Logan

Während sich die reguläre Filmreihe der X-Men nach einem mutigen Ausflug unter der Regie von Matthew Vaughn sowohl qualitativ als auch erzählerisch wieder nach ihrem eigenen Durchschnitt ausrichtet, der 2006 durch X-Men: Der letzte Widerstand gehörig massiv zu leiden hatte, vollführt die Spin-Off-Reihe um Säbelknabe
Wolverine etwas Erstaunliches: Sie endet mit Ansage und darüber hinaus mit dem vis dato vielleicht besten X-Men-Film überhaupt.

The world is not the same as it was, Charles. Mutants… they’re gone now.

Story

Logan aka Wolverine ist morsch und mürbe geworden. Er ist alt, verbittert und ohne Kraft, weiter nach Lösungen und Hoffnung zu suchen. Er erträgt das Leben als versteckter Flüchtling auf dem Lande, der den einstigen Mutanten-Allvater Charles Xavier pflegt, beschützt und zugleich ängstlich isoliert – in einer Mischung aus Unterschlupf und Gefängnis für den gealterten und gutherzigen Patriarchen. Sie stellen die letzten bekannten noch lebenden Mutanten auf der Welt dar, Ikonen einer verwirrenden, aber auch beendeten Ära in der Menschheitsgeschichte.
Doch die Vergangenheit holt sie ein, gleich mehrfach: Ein Trupp technisch modifizierter Söldner spürt Logan auf und fordert Informationen zum Verbleib von X-23 – einem Mädchen, das die gleiche Misshandlung erfahren haben soll wie einst Logan und nun Adamantium im Körper hat. Wie der Zufall es will, klopft quasi zeitgleich eine Frau an Logans Tür; in ihrem Schlepptau das Mädchen namens Laura.

Kritik

Während, und nur wenige mögen da zustimmen, der erste Wolverine-Film zwar kaum ambitioniert war, dafür aber auch an seinen geringen Ansprüchen an sich selbst kaum scheiterte, ging sein Nachfolger Wolverine: Der Weg des Kriegers an dem Wunsch, mehr zu sein und der zentralen Figur gerechter zu werde, kläglich zugrunde. Da die letzten X-Men-Filme nun auch nicht gerade das Gelbe vom Ei waren, durfte man angesichts des Heranrücken des nunmehr dritten und finalen Soloabenteuers des backenbärtigen Klingenwüterichs mit gutem Recht und Gewissen Zweifel hegen – denn Regisseur James Mangold verbockte schließlich schon den zweiten Teile und verärgerte zuvor mit dem Tom-Cruise-Vehikel Knight and Day – auch wenn auf der anderen Seite (das ehrlich gesagt gar nicht mal so gute) Western-Remake Todeszug nach Yuma und das (siehe vorherigen Klammerinhalt) Oscar-Biopic Walk The Line sowie Copland – „der einzige Film, in dem Silvester Stallone ein Schauspieler ist“ – stehen.
Tatsächlich aber ist Logan das Beste aus all diesen Welten geworden.
Zuerst gilt aber eines zu klären: Ist Logan, immerhin der mittlerweile zehnte Film der vor 17 Jahren gestarteten X-Men-Reihe, fest in dieser verankert oder auch ganz unabhängig zu schauen? Und die Antwort liegt relativ klar auf letzterem Fall – mit leichten Einschränkungen. Um die Funktion von Professor Charles Xavier, dem Vater der X-Men, sollte man schon wissen, um die Traurigkeit und Tiefe des Verhältnisses, das die beiden Männern zueinander pflegen, zu verstehen – aber die Kenntnis dieser quasi-ikonischen Figur darf eigentlich vorausgesetzt werden. Und dann wäre da noch Caliban, der sich, wenn auch von einem anderen Schauspieler verkörpert, aus X-Men: Apocalypse rüber gerettet hat. Doch letztlich ist diese Figur selbsterklärend – zudem sich Logan sowieso nicht als Teil des Kanons versteht. Grundsätzlich ist es aber nicht wichtig, dass es sich hier um einen X-Men-Film handelt. Es reicht das Wissen, dass es mit den Mutanten einmal eine wichtige, aber auch gefürchtete und verachtete Gruppe von Menschen gab, die von den „normalen Menschen“ nie so recht angenommen werden konnten. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich Logan als sehr elegische, düstere, enorm stimmungsvolle Dystopie, die auch jedem Comic-Muffel ans Herz zu legen ist.

Was Logan mehr als je zuvor verkörpert, auszeichnet und an ihm zehrt, ist sein Einzelgängertum. Die Einsamkeit eines langsam alternden Helden, der sich verstecken und die letzten Tage nur noch irgendwie in einer Höhle überstehen will. Der nicht mehr Pflicht ertragen kann, als die, die unmöglich abzustreifen ist – und auch diese nur mit ganz viel Ach, Krach und Fusel in der Blutbahn. Wenn es Action gibt, ist sie grob, heftig, beeindruckend und intensiv, schrecklich intensiv. Ihr Stattfinden richtet sich zum Glück nicht nach dem Rezept notwendiger Verteilung, das vorsieht, dass auf jede ruhige eine laute Szene folgen muss, sondern nach der der Geschichte inhärenten Logik. So wirken die sehr körperlichen, manchmal gnadenlos effizienten und nicht selten grausam-brutalen Kampfsequenzen nie selbstzweckhaft, sondern haben die Dramatik der Narration immer als Puls auf ihrer Seite.
Der alte Mann hat aller Verbitterung zum Trotz nicht seinen Humor verloren, ihn mit der Zeit aber noch etwas trockener und brummiger werden lassen. Erwartungsgemäß gut funktioniert daher auch die Dynamik zwischen dem bärbeißigen Logan und dem schweigsamen, trotzigen, liebenswerten Zögling Laura, brillant gespielt von der zwölfjährigen Dafne Keen. Die beiden geben ein Team ab, das ganz nach klassischen US-Buddy-Komödien-Schema funktioniert, statt funkelndem Witz aber tiefe Tragik dominieren lässt: Beide Figuren sind gebrochen und in beiden ist darüber hinaus der Bruch i der Existenz angelegt – mit sich selbst und mit der Gesellschaft. Logan am Ende des Lebens, Laura am Beginn des ihrigen. Die Chemie zwischen den beiden ist das Herz des Filmes, und dieses Herz ist kräftig.

Es ist also vieles sehr, sehr gut an Logan, gemeckert werden kann folglich nur an wenigen Stellen. Doch auch diese gibt es: Man würde sich wünschen, der Film hätte sich an manchen Stellen noch etwas mehr zurückgehalten, denn so ganz und absolut mag man dann doch nicht auf die Gunst des durchschnittlichen Zuschauers und Comicfans pfeifen. Außerdem ist der Film zum Ende hin eine Spur zu lang geworden. Dies fällt besonders deshalb auf, weil die Erzählung bis zu diesem Punkt so ungezwungen dynamisch und fesselnd ausfällt, ehe sie am Ende etwas ins Stottern gerät und dann eben doch in ein etwas zu klassisches Finale mündet.

Fazit

Logan ist elegisch und tragisch, düster, grimmig und ungewohnt erbarmungslos – in mehrfacher Hinsicht. Hugh Jackman liefert hier eine seiner größten Performances ab, steht mit seiner Leistung aber Schulter an Schulter mit Jungstar Dafne Keen, die die Kinder-Mutantin mit deutlichem Knacks und einem verhängnisvollen Hang zum Kindeszorn mit ehrfurchtgebietender Eindringlichkeit spielt. Auch Patrick Stewart als dritter Hauptdarsteller überzeugt mit einer rührenden Darbietung des ergreisten, langsam der Demenz verfallenden Mentor in entwürdigender Lage.
Logan ist nur in zweiter Hinsicht ein X-Men-Film – in erster ist er ein schaurig-schönes Road-Movie, ein tiefes Charakterdrama und eine stilvoll gezeichnete Dystopie erster Güte.
Dass der Film dann letztlich doch ein paar Eingeständnisse zu viel an den Massengeschmack macht und zum Ende hin ein paar Mal fast ins Stolpern gerät, ist zwar etwas schade, unterm Strich und angesichts der geballten Qualität dieses stimmungsvollen Heldenabgesanges aber nicht weiter tragisch.