The Adventure of Denchu-Kozo

The Adventure of Denchu-Kozo (Oder: The Adventures of Electric Rod Boy; oder: Denchû kozô no bôken; oder: 電柱小僧の冒険) ist der letzte Film, den Shinya Kutusuke drehte, ehe er mit Tetsuo: The Iron Man vollends zurecht auch der Welt außerhalb Japans ein Begriff wurde. Die Berlinale würdigte ihn zusammen mit Sogo Ishiis Isolation of 1/880000 in der neuen Sparte „Hachimiri Madness, in der sich die einmalige Gelegenheit bot, auf Leinwand zu bestaunen, was die 8-mm-Anfänge der prägenden Giganten japanischer Filmlandschaft aus der Punk-Gruft der 80er sind.

Story

Hikari ist ein gewöhnlicher Junge, der sich den Mobbingattacken seiner weniger zimperlichen Mitschüler zu stellen hat. Ihr Umgang mit ihm wird nicht dadurch verbessert, dass ihm ein Elektrizitätsmast aus dem Rücken wächst. Eines Tages schreitet das Mädchen Mome rettend ein und vertreibt die mitleidlosen Rüpel, welche Hikari das Leben schwer machen. Zum Dank zeigt dieser ihr das Ergebnis seines neuesten Bastelexperiments: Eine Zeitmaschine, durcheinander, handlich und  funktionsfähig, wie sich herausstellt, wenn Hikari plötzlich 25 Jahre in die Zukunft springt. Was er dort vorfindet, ist ein Japan, das von einem Vampirclan unterjocht wird, der alles daran setzt, eine Dr. Sariba zu töten. Nun muss Hikari seine besonderen Kräfte zum Einsatz bringen.

Kritik

Wie umschreibt man diesen nicht ganz 50-Minütigen Film über einen Jungen, dessen ihm aus dem Rücken ragender Strommast ganz unverhohlen einfach nur eine behelfsmäßig angebrachte Stange aus Pappmaché, Schaumstoff und etwas Hartmaterial ist? Der kurz sagt „Hey, ich habe da übrigens eine Zeitmaschine“, und damit eine wirre Ansammlung von Elektroschrott meint, den er mit sich rumschleppt? Der nach knapp 3 Minuten in einer Zukunft feststeckt, in der Vampire mit einer Bombe stete Dunkelheit über die Welt gebracht haben und nun eine Eva züchten, die diese Dunkelheit verewigen soll? Da The Adventure of Denchu-Kozo sowieso zwangsläufig jeder Beschreibung nur spotten kann. Und so kann hier eigentlich auch nur geraten werden, diese Explosion von Film zu schauen, denn so einmalig, rasant und altersfrei ist kaum etwas.
Die Ähnlichkeiten zu Tetsuo: The Iron Man sind offenkundig. Die Liebe zum Detail, die Fantasie in den Bildern. Der Film ist voll sind von kreativen Fleisch-Maschine-Vermengungen, Drahtknäulen, aus denen sich Kreatürlichkeit entfaltet, und Kostümen, die nahtlos mit der Umgebung verschmelzen. Dabei koexistiert bewusster Trash mit wahrhaft augenöffnenden Effekten. Wie alles im Film ergibt sich daraus eine Fusion, die in eine Diegese mündet, in der alles möglich erscheint und das meiste trotzdem überrascht.
An vielen Stellen wirkt dieser frühe Ausflug Kutusukes wie ein Musikvideo, an weiteren wie ein Experimentalfilm. Die Wahrheit liegt vielleicht irgendwo in der Mitte. Die mit einem Affenzahn durch Gänge rauschenden Vampire, welche sich ausschlich per Stop-Motion bewegen, geben das Tempo für den gesamten Film vor, der in seinen 50 Minuten Stoff verhandelt, der sich ohne Probleme auf eine zweistündige Erzählung erstrecken hätte könne.
Im Vergleich zu seinen späteren Werken fehlen die Momente der Ruhe, der ernsthaften, schmerzlichen Intensität, in denen die Mühlen kurz innehalten und Raum für Reflexion lassen. Der Film schleudert voran und heftet Irrsinn an Irrsinn, ohne Platz für Ernst zu lassen. Dieser Fehlende Ernst ist in gewisser Hinsicht aber auch das Bemerkenswerteste, weil Überraschendste Moment – an Shinya Kutusuke ist nämlich ein wahrer Komiker verlorengegangen, was man bei seinen späteren Werken allerdings nie wieder in dieser Form erahnen kann. Die zahlreichen Witze sind voller überraschender Pointen, garniert mit dreisten Wendungen und in keiner Weise an die Zeit gebunden. Hier beweist sich wieder einmal, was sich nur allzu selten beweist: Guter Humor ist nicht an Zeit gebunden. Er basiert auf dem Moment der Verblüffung, der Abkehr vom Erwartbaren. Und das ändert sich nicht mal eben in 30, 40 Jahren. Dass wir es hier mit einem Film aus (immer noch) völlig fremdem Kulturkreis zu tun haben, verstärkt diesen Effekt für den westlichen Zuschauer nur noch.
Fazit

The Adventure of Denchu-Kozo ist tatsächlich  ein Abenteuer. Eines der absolut aberwitzigen Sorte, das heute noch genauso überraschend, schockierend, energetisch und überwalzend wirkt wie vor 30 Jahren. Es braucht nur ein paar Sekunden, bis es seine metallenen Klauen um den Nacken des Zuschauers gelegt hat und ihn durchschüttelt, bis die Geschichte  in einen Abspann mündet, der dem Film in keiner Weise nachsteht.

Im Stahlnetz des Dr. Mabuse

Ein schweres Erbe tritt Harald Reinl an, wenn er von niemand geringerem als Fritz Lang die ikonische Figur des Dr. Mabuse übernimmt. Ein vollständig verwandeltes Drehbuch später entstand ein internationales Produkt, das mit dem ursprünglichen Mabuse-Thema nur noch wenig gemein hat – und damit Langs eingeschlagenen Pfad in gewisser Weise weiterverfolgt.

Ich habe nur einen Herrn und Gebieter, Dr. Mabuse!

Story

Kommissar Lohmann, seine Familie und vier Kisten Bier wollen in den wohlverdienten Urlaub verschwinden, als ihn kurz vor Abfahrt ein Anruf seines Assistenten Voss zurückhält. Ein Interpol-Agent wurde ermordet, der mit belastendem Material gegen ein großes Verbrechersyndikat aus Chicago mit sich führte. Für den Fall zur Seite wird ihm der vermeintliche Fbi-Agent Joe Como, der auf sehr amerikanische Weise vorzugehen pflegt. Nach und nach scheint nicht nur jeder verdächtig, sondern auch der eigentlich längst verstorbene Dr. Mabuse sich als Strippenzieher herauszustellen, der mit einer neuartigen chemischen Substanz jeden nach Belieben zu einer gehorsamen Marionette verwandeln kann.

Kritik

Gert Fröbe spielt den den altgedienten Kommissar Lohmann, der als Figur bereits in Das Testament des Dr. Mabuse und M – Eine Stadt sucht einen Mörder Popularität erlangte (damals gespielt von Otto Wernicke), mit schalkhafter Launigkeit. Eingeführt wird er als jemand, der nicht trotz, sondern wegen seiner Polizeiarbeit „immer noch Kind“ ist und sich gerade vom Sohnemann drei Kisten Bier (und eine für den Notfall) für einen Kurzurlaub verladen lässt; jemand, der sich auch während der Ermittlungen nicht zu schade ist, mal ein Bier zu ordern. Damit bedient er aber gerade nicht den Typus des elegischen Hard-Boiled-Detectives, sondern präsentiert sich als dessen Gegenteil, den Mann aus der Mittelschicht, dessen Ironie nicht eiskalt, sondern schalkhaft ist, der dessen Verstand zwar messerscharf, aber nicht ganz so fern von einer zünftigen Bauernschläue ist. Das passt prinzipiell gut in die Reihe, die nach ihrer Wiederbelebung weit mehr als nur ein lahmer Edgar-Wallace-Abklatsch sein wollte, sondern sich bemühte, in seinem Subtext gesellschaftspolitische Relevanz zu vermitteln. In Die 1000 Augen des Dr. Mabuse ging der Zeigefinger hoch gegen eine Wiederholung der Stasi-Methoden, in Das Stahlnetz des Dr. Mabuse heißt es nun: Jeder kann und muss seinen Beitrag leisten – auch der durchschnittliche Bürger hat das Potenzial und die Pflicht, für das Richtige einzustehen.
Und so reiht sich der neue Ermittler in Sachen Mabuse eigentlich ganz gut in eine Reihe heterogener Spürnasen, die alle verschieden ernst, charakterstark und auch präsent waren. Nun ist es eben eine Art Pfarrer Braun, der sich gemütlich durch die Tatorte schiebt und dabei eine Genre-Schablone nach der anderen besucht. Denn Das Stahlnetz des Dr. Mabuse ist der facettenreichste Film der langen Mabuse-Reihe – deswegen aber nicht der beste.
Tatsächlich walzt sich der Film, der in Berlin gedreht wurde, aber in einer anonymen Stadt spielt, auf teils überspitzte Weise durch das Agentengenre, indem er einen Polizisten mit doppelter Identität sogar noch eine weitere Rolle übernehmen lässt, schafft es irgendwie, immer mal wieder eine Hau-Drauf-Klamotte, wenn der überstarke Amerikaner als einziger klassischer Held die Fäuste schwingt und bösen Buben in Reihe das Licht ausknipst und wird alle 15 Minuten zum Gefängnisfilm – bei dem eine Figur auf höchst bizarre Weise optisch deutlich an Sasori erinnert, welche aber erst 10 Jahre später die Leinwand betrat. Dass einige Szenen dann noch klar auf Western, Kriegsfilm und Schnulze verweisen, macht den Kohl endgültig fett. Und mit der willens
nehmenden Droge, mit der Mabuse die Welt zu beherrschen trachtet, kommt auch noch ein gehöriger Schuss Wissenschafts-Sci-Fi hinzu. Lezteres ist die auffälligste Abstandnahme von der einstigen Figur, befand sich Mabuse doch immer auf kriminell festem Grund, wenn er sich hier auf wissenschaftliche Fiktion verlässt.
Harald Reinl hat den Stoff mit seiner Regie aber fest im Griff und bringt das kleine Meisterwerk zustande, dass Das Stahlnetz des Dr. Mabuse zwischen diesen verschiedenen Abschnitten nicht zerfasert, sondern jederzeit als schlüssiges Ganzes wirkt. Während der Film in der ersten Hälfte in seiner gemütlichen, nie zur Gänze ernsten Weise gefällig zu unterhalten weiß, verliert er auf der Zielgerade immer mehr an Tempo, bis sich die zu Beginn noch aufgeplusterte Geschichte eingestehen muss, dass sie gar kein nennenswertes Finale besitzt.
Die Figur des Mabuse wirkt mehr noch als in Langs letzten Film Die tausend Augen des Dr. Mabuse ungefährlich und als Person völlig belanglos. War ein Jahr zuvor bereits der Superschurke, wie man ihn aus den unsterblichen Stummfilmklassikern kannte, kaum noch erkennbar, wodurch der Film so wirkte, als hätte man die Figur nachträglich in einen ordinären Krimi geschrieben, hat das Verbrechergenie nun beinahe alles von seiner markanten Alleinstellungsmerkmale verloren – und das, was noch da ist, wirkt in pflichtbewusster Lieblosigkeit einfach zum Film hinzuaddiert.
Leider gerät das Werk bei seinem Versuch, gleichzeitig ernst und witzig zu sein, auch einige Male in straucheln, wenn ernste Figuren Dinge tun, die nicht amüsant, sondern bemerkenswert dumm sind. Das ist besonders bei

Fazit

Einen Dr. Mabuse der alten Schule erwartet niemand mehr in der mehrteiligen 60er-Ausgabe der Filmreihe, war ja auch Fritz Langs Abschied aus dem Regiefach Die 1000 Augen des Dr. Mabuse bereits eine völlige Neuinterpretation und Modernisierung dieses Superschurken-Archetypen. Das Stahlnetz des Dr. Mabuse ist ein Film geworden, der in erster Linie unterhalten will, dabei keine großen künstlerischen Ambitionen hegt und mit seiner Ermittlerfigur erstmals einen echten Lebemann zum ebenbürtigen Kontrahenten krönt. Leider macht der Kommissar nicht durchweg eine gute Figur, sondern zusammen mit anderen Figuren auch mal etwas grenzwertig Dummes – und wird zusätzlich auch noch bestraft, dass sein verwickelter Fall ein eher lahmes Ende nimmt.

Endstation Mond

Der gut gealterte Sci-Fi-Film von 1950 wurde auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären prämiert. 11 Jahre bevor der erste Mensch den Mond betrat, nimmt Irving Pichels Fantasie dieses Ereignis vorweg – und das in gar nicht so abwegiger Weise. Rockets do not employ propellers.

Story

Da die staatliche Raumfahrt in Stocken gerät, liegt es in der Hand von Privatmänner, den Menschen aus dem Schoß der Erde zu katapultieren. Weil man den Russen nicht den Vortritt lassen kann – schließlich könnten sich auf dem Mond ja Raketen stationieren lassen – nimmt ein Großindustrieller den Bau und Start einer Rakete zum Erdtrabanten in die Hand. Nach dem Beseitigen einiger Stolpersteine steht dem ersten Trip auf einen anderen Himmelskörper nichts mehr im Wege. Doch die Reise ins Unbekannte birgt ihre ganz eigenen Gefahren.

Kritik

Genau wie jüngst auch Gagarin handelt Endstation Mond von einem interstellaren Wettlauf. Dieses Mal aber nicht nur in den Weltraum, sondern gleich hin zu dessen erster und bisher – für menschliche Präsenz – auch letzte Station. Ein Wettlauf auf unseren innig geliebten Mond. Zwar schwingt die ganze Zeit ein deutlich patriotischer Grundton mit, Regisseur Irving Pichel war aber weitsichtig genug, diesen im ausreichenden Maße zu ironisieren, sodass man sich beim Schauen nicht allzu penetrant missioniert oder rekrutiert fühlt. Dass man sich ganz individuell trotzdem am zurückhaltend blühenden Nationalstolz des Films stoßen kann, steht außer Frage. Dieser Tage ist man aber auch entschieden Propagandistischeres und vor allem entschieden Schlimmeres gewohnt. All das ist Interessant, da der Wettkampfcharakter der Mission kaum Raum einnimmt. Feinde und Konkurrenten werden im Vorbeistreifen erwähnt, einen tatsächlichen Auftritt bekommen sie aber nicht. Das hingegen ist gut, denn so kann sich der Film in seiner ersten Hälfte auf seine große Stärke konzentrieren. Endstation Mond besticht durch eine stringente Erzählart mit pfiffigem Aufbau und stets der richtigen Gewichtung von Ernst und Beschwingtheit. Das wohl auffälligste Phänomen ist ein mittlerweile zu kleinem Kultstatus gelangter Film im Film, in dem Comicfigur Woody Woodpecker sowohl den skeptischen Figuren, die als Financiers gewonnen werden sollen, wie auch dem skeptischen Zuschauer der 50er das Prinzip Raumfahrt beibringt. Auch hier ist der Spaß nicht frei von politischem Subtext. Das Rückstoßprinzip wird beispielhaft an einem Gewehr vorgeführt. Ein Gewehr, mit dem man, schießt man nach unten, in der Theorie auch wie mit einer Rakete abheben kann. Die Gleichsetzung von Waffe (in diesem Fall dem Lieblingsexemplar Selbstschutz-Amerikas) und Allgeschoss unterstreicht noch einmal fett, dass es eben nicht nur um die Freude am Entdecken geht.
Einnehmend ist das Seherlebnis deshalb, weil Wert auf die Figuren gelegt wird – und das nicht in einer Form, die sich nach bloßer Pflichtübung anfühlt. Spannung entsteht durch diese sympathischen Protagonisten in ihrer Ausnahmesituation, welche sich aus vielen netten Ideen zusammensetzt. Die G-Kräfte beim Raketenstart, Einige Vorstellungen bemannter Raumfahrt sind freilich grober Unfug, viel mehr aber ist in beachtlichem Maß visionär und nahm vorweg, was später eintreffen sollte –sowohl in Sachen technischer Durchführung als auch hinsichtlich unvorhersehbarer Ereignisse. In gewisser Hinsicht ist Endstation Mond eine kleine Kristallkugel der damals noch ausstehenden Pionierzeit des erdnahen Weltraums. Frappant ist, dass der Film nicht besser wird, wenn es ab circa der Hälfte endlich in den Weltraum geht. Stattdessen wird das zügige, leichtfüßige Vorgehen der Vorbereitungsphase sogar ein wenig vermisst. Im luftleeren Raum verlässt sich das Drehbuch zu sehr auf die erstaunlichen Wunder des Kosmos, die aus heutiger Sicht natürlich nicht mehr ganz so beeindruckend sind. Der launige Grundton bleibt zwar auch hier bestehen, insgesamt schwächelt Endstation Mond  an dieser Stelle aber ein wenig. Die Probleme, mit denen die Kosmonauten zu kämpfen haben, wirken zu sehr an den Haaren herbeigezogen und aneinandergereiht. Bemerkenswerterweise ist auch eine Szene vorhanden, die quasi in Zeitlupe vorwegnimmt, was Gravity zur Prämisse nimmt. Nicht mehr ganz ernstzunehmen wird das Treiben ab dem Zeitpunkt, wo klar wird, dass die tapferen Astronauten keinerlei Wissen über das haben, was sie erwartet. Die basalsten Grundlagen waren damals auch dem durchschnittlichen Erdenmenschen bekannt – und von den ersten Himmelsstürmern der Menschheitsgeschichte dürfte dies auch erwartet werden, wenn man dem eigenen geliebten Land keine Nachlässigkeit und Auswahl und Ausbildung seiner Spezialisten unterstellen möchte.

Fazit

Endstation Mond überzeugt nach wie vor mit geschliffenen Dialogen, einer durchdacht eingesetzten Kamera, seinem beschwingt-humorvoller Grundton und dem straffen Tempo. Die leichten Drehbuchschwächen in der zweiten Hälfte sind bedauerlich, bereiten dem Vergnügen aber keinen nennenswerten Abbruch.