Lucy

Über den Gallier Luc Besson, der gefühlt in allen auch nur annähernd französischen Produktionen seine Finger im Spiel hat, wurde hier schon das eine oder andere Wort im Vorbeigehen verloren.
Dass sein erstes Science-Fiction-Regieprojekt seit Das Fünfte Element sein wohl bestes Werk seit Léon – Der Profi ist und nun ohne großen Trubel Einzug in die Kino hält, war nicht wirklich zu erwarten.

We never really die.

Story

Lucy soll für ihre Liaison Richard einen Koffer an einer Rezeption abgeben. Nach einem gescheiterten Ablehnungsversuch und einer wenig freundlichen Antwort Seitens Richard stellt sie sich der Aufgabe und wird prompt von ein paar ruppigen Gangstern in den Fahrstuhl gezerrt. Der Koffer, so erfährt sie mit leichter Verspätung, enthält synthetisches CPH4, was als neuartige Droge den Markt fluten soll. In geringen Dosen eingenommen, steigert sie die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns.
Lucy und 3 andere Unglückliche werden mittels einer kurzen Operation in der Bauchgegend zu Drogenkurieren umfunktioniert, um den Stoff an Distributoren über den Globus weiter zu verteilen. Wer sich auflehnt, dessen Familie muss büßen.
Als sie einen Tritt in den frisch vernähten Bauch bekommt, öffnet sich der Drogenbeutel in ihrem Inneren und eine gewaltige Menge der kristallinen Substanz löst sich in ihrem Blutkreislauf auf. Lucy, die zuvor wie jeder andere Mensch auch nur 2 % der theoretisch zur Verfügung stehenden Gehirnkapazität nutzen konnte, erfährt Leistungssprünge in ungeahnten Ausmaßen, die es ihr alsbald nicht nur erlauben, in Hochgeschwindigkeit zu denken, sondern auch die Umwelt durch reinen Willen zu beeinflussen.
Lucy in the Sky with Diamonds.

Kritik

Dieser Luc Besson ist schon ein seltsamer Kauz. Nicht alle, aber doch die meisten Filme, in deren Schaffungsprozess er auf die eine oder andere Weise einbezogen war, ähnelten sich in gewissen Punkten. Meistens geht es um eine Person, die sich ekstatisch und brachial gegen eine Übermacht auflehnt, fast immer inszeniert mit spürbar zu viel buntem Kleber, fettigem Glamour, seltsam deplatzierten Humor und „Wooosh“-Geräuschen, wenn sich etwas schnell an der Kamera vorbeibewegt. Besson-Werke macht häufig aber ebenso aus, dass diese Mixtur als Summe ihre beharrlichen Teile nach einer Weile auf ihre Weise funktioniert – mal mehr, mal weniger gut.
So auch Lucy, der hier keine Ausnahme macht und schon direkt zu Beginn mit dämlichen Gleichnissen nervt, weil zu jeder Handlung ein mehr oder weniger gut passendes Szenenäquivalent aus der Natur reingeschnitten ist. Nähert sich Lucy den Bösen, lauert das Raubtier dem Opfer auf, erzählt Morgan Freeman von den Wundertaten der Menschheit, sehen wir eben diese. Das alte Romankonzept: Lass nichts sagen, was du auch durch Taten beschreiben kannst, wird hier nicht statt, sondern zusätzlich zu Sprache angewendet und wirkt darüber hinaus sehr plump. Dieses Stilmittel gewinnt ein wenig an Berechtigung dazu, wenn man den Film zur Gänze gesehen hat, bleibt aber trotzdem der größte Makel, den Lucy hat.
Die erste wirkliche Überraschung ist die unerwartete Brutalität, die vor allem die Protagonistin an den Tag legt und die Freigabe ab 12 Jahren höchst fraglich erscheinen lässt. Ihr Vorgehen ist fast immer so kaltblütig und direkt, dass man sich auch als geübter Zuschauer leicht erschrecken kann.
Das Hauptargument des Filmes ist sein Einfallsreichtum. Lucys immer weiter ansteigende Fähigkeiten setzen schon am Anfang jede Konkurrenz Schachmatt. Eine wirkliche Gefahr existiert für sie nicht, abgesehen von sich selbst. Dank des zurückhaltenden Drehbuchs führt dies aber nicht zu Langeweile, sondern heizt die Spannung im Gegenteil an. Lucy ist einer der wenigen Filme, bei denen man sie nie sicher sein kann, was die nächst Szene bringen und wohin die Geschichte führen wird. Nicht einmal eine vage Ahnung gesteht der Science-Fiction-Film dem Zuschauer zu. Dieses ungemein präsente Potential, den Kinobesucher zu überraschen, bannt ihn in den Kinosessel – und gehört zugleich zu den erfreulichsten Dingen, die man einem Film nur attestieren kann.
Dass die einzelnen Sequenzen, in denen sich Lucy, die von einer klassischen Tussi mit schäbigem Nagellack und den hässlichsten Ohrringen der Welt zur transzendierenden Superheldin mutiert, mit ihren neuen Kräften gegen allerhand Widrigkeiten behaupten muss, zwar immer interessant und unterhaltsam, aber nicht durchweg wirklich gut sind, verkommt angesichts dessen zur Nichtigkeit. Genaugenommen wäre viel des Spektakels gar nicht nötig, weil sie sich aller Probleme auf die gleiche, deutlich subtilere Weise annehmen könnte, aber verzichten möchte man darauf auch nicht. Überhaupt schleichen sich derartige Gedanken erst nach dem Abspann ein, denn unterdessen ist der Film zu atemlos, um Raum für hinterfragende Zweifel zu lassen. Zudem sind es gar nicht die Actionszenen, die die größte Spannung bergen, sondern jene, in denen Lucy Erkenntnis begegnet und diese dann jenen Menschen zu vermitteln versucht, die ein um 98% geringeres Denkvermögen haben. Hinsichtlich philosophischer Exkurse bleibt der Film natürlich weitestgehend bei den Erwartungen, die man an einen Populärfilm hat, vollzieht den Spagat zwischen rabiater Action und dem Stellen existenzieller Fragen aber doch mit einer erstaunlichen Selbstsicherheit. Einen wichtigen Beitrag liefert natürlich Scarlett Johansson, die ein weiteres Mal mit ihrem Gespür für ungewöhnliche Rollen mit ungewöhnlichen Körperbildern überzeugt und hier kaum wiederzuerkennen ist.
Inhaltlich wie auch vom Tempo her gelingt es Lucy nicht zuletzt aufzuzeigen, wie kolossal andere Versuche in diese Richtung wie zuletzt erst Transcendence an ihrem eigenen Anspruch eigentlich scheitern. Auch wenn es für den einen oder anderen etwas zu viel des Guten sein könnte, dass ein Luc Besson-Film sich tief und unverkennbar vor Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum verneigt.

Fazit

Dass einiges unnötig und anderes zu überkandidelt inszeniert ist, hat kaum noch Relevanz, wenn ein Film es schafft, die Antizipation schon allein der nächsten Szene so schwierig zu gestalten, dass Überraschungen en masse garantiert sind.
Dass Lucy es nebenbei auch noch schafft, durch eine eindeutige Antiheldin zu fesseln, auf Konventionen zu pfeifen und dabei hervorragend zu unterhalten, lässt die eine oder andere Ungehörigkeit mit Freuden vergessen.
Es ist, als hätte Herr Besson mit vielen Jahren Verspätung nun doch das Versprechen eingelöst, das er einst mit seinen einflussreichen Frühwerken gab.

Ghettogangz – Die Hölle vor Paris

Französische Zukunftsfantasie, Luc Besson als Produzent. Bisher keine Überraschung und kein Grund für gehobene Erwartungen. Ghettogangz – Die Hölle vor Paris oder Banlieue 13 – Anschlag auf Paris hat mit seiner satten Action aber etwas, das sich vom Durchschnitt scheidet.

Dann gehen wir mal auf Safari.

Story

Als die Kriminalitätsrate in dem verruchten Pariser Vorort nicht mehr zu senken war, schnappte sich die Stadt ein paar Steine und zog eine Mauer um den Brennpunkt. Banden führen dort nun ihr eigenes Regime und wer das Pech hat, im abgestoßenen Slum geboren zu werden, der, nun ja, hat Pech. Der fidele Leito ist Kind dieser Gegend, wird aber im Grenzbereich inhaftiert, als er sich gerade einen Kleinkrieg mit dem Anführer der schlimmsten aller Banden liefert. Leito landet im Kitchen und seine Schwester in den Fängen des grundbösen Anführers Taha. Als einige Jahre später eine Massenvernichtungswaffe in Tahas Besitz kommt, wird der alleskönnende Supercop Damien an die vorderste Front beordert. Und damit er sich da zurechtfindet, muss er sich mit Leito zusammentun.

Kritik

Eine Kamerafahrt mit einer Million versteckter Schnitte, ein zurrender Beat und Zeitlupenhagel. So wird das Paris der Zukunft vorgestellt und so stellt sich der Film selbst noch während seiner ersten Sekunden repräsentativ und ausreichend vor. Die graffitibeschmierten Stahlbetonwände, Obdachlosenstapel in den Gassen und finstere Gesichter eingefallener Kerle, die das gebrochene Paris einer sozial ausgebrannten Zeit präsentieren, tun dies in Hochglanz und mit adrenalintreibendem Schnitt.

Aber der Film ist nicht nur Oberfläche. Es ist eine düstere, dichte  Milieustudie, die in der alles deutlich überzogen ist, sich dabei aber selbst konsequent sehr ernst nimmt, was dem Film recht gut zu Gesicht steht. Parkour-Erfinder David Belle gibt einen charismatischen, aber undurchsichtigen Helden ab und bekommt mit dem wuchtigen K2 einem Feind ins Visier, der von Tony D’Amario mit wunderbarer Widerwärtigkeit, aber auch imponierender physischer Präsenz gespielt wird. Die Figuren sind markant, räudig, überzeichnet und bekommen zum Glück so zahl- wie einfallsreiche Dialoge in den Mund gelegt. Die glaubwürdige Sprache ist tatsächlich eines der Herzstücke des flinken Actionfilmes und trägt eine Menge zur Intensität seiner Welt bei. Das heißt freilich nicht, dass hier irgendwas plausibel wäre. So comichaft wie die Figuren sind, so verläuft auch die Geschichte und Logik muss hinter Geschwindigkeit zurückbleiben. In einer Welt, wo Straßenkampf wie Synchrontanzen funktioniert und hünenhafte Fettwanste mit Endboss-Charakter balroggleich in die Kamera grunzen, ist das vollkommen legitim. Ghettogangz will Spaß machen und das gelingt ihm. Das ist der einzige Anspruch des Filmes und er wird ihm mit Bravour gerecht, auch wenn das Ende sich mit seinen erzwungenen Bonus-Konflikten dann doch etwas zu viel rausnimmt.
Außerdem gilt hier in besonderem Maße: Finger weg von der Übersetzung. Auch wer kein Wort Französisch beherrscht, ist mit dem originalen Ton und Untertiteln besser aufgehoben. Die eingedeutschte Fassung ist eine Tortur für sich. Wer das nicht glaubt, der soll sich nur mal zum Vergleich den deutschen Trailer ansehen. Kern von Ghettogangz sind fraglos die atemberaubenden, aber etwas zu selten vorkommenden Parkour-Einlagen und die darin eingeflochtenen martialischen Prügeleien. Die Kämpfe sind so bretthart wie athletisch inszeniert, alles stets getrieben vom drückend-klaren Beat. Schläge, Tritte, Würfe, Sprünge, gefilmt in einer Musikvideoästhetik, die trotz allem nie glatt, sondern angenehm rau und dreckig ist.

Die beiden Protagonisten zusammen sind testosterongeschwängerte Coolness, natürlich. Aber das ist es eben, was diese Welt braucht und womit diese dekadenten, diabolisch-engstirnigen Unterweltbosse mit ihrer Heerschar an böse geschminkten und zerbrechlichen Leibwächtern bekämpft werden müssen.  Ja, es ist ein Machofilm. Aber im Vergleich zu uninspirierten Kaffeekränzchen á la Lockout, welcher sich ja ebenso ins Klapperschlangen-Subgenre einordnen lässt, ist dies ein Machofilm, der eine ordentliche Portion Energie und eine weitere Portion Ideen mitbringt.
Mit Moral darf man hier selbstverständlich nicht kommen. Menschenleben werden gegeneinander abgewogen und die ungezählten Kriminellen, die Gliedmaßen und Leben lassen, bleiben unkommentierte Bauernopfer. Und das, obwohl Ghetto-Junge Leito selbst uns mit vor Überzeugung bebender Brust  berichtet, wie scheinheilig es doch sei, Personen zu verurteilen, die nichts dafür können, unter welchen Umständen sie wo auf die Welt gekommen sind. Aber dann kommt auch schon der nächste sich über mehrere Stockwerke ziehende Kampf und der Wunsch, pingelig nach Fehlern zu suchen, wird von Adrenalin fortgespült.

Fazit

Der Film strahlt ein gehöriges Maß an Selbstverliebtheit aus, hat sich das mit seiner schweißtreibenden Inszenierung, den aufregend choreographierten Kämpfen und kernigen Dialogen aber auch verdient. Natürlich spielt Ghettogangz – Die Hölle vor Paris nie in einer Liga mit Filmen wie The Raid, fühlt sich in seinen besten Momenten aber ganz ähnlich an.

2009 erhielt der Film die Fortsetzung und Regisseur Pierre Morel empfahl sich mit Ghettogangz für Hollywood. Er drehte als nächstes 96 Hours mit  Liam Neeson.


Chrysalis – Tödliche Erinnerung

Die genreprägende Horrormär Augen ohne Gesicht ist hierzulande ziemlich in Vergessenheit geraten. Der von der Traditionsschmiede Gaumont produzierte Sci-Fi-Thriller aus Frankreich Chrysalis – Tödliche Erinnerung hat sich den Klassiker zum Vorbild genommen, aber nur am Rande etwas mit ihm gemein. Uninteressant ist er deswegen aber keineswegs.


Aber das ist doch nur dein Körper!

Story

Prof. Brügen, eine Ärztin für Telechirurgie, und ihre 18-jährige Tochter Manon werden in einen Autounfall verwickelt. Die Tochter liegt im Koma, während Brügen wie besessen versucht, ihr Kind durch ein medizinisches Wunder wieder in den Alltag zurückzuholen.
Unterdessen kriegt der raue Cop-mit-Cowboy-Allüren David einen Jungspund an die Seite gestellt. Marie ist eine junge Ermittlerin, der nachgesagt wird, nur durch ihren berühmten Vater in diese Position gekommen zu sein. Einige Opfer weisen seltsame Male an den Augenlidern auf, doch abgesehen davon tappt das ungleiche Dou vollkommen im Dunkeln.

Kritik

Französische Science Fiction, bei der kein Luc Besson seine Finger im Topf hat. Das ist zumindest einen Blick wert und klingt vielversprechend.
Die Geschichte von Chrysalis ist – und das ist auch der große Kritikpunkt des Filmes – über lange Strecken eine sehr partikuläre, wenig verständliche, obwohl sie an sich alles andere als umfangreich oder sonderlich komplex ist.
Sehr lange weiß man nicht, was geschieht. Handlungsbausteine werden blinzelkurz durchs Bild geschoben, von anderen abgelöst und bleiben vorerst unerklärt. Leute treffen sich in Parkhäusern und mit Pistolenschüssen oder werden getroffen, von Lastwagen zum Beispiel. Mehrere Schicksale und kein Hinweis, wie diese zusammenhängen. Man erkennt nur schwer, wo, was und mit wem hier etwas geschieht. Da einem alles, aber auch wirklich alles fehlt, ist es leider auch nicht ganz so leicht, sich emotional auf die kurzen Ausschnitte einzulassen.
Als roter Faden kristallisieren sich aber die Ermittlungsarbeiten von David und seinem ungewollten Sidekick Marie heraus, bei denen man sich wünscht würde, dass die einzelnen Ermittlungsschritte etwas ausgiebiger vorgestellt würden.
Die Figuren bleiben ausnahmslos weit vom Zuschauer entfernt. Die Polizisten lassen sich dabei betrachten, wie sie seltsam lustlos in ihrem Fall herumstochern und verwirren mit plötzlichen Gefühlsausbrüchen. Kaum kennengelernt, so ungleich wie sonst kaum ein Ermittlerpaar und trotzdem braucht es nur eine Festnahme, bei der sich beide im selben Raum aufhalten, und der Grünling Marie entwickelt leidenschaftliche Gefühle für ihren Kollegen mit der starren Miene.

Eine nur dezent dynamische, nicht stillstehende, aber verstohlen schleichende Kamera liefert kahle Bilder hinter einem blauen, kühlen Farbfilter. Kühle Franzosen mit kühlen Gesichtern arbeiten hinter diesem Filter an einem Fall und erleben dabei alles andere als kühle Dinge.
Zu den groben Faustkämpfen und Keilereien passt das ausgesprochen gut, für den Rest des Filmes, der leider kaum Faustkämpfe und Keilereien beinhaltet, sorgt der stark unterkühlte Look aber in erster Linie für Distanz und hemmt die Spannung.
Die Science-Fiction wird überall reinzustecken versucht, indem Alltagsgegenstände einfach ein wenig aufgemotzt werden und heute als dekadent geltendes im Frankreich der Zukunft ein alter Hut ist. Schade aber, dass ausgerechnet eine der ganz zentralen futuristischen Gerätschaften undurchdachter Humbug ist.

Kurz zum Thema Faustkampf zurück: Ja, es gibt eigentlich nicht viel körperlichen Zoff in Chrysalis, aber dieser eine ausufernde Schlagabtausch im Badezimmer geht durch Mark und Bein. Man erlebt es selten, dass man tatsächlich in der Mitte des Films um das Überleben der Hauptperson bangt. Hier ist es der Fall. Dies findet ziemlich genau zur Hälfte des Filmes statt.
Die tatsächliche Krux ist, dass danach alles Sinn zu ergeben scheint, die Motivation der Figuren wird mit einem Schlag klar und man erhält endlich eine präzise Antwort auf die Frage, worum es eigentlich geht. Von ein paar unglücklichen Dialogen abgesehen, nimmt der Film von hier an stark an Fahrt auf, wird interessanter und wirkt selbst in der Regie plötzlich viel zielsicherer. Nur leider ist die Sache dann auch ziemlich schnell beendet, obwohl es sich anfühlt, als wäre die Story erst zur Hälfte erzählt. Der Schluss kommt schnell und abrupt.

Fazit

Viele eigentlich gute Elemente werden irgendwie planlos zusammengesteckt, sodass etwas entsteht, das im Detail sehr sehenswert ist, im Ganzen betrachtet jedoch einfach nicht ausbalanciert und seltsam willkürlich wirkt.
Trotzdem ist der Sci-Fi-Thriller, dessen verzwicktes Getue sich bald als Einfachheit herausstellt, mit seinen hübsche Einfällen auf der Präsentationsoberfläche und einer herrlich schmierigen Feel-Bad-Ausrichtung keine Zeitverschwendung. Europäische Science-Fiction ist einfach viel zu selten.

Lockout

Luc Besson ist schon ein ziemliches Phänomen des Gegenwartkinos. Mit Léon – Der Profi klopfte er aus einer eigentlich generischen Ausgangssituation einen Meilenstein des europäischen Kinos. Nur drei Jahre später lieferte er mit Das fünfte Element einen pulpigen Kassenschlager ab, der seinen Posten als französischer Filmzauberer zu festigen schien.
Dann wurde es verhältnismäßig ruhig um das Wunderkind. Seine wirklich eigenen Filme blieben unbeachtet, waren zu schräg und überdreht, aber oft auch unausgegoren und trotz häufigen Spektakels seltsam müde. Wirkungsmächtig blieben seine Finanzen und seine Drehbücher, die auf der ganzen Welt Newcomern eine Starthilfe boten und bieten. Die meisten namenhaften Filme französischer Herkunft der vergangenen 10 Jahren hängen irgendwie mit Besson zusammen.
Auch bei Lockout hat er wieder mal am Drehbuch rumgeschrieben, ein paar Scheine spendiert und damit zwei relativ unbekannten Regisseuren den Weg auf die Leinwand ermöglicht.

Story

80 Kilometer über der Erde befindet sich im Jahre 2079 ein Hochsicherheitsgefängnis, wo all die schlimmen Finger verwahrt werden, für die auf der Erde kein Platz ist. Mörder, Vergewaltiger, Psychopathen – wer es sich in der Zukunft im großen Stil mit dem Gesetz verscherzt, wird ins All geschossen und einfach für ein paar Jahrzehnte in Tiefschlaf versetzt.
Snow ist ein ehemaliger CIA-Agent, Opfer eines fiesen Komplotts und genau dieses Schicksal steht ihm bevor.
Doch dann geht oben im Orbit so einiges schief. Während die Präsidententochter Emilie sich höchst engagiert vergewissert, dass die Gefangenen ihre Haftstrafe unter humanen Umständen absitzen, erlangen genau diese die Kontrolle über die Station. Mit einer Hand voll Geiseln und der prominenten Emilie als Druckmittel sitzen die Schurken am längeren Hebel. Und weil eine großangelegte Offensive zu gefährlich wäre, wendet man sich an Snow. Diesem winkt Absolution, wenn er das Töchterchen des Regierungschefs befreit.
Also macht sich der Griesgram auf den Weg, denn wie der Zufall es will, bietet sich dort oben auch noch die Gelegenheit, die eigene Unschuld zu beweisen.

Kritik

Die ersten Bilder sagen eigentlich schon fast alles, was zu sagen ist. Ein bemüht lässiger Guy Pearce lässt bemüht lässige Sprüche vom Stapel, kaut aufsässig Kaugummi und kriegt ordentlich eins auf die Zwölf. Natürlich ist er bärenstark, super stur und kann jeden Schlag locker wegstecken, ohne den bemüht lässigen Blick nur für eine Sekunde zu variieren. Dass Lockout Geschichte und Figuren nicht ernst nimmt, ist absolut legitim. Dass Figuren und Geschichte weitestgehend langweilig geraten sind, ist nicht ganz so einfach zu verschmerzen.
Natürlich sind die rund 500 Schwerverbrecher allesamt das personifizierte Böse und verdienen den kollektiven Tot.
Drehbuch und Synchronisation arbeiten besonders im ersten Filmdrittel gekonnt zusammen, um den Hauptdarsteller als nervigen Rüpel bar jedes Identifikationspotentials einzuführen. So versucht der Film nicht nur, dem Plot von Carpenters dystopischem Sci-Fi-Klassiker Die Klapperschlange nachzueifern, sondern auch noch seinen Protagonisten Snake Plissken zu imitieren. Und auch, wenn Guy Pearce so manches Mal eindrücklich beweisen konnte, dass ein guter Akteur in ihm steckt; an Kurt Russels kultige 80er Jahre-Darbietung wäre er auch mit besserem Script nicht herangekommen.
In Sachen Charakterdesign und wohlgeformter Worte geben sich die Figuren aber allesamt nichts. Beinahe jeder Witz – und die Dialoge sind einzig darauf ausgelegt, Onliner am Band zu produzieren – zischt meterweit am Schwarzen vorbei. Die einzige Person, die ihren Job glaubwürdig macht und außerdem nicht versucht, auf Teufel komm raus burschikos zu sein, wird vom Drehbuch ganze 3 Minuten am Leben gelassen.
Das ist schade, denn würde die Geschichte sich selbst etwas mehr zutrauen und nicht versuchen, ihre Fehler mit ideenlosen Frotzelein zu kaschieren, wäre man ein paar Stufen näher an die finstere Stimmung des großen Vorbildes gelangt.
Nach der unsauberen Introduktion taut der Film zur Mitte hin aber immer mehr auf. Weg von der leidigen Story und in der Höhle des Löwen erhält Lockout endlich den Rhythmus, den er von Anfang an verdient hätte. Als leicht selbstironischer, absolut harmloser B-Movie im Weltraum funktioniert der französische Actionfilm nämlich ganz gut. Auch die Präsidententochter, die über weite Strecken nicht mehr als nörgeln und kreischen durfte, sammelt später ein paar Sympathiepunkte und entwickelt gemeinsam mit dem Protagonisten tatsächlich so etwas wie eine Chemie, die fernab von mitreßend ist, aber durchaus in Ordnung geht. Kamera und Schnitt täuschen außerdem gekonnt darüber hinweg, dass eigentlich gar nicht so viel passiert und auch die Musik vermag es durch die ein oder andere schräge Einlage, klaustrophobische Akzente zu setzen, während sie sich sonst bescheiden im Hintergrund hält. Die unübersichtliche Verfolgungsjagd zu Beginn beleidigt das Auge mit Effekten, die stark nach Computerspiel aussehen, die Bilder im All und auch die Action befinden sich im weiteren Verlauf aber im Mittelmaß und lassen den Fauxpas vom Beginn vergessen. Gegen Ende kommt sogar richtiges Tempo auf, ehe die Rahmenhandlung um die unrechtmäßige Beschuldigung Snows wieder einsetzt und dann beinahe schon verwegen mit etwas endet, das man als Anknüpfungspunkt für einen zweiten Teil betrachten könnte.

Fazit

Trotz der recht holprigen ersten Filmhälfte kann Lockout insgesamt unterhalten. Aus dem Science-Fiction-Setting wird leider nur wenig rausgeholt, während der gesamte Rest brav am Durchschnitt haftet. Das aufgesetzte Machogebaren der Hauptfigur wird von der Dynamik am Ende aufgewogen. Trotzdem bleibt unterm Strich nicht mehr als Stangenware aus dem Hause Luc Besson, die keinem wehtut, aber eben auch herzlich wenig aufbietet, das wirklich für sie spricht.
Besser als Dante 01, mit dem er sich Szenario und Produktionsland teilt, ist Lockout aber allemal.

Dante 01

Die Kannibalismusgroteske Delicatessen machte die Werbefilmer Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro vor über 20 Jahren über Nacht zu Weltstars. Nach ihrem zweiten gemeinsamen Langfilm Die Stadt der verlorenen Kinder gingen die Franzosen dann weitestehend getrennte Wege. Jeunet begann mit der Arbeit an Alien – Die Wiedergeburt und brachte damit eine ganze Generation gegen sich auf. Mit seinem Nachfolgefilm Die fabelhafte Welt der Amélie erreichte er dann aber Unsterblichkeit und Mathilde – Eine große Liebe sowie Micmacs – Uns gehört Paris! bestätigten seine Führungsposition im Bereich des schrägen und doch wunderschönen Films.
Um seinen ehemaligen Kollegen Marc Caro blieb es hingegen lange Zeit sehr still. Bis er sich 2008 unerwartet mit der Science-Fiction-Parabel Dante 01 zurückmeldete.


Story

Hoch über dem Planeten Dante, irgendwo in den Weiten des Alls, schwebt die Raumstation Dante 01. Wahnsinnige Schwerverbrecher können sich freiwillig dafür melden, in diese Anstalt verlegt zu werden, um so ihrer Hinrichtung zu entgehen. Dort können sie sich in einem Netzwerk aus kahlen Räumlichkeiten frei bewegen, ihren Alltag selbstständig strukturieren und eine eigene Hierarchie aufbauen. Der hohe Preis für diese relative Freiheit ist, dass ein Team von Wissenschaftlern nach Lust und Laune Versuche mit ihnen durchführen darf.
Eines Tages betritt eine neue Wissenschaftlerin die Bildfläche und sät mit ihren moralisch fragwürdigen Prinzipien Zwietracht im Team. Auch der Alltag der Gefangenen gerät durcheinander, als sie ebenfalls einen Neuzugang verzeichnen. Es ist ein schweigsamer Namenloser, der ihre Reihen erweitert und mit seinen mysteriösen Taten alsbald schwerwiegende Veränderungen provoziert. Obwohl er oberflächlich lethargisch und lammfromm zu sein scheint, schlummert doch ein rätselhaftes Geheimnis in ihm. Das vormals schon sehr angespannte Verhältnis zwischen und in den Gruppen verschlechtert sich zusehends, während die Merkwürdigkeiten sich häufen.

Kritik

Als erstes ins Auge fällt Caros unverwechselbarer Stil. Ihm ist es zu verdanken, dass die Optik von Delicatessen einst so ästhetisch und doch gleichermaßen bedrohlich ausfiel und genau das ist auch bei Dante 01 der Fall. Die Welt der Gefangenen ist in ein schummriges Dunkelgrün getaucht, die Räumlichkeiten der Forscher präsentieren sich in kühlem Blau. Sämtlichen Bildern gemein ist eine aufsässig unruhige Kamera und viel finsterer Schatten. Dass alle Gefangenen kahlköpfig und uniformiert sind, erleichtert die Orientierung keinen Deut. Während die wenigen Außenaufnahmen der über dem kochenden Planeten Dante schwebenden Station durchaus gelungen sind, lassen sich die andauernden Kamerafahrten durch die Blutbahnen der Inhaftierten, an denen wieder mal ein neues Mittel getestet wird, nur als hässlich bezeichnen. Es sind optische Sperenzchen, so hektisch wie der Rest des Films, die zum reinen Selbstzweck verkommen und letztlich nicht mehr als eine weitere unnötige Tempovariation zum Gesamtwerk beisteuern.
Die ganze Filmhülle gibt sich sehr hip, sehr europäisch und befindet sich stets an der Grenze zum Experimentellen.
Wirft man einen Blick auf das Innere, wird einem rasch gewahr, dass all die Bemühungen, Aufmerksamkeit zu erheischen, all die Ambitionen, etwas enorm Wichtiges mitzuteilen, ausnahmslos im Sande verlaufen. Dante 01 ist vollgepumpt mit Symbolen, derer sich eines plumper und aufdringlicher gibt als das andere. Sämtliche Charaktere sind mit bedeutungsschwangeren Namen betitelt. So bewegen sich unter anderem Moloch, Lazarus, Buddha und Persephone über die Station, den unheimlichen Neuankömmling schmückt eine bedeutungsschwangere Tätowierung vom Heiligen Georg und die titelgebende Station hat die Gestalt eines gigantischen Kreuzes.
All dieser Bemühungen zum Trotz bleibt der Film jedoch ernüchternd hohl – die dürre Geschichte, die er erzählen möchte, wird durch die Hast der Kamera und die wirre Erzählweise unnötig verkompliziert, kommt im Kern aber nie über den einschläfernden Grundkonflikt hinaus. Inhaltlich speziell möchte Dante 01 durch seine esoterische Linie sein. Schnell wird klar, dass die ganze Mogelpackung auf eine ungelenke Erlösergeschichte hinausläuft, die sich am Ende erwartungsgemäß auch redlich Mühe gibt, möglichst viele Assoziationen mit 2001 – Odyssee im Weltraum zu wecken, dabei aber niemals eine eigene Klasse erreicht. Dass alle Charaktere sich auf eine einzige Eigenschaft reduzieren lassen, während sie in allen anderen Punkten vollends austauschbar sind, macht die Sache nicht interessanter.
Es fehlt dem Science Fiction-Film zudem eine taugliche Identifikationsfigur. Keiner der Reißbrettcharaktere ist sympathisch, alle wirken sie schräg und handeln vor allem furchtbar irrational. Ihr Tun bleibt durchgängig wenig nachvollziehbar und unverständlich aggressiv, die Dialoge beeindrucken mit erschreckend konsequenter Ideenlosigkeit.
Auch der gesamte soziale Mikrokosmos wirkt inkonsistent und wenig durchdacht – dem anarchischen Status quo, in dem alle gegeneinander intrigieren, mangelt es allseits an Überzeugungskraft.

Fazit

Marc Caros heißersehntes Revival ist eine herbe Enttäuschung. Sein erstes eigenes Werk ist ein exzentrisches B-Movie in leidlich interessanten Bildern, das genauso skurril wie anstrengend ist. Was bleibt, ist ein phasenweise schmuckes Setting, das weitestgehend überflüssig bleibt. Dante 01 hätte nämlich ebenso gut unter der Erde oder auf dem Meeresboden spielen können, seine Verortung im Weltraum ist genauso Augenwischerei wie die übrigen Bestandteile.