können, gejagt und niedergestreckt.
Der Kern der alten X-Men-Garde sucht eine Dame namens Shadowcat, die die Fähigkeit besitzt, das Bewusstsein einer Person in die Vergangenheit zu schicken, wo es in seinem jüngeren Körper landet. Eine Reise, die sich über mehr als einen Monat erstreckt, würde normale Wesen das Leben kosten. Da Logan mit seinen ausgeprägten Selbstheilungskräften aber keineswegs als normales Wesen durchgeht, sendet man ihn in das Jahr 1973, um dort die jungen und wenig einsichtigen Kontrahenten Charles Xavier und Erik Lensherr miteinander zu versöhnen und den katastrophischen Lauf der Zeit zu ändern. Unterdessen tickt die Uhr in der Gegenwart, denn die Sentinels sind den verbleibenden Widerständlern dicht auf den Fersen.

Kritik

Nach einem etwas ärgerlich-generischen Anfangsmonolog und dem klassisch semi-trashigen Vorspann in Metalloptik mit Klingengeräuschen und gediegenen Cube-Anleihen kommen prompt die ersten unbekannten Mutanten ins Spiel, die sämtlich einem Spezialeffekte-Film unseres Lieblingsfilmlandes Japan entsprungen sein könnten und zum Teil auch recht eilig das Zeitliche segnen. Ein paar Ekelbeben in Erinnerung an X-Men: Der letzte Widerstand können da natürlich nicht ausbleiben. Doch zu Glück erfährt diese Vision keine entsprechende Einlösung in der Praxis. Im Gegenteil, es kommt ganz anders. Es kommt weitaus besser.
Vor allem anderen fällt aber auf, wie unbeschwert und locker die neuste Auskopplung der Marvel-Serie geworden ist. X-Men: Zukunft ist Vergangenheit ist voll von ungezwungenem Humor. Das führt in manchen Szenen sogar so weit, dass sich der Film kurzzeitig zu einer ziemlich albernen Slapstick-Komödie wandelt. Doch da das ‚albern‘ eines dieser seltenen guten ‚albern‘ ist und das ‚ziemlich‘ ein ‚ziemlich‘ wie vor ‚ziemlich witzig‘ ist, kann man zwar die fehlende Ernsthaftigkeit bemängeln, aber zugleich nicht verleugnen, dabei Freude zu empfinden.
Funktionieren tut das Gesamtwerk vornehmlich deswegen, weil alte Tugenden und Thesen trotz des komödiantischen Übergewichts sinnvoll aufgenommen und weitergeführt werden. Dieser neue X-Men-Film beweist nicht trotz, sondern zusätzlich zu seiner Freude am Spaß die Fähigkeit, die guten Aspekte seiner Vorgängerfilme zu schultern und gekonnt in seine eigene Geschichte mit hineinzunehmen. Der Film wirkt frisch und jung, aber er trägt ein mittlerweile doch recht komplexes und vor allem sehr schweres Erbe mit sich herum. Der mediale Terror; die Belagerung und Verdinglichung aller fremden Geschöpfe durch die eingeschüchterten Menschen; die inneren Konflikte der Ausgestoßenen und Abgesonderten; die Macht der Angst und ihre verheerende Stärke. All das ist weiterhin Thema und wird sehr sinnig integriert.
Dies macht X-Men: Zukunft ist Vergangenheit nicht nur zum kurzweiligsten, sondern neben X-Men: Erste Entscheidung auch zum ernstzunehmendsten, zum relevantesten Teil der Serie. Der Dank hierfür gebührt der lobenswerten Tatsache, dass sich der Film nur scheinbar am außer Kontrolle geratenen Wettkampf der Comicverfilmungen anschließt, mit jeder bewältigten Herausforderung beim nächsten Schritt noch mehr Zerstörung und Epos sein zu müssen, beim nächsten Mal alles noch größer, lauter und bedrohlicher zu gestalten. Auf den ersten Blick mag es um die gesamte Zukunft der gesamten Erde gehen, eigentlich aber steht das Schicksal Weniger im Vordergrund. Man fiebert nicht um das Leben anonymer Bewohner irgendwelcher gesichtsloser Großstädte, sondern um alte Bekannte, die sich im Laufe ihrer bunten Abenteuer der vergangenen 14 Jahre Profil und eine eigene Filmbiographie erarbeitet haben.

Einige Figurenhandlungen sind kaum nachvollziehbar und wirken teils seltsam schlecht durchdacht. Hier merkt man: Es sind nun mal Comiccharaktere. Das ist keine Rechtfertigung, die funktionieren kann, denn mit der Kritik muss der Film einfach leben, aber belassen wir es bei der Erwähnung.
Das Aufeinandertreffen der Generationen, das Trailer und Synopsis erwarten lassen, ist übrigens kaum Thema des Filmes. Fast die ganze Geschichte gehört dem alterslosen Wolverine und den jungen Alter Egos von Professor X, Magneto, Beast und Raven. Einige alte Bekannte werden dafür wortwörtlich verschleudert. Tatsächlich kommen deutlich weniger Mutanten als in jedem anderen Film der Reihe vor, anders wäre die Geschichte in ihrer eleganten Schlankheit aber auch nicht zu verwirklichen gewesen.
Charmebolzen Peter Dinklage gibt den flachen Schurken Bolivar Traske seinem Profil entsprechend und macht eine bessere Figur, als jeder andere an seiner Stelle es wohl getan hätte, gegen die Einseitigkeit seines fanatischen Kittelträgers mit Nazi-Allüren kann er aber auch nicht anspielen.

Neben ein paar sehr rüden Nachlässigkeiten in Bezug auf die Konsistenz des Gesamtkanons lässt sich – natürlich – auch in der Zeitreiselogik Unstimmigkeit finden. Es wird viel Lärm darum gemacht, dass man nur diese eine Chance hätte und das Unterfangen auf jeden Fall glücken müsse, sonst gäbe es nur noch Ende. Aber wieso denn eigentlich? Genaugenommen spräche nur wenig dagegen, bei einem Misserfolg einfach wieder jemanden in die Vergangenheit zu katapultieren. Und wieder und wieder und wieder, bis eben alles im Lot ist. Die notwendige Reise müsste sich nicht über Jahrzehnte erstrecken, sondern nur bis zum Start der vorangegangenen Reise selbst gehen und diese verändern, was höchstens ein paar Tage sein dürften.

Fazit

Nach den mittelmäßigen Spin-Offs, dem desaströsen Trilogieabschluss und der überraschenden Kehrtwende des Prequels macht Bryan Singers dritter Ausflug in das Marvel-Universum eigentlich alles richtig.
X-Men: Zukunft ist Vergangenheit macht Spaß, ist selbstsicher und persönlich, ehrt beide Generationen und öffnet auf eine charmante Weise Türen.
Und damit schließt sich ein Kreis, wodurch die Zeitreisestory ungeachtet kleinerer Schnitzer, ihren Auftrag bestens erfüllt.

Horrors of Malformed Men

Wunder beleidigen. Deshalb sprang der Filmexzess Horrors of Malformed Men von Fließband-Regisseur Teruo Ishii, der selbst einen Takashi Miike wie einen drehfaulen Müßiggänger aussehen lässt, quasi direkt nach Release auf die Indexe dieser Welt und erblickte erst viele Jahrzehnte nach Erscheinung – nämlich im August 2007 – in Form einer DVD-Veröffentlichung das Licht dieser bis dato viel zu normalen Welt.
Da Wunder aber nicht nur empören, sondern auch über die Dekaden hinweg Wunder bleiben, ist diese Mischung aus Frankenstein-Ekstase mit Hiroshima-Aufarbeitung, Detektiv-Groteske und Slapstick-Horror auch heute noch in der Lage, in Begeisterung zu versetzen.


A warped dream…

Story

Hitomi Kousuke ist Medizinstudent, wacht in einem Irrenhaus auf und hat so ziemlich keine Ahnung, warum er wer wo ist. Er bricht aus und besucht einen Zirkus, wo er eine Akrobatin trifft, die ebenfalls an Amnesie leidet, daraufhin aber recht bald das Zeitliche segnet, woraufhin der Unglücksrabe nun auch noch als Mörder gejagt wird. Folglich lässt sich erst einmal massieren – eine gute Idee, denn die Masseurin setzt ihn davon in Kenntnis, dass sich ein merkwürdiges Mal auf seiner Fußsohle befindet, das, ganz nebenbei, verblüffende Ähnlichkeit mit einer Swastika aufweist. Da ein kürzlich verstorbener und zudem sehr reicher Mann ihm bis aufs Haar ähnelt und selbiges Zeichen aufweist, nimmt er prompt die Identität des Doppelgängers an, indem er vorgibt, lediglich scheintot gewesen zu sein. Ein Beutelchen Intrigen und Verwicklungen später findet sich Hitomi auf einer geheimnisumwitterten Insel ein, wo ein wahnsinniger Wissenschaftler, der zugleich Vater seiner neuen Identität ist, gräuliche Ungeheuer erschafft, indem er die Körperteile verschiedener Menschen zusammenflickt und dabei finster lacht.
Irgendwo in dieser Armee aus Entartung wartet die verdrehte Antwort auf die Fragen, die sich Hitomi und Zuschauer stellen. Zum Beispiel, weshalb ihm dieses eine Schlaflied so verdammt bekannt vorkommt.

Kritik

Es ist eine Herausforderung, die Handlung von Horrors of Malformed Men (江戸川乱歩全集 恐怖奇形人間 Edogawa Rampo Zenshū: Kyoufu Kikei Ningen) anzudeuten, weil dieser Film in seinen weniger als 100 Minuten so wahnsinnig (hier steht absichtlich ‚wahnsinnig‘ und kein Synonym wie ‚unfassbar‘) viel ist, tut, will und kann.
Weise Zeitgenossen widmen sich einem Werk im besten Fall mit einem Minimum an Vorwissen, um für ein unbefangenes Erlebnis zu sorgen und kommen so sehr wie noch nie auf ihre Kosten: Trailer und Titel suggerieren ein bestimmtes Genre und bereiten damit niemanden auf das vor, was der Film tatsächlich zu bieten hat. Nach einem Vorspann aus wimmelnden Insekten kredenzt Szene eins vor Wahnsinn tanzende Geishas mit Hang zum Oberteilverlust, bevor im  Anschluss die kriminalistische Rekonstruktionsgeschichte und Doppelgängerkomödie beginnt, die erst nach einer ganzen Weile auf die Insel der namensgebenden Männer führt. Köstlich amüsieren tut man sich dabei von Anfang an, obwohl man sich dabei unentwegt im falschen Film wähnt. Durchsetzt ist das ganze mit herrlich skurrilem Humor der Marke Japan-Extrem-Situationsirrsinn. Während die üblichen Filme mit Doppelgängerthematik einen oder zwei Fehltritte zeigen, die den Schwindler bis kurz vor die Enttarnung führen, wartet man hier einfach mit allen nur Denkbaren aus dieser Richtung auf. Egal, ob Hände, Hunde oder Höschen – Hitomis Schwindel droht mit jedem Schritt aufzufliegen. Was den ganzen Film hinweg ungemein zur Erheiterung beiträgt, ist das ständig verdatterte Gesicht des Protagonisten, welches er bis zum konsequent inskonsequenten Ende nicht abzulegen gedenkt. Die Sympathiefigur schaut permanent so, als würde sie soeben aus dem Schlaf gerissen und ohne Übergang und Vorbereitung den immer abstruser werdenden Situationen ausgesetzt worden. Genaugenommen trifft das ja aber auch zu. Und genaugenommen kann der Zuschauer sich nur aus diesem Grund ein wenig in ihr wiederfinden.

Und gerade, wenn man sich anfängt heimisch zu fühlen in diesem vergnüglichen Wirrwarr, geht es auf die Insel und der Film schlägt eine Richtung ein, die jenseits von allem liegt, was man aufgrund von Titel, Trailer oder bisheriger Filmerfahrung erwarten könnte. Da wäre der Ausdruckstanz liebende Doktor (Japans Exzentriker-Größe Kichijirô Ueda) mit Spinnweben-Händen, der mit seinen bebenden, gedrungenen Bewegungen und ständigen Kurzauftritten immer wieder für zuckende Augenlider sorgt. Da wären seine Geschöpfe, die irgendwo zwischen purem Leid und neuer Daseinsfreude pendeln und dabei einer Spannbreite gerecht werden, die von billiger Maskenbildner-Knete bis hin zu wunderbarem Kreationen zwischen Jodorowsky und Tool reicht. Der Höhepunkt ist wohl eine gedehnte, surrealistische Sequenz kurz nach der Ankunft auf dem Eiland, in der verstörend-schöne Impressionen aus dem Moloch des Doktors vorgeführt werden. Jenseits von Trash und überzeichnetem (nie aber unangemessen übertriebenem) Humor finden sich immer wieder erschreckende und zugleich erschreckend eindringliche Szenen ein, die zusammen mit der beschwörenden Musikuntermalung eine seltsam erhabene Atmosphäre zwischen Anziehung und Abstoßung generieren.

Manch einer wird dem Drehbuch vorwerfen, ein lückenhaftes, aus Versatzstücken bestehendes Flickwerk zu sein. Aber gerade hier liegt das Geheimnis der tranceartigen Rhythmik des Filmes verborgen, der immer wieder von Neuem verblüfft und schockiert.
Das Ganze Abenteuer, in dem sich übrigens allen Gerüchten zum Trotz kaum ausgezogen wird, kulminiert schließlich in der wunderlichsten, unpassendsten und zugleich auch unnötigsten Pseudo-Aufklärung aus dem Reich des Unwägbaren, indem es in letzter Sekunde wieder auf die detektivische Szene springt und damit auch dem letzten Fass den Boden ausschlägt. Schlichtweg wunderbar.

Fazit

Es grenzt an Anstrengung, Horrors of Malformed Men mit einer angemessenen Synopsis einzufangen. Eine passende Kritik zu verfassen, ist unweit schwieriger, das Ganze dann mit einem Fazit zu vollenden, schlicht unmöglich. Die einzigartige Atmosphäre des Filmes, der mehr als 50 Jahre nach seinem Erscheinen auch heute noch Einmaliges zeigt, zu beschreiben, ist Worten kaum möglich. Filmische Irritation als Schnittmenge von zig dekonstruierten Genres und irgendwo zwischen Trash, Kunst, Überheblichkeit und Wahnsinn – vor allem und ganz nebenbei aber ein Meiststück in Sachen Kurzweil.
Schauen, nein: Erleben. Nicht lesen.

Die einfachste Methode, an dieses viel zu lang verpönte und deswegen entschieden zu unbekannte Schmuckstück zu gelangen, ist der Umweg über einen Import aus Amerika.