Tag

Sion Sono wird schon lange als der Nachfolger Takashi Miikes gehandelt. Bis zu 5 Filme pro Jahr und ein Themenspektrum, das zwar noch nicht ganz das des alteingesessenen Tausendsassas abdeckt, aber sich trotzdem vom vierstündigen Coming-of-Age-Höschenblitzer-Fanatismus-Terrorismusfilm Love Exposure bis hin zur elegischen SciFi-Parabel wie dem gerade laufenden A Whispering Star erstreckt.

Story

Mitsuko befindet sich zusammen mit ihrer Klasse aus der Mädchenschule auf einem Ausflug in einem Bus. Sie ist eher introvertiert und daher auch mit sich selbst und ihren Gedichten beschäftigt, die sie bedächtig zu Papier bringt, während die anderen Mädchen sich ausgelassen miteinander vergnügen. Und dies rettet sie. Als sie sich gerade nach ihrem heruntergefallenen Stift bückt, rauscht ein rasiermesserscharfer Wind vorbei und halbiert den fahrenden Bus und all seine Insassen. Nur Mitsuko überlebt das mysteriöse Massaker. Auf der Flucht vor der unsichtbaren Gefahr stolpert sie durch den Wald und wechselt ihre bluttriefende Uniform mit der einer verstorbenen Schülerin.
Plötzlich befindet sie sich nur noch mit bruchstückhafter Erinnerung wieder an der Schule. Doch ist sie weiterhin sie selbst? War der grauenhafte Vorfall ein Traum?

Kritik

Tatsächlich häufen sich die Literaturverfilmungen aus dem Hause Sono so langsam (bei einer derartigen Institution darf man mittlerweile wohl Worte wie Haus in den Mund nehmen). Während das Meisterwerk Himizu allenthalben auf seinen literarischen Ursprung aufmerksam machte, obschon der Film selbst durch die Fukushima-Katastrophe eigentlich stark von diesem abwich, wirkt Tag eigentlich überhaupt nicht so, obwohl hier sogar ein Roman von Yûsuke Yamada als Vorlage herhielt. Vielmehr erinnert der zügig erzählte Film an eine moderne Anime-Serie – denn der Handlungsverlauf ist latent episodisch und entblößt mit jedem neuen Kapitel ein wenig mehr Aufklärung und zugleich ein wenig mehr Mysterium. Dass Sono vom Quellmaterial teils streng abweicht, ist nur eine Erklärung für den ersten, nicht aber für den zweiten Eindruck.
Weil Tag demnach eine dieser Geschichten erzählt, deren entscheidender Auflösungskern nach und nach zum Vorschein kommt, während sich die Fragen gleich Zwiebelhäuten sukzessive von ihm lösen, ist es umso wichtiger, möglichst unbescholten und bar jeden Vorwissens an den Film heranzutreten. Deshalb ist auch der Handlungsabschnitt hier entsprechend knapp und vage ausgefallen.
Und wie ist er nun, der vorletzte und sage und schreibe sechste Film Sion Sonos aus dem Jahr 2015? Gut, solide gut. Durch seine Levelarchitektur bietet Tag große Abwechslung und nutzt diesen Spielraum für die Kreation angenehm gegensätzlicher Pole. Die Szenen, in denen die Protagonistin mit ihren Schulfreundinnen ausgelassen durch den Wald tollt, wirken ganz ungekünstelt wie ein berauschender Befreiungsschlag – vor allem dank des erhebenden Postrocks von Mono, der dem Film tatsächlich eine emotionale Zusatzdimension von großer Wichtigkeit verleiht.
Inszenierung und Geschichtsaufbau sorgen für eine Beständigkeit des Gefühls von Mysterium, schnellen aber auch so sehr durch die 85 Minuten Laufzeit, dass man ein wenig die charakterliche Tiefe bei den Nebenfiguren vermisst. Dank dieser Rasanz, wodurch sich der Eindruck eines Computerspiels noch verstärkt, läuft der Film aber auch nie Gefahr, seinen peitschenden Flow zu verlieren. Ein paar stark hervorstechende komödiantische Elemente sorgen außerdem dafür, das Interesse eng zu binden.
Die Auflösung der Geschichte entpuppt sich schließlich als janusköpfige Angelegenheit – denn so banal sie ist, so facettenreich kann sie gelesen werden. Und gerade in Form einer klar feministischen und Aussage, die in ihrer Formulierung durchaus Mut beweist, fungiert Tag als Gegengewicht zu Sonos ein Jahr zuvor erschienen Meisterwerk obszöner Eleganz Tokyo Tribe, dessen misogynen Elemente nicht immer sofort als Satire zu erkennen sind.

Fazit

Irgendwie ist ein Film wie Tag eine Zwangsläufigkeit in einem Gesamtwerk wie dem von Sion Sono. Denn bei einem Output von bis zu sechs Filmen pro Jahr muss irgendwo irgendwann zu erkennen sein, dass Prioritäten gesetzt und damit an anderer Stelle Eingeständnisse gemacht worden sind. So wirkt Tag dann auch eher wie eine kurze Fingerübung des enfant terrible des japanischen Gegenwartkinos. Doch dieser Eindruck kann nur im Vergleich mit seinen sonstigen Werken entstehen (und ist immer noch weitaus besser als z. B. bei Auftragsarbeiten wie Shinjuku Swan, die einzeln betrachtet aber ebenfalls immer noch mehr als ordentlich sind), für sich genommen ist dieses voranpreschende Abenteuer nämlich immer noch sehenswert – vor allem für Fans japanischen Kinos. Denn obwohl es sich hier um einen eher kleineren Film aus der Schmiede Sion Sonos handelt, darf man hier nicht erwarten, nicht auf exzentrische Einfälle und Cha-Cha-Cha tanzende Verrücktheiten zu treffen.

Shadow Creature

Zu fast allen Filmen kann man hier einiges schreiben. Beispielsweise über geschichtliche Relevanz, den Stellenwert in den Lebensläufen der Beteiligten oder die Rezeptionsgeschichte.
Shadow Creature macht es diesem ersten Absatz beileibe nicht ganz leicht. Man könnte etwas über misslungene Kunst im Allgemeinen zu Papier bringen. Aber das träfe nicht den eigentlichen Kern. Und daher bleibt nur eine nackte, nichtssagende Zahl, um diesen Textblock zu rechtfertigen. Grob 300.000 Dollar hat dieses Machwerk gekostet. So, so.


Und das Resultat ist, gelinde gesagt, negativ.

„Story“

Mitten in der Nacht wird ein Toter gefunden, der die Polizei vor ein Rätsel stellt. Muskel-Detective Brighton stürzt sich kopfüber in den Fall, obwohl sein Vorgesetzter nur kräftige Widerworte für ihn und seine Theorien übrighat. Seine Ermittlungen führen ihn auf die Spur eines höchst verdächtigen Unternehmens. Währenddessen häufen sich die Todesfälle und eine schleimige Kreatur faucht und kratzt und grunzt und killt.
Der aufgepumpte Cop, eine Forscherin, ein manischer, glatzköpfiger Bürgermeister, ein Mafiosi und ein Professor geraten allesamt auf mehr oder weniger, weniger, weniger (, weniger, weniger)  plausiblen Gründen in das Visier der unerbittlichen Bestie.
Und irgendwie hängt das mit dem Prototyp eines Haarwuchsmittels zusammen.
Gut, an dieser Stelle wird man vermutlich problemlos erraten können, wie dieser behauptete Zusammenhang aussieht.

Kritik

Der erste Satz der Inhaltsangabe spricht davon, dass die Polizei vor einem Rätsel stünde. Das ist ein Zustand, an dem der Zuschauer nicht teilnimmt, denn schon in Minute 3 sieht man das Monster – beziehungsweise ein Gummiding, das entfernt an etwas erinnert, das an ein Monster erinnern soll – durch einen Fluss paddeln. Ganz nebenbei wird das gezeigt, als sähe man nicht gerade den gottlosen Schandfleck der Schöpfung, sondern einen Baum, ein Haus oder ganz einfach nur ein Gewässer ohne Monster. Das ist der erste und vorerst letzte Auftritt der namensgebenden Kreatur, die dem Zuschauer übrigens eine Erklärung schuldig bleibt, was denn so schattig an ihr ist.
Anschließend wird erst einmal lange Zeit über kahle Schädel und halbnackte Polizisten erzählt, ehe das Viech wieder auftreten darf. Dessen Vorwegname als gefährlichen Spoiler zu bezeichnen, wäre der Pedanterie zu viel, schließlich wird der leiderprobte Zuschauer, der sich diesen Film zu Gemüte führt, schon im Vorfeld wissen, dass nicht ausschließlich menschliche Wesen vorkommen. Trotzdem ist es dramaturgisch etwas kauzig, Aussehen und Art des Monsters – und damit einen der entscheidendsten Knalleffekte des Genres – als völlig geschmacksneutrale Vorspeise zu aufzutischen.
Aber womöglich war Regisseur James P. Gribbins einfach nur ein bodenständiger Kerl, der sich einfach nicht der Illusion hingeben wollte, dass ein steifer Mann in einem wabbeligen Gummianzug für staunende Münder sorgen könnte, woraufhin er jede mögliche Erwartung direkt im Keim ersticken wollte. Und das gelingt hervorragend. Die ersten Minuten sind derart talentlos inszeniert, dass alles nachfolgende, was auch immer es sein mag, eigentlich nur begeistern kann.

Ebenfalls in der Inhaltsangabe steht geschrieben, dass Brightons Ermittlungen ihn zu etwas brächten. Das ist leider gelogen. Das Drehbuch ist es, was ihn von Hinweis zu Hinweis leitet, während seine Ermittlungsarbeit in erster Linie darin besteht, seinen blanken Oberkörper im Polizeipräsidium zur Schau zu stellen, grundlos Leute zu verhauen und Zeuginnen auf schockierend plumpe Weise bei der Befragung mit Streicheleinheiten nahezukommen. Dabei sieht Darsteller Shane Minor die ganze Zeit aus, als wäre er nur mal kurz vom benachbarten Set irgendeines Schmuddelfilmchens rüber geirrt, um sich das Geld für die Mittagspause zu verdienen.

Doch zum wichtigen Aspekt von Kritik und Film.
Shadow Creature ist unbedingt in deutscher Fassung zu schauen! Niemals zuvor, niemals danach wurde eine Synchronisation derart ungekonnt auf eine Filmrolle geschmiert. Aber nicht nur Kompetenz fehlte. Es fehlte auch der Wille, nur eine einzige Lippenbewegung korrekt zu vertonen. Das ganze Ensemble hört sich an, als hätte eine Klasse rumalbernder Schulkinder Helium geatmet und Murmeln geschluckt, um dann ein eigenes, improvisiertes, infantil-satirisches Hörspiel aufzunehmen.
Vor allem – doch keineswegs nur! – der Protagonist tönt unentwegt, als wäre er vollkommen eingeschnappt. Jede Bemerkung des pseudo-markigen Bullen kommt beleidigt und schmollend aus seinem Mund gequäkt. Plotwerkzeug Professor Melvin klingt wie ein ganz bestimmter Simpsons-Charakter und dem höchst seltsamen Polizeichef wurde ein absurd stark lispelnder Sprecher zugeteilt. Unabhängig von diesen Beispielen – die Liste ist beileibe nicht vollständig – sprechen alle nicht nur total überbetont, sondern auch schlicht und ergreifend im völlig falschen Rhythmus.
Was dem Synchro-Genuss die Krone aufsetzt ist aber, dass ganz generell auch die Übersetzung fehlerreich, genauer gesagt total willkürlich ausgefallen ist. Am laufenden Band werden Sätze gesprochen die überhaupt nichts mit der Situation zu tun haben und teils im Kontext, teils auch ganz allgemein überhaupt keinen Sinn ergeben.
Beispiele gefällig?

  1. „Tja, er unterrichtete Nekrophilie und war als Kapazität bekannt.“
  2. „Heilige Mutter Gottes und alle Heiligen.“
  3. Ganz oben auf der Skala befindet sich aber der unscheinbare Ausspruch, der an sich echtes Potenzial zum Klassiker hat: „Eine Chance ist mehr als genug.“

Danke. Danke, wer auch immer diesen Film synchronisiert hat. Ihr hattet sicher die Zeit eures Lebens.

Das eidechsenähnliche Monster sieht herzallerliebst aus. Nach dem jämmerlichen ersten Auftritt im Szene-1-Tümpel ist es fast nur noch in Nahaufnahme zu sehen. Das Kostüm ist zwar eindeutig ein ebensolches, doch hat man sich in Sachen Detailgrad und Mimik ziemliche Mühe gegeben. Die herzerwärmenden Grunzgeräusche der Bestie tragen das ihrige zum Charme bei, während der schwitzende Schauspieler im Inneren hektisch auf und ab springt. Generell muss zugegeben werden, dass die Effekte durchaus gelungen sind. Besonders die kleinen Bodyhorror-Einschübe sind bemerkenswert ansehnlich und rufen Erinnerungen an den einen oder anderen Klassiker wach. Da pulsieren Gliedmaßen, wieder andere fallen ab und am Ende der grausamen Transformation zum Gummilizard lachen sich die armen Infizierten die Seele aus dem Leib und springen in trübe Pfützen. Nicht sehr gruselig, aber ziemlich unterhaltsam.
Das trifft im auch auf die gesamte Geschichte zu.
Damit eben jene nicht ganz so flach wirkt, hat man es sich gestattet, den faulen Kniff anzuwenden, die anfänglichen Geschehnisse zu verschweigen und dies dafür in einer Rückblende ab der Filmmitte nachzuholen. Ein unfeines Stilmittel, aber in einem B-Werk wie diesem immerhin weit weniger schändlich als in so mancher Big-Budget-Produktion.
Logik liegt erwartungsgemäß brach. Weder, wie erwähnt, in den Dialogen, noch im Rest des Filmes ist Vernunft zu erkennen. Die Figuren handeln ausnahmslos sinnentleert, der Fortgang der Handlung geht selten aus dem bisher Geschehenen hervor und auch sonst erweckt vieles den Anschein von absurdem Theater. Nur dass man sich nie ganz sicher sein kann, ob das Witzige und Skurrile tatsächlich gewollt ist. Da ist man ganz offensichtlich im selben Raum mit dem Ungeheuer und überlegt sich prompt, dass man ja erst mal ins Dezernat fahren und einen Bericht schreiben könnte. Ein Verhör fließt völlig übergangs- und grundlos in Sex über, beim Schießen sind Mündungsfeuer, Bewegung und Schussgeräusch überhaupt nicht aufeinander abgestimmt und der Hörsaal einer Universität ist eine Theaterbühne!
Dass Shadow Creature durchaus komödiantische Absichten hat, ist irgendwann (wenn auch noch nicht zu Anfang) klar. Manche Wortwechsel sind unzweideutig humoristisch gemeint und wenn eine Figur eins auf die Zwölf bekommt, dann zwitschern auch schon mal ganz comicartig die Vögel. Doch die Grenze zwischen gewollt und ungewollt komisch verschwimmt hier total. Und wirklich witzig ist es meist dann, wenn der intendierte Humor einsetzt, weil dies fast immer so brachial nach hinten losgeht, dass man sich vor lauter Scham am Ende doch beim Lachen erwischt, so fassungslos lässt einen das Gezeigte zurück. Genau das macht den Film aber so unterhaltsam. Dank Synchro und dem Scherz von einem Drehbuch entpuppt sich Shadow Creature als unberechenbare Kuriositätenshow mit einer fast schon unheimlich burlesken Sogwirkung.

Fazit

Ein imdb-Rating von immerhin 3,8 und bei Amazon einen Sternedurchschnitt von 1. Zumindest letzteres sollte geändert werden. Denn vieles ist zum Stottern komisch. Und es wäre doch gelacht, wenn manches davon nicht sogar Absicht gewesen ist.
Ein unfassbarer Unsinn, der so blöd und quietschig ist, dass der Film beinahe schon hypnotische Wirkung entwickelt.
Auf eine gelungene Slapstick-Einlage kommen 20 Szenen, bei denen man nie sicher sein kann, ob sie ernst oder albern gemeint sind. Die ganze Geschichte ist so furchtbar schlecht, dass man sie nur anhimmeln kann, und sämtliche Darsteller praktizieren so konsequent Anti-Schauspiel, dass die präsentierte Welt einfach nur maßlos falsch, verstörend und sonderbar ist. In einer objektiven Welt käme Shadow Creature bestenfalls auf eine 2 vor der Kommastelle. Zum Glück leben wir nicht in einer solchen und ungeschminktes Unvermögen kann entsprechend gewürdigt werden.
Oder, um mit der Synchronisation des Filmes zu schließen: „Und ich rutschte aus und fiel in seine Gehirnmasse.“

Zu sehen ist der Film übrigens auch gratis und in seiner vollen Pracht auf Netzkino.de.