The First Avenger: Civil War

Captain America schwingt zum dritten Mal seinen Schild auf einem Solo-Abenteuer. Nur dass dieses eigentlich gar keines ist, sondern sich The First Avenger: Civil War genaugenommen wie ein etwas kleineres Abenteuer der Avengers gebärdet.
Aber handelt es sich bei dem zweiten Marvel-Film (und dritten Film überhaupt) der Brüder Anthony Russo und Joe Russo wirklich um den besten Film des Marvel Cinematic Universe, wie vielerorts beschworen wird?

Sometimes I wanna punch you in your perfect teeth.

Story

Bei einem Avenger-Einsatz in Lagos gegen den Söldner Crossbone kommt es zu Kollateralschäden, wieder einmal. Angesichts der Todesopfer, die die Einsätze der Heldentruppe bisher gefordert haben, fordern die Vereinten Nationen mit der Unterzeichnung des Sokovia Accords, dass die Avengers nicht mehr länger als Privatorganisation operieren dürfen, sondern nur noch auf Geheiß der UN aktiviert werden dürfen.
Während Tony Stark mit dieser Meinung konform geht, sieht Steve Rogers die Unabhängigkeit der Avengers gefährdet und stimmt gegen die Anordnung. Die Einheit der Helden ist gespalten. Black Widow und War Machine stehen Iron Man bei und auch der geheimnisvolle Black Panther ergänzt ihre Reihen, weil der Winter Soldier den Vater des Prinzen des afrikanischen Staates Wakanda getötet hat. Der Winter Soldier selbst stärkt zusammen mit Falcon, Hawkey, Scarlet Witch und Ant-Man den Rücken von Captain America.
Unterdessen scheint ein Unbekannter im Hintergrund seinen ganz eigenen Plan auszuhecken.

Kritik

Bereits im unerwartet tollen The Return of the First Avenger konnte man nicht anders, als zu konstatieren, dass die Russo-Brüder ganz ohne Zweifel eine Art Magierteam sein müssen. Wie sonst kann man aus dem Nichts kommen und mal eben das ganze, um sich selbst kreisende Superhelden-Szenario in ein völlig neues Genre, den Agentenfilm, versetzen und dabei auch noch brillieren?
Auch in The First Avenger: Civil War beweisen die Regisseure, dass sie das Salz liefern können, das dem Marvel-Universum so langsam auzugehen drohte.
So leistet der Film sinnvolle Reflexionen und gelangt mit ihnen auch zu klugen und notwendigen Schlüssen, die unabdingbar sind, damit das Heldenuniversum auch weiterhin auf Dauer als Erwachsenenunterhaltung ernst genommen werden kann. So gut die Sache in der Regel auch sein mag, für die derartige Übermenschen eintreten, ihre Gegenreaktion auf das Handeln eines wie auch immer gearteten Antagonisten muss so nachdrücklich ausfallen wie dessen aggressive Initiativhandlung. Im Umkehrschluss muss auch das Kontern der Helden Opfer fordern. Die in den bisherigen Filmen eingestürzten Stadtteile, die fehlgeleiteten Raketen, Hulk-Fäuste und Mjölnirflüge töteten Unbeteiligte. In gewisser Weise verändert dieses Eingeständnis nicht nur die Helden und ihr Selbstbild, sondern auch die Filme und das Bild, das der Zuschauer von ihnen haben wird und sollte. Der Film ist außerdem auch mutig genug, den wunderlichen Fakt zur Sprache zu bringen, dass böse Übermächte nicht viel früher oder viel später, sondern quasi stets zeitgleich mit den Geburten der Protagonisten den Schauplatz der Erde betraten. Die Erklärungsnot, in der so gut wie jede Heroenreise gerät, zu benennen, zeugt von Selbstbewusstsein, auch wenn das Drehbuch sie natürlich nicht ausschalten kann. Das alles klappt deshalb so gut, weil die Schreiberfähigkeiten von Autor Christoph Markus mit jedem Film zu wachsen scheinen. The First Avenger: Civil War ist ein für sein Genre stark dialoglastiger Streifen, der in dieser Position aber zu keinem Zeitpunkt spröde oder unbeholfen wirkt. Man traut sich nicht nur, den Film Film politisch und gesprächig zu machen, man kann es auch.

Wo es dann hingegen schwächelt, das ist die eigene Prämisse. Dass Tony Stark zum kontrollbesessenen Egomanen mutiert, ist auf dem Papier wenig überraschend, genaugenommen eigentlich nicht einmal eine wirkliche Entwicklung. In der Praxis funktioniert dies aber nicht ganz so gut und selbstverständlich, denn seine Gründe sind fadenscheinig und noch viel fadenscheiniger erklärt. Dass er und sein Team sich nun gegen die andere Hälfte des Kämpferensembles stellen, führt dazu, dass die ganze Avengers-Truppe sich aufführt wie eine verzankte Horde dickköpfiger Kinder. Auch die zentrale Schlacht am Leipziger Flughafen wirkt, kleinlich ausgedrückt, wie eine aufgeplusterte Schulhofschlägerei. Eigentlich sind sie ja alle Freunde, eigentlich meinen sie es gar nicht so. Dass man sich dann und wann trotzdem Hangarteile an den Kopf schleudert oder eine Boing auf den besten Freund stürzen lässt, wirkt in der Rückichts- und Gedankenlosigkeit so unbegründet und albern, dass es der gesamten Marvelmannschaft prospektiv Zurechnungsfähigkeit, Charakterstärke und Konsistenz abspricht. Und das ist insbesondere deshalb eine bedauernswerte Fehlentwicklung, weil die Figuren ja gerade aufgrund ihrer charakterlichen Stärke so attraktiv sind.
Verstärkt tritt dies dann im Finale hervor, wo Iron Man und Captain America wie die Tiere aufeinander losgehen, obwohl sie nicht nur eigentlich keinerlei zulässige Gründe dafür haben, sondern vor allem auch genau wissen, dass dies von ihrem eigentlichen Feind geplant wurde und sie damit zu seinen Erfüllungsgehilfen werden. Spätestens hier muss man dem Drehbuch, das im Kleinen so ambitioniert daherkommt, eine schmerzhafte Nachlässigkeit attestieren, die mit etwas mehr Feinarbeit zumindest entschieden verringert hätte werden können.
Das Falcon immer noch aussieht wie jemand, der sich zu Fasching als Blade verkleidet fällt angesichts dessen ebenso wenig ins Gewicht wie Kuriositäten wie tickende Handgranaten.

Eine andere große Wende, die mit dem Film vorgenommen wird, ist die Eingliederung von Ant-Man und Spiderman in das stetig anwachsende Team. Mit diesen beiden wird die Welt mit einem Schlag deutlich klamaukiger, was aller Wahrscheinlichkeit viel am zukünftigen Grundton der Filmereihe ändern wird. Ob das gut oder schlecht ist, wird die Zukunft zeigen. (Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erdenhelden mit dem chaotischen Trupp der Guardians of the Galaxy harmoniert, steigt dadurch natürlich deutlich)
Die Action ist im Prinzip gelungen, da sich stets und erfolgreich um Kreativität und abwechselnde Schauwerte bemüht wird. Nur leider ist so gut wie jede Auseinandersetzung ein wenig zu hastig geschnitten und ein wenig zu nah am Geschehen gefilmt. Die Übersicht geht hierbei nicht verloren, doch vermisst man inszenatorische Ruhe, um das, was da geschiecht, und was im Grunde genommen toll ist, auch wirklich wahrnehmen zu können.

Story

The First Avenger: Civil War ist ein guter Film, der große Dinge in Bewegung setzt und die immer größer werdende Herausforderung meistert, (fast) alle Charaktere des Avenger-Universums zu vereinen, ohne dass der Film zerfällt, aus allen Nähten platzt oder Figuren untergehen. Auch dank der gut geschriebenen und inszenierten Dialoge funktioniert dies.
Dafür krankt das Universum erstmals deutlich an seinen Figuren, die von der Geschichte gezwungen werden, ungewohnt ignorant, kurzsichtig und nur allzu oft auch sehr dumm zu handeln. Das Drehbuch schafft es nicht, die notwendigen Schritte zu machen, solche Handlungsextreme hinreichend zu plausibilisieren, weshalb nach den zweieinhalb Stunden guter Unterhaltung trotzdem ein Nachgeschmack des Bedauerns bleibt.

Under the Skin

Jonathan Glazer ist ein Phänomen, das wächst und wächst. 2000 kam quasi aus dem Nichts sein Regiedebut Sexy Beast – unangenehm, sonderbar, bizarr und Ben Kingsley in einer Paraderolle. Vier Jahre später folgte Birth, der einen handfesten Eklat auslöste und eine 9-Jährige Pause Glazers einläutete. Ihr Ende findet sie mit Under the Skin, ein Film, der bestätigt, was sich bereits ahnen ließ: Zwischen den langen Pausen reiften das ästhetische Bewusstsein und die handwerkliche Versiertheit des Briten ungehindert weiter und weiter.

I’m dreamng.
Yes, we are.

Story


Etwas bildet sich. Im Anschluss trägt ein maskierter Motorradfahrer einen leblosen Frauenkörper in das Innere eines Lieferwagens, das ganz und gar nicht wie das Innere eines Lieferwagens aussieht. Eine andere Frau, nackt, eignet sich die Kleidung der Frau an. Dann steigt sie in einen Wagen, fährt nach Glasgow und überredet Männer, sie nach Hause zu begleiten. Doch in dem Heim der Namenlosen erwartet die Verführten kein Sex, sondern ein spiegelglatter schwarzer See, umgeben von Nichts. Sie tauchen ein und es ist das letzte, was sie sehen.

Kritik

Schwarz, dann ein Punkt und wunde Geräusche. Eine Übergangscollage von Bilderfolgen mit hypnotischen Anleihen, meist Kreise, die zu Halbmondformen zusammengleiten. Stammeln, abgehackte Töne, die immer mehr Struktur entwickeln. Wir sehen ein Auge, es blickt zurück. Dann ein kalter, klarer Strom, der einen Berg hinabrauscht. Ist Under the Skind angenehm, optimistisch? Ist Under the Skin beunruhigend, furchteinflößend? Ja. Ja zu beidem. Vor allem aber ist Jonathan Glazers Werk ein psychedelischer Reigen ungenormter, aber streng durchdachter Bilder. Aufgesetzt oder unerträglich verkünstelt wirkt das Geschehen trotzdem nie. Das Gegenteil ist der Fall – viele Aufnahmen fanden mit versteckter Kamera statt, manche Gespräche sind improvisiert. Dieser naturalistische Anstrich stellt ein passendes Gegengewicht zum durchkomponierten Montagemeisterwerk dar, das der Film formal ist. So fühlt er sich nie kühl und künstlich an, sondern wabert stattdessen in der Mitte vieler Extreme, die er allesamt simultan beinhaltet.
Das klingt anstrengend, tatsächlich ist es das aber nicht. Dafür ist es zu sehr aus einem Guss, stilistisch viel zu sehr fesselnd, als Gesamterfahrung zu faszinierend, um durch die strenge Verschwiegenheit abzustoßen, die Under the Skin an den Tag legt. Denn erzählt wird hier nur indirekt, was wieder einmal vor Augen führt, wie sehr klassisches Kino darauf geeicht ist, alles ausführlich und direkt zu erzählen, anstatt darauf zu vertrauen, dass ein Zeigen und Andeuten ebenso funktionell sein kann. Gerade deswegen kann man Under the Skin natürlich anstrengend finden, das zu entscheiden liegt wie immer in letzter Instanz bei jedem Zuschauer selbst. Unorthodox ist der Science-Fiction-Film auf jeden Fall.
Die Idee, das Alien als erstes direkt in ein Shopingcenter zu schicken, welches nicht minder fremdartig wirkt als die bisherigen Schauplätze, lässt der Ahnung Raum, dass wir der Protagonistin nicht nur zuschauen, sondern die Welt durch ihre Augen wahrnehmen. Ein entlarvender Blick, (unabhängig davon, dass Filme über Frauen, die ihre Verführungskünste gegen Männer einsetzen grundsätzlich entlarvend sind) vermittelt durch eine Kamera, der man vielleicht nicht immer trauen kann, deren Bilder kühl, aber schön sind. Das völlig unverständliche Englisch mit dem kruden schottischen Dialekt trägt sein Übriges zum Eindruck völliger Fremde bei. Nicht nur die Geschichte wird indirekt vermittelt, auch unsere alltägliche Welt ist eine, die automatengleich abläuft, von Außen betrachtet aber gewiss nicht durchweg schlüssig wirkt.

Das ist das absolut Bemerkenswerte an dem Film – wie das Fremdartige dargestellt und vermittelt wird. Alles ist mysteriös, auf eine bescheidene, unaufdringliche und doch unleugbare Weise, die das Zentrum des Filmes darstellt, fremd. Und als Fremde erst einmal potenziell alles zwischen hinreißend und furchtbar. Scarlett Johanssons (Lucy, Her) undurchschaubare Figur ist ein stahlharter, eisdünner Stachel im alltäglichen Trott Glasgows. Was ihre direkten Beweggründe sind, das bleibt vorerst unerklärt und ist nur anhand von Andeutungen schätzbar.

Zu sehen ist eine Welt, in der die Männer einsam und die meisten Menschen unerträglich sind, Straßen ausnahmslos ins Verderben führen und die Welt ein grauer Fehler ist. Raumsemantisch ist Under the Skin, nebenbei gesagt, ein ergiebiges Untersuchungsobjekt. Welche Orte Sicherheit versprechen, welche sie versagen, was sich vor und was sich hinter Türen befindet, das sind Fragen, die sich gewinnbringend an den Film richten lassen. Hinzu kommen die zahlreichen Momente im Innenraum eines Autos, das Verhältnis von Stadt und Land. Betrachtet man, nach welchen Regeln diese Orte funktionieren, wird die Entwicklung der Hauptfigur nachvollziehbarer und tragischer.

Als Gegengewicht zur versteckten Kamera ist Under the Skind kreativ geschnitten und ein bösartiges Spiel mit starken Licht- und Schattenkontrasten hält Händchen mit der durchkomponierten Szenenausleuchtung. Dazu liegt fast ständige Musikuntermalung auf den Bildern, die sich immer am Rand zur Dissonanz bewegt. Setzt dies aus, ist die Stille so auffällig, dass man als Zuschauer kurzzeitig leiser und langsamer atmet, bevor er registriert, dass er bereits stärker vom Sog des Filmes erfasst wurde, als er es gewahr haben wollte. Es dauert, bis die Struktur der Musik deutlich wird und analog verhält es sich mit der Geschichte. Aber es macht Spaß, diesem Prozess beizuwohnen, sich von Under the Skin täuschen, verwirren, bezirzen und auch etwas würgen zu lassen.

Fazt

Die außerirdische Venusfliegenfalle ist bekannt aus Species – die Kombination formal ausgeklügelter Töne und Bilder, die hinreißende Verknüpfung einander eigentlich antagonistisch gesonnener Punkte und die daraus resultierenden Bilder, mit denen Under the Skin seine Geschichte erzählt, entwickeln in ihrem Zusammenfall eine zur Gänze eigenständige Gravitation auf jeden Zuschauer, der offen ist für die viel zu ungewöhnliche Form indirekten Erzählens.

Her

Tausendsassa Spike Jonez, der noch nie einen schlechten Film drehte, Besitzer einer Skateboardmarke ist, kreativer Kopf von Vice und Erfinder von Jackass bekam letztes Jahr seinen ersten Oscar für das Drehbuch zu Her.
Diese Kritik will zeigen, warum das anders nicht hätte kommen dürfen.

The past is just a story we tell ourselves.

Story

Nach der Trennung von seiner Jugendliebe und Exfrau Catherine hat der introvertierte Theodore Twombly kein großes Glück in der Liebe. Stattdessen konzentriert er sich ganz auf seinen Beruf – das Anfertigen von handschriftlichen Briefen für die privaten Belange von Dritten. In dieser Branche ist er dank seines hohen Empathievermögens ein Naturtalent.
Als er aus Neugierde eine frisch auf den Markt gekommene Künstliche Intelligenz erwirbt und diese installiert, trifft er nach langer Zeit auf jemanden, dem er sich anvertrauen kann. Samantha, so der Name der digital erzeugten Stimme, wird seine engste Bezugsperson. Bis beide eines Tages feststelle, dass sie ineinander verliebt sind.
Geschichten von anderen Beziehungen zwischen Mensch und Maschine machen die Runde und fordern die Überlegung heraus, das Konzept von Liebe und Beziehung vielleicht neu definieren zu müssen, während sich die rasant lernenden Künstlichen Intelligenzen exponentiell weiterentwickeln.

Kritik

Wir befinden uns im Gemengelage der Modernität, gebettet in einem unüberschaubaren Rausch aus kulturellen Strahlen, hineingeworfen in einen Alltag aus Arbeit für den Kulturbetrieb und Freizeit in dem Kulturbetrieb, der, weitestgehend technisiert und automatisch ablaufend, sich selbst in unaufhaltsam ansteigendem Tempo selbst reproduziert. E-Mails, Reklametafeln, Wecker aus, Laptop auf, E-Mails checken beim Spaziergang durch den Tag, Essen bestellen, dabei Nachrichten hören, soziale Netzwerke füttern, als Konsummensch überall untilgbare Fußstapfen hinterlassen, selbst konsumiert, dechiffriert, defragmentiert, nach Belieben in diversen Formen neu zusammengesetzt werden. Ein Rausch aus Bildern, multiplen Realitäten, Laptop zu, Augen zu, Träume, die sich beim Piepen des Handyweckers verflüchtigen. Die Welt von Theodore Twombly ist unserer nicht unähnlich, modisch nur ein paar Jahrzehnte zurückgeworfen, technisch dafür ein gutes Jahrzehnt fortgeschrittener.
In einer solchen Zeit etwas so basales wie Liebe zu finden, scheint eine Notwendigkeit zu sein, die bisher noch nicht eliminiert werden konnte, obwohl doch jedes Bedürfnis quasi per Knopfdruck durch ein kulturelles Artefakt befriedigt werden können müsste. Her ist die Geschichte über einen Mann, dem es gelingt, dass das auch für Liebe gilt, und der feststellt, dass dies nicht weniger wahrhaftig sein muss, als unsere herkömmliche Vorstellung von Zuneigung, Geborgenheit und Schmetterlingen im Bauch.
Dass Spike Jonzes Film über so etwas eine so formvollendete und berauschend gut funktionierende Erzählung geworden ist, liegt an den großartigen Hauptdarstellern, die sich beide auf ihre Weise selbst übertreffen. Joaquin Phoenix‘ Theodore ist ein nahegehender, aber niemals einfach nur bemitleidenswerter Mann geworden, der mit Problemen und Sorgen ausgestattet wurde, die so ehrlich und pointiert selten auf einer Filmfigur gebündelt worden sind. Dem zurückhaltenden, absolut beherrschten Schauspiel, das Theodore eine ganz eigene Mimik und Körperhaltung verschafft, ist es zu verdanken, dass der unglückliche Mann mit dem Schnauzer keine Sekunde lang armselig oder gar jämmerlich wirkt, sondern schlichtweg nur direkt aus dem Leben gegriffen und damit entwaffnend glaubwürdig.
Samantha ist die zweite Hauptperson, wobei man eher sagen müsste, die Stimme von Scarlett Johansson (im Deutschen, nahezu ebenbürtig, Luise Helm) ist die zweite Hauptperson, die mit ihrem warmen, gefühlvollen Klang und ihrer natürlichen, manchmal verblüffenden Wortwahl den Film zu einem wahren Erlebnis, vor allem aber zu etwas ungemein Privatem werden lässt. Auf der anderen Seite geht von ihrem Wesen immer eine Spur von Bedrohung aus, ohne dass man sagen könnte, ob dies ein begründeter Eindruck oder aber nur die hysterische Gewohnheit ist, die man sich in unzähligen anderen Filmen dieses Themenkomplexes zu eigen gemacht hat. Die Ansichten, Wünsche und Orientierungen, die Samantha im Laufe des Filmes artikuliert, erinnern immer wieder auf beunruhigende Weise daran, dass dort eine Entität heranwächst, die unabhängig vom Menschen gedeiht und auf viel unvoreingenommenere Weise zu so viel mehr fähig ist, als ihr Erbauer.
Dem exzellenten Drehbuch ist es aber zu verdanken, dass die Beziehung der beiden schon 10 Minuten nach dem ersten Kontakt eine intensive ist und dass der Film in einer halben Stunde, also ab einem Viertel seiner Spieldauer, inhaltlich so fortgeschritten ist, wie andere Filme mit dieser Thematik erst ganz am Ende. Überhaupt – die Geschwindigkeit, mit der der Film vorangeht, ist zwar kaum spürbar, aber dafür umso höher. Jede einzelne Szene bringt die Geschichte voran und ist zugleich eminent wichtig für sie, jedes Gespräch bedeutet einen Fortschritt in der Gefühlswelt der Figuren – und damit auch im Wissen des Zuschauers über diese. Her besitzt ein Script, das so effizient ist, wie kaum ein zweites. Der Oscargewinn hierfür war mehr als gerechtfertigt.
Erst auf den zweiten Blick fällt auf, wie viel das Ausstattungskonzept zu der Atmosphäre beisteuert. Die Figuren bewegen sich durch eine Welt, die in Sachen Farbgebung, Mode und Design leicht an die späten 70er angelehnt ist, während die technische Ausstattung jedoch der Zukunft entspricht. Wo derartige Stilkontraste in anderen Filmen manchmal etwas selbstzweckhaft anmuten, trägt die Kombination in Her bemerkenswerterweise dazu bei, dass die Welt intimer und die Stimmung sensibler wird, weil so ein ganz eigenes, fast schon magnetisches Universum geschaffen wird.

Es zeigt eine ganz sanft verspielte, ansonsten aber sehr behutsame Kamera ein Wechselspiel von nachdenklich schönen und traurigen Szenen, untermalt von der perfekt gewählter Musik von Arcade Fire und das alles so gekonnt inszeniert, dass die Geschehnisse keine einzige Sekunde kitschig zu werden drohen.
Das sind verdammt große Worte für einen Film, der sich um eine emotionale Beziehung zwischen einem Mann und seinem Computer dreht, doch ist es auch ein verdammt großes Erlebnis, diesen zu schauen – und vor allem ist es in jeder Sekunde enorm menschlich. Dass das Thema ja gar nicht so fantastisch ist, trägt seinen Teil dazu bei, dass man Her nicht nur in vollen Zügen genießen kann, sondern dass der Film außerdem auch ein vielleicht gar nicht so unwichtiger Beitrag zum gerade erst beginnenden Diskurs über Maschinenethik darstellt, angereichert mit ein paar gewieften Assoziationen zur Idee der technologischen Singularität.

Fazit

Spike Jonzes Film über einen Mann in der Retrozukunft, der sich in eine Computerstimme verliebt, ist ein großer Wurf, der dafür danken lässt, dass Joaquin Phoenix sein Experiment, rappender Vollbart zu sein, ad acta gelegt hat.
Das Ergebnis ist der warmherzigste, menschlichste, emotional ehrlichste Science-Fiction-Film seit langer Zeit. Doch hat Her neben seiner Liebesgeschichte noch viele weitere Ebenen, die sich immer implizit mitentwickeln. Somit ist der Science-Fiction-Liebesfilm nicht nur in seltenem Maße ergreifend, sondern regt darüber hinaus auch auf seine besondere Weise zum Nachsinnen über das an, was da in Zukunft kommen mag.

Avengers: Age of Ultron

Da ist er nun. Begleitet von einem Kinoboykott startet Avengers: Age of Ultron immer noch weiter über dem sich träge reckenden DC-Konkurrenten und stellt damit zwischen Guardians of Galaxy und den im Juli schrumpfenden Ant-Man den (irdischen) Höhepunkt von Marvels Phase 2 dar.
Dass sich die zweite Teamarbeit der heterogenen Heldenkumpel mit dem großartigen Vorgänger schmücken kann, ist für das Ergebnis erwartungsgemäß Fluch und Segen gleichermaßen.

No matter who wins or loses, trouble always comes around.

Story

Als Lokis Zepter aus den Händen Hydras entwendet werden konnte, sieht Tony Stark endlich die Gelegenheit gekommen, seine ganz persönliche Vision einer ‚sicheren Erde‘ in die Praxis umzusetzen. Mit einem mysteriösen Stein, der sich im eroberten Artefakt befindet, kann er Ultron erschaffen, eine künstliche Intelligenz, die dazu dienen soll, Krieg – vornehmlich durch außerirdische Invasoren – von der Menschenheimat fernzuhalten. Da das Zeitfenster, das zur Forschung offensteht, sehr knapp bemessen ist, überredet er Bruce Banner zur Komplizenschaft und lässt den Rest des Teams über sein Vorhaben im Dunkeln; Zeit für Diskussionen über Ethik sei nicht gegeben, findet der Playboy.
Als Ultron dann aber seine ersten Gehversuche wagt, manifestiert sich der Verdacht, dass der ein oder andere Disput der Sache vielleicht doch gut getan hätte. Die forsche KI schlussfolgert etwas übereifrig, dass eine befriedete Erde nur dann möglich ist, wenn die kriegslüsterne Spezies Mensch von ihr verschwunden ist.
Als Handlanger des amoklaufenden Programms fungieren ausgerechnet die von Hydra ausgebildeten Geschwister Pietro aka Quicksilver, flinker als das Auge (als Figur bekannt aus X-Men: Zukunft ist Vergangenheit), und  Wanda Maximoff aka Scarlet Witch, eine Adeptin der Chaos-Magie.

Kritik

Wir schreiben das Jahr 2012, Marvel’s The Avengers kommt in die Kinos und die Welt ist skeptisch. Der Konzern kann sich doch nur übernommen haben, denn dass man die rebellischen Charakterköpfe Thor, Hulk, Iron Man und Captain America mit all ihren Side-Kicks und noch zu etablierenden Zusatzfiguren in einer einzigen Geschichte vernünftig unter einen Hut bekommt, wo doch schon die Soloauftritte relativ knapp bemessen schienen für derartige Schwergewichte der Comickultur, schien einfach zu schön, um wahr zu sein – und damit schlicht nicht praktikabel. Dann kam Joss Whedon und hat sein feines Drehbuch mit seiner pointierten Regie zu etwas gemacht, was ohne Übertreibung die gigantischste Blockbuster-Überraschung des vergangenen Jahrzehnts war.
Drei Jahre später läuft der zweite Teil in den Kinos an, wieder ist Joss Whedon Kapitän und Steuermann in Personalunion und als jemand, in dem immer noch das drei Jahre zurückliegende Kinoereignis nachwirkt, wünscht sich der Zuschauer einfach nur mehr vom Gleichen.
Doch das „Gleiche“, nach welchem man sich sehnt, ist nicht eine inhaltliche Erweiterung oder gar Erweiterung – tatsächlich sehnt man sich nach einer Wiederholung des psychologischen Effekts, den die Rächer mit ihrem ersten Ensemble-Abenteuer bewirkten. Die unerwartete Neuheit, die freche Leichtigkeit, mit der Undenkbares geschaffen wird und vier Figuren, die für sich nicht immer isoliert funktionierten, plötzlich eine Allianz schmieden, die besser, unterhaltsamer und bisweilen sogar cleverer ist, als es die einzelnen Recken in ihren Solofilmen je waren. Das ist natürlich etwas, dass der Film nicht zu leisten vermag, denn das – überaus gelungene – Experiment, das Marvel mit seinem Cinematic Universe wagte, hatte seinen phänomenalen Moment naturgemäß am Tag seines Aufkommens.
Nun kann erst einmal nur mehr vom Gleichen auf Inhaltsebene geliefert werden, was ja keineswegs Schlechtes bedeutet. Doch leider wirkt die liebgewonnene Heldentruppe in Avengers: Age of Ultron ein wenig steif in der Hüfte, als wüssten sie genau, dass ihr erstes Abenteuer einen Maßstab generierte, dem gerecht zu werden ist. Der Humor, der im ersten Film in seltener Lockerheit und wie natürlich funktionierte, wirkt nun fahrig und bemüht. Der mehr als maue Running Gag, dass Captain America keine Schimpfworte mag, aber selbst mal ein loses Mundwerk hat, ist symptomatisch dafür. Auch die Schauspieler wirken müder – oder einfach nur weniger inspiriert, weil auch der Film als Ganzes weniger inspiriert wirkt und gerade am Anfang etwas orientierungslos wirkend Szenen aneinanderreiht, ohne dass diese mit natürlich-dramaturgischer Konsequenz auseinanderhervorgehen würden. Gerade die Kampfsequenzen wirken somit einige Male wie arg selbstzweckhaftes Geschepper und darüber hinaus nur mit zweitklassigen Ideen umgesetzt. Auch so etwas gab es in Teil 1 noch nicht. Dessen ungeachtet lässt sich eine gewisse betörende Dynamik aber keiner Szene absprechen und auch der grundsätzliche Charme dieser selbstironischen Heldenarmee ist immer spürbar, das lodernde Feuer jedoch, das den Motor von Teil 1 fast 2 ½ Stunden auf Hochtouren laufen ließ, ist längst nicht mehr so majestätisch.
Genau deshalb ist es an der Zeit, Avengers: Age of Ultron aus dem Schatten seines Vorgängers herauszuziehen. Denn für sich genommen ist die Comicverfilmung natürlich immer noch mustergütiges Unterhaltungskino, das keine merklichen Längen aufweist, bildhübsch daher geritten kommt, stets bei Laune hält und vor allem die gute alte Truppe wieder zusammenführt. Gerade an diesem, dem wohl wichtigsten Punkt, wiederholt sich einer der zentralsten Errungenschaften des ersten Teils. In der Zwischenzeit ist die Mannschaft weitergewachsen und stellt mittlerweile eine Anzahl an Figuren in die erste Reihe, die andere, menschenähnlichere Regisseure als Joss Whedon nie harmonisch in einen Film bekommen hätten. Ganz unbeirrt davon gewährt das Drehbuch sämtlichen Charakteren genügend Raum, ohne dies je unnatürlich wirken zu lassen (nun gut, über Hawkeyes zusätzliche Figurendimension kann man sicher verschiedener Meinung sein).  Jeder hat seine Funktion und Aufgabe, jeder stellt ein bestimmtes Teil dar, ohne das das Gesamtteam spürbar ärmer wäre. Und das ist für sich genommen ein kleines Wunder. Dass Bruce Banners innere Zerrissenheit eingehender zum Thema wird, ist ein dankenswerter Bonus, weil der Hulk als einzige Figur keinen Film im Kanon für sich beanspruchen kann. Weitere solcher Momente, die über die kurze Andeutung von Romanzen hinausgehen, wären wünschenswert und wohl auch eine bessere Wahl als so manche Actionminute gewesen.

Der wirkliche Dämpfer, den der Film neben seinem leider etwas bemühten Witz hat, ist daher nicht die banale Nichteinlösung der bizarren Forderung, noch einmal eine so plötzliche Revolution wie sein Vorgänger darzubieten. Das, was dem Film viel von seinen Möglichkeiten abzwackt, ist viel mehr die Geschichte, die er erzählt.
Dass sich der Rächerhaufen aus reinem Hochmut heraus die eigene Nemesis vor die Haustür setzt, ist fraglos eine attraktive Ausgangssituation, doch schon in der Comicvorlage bot die Geschichte um Handlung nur wenig Bemerkenswertes. Die Künstliche Intelligenz ist nicht etwa überlegen, weil sie dank ihrer bestechenden Logik entwaffnende Argumente anführt – tatsächlich verhält sich das Programm wie ein Dreijähriger –, sondern schlicht aus dem Grund, dass sie stark und, Internet sei Dank, allgegenwärtig ist. Weder der Antagonist noch der Weg, ihm das Handwerk zu legen, kann irgendwie überraschen. So unterbeleuchtet Loki seinerzeit war, hatte er doch einen großen Batzen Charisma und darüber hinaus ein fantastisches Reich in seinem Rücken. Ultron hat nichts davon und ist nur eine kurzsichtige Maschine mit im O-Ton eindrucksvoller Stimme.
Und nach den bisher bestandenen Prüfungen gönnt man den Helden eigentlich eine etwas angemessenere Herausforderung.
Zudem wirkt das Ende sonderbar gehetzt. Nach der Finalschlacht, die selbst etwas fragwürdiger Natur ist, werden alle offenen Enden innerhalb weniger Minuten provisorisch miteinander verknotet und dann zusammen in Richtung „Fortsetzung folgt“ geworfen. Gerade bei einem Film, der so viel Wert auf seine Figuren legt, ist das eine recht glanzlose Maßnahme. So zeigt sich dann zum Schluss in aller Deutlichkeit, dass die so oft verlachte Forderung, etwas vom Actiongewitter einzusparen und dafür mehr Raum für das Drama im Kleinen zu lassen, hier nicht ganz fehl am Platze ist.

Fazit

Avengers: Age of Ultron ist ein guter Film, der zu den fraglos besseren Marvel-Werken gehört, aber spürbar hinter The Avengers und vielleicht soger etwas hinter The Return of the First Avenger zurückbleibt.
Zwar sind Kämpfe dynamisch, das WG-Gefühl der Helden bleibt erhalten und beim Abspann drängt sich die Frage auf, ob der Film nicht viel kürzer war, als es die Laufzeitangabe prophezeite, aber man vermisst auch die unbekümmerte Ausgelassenheit des Vorgängers, seinen szenischen Einfallsreichtum und eine Einlösung des Versprechens, dass es in Sachen Größe und Wichtigkeit nun erst so richtig losgeht. Stattdessen macht Avengers: Age of Ultron einen zaghaften Schritt zurück und präsentiert eine Geschichte, die eher das Format eines Einzelabenteuers trägt, der geschichtsträchtigen Wiedervereinigung der Avengers aber nicht ganz gerecht werden kann. So scheitert der Film zwar am Unmöglichen, bietet aber immer noch Sommerkino der oberen Liga.

Außerdem: Die Sterne stehen gut, denn 2018 und 2019 steht mit dem Doppelabenteuer Avengers – Infinity Wars ein Projekt ins Haus, das viele Versprechen endlich einlösen kann.

Lucy

Über den Gallier Luc Besson, der gefühlt in allen auch nur annähernd französischen Produktionen seine Finger im Spiel hat, wurde hier schon das eine oder andere Wort im Vorbeigehen verloren.
Dass sein erstes Science-Fiction-Regieprojekt seit Das Fünfte Element sein wohl bestes Werk seit Léon – Der Profi ist und nun ohne großen Trubel Einzug in die Kino hält, war nicht wirklich zu erwarten.

We never really die.

Story

Lucy soll für ihre Liaison Richard einen Koffer an einer Rezeption abgeben. Nach einem gescheiterten Ablehnungsversuch und einer wenig freundlichen Antwort Seitens Richard stellt sie sich der Aufgabe und wird prompt von ein paar ruppigen Gangstern in den Fahrstuhl gezerrt. Der Koffer, so erfährt sie mit leichter Verspätung, enthält synthetisches CPH4, was als neuartige Droge den Markt fluten soll. In geringen Dosen eingenommen, steigert sie die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns.
Lucy und 3 andere Unglückliche werden mittels einer kurzen Operation in der Bauchgegend zu Drogenkurieren umfunktioniert, um den Stoff an Distributoren über den Globus weiter zu verteilen. Wer sich auflehnt, dessen Familie muss büßen.
Als sie einen Tritt in den frisch vernähten Bauch bekommt, öffnet sich der Drogenbeutel in ihrem Inneren und eine gewaltige Menge der kristallinen Substanz löst sich in ihrem Blutkreislauf auf. Lucy, die zuvor wie jeder andere Mensch auch nur 2 % der theoretisch zur Verfügung stehenden Gehirnkapazität nutzen konnte, erfährt Leistungssprünge in ungeahnten Ausmaßen, die es ihr alsbald nicht nur erlauben, in Hochgeschwindigkeit zu denken, sondern auch die Umwelt durch reinen Willen zu beeinflussen.
Lucy in the Sky with Diamonds.

Kritik

Dieser Luc Besson ist schon ein seltsamer Kauz. Nicht alle, aber doch die meisten Filme, in deren Schaffungsprozess er auf die eine oder andere Weise einbezogen war, ähnelten sich in gewissen Punkten. Meistens geht es um eine Person, die sich ekstatisch und brachial gegen eine Übermacht auflehnt, fast immer inszeniert mit spürbar zu viel buntem Kleber, fettigem Glamour, seltsam deplatzierten Humor und „Wooosh“-Geräuschen, wenn sich etwas schnell an der Kamera vorbeibewegt. Besson-Werke macht häufig aber ebenso aus, dass diese Mixtur als Summe ihre beharrlichen Teile nach einer Weile auf ihre Weise funktioniert – mal mehr, mal weniger gut.
So auch Lucy, der hier keine Ausnahme macht und schon direkt zu Beginn mit dämlichen Gleichnissen nervt, weil zu jeder Handlung ein mehr oder weniger gut passendes Szenenäquivalent aus der Natur reingeschnitten ist. Nähert sich Lucy den Bösen, lauert das Raubtier dem Opfer auf, erzählt Morgan Freeman von den Wundertaten der Menschheit, sehen wir eben diese. Das alte Romankonzept: Lass nichts sagen, was du auch durch Taten beschreiben kannst, wird hier nicht statt, sondern zusätzlich zu Sprache angewendet und wirkt darüber hinaus sehr plump. Dieses Stilmittel gewinnt ein wenig an Berechtigung dazu, wenn man den Film zur Gänze gesehen hat, bleibt aber trotzdem der größte Makel, den Lucy hat.
Die erste wirkliche Überraschung ist die unerwartete Brutalität, die vor allem die Protagonistin an den Tag legt und die Freigabe ab 12 Jahren höchst fraglich erscheinen lässt. Ihr Vorgehen ist fast immer so kaltblütig und direkt, dass man sich auch als geübter Zuschauer leicht erschrecken kann.
Das Hauptargument des Filmes ist sein Einfallsreichtum. Lucys immer weiter ansteigende Fähigkeiten setzen schon am Anfang jede Konkurrenz Schachmatt. Eine wirkliche Gefahr existiert für sie nicht, abgesehen von sich selbst. Dank des zurückhaltenden Drehbuchs führt dies aber nicht zu Langeweile, sondern heizt die Spannung im Gegenteil an. Lucy ist einer der wenigen Filme, bei denen man sie nie sicher sein kann, was die nächst Szene bringen und wohin die Geschichte führen wird. Nicht einmal eine vage Ahnung gesteht der Science-Fiction-Film dem Zuschauer zu. Dieses ungemein präsente Potential, den Kinobesucher zu überraschen, bannt ihn in den Kinosessel – und gehört zugleich zu den erfreulichsten Dingen, die man einem Film nur attestieren kann.
Dass die einzelnen Sequenzen, in denen sich Lucy, die von einer klassischen Tussi mit schäbigem Nagellack und den hässlichsten Ohrringen der Welt zur transzendierenden Superheldin mutiert, mit ihren neuen Kräften gegen allerhand Widrigkeiten behaupten muss, zwar immer interessant und unterhaltsam, aber nicht durchweg wirklich gut sind, verkommt angesichts dessen zur Nichtigkeit. Genaugenommen wäre viel des Spektakels gar nicht nötig, weil sie sich aller Probleme auf die gleiche, deutlich subtilere Weise annehmen könnte, aber verzichten möchte man darauf auch nicht. Überhaupt schleichen sich derartige Gedanken erst nach dem Abspann ein, denn unterdessen ist der Film zu atemlos, um Raum für hinterfragende Zweifel zu lassen. Zudem sind es gar nicht die Actionszenen, die die größte Spannung bergen, sondern jene, in denen Lucy Erkenntnis begegnet und diese dann jenen Menschen zu vermitteln versucht, die ein um 98% geringeres Denkvermögen haben. Hinsichtlich philosophischer Exkurse bleibt der Film natürlich weitestgehend bei den Erwartungen, die man an einen Populärfilm hat, vollzieht den Spagat zwischen rabiater Action und dem Stellen existenzieller Fragen aber doch mit einer erstaunlichen Selbstsicherheit. Einen wichtigen Beitrag liefert natürlich Scarlett Johansson, die ein weiteres Mal mit ihrem Gespür für ungewöhnliche Rollen mit ungewöhnlichen Körperbildern überzeugt und hier kaum wiederzuerkennen ist.
Inhaltlich wie auch vom Tempo her gelingt es Lucy nicht zuletzt aufzuzeigen, wie kolossal andere Versuche in diese Richtung wie zuletzt erst Transcendence an ihrem eigenen Anspruch eigentlich scheitern. Auch wenn es für den einen oder anderen etwas zu viel des Guten sein könnte, dass ein Luc Besson-Film sich tief und unverkennbar vor Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum verneigt.

Fazit

Dass einiges unnötig und anderes zu überkandidelt inszeniert ist, hat kaum noch Relevanz, wenn ein Film es schafft, die Antizipation schon allein der nächsten Szene so schwierig zu gestalten, dass Überraschungen en masse garantiert sind.
Dass Lucy es nebenbei auch noch schafft, durch eine eindeutige Antiheldin zu fesseln, auf Konventionen zu pfeifen und dabei hervorragend zu unterhalten, lässt die eine oder andere Ungehörigkeit mit Freuden vergessen.
Es ist, als hätte Herr Besson mit vielen Jahren Verspätung nun doch das Versprechen eingelöst, das er einst mit seinen einflussreichen Frühwerken gab.

The Return of the First Avenger

Das unzusammenhängende Daumenkino vor dem Marvellogo, das Sprechblasen, bleiche Helden und eine Milliarde Geschwindigkeitslinien vorbeiflattern lässt, ist nun schon seit deutlich mehr als 10 Jahren der allen vertraute Einband für ganz besondere Geschichten. Captain America – The First Avenger war 2011 ein Tiefpunkt dieser Geschichten, ein ziemlicher Schnarcher – zusammen mit Iron Man 2. Marvel gelang es aber, sich schnell zu fangen, die Avengers retteten die Welt und verpassten dem Riesen-Franchise wieder frischen Atem.
Nach Iron Man 3 ist Captain America 2 – The Return oft he First Avenger an der Reihe und gibt auch für sich Entwarnung.

This isn’t the age of spies. This is not even the age of heroes. This is the age of miracles… and there’s nothing more horrifying than a miracle.

Story

Steve Rogers hat es den HYDRA-Nazis gezeigt, verbrachte einige Jahrzehnte im großen Eis und schlug gemeinsam mit den Avengers Thalos‘ Schergen zurück.
In der Zwischenzeit hat er sich den Gepflogenheiten der Gegenwart schrittweise angenähert, findet seine Erfüllung insgeheim aber weiterhin in dem Befolgen von Befehlen – in diesem Fall von S.H.I.E.L.D.
Ein Umstand, der sich ändert, als nicht nur ein mysteriöser Antagonist auftaucht, sondern auch die internen Strukturen der S.H.I.E.L.D.-Organisation ganz offensichtlich von Innen heraus verdorben sind. Plötzlich befindet sich Rogers, alias Captain America im Fadenkreuz der Helden-Agenten und muss auf eigene Faust gegen sämtliche Fronten ermitteln. Zur Seite steht ihm nur Natascha Romanoff als Black Widow.

Kritik

Der Anfang lässt sich Zeit und gewährt Wiederholungen zugunsten von Quereinsteigern leider einer tieferen Charakterarbeit gegenüber den Vorzug. Die Witze sind noch ein wenig gezwungen und auch einige Seltsamkeiten, wie die Tatsache, dass Nick Fury offensichtlich nicht in Besitz eines Handys ist, stören das Gesamtbild zwar, doch bereitet auch das Anlaufnehmen durchaus schon eine gewisse Freude, die nur durch die zu hastigen Schnitte kleinen Abbruch findet.
Dann wird es mit einem Schlag sehr wild und dramatisch, wenn die Geschichte endlich richtig loslegt.

Im Gefolge hat die Spionage- und Geheimagentenstory ein paar wirklich beeindruckende Actionsequenzen, die teilweise hochgradig konstruiert und daher ebenso absurd und damit umso temporeicher ausfallen. Doch zur Geschichte, denn The Return of the First Avenger gelingt hier ein kleines Wunder. Einerseits geht man – endlich – weg von der omnipräsenten, mit jedem Film anwachsenden Zerstörung, um die fadenscheinig eine schablonenartige Heldengenese entsteht, und widmet sich, wenn man so möchte, einem ganz anderen Genre. Neben dem ansehnlichen Actionpart ist die Suche nach dem Winter Soldier eine elektrisierende Schnitzeljagd geworden, während dieser Recherche und Kombinationsgabe die beiden Helden durch die Vereinigten Staaten führen. Dies ist der im Durchschnitt wohl ruhigste Film des neuen Marveluniversums, wodurch einiges an Abwechslung entsteht – ein nur scheinbares Paradoxon, das sich Hollywood früher oder später zwangsläufig aneignen muss, um in der werdenden Filmlandschaft weiterhin Erfolge zu verzeichnen. Andererseits vollbringt man das Kunststück, eine halbwegs geerdete Geschichte um Überwachung und Doppelagenten an den richtigen Passagen mit ordentlich Comic-Wind in Fahrt zu bringen, ohne die eine oder andere Ebene wie einen Fremdkörper wirken zu lassen. Das entlastet nicht nur übersättigte Sehgewohnheiten, die auf eine x-te Wiederholung des Heldensage-Schemas gefasst waren, es bringt vor allem das ganze Genre der Comicverfilmungen auf ein neues erzählerisches Niveau, wo weit mehr möglich ist als in den niederen Gefilden der Ein-Mann-Gegen-Den-Superschurken-Penrose-Treppe.
Schade, dass im letzten Akt dann doch auf klassische Kampffinale-Mittel gesetzt wird, anstatt die mutige Linie weiterzuverfolgen. Das funktioniert auf bewährte Weise gut, wirkt aber gerade im Vergleich zum vorwärtsgerichteten Teil der Geschichte ein wenig inkonsequent.

Fazit

Nach dem müden Trip durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs hieven Joe und Anthony Russo den Marvel-Patrioten in die bessere Hälfte dieses Universums. Trotz der angestrengten Dialoge, die den klaren Tiefpunkt des Filmes graben, besticht das Gesamtkunstwerk durch große Stimmigkeit – nicht trotz, sondern wegen ungewöhnlicher Genreeinflüsse im Heldenuniversum.