Horrors of Malformed Men

Wunder beleidigen. Deshalb sprang der Filmexzess Horrors of Malformed Men von Fließband-Regisseur Teruo Ishii, der selbst einen Takashi Miike wie einen drehfaulen Müßiggänger aussehen lässt, quasi direkt nach Release auf die Indexe dieser Welt und erblickte erst viele Jahrzehnte nach Erscheinung – nämlich im August 2007 – in Form einer DVD-Veröffentlichung das Licht dieser bis dato viel zu normalen Welt.
Da Wunder aber nicht nur empören, sondern auch über die Dekaden hinweg Wunder bleiben, ist diese Mischung aus Frankenstein-Ekstase mit Hiroshima-Aufarbeitung, Detektiv-Groteske und Slapstick-Horror auch heute noch in der Lage, in Begeisterung zu versetzen.


A warped dream…

Story

Hitomi Kousuke ist Medizinstudent, wacht in einem Irrenhaus auf und hat so ziemlich keine Ahnung, warum er wer wo ist. Er bricht aus und besucht einen Zirkus, wo er eine Akrobatin trifft, die ebenfalls an Amnesie leidet, daraufhin aber recht bald das Zeitliche segnet, woraufhin der Unglücksrabe nun auch noch als Mörder gejagt wird. Folglich lässt sich erst einmal massieren – eine gute Idee, denn die Masseurin setzt ihn davon in Kenntnis, dass sich ein merkwürdiges Mal auf seiner Fußsohle befindet, das, ganz nebenbei, verblüffende Ähnlichkeit mit einer Swastika aufweist. Da ein kürzlich verstorbener und zudem sehr reicher Mann ihm bis aufs Haar ähnelt und selbiges Zeichen aufweist, nimmt er prompt die Identität des Doppelgängers an, indem er vorgibt, lediglich scheintot gewesen zu sein. Ein Beutelchen Intrigen und Verwicklungen später findet sich Hitomi auf einer geheimnisumwitterten Insel ein, wo ein wahnsinniger Wissenschaftler, der zugleich Vater seiner neuen Identität ist, gräuliche Ungeheuer erschafft, indem er die Körperteile verschiedener Menschen zusammenflickt und dabei finster lacht.
Irgendwo in dieser Armee aus Entartung wartet die verdrehte Antwort auf die Fragen, die sich Hitomi und Zuschauer stellen. Zum Beispiel, weshalb ihm dieses eine Schlaflied so verdammt bekannt vorkommt.

Kritik

Es ist eine Herausforderung, die Handlung von Horrors of Malformed Men (江戸川乱歩全集 恐怖奇形人間 Edogawa Rampo Zenshū: Kyoufu Kikei Ningen) anzudeuten, weil dieser Film in seinen weniger als 100 Minuten so wahnsinnig (hier steht absichtlich ‚wahnsinnig‘ und kein Synonym wie ‚unfassbar‘) viel ist, tut, will und kann.
Weise Zeitgenossen widmen sich einem Werk im besten Fall mit einem Minimum an Vorwissen, um für ein unbefangenes Erlebnis zu sorgen und kommen so sehr wie noch nie auf ihre Kosten: Trailer und Titel suggerieren ein bestimmtes Genre und bereiten damit niemanden auf das vor, was der Film tatsächlich zu bieten hat. Nach einem Vorspann aus wimmelnden Insekten kredenzt Szene eins vor Wahnsinn tanzende Geishas mit Hang zum Oberteilverlust, bevor im  Anschluss die kriminalistische Rekonstruktionsgeschichte und Doppelgängerkomödie beginnt, die erst nach einer ganzen Weile auf die Insel der namensgebenden Männer führt. Köstlich amüsieren tut man sich dabei von Anfang an, obwohl man sich dabei unentwegt im falschen Film wähnt. Durchsetzt ist das ganze mit herrlich skurrilem Humor der Marke Japan-Extrem-Situationsirrsinn. Während die üblichen Filme mit Doppelgängerthematik einen oder zwei Fehltritte zeigen, die den Schwindler bis kurz vor die Enttarnung führen, wartet man hier einfach mit allen nur Denkbaren aus dieser Richtung auf. Egal, ob Hände, Hunde oder Höschen – Hitomis Schwindel droht mit jedem Schritt aufzufliegen. Was den ganzen Film hinweg ungemein zur Erheiterung beiträgt, ist das ständig verdatterte Gesicht des Protagonisten, welches er bis zum konsequent inskonsequenten Ende nicht abzulegen gedenkt. Die Sympathiefigur schaut permanent so, als würde sie soeben aus dem Schlaf gerissen und ohne Übergang und Vorbereitung den immer abstruser werdenden Situationen ausgesetzt worden. Genaugenommen trifft das ja aber auch zu. Und genaugenommen kann der Zuschauer sich nur aus diesem Grund ein wenig in ihr wiederfinden.

Und gerade, wenn man sich anfängt heimisch zu fühlen in diesem vergnüglichen Wirrwarr, geht es auf die Insel und der Film schlägt eine Richtung ein, die jenseits von allem liegt, was man aufgrund von Titel, Trailer oder bisheriger Filmerfahrung erwarten könnte. Da wäre der Ausdruckstanz liebende Doktor (Japans Exzentriker-Größe Kichijirô Ueda) mit Spinnweben-Händen, der mit seinen bebenden, gedrungenen Bewegungen und ständigen Kurzauftritten immer wieder für zuckende Augenlider sorgt. Da wären seine Geschöpfe, die irgendwo zwischen purem Leid und neuer Daseinsfreude pendeln und dabei einer Spannbreite gerecht werden, die von billiger Maskenbildner-Knete bis hin zu wunderbarem Kreationen zwischen Jodorowsky und Tool reicht. Der Höhepunkt ist wohl eine gedehnte, surrealistische Sequenz kurz nach der Ankunft auf dem Eiland, in der verstörend-schöne Impressionen aus dem Moloch des Doktors vorgeführt werden. Jenseits von Trash und überzeichnetem (nie aber unangemessen übertriebenem) Humor finden sich immer wieder erschreckende und zugleich erschreckend eindringliche Szenen ein, die zusammen mit der beschwörenden Musikuntermalung eine seltsam erhabene Atmosphäre zwischen Anziehung und Abstoßung generieren.

Manch einer wird dem Drehbuch vorwerfen, ein lückenhaftes, aus Versatzstücken bestehendes Flickwerk zu sein. Aber gerade hier liegt das Geheimnis der tranceartigen Rhythmik des Filmes verborgen, der immer wieder von Neuem verblüfft und schockiert.
Das Ganze Abenteuer, in dem sich übrigens allen Gerüchten zum Trotz kaum ausgezogen wird, kulminiert schließlich in der wunderlichsten, unpassendsten und zugleich auch unnötigsten Pseudo-Aufklärung aus dem Reich des Unwägbaren, indem es in letzter Sekunde wieder auf die detektivische Szene springt und damit auch dem letzten Fass den Boden ausschlägt. Schlichtweg wunderbar.

Fazit

Es grenzt an Anstrengung, Horrors of Malformed Men mit einer angemessenen Synopsis einzufangen. Eine passende Kritik zu verfassen, ist unweit schwieriger, das Ganze dann mit einem Fazit zu vollenden, schlicht unmöglich. Die einzigartige Atmosphäre des Filmes, der mehr als 50 Jahre nach seinem Erscheinen auch heute noch Einmaliges zeigt, zu beschreiben, ist Worten kaum möglich. Filmische Irritation als Schnittmenge von zig dekonstruierten Genres und irgendwo zwischen Trash, Kunst, Überheblichkeit und Wahnsinn – vor allem und ganz nebenbei aber ein Meiststück in Sachen Kurzweil.
Schauen, nein: Erleben. Nicht lesen.

Die einfachste Methode, an dieses viel zu lang verpönte und deswegen entschieden zu unbekannte Schmuckstück zu gelangen, ist der Umweg über einen Import aus Amerika.

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