X-Men: Apocalypse

X-Men: Apocalypse ist die teuerste X-Men-Adaption überhaupt – und Bryan Singers vierte Regiearbeit mit dem Mutantenhaufen. Warum man dem Film sein Geld überhaupt nicht ansieht und weshalb es auch nicht so wirkt, als wäre ein leidenschaftlicher Fan am Werk, der seine Vision umsetzt, dazu nun mehr.

Everything they’ve built will fall!

Story

En Saba Nur ist der vielleicht älteste Mutant aller Zeiten. 3000 v. Christus wurde er als ägyptische Gottheit verehrt. Während eines verheerenden Rituals wurde er jedoch gestürzt und in ewigen Schlaf gezwungen.
Letztlich erzählt der Film Folgendes: In der Vergangenheit passiert etwas Schlimmes, doch das Übelste konnte vereitelt und zugleich konserviert werden, die Neuzeit ist überheblich und wiederholt die Fehler. Apocalypse, wie sich der Ur-Mutant nun nennt, rekrutiert die fähigsten Mutanten, um mit seinen unvergleichlich starken Kräften die Welt zu unterjochen, die Sterblichen zu beseitigen, die Mutanten an die Spitze zu bringen – wir kennen das.
Und die X-Men sind damit nicht einverstanden.

Kritik

Da wären wir also, X-Men die Sechste. Und so langsam, könnte man meinen, Marvel-Filme hätten etwas Zyklisches, denn sie funktionieren in Trilogien. Doch diese Trilogien sind in sich sehr unterschiedlich – mal ist der erste Film maßgebend (Iron Man), mal nur lauwarm (Captin America), mal ist der zweite Film eine Offenbarung (Captain America: The Winter Soldier), mal eine Katastrophe (Iron Man 2). Und manchmal ist ein dritter Teil wirklich, wirklich schlecht – in diese Sparte fällt nun nicht mehr bloß das legendär gescheiterte Ende der ersten X-Men-Trilogie X-Men: Der letzte Widerstand, sondern ab sofort auch der der zweiten. X-Men: Apocalypse ist nämlich mehr oder weniger schon wieder ein Haufen Plastik, den man in der Sonne aufgeschichtet hat, damit er vor sich hin kokelt.
Matthew Vaughns Neugeburt der Mutanten-Clique, also X-Men: Erste Entscheidung, überzeugte mit einem neuen Grad an Realitätsbezug, mit geerdeten, nicht knallbunten Figuren inmitten einer politisch zerrissenen Welt. Dieser neu eingeschlagene Weg war aus mehreren Gründen richtig: Er zeichnete nicht nur ein neues Bild der Welt mit Mutanten, sondern erlaubte es auf innovative Weise, die Beziehung zur ersten Trilogie aufrechtzuerhalten. Er unterschied sich in Sachen Stimmung, Aufmachung und Dramaturgie von den immer erfolgreicher werdenden Ausgeburten des Marcel Cinematic Universe in hohem Maße – und hatte das Potenzial, der Grundstein eines ganz eigenen Erzähluniversums von ähnlichem oder noch größerem Umfang zu sein. Und dann kam Bryan Singer wieder und wollte sein Zepter zurück. Und damit verschwand all der neue Anspruch und mit ihm auch all das Potenzial. Was blieb, zum Glück, sind die hervorragenden Schauspieler, die dem jungen Team ihre neuen Gesichter gaben und geben. Und das ist in X-Men: Apocalypse leider auch schon das Beste.
Denn die X-Men-Welt ist wieder knallbunt, voller Action, voller aufgesetzter Dramatik und eine Heimat für gesichtslose Oberschurken. Am auffälligsten sind anfangs noch die keinesfalls überzeugenden Effekte, die uninspirierten Designs – immerhin kämpft die Welt hier gegen ein Zwei-Meter-Krokodil in Robe – und die plumpe Einbindung eigentlich wichtiger Themen. X-Men: Apocalypse ist auf traurige Weise glücklich passiert, weil das Themen Fremde und die Angst vor ihr so aktuell wie eh und je, aber im Augenblick eben auch schrecklich konkret sind. Schließlich sind die Mutanten Ausgegrenzte, die misstrauisch beäugt und im Zweifelsfall lieber eingesperrt und für alles Mögliche beschuldigt werden. Nur weiß der Film keinen sinnvollen Beitrag dazu zu liefern und belässt es bei den Floskeln, die man von Singer bereits aus anderen X-Men-Filmen kennt.

Die zahlreichen CGI-Kamerafahrten und -Installationen sind kein Zugewinn, sondern stellen eine klare Störung dar, so künstlich und fremd wirkt all der Bombast.
Im Film dominieren oft sehr plumpe Dialoge, die nur selten einen Hauch von Einfallsreichtum durchblicken lassen, ja teilweise regelrecht unvernünftig genannt werden müssen.
Die „Reiter“ der „Apokalypse“ wirken als düsterbuntes Team wie ein kleiner Haufen von 80er-Filmpunks, deren permanent purpurnes Geglammer die Sache überhaupt nicht besser macht.

Angenehm und gelungen ist, dass hier eine überraschende Gruppe der Mutantenfamilie zu heimlichen Protagonisten ernannt wird. Auf diese Weise muss ein Konzept wie X-Men zwingend funktionieren: Immer eine andere Auswahl aus dem großen Figurenpool.
Und Quicksilver hat wieder eine erinnerungswürdige funky Szene. Dafür zuckt die Motivation von Magneto unnachvollziehbar zwischen Plus und Minus hin und her, weshalb es dem so wichtigen Charakter leider immer noch an maßgeblichem Profil fehlt.
Trotz all der Kritik, langweilt der Film bei seiner Laufzeit von zweieinhalb Stunden niemals. Dafür passiert zu viel, dafür gibt es zu viele Schauplätze Figuren, zu viel Bewegung. Aber die X-Men könnten eben viel mehr sein als nur bunte Unterhaltung, sie könnten sich ernstnehmen, ernstgenommen werden und komplexe Abenteuer erleben, die Purpureffekte und beschämende Dialoge nicht bräuchten.
Man sollte Filme nicht dafür bestrafen, dass sie etwas nicht sind, wenn sie auf ihre Weise funktionieren, aber doch: Menno, Marvel!
Denn die X-Men könnten anders sein. Jetzt befinden sie sich südlich der ganzen anderen Marvelmannschaft, sie vertrauen dem Publikum noch weniger, wollen noch mehr erklären, beweisen keinen Mut und meiden jedes erzählerisch unkonventionelle Terrain.
Kaum auszudenken, wie es wohl wäre, befände sich X-Men auf der anderen Seite der Skala. Vielleicht wird die X-Men-Serie Legion aber einen Lichtbild darstellen.

Fazit

Bryan Singer führte die X-Men mit X-Men: Apocalypse nun endgültig wieder auf den Pfad seiner eigenen perfekten Vorstellung von Superheldenkino: Bunt, laut, künstlich, geradlinig und trotzdem unglaubwürdig erzählt. Mit dem Finale auch dieser X-Men-Trilogie ist abermals ein Tiefpunkt der Reihe erreicht. Letztlich ist die vermeintliche Apokalypse ein seltsam unmotivierter Karneval, bei dem das Ende von Beginn an feststeht, die Kostüme kein müdes Lächeln abringen und viele Auftritte nur Erwartbares liefern.
Dass der Film unterm Strich trotzdem unterhaltsam ist, liegt an der hochkarätigen Schauspielerriege, dem völlig unter Wert verkauften Ägypten-Setting und der schieren Masse an irrelevantem Krawall.

X-Men: Zukunft ist Vergangenheit

Nicht jeder stimmte in den Jubel mit ein, als bekannt wurde, dass Bryan Singer wieder das Ruder im neuen X-Men übernehmen würde. Nicht etwa, weil X-Men und X-Men 2 schlechte Filme gewesen wären, sondern weil Matthew Vaughn sich als der kompetentere Geschichtenerzähler erwiesen hat, als er die Mutantentruppe mit seinem X-Men: Erste Entscheidung mit einem Schlag von dem Debakel X-Men: Der letzte Widerstand emanzipierte.
Für X-Men: Zukunft ist Vergangenheit kann aber Entwarnung gegeben werden.

Patience isn’t my strong suit.

Story

Wir schreiben das Jahr 2023, die Zivilisation hat sich in sich selbst verbissen und schließlich getötet, die wenigen verbliebenen Mutanten werden von Robotern, den sogenannten Sentinels, die sich auf jede nur denkbare Fähigkeit einstellen können, gejagt und niedergestreckt.
Der Kern der alten X-Men-Garde sucht eine Dame namens Shadowcat, die die Fähigkeit besitzt, das Bewusstsein einer Person in die Vergangenheit zu schicken, wo es in seinem jüngeren Körper landet. Eine Reise, die sich über mehr als einen Monat erstreckt, würde normale Wesen das Leben kosten. Da Logan mit seinen ausgeprägten Selbstheilungskräften aber keineswegs als normales Wesen durchgeht, sendet man ihn in das Jahr 1973, um dort die jungen und wenig einsichtigen Kontrahenten Charles Xavier und Erik Lensherr miteinander zu versöhnen und den katastrophischen Lauf der Zeit zu ändern. Unterdessen tickt die Uhr in der Gegenwart, denn die Sentinels sind den verbleibenden Widerständlern dicht auf den Fersen.

Kritik

Nach einem etwas ärgerlich-generischen Anfangsmonolog und dem klassisch semi-trashigen Vorspann in Metalloptik mit Klingengeräuschen und gediegenen Cube-Anleihen kommen prompt die ersten unbekannten Mutanten ins Spiel, die sämtlich einem Spezialeffekte-Film unseres Lieblingsfilmlandes Japan entsprungen sein könnten und zum Teil auch recht eilig das Zeitliche segnen. Ein paar Ekelbeben in Erinnerung an X-Men: Der letzte Widerstand können da natürlich nicht ausbleiben. Doch zu Glück erfährt diese Vision keine entsprechende Einlösung in der Praxis. Im Gegenteil, es kommt ganz anders. Es kommt weitaus besser.
Vor allem anderen fällt aber auf, wie unbeschwert und locker die neuste Auskopplung der Marvel-Serie geworden ist. X-Men: Zukunft ist Vergangenheit ist voll von ungezwungenem Humor. Das führt in manchen Szenen sogar so weit, dass sich der Film kurzzeitig zu einer ziemlich albernen Slapstick-Komödie wandelt. Doch da das ‚albern‘ eines dieser seltenen guten ‚albern‘ ist und das ‚ziemlich‘ ein ‚ziemlich‘ wie vor ‚ziemlich witzig‘ ist, kann man zwar die fehlende Ernsthaftigkeit bemängeln, aber zugleich nicht verleugnen, dabei Freude zu empfinden.
Funktionieren tut das Gesamtwerk vornehmlich deswegen, weil alte Tugenden und Thesen trotz des komödiantischen Übergewichts sinnvoll aufgenommen und weitergeführt werden. Dieser neue X-Men-Film beweist nicht trotz, sondern zusätzlich zu seiner Freude am Spaß die Fähigkeit, die guten Aspekte seiner Vorgängerfilme zu schultern und gekonnt in seine eigene Geschichte mit hineinzunehmen. Der Film wirkt frisch und jung, aber er trägt ein mittlerweile doch recht komplexes und vor allem sehr schweres Erbe mit sich herum. Der mediale Terror; die Belagerung und Verdinglichung aller fremden Geschöpfe durch die eingeschüchterten Menschen; die inneren Konflikte der Ausgestoßenen und Abgesonderten; die Macht der Angst und ihre verheerende Stärke. All das ist weiterhin Thema und wird sehr sinnig integriert.
Dies macht X-Men: Zukunft ist Vergangenheit nicht nur zum kurzweiligsten, sondern neben X-Men: Erste Entscheidung auch zum ernstzunehmendsten, zum relevantesten Teil der Serie. Der Dank hierfür gebührt der lobenswerten Tatsache, dass sich der Film nur scheinbar am außer Kontrolle geratenen Wettkampf der Comicverfilmungen anschließt, mit jeder bewältigten Herausforderung beim nächsten Schritt noch mehr Zerstörung und Epos sein zu müssen, beim nächsten Mal alles noch größer, lauter und bedrohlicher zu gestalten. Auf den ersten Blick mag es um die gesamte Zukunft der gesamten Erde gehen, eigentlich aber steht das Schicksal Weniger im Vordergrund. Man fiebert nicht um das Leben anonymer Bewohner irgendwelcher gesichtsloser Großstädte, sondern um alte Bekannte, die sich im Laufe ihrer bunten Abenteuer der vergangenen 14 Jahre Profil und eine eigene Filmbiographie erarbeitet haben.

Einige Figurenhandlungen sind kaum nachvollziehbar und wirken teils seltsam schlecht durchdacht. Hier merkt man: Es sind nun mal Comiccharaktere. Das ist keine Rechtfertigung, die funktionieren kann, denn mit der Kritik muss der Film einfach leben, aber belassen wir es bei der Erwähnung.
Das Aufeinandertreffen der Generationen, das Trailer und Synopsis erwarten lassen, ist übrigens kaum Thema des Filmes. Fast die ganze Geschichte gehört dem alterslosen Wolverine und den jungen Alter Egos von Professor X, Magneto, Beast und Raven. Einige alte Bekannte werden dafür wortwörtlich verschleudert. Tatsächlich kommen deutlich weniger Mutanten als in jedem anderen Film der Reihe vor, anders wäre die Geschichte in ihrer eleganten Schlankheit aber auch nicht zu verwirklichen gewesen.
Charmebolzen Peter Dinklage gibt den flachen Schurken Bolivar Traske seinem Profil entsprechend und macht eine bessere Figur, als jeder andere an seiner Stelle es wohl getan hätte, gegen die Einseitigkeit seines fanatischen Kittelträgers mit Nazi-Allüren kann er aber auch nicht anspielen.

Neben ein paar sehr rüden Nachlässigkeiten in Bezug auf die Konsistenz des Gesamtkanons lässt sich – natürlich – auch in der Zeitreiselogik Unstimmigkeit finden. Es wird viel Lärm darum gemacht, dass man nur diese eine Chance hätte und das Unterfangen auf jeden Fall glücken müsse, sonst gäbe es nur noch Ende. Aber wieso denn eigentlich? Genaugenommen spräche nur wenig dagegen, bei einem Misserfolg einfach wieder jemanden in die Vergangenheit zu katapultieren. Und wieder und wieder und wieder, bis eben alles im Lot ist. Die notwendige Reise müsste sich nicht über Jahrzehnte erstrecken, sondern nur bis zum Start der vorangegangenen Reise selbst gehen und diese verändern, was höchstens ein paar Tage sein dürften.

Fazit

Nach den mittelmäßigen Spin-Offs, dem desaströsen Trilogieabschluss und der überraschenden Kehrtwende des Prequels macht Bryan Singers dritter Ausflug in das Marvel-Universum eigentlich alles richtig.
X-Men: Zukunft ist Vergangenheit macht Spaß, ist selbstsicher und persönlich, ehrt beide Generationen und öffnet auf eine charmante Weise Türen.
Und damit schließt sich ein Kreis, wodurch die Zeitreisestory ungeachtet kleinerer Schnitzer, ihren Auftrag bestens erfüllt.