Eolomea

Erstaunlich ist es, was unter der Schirmherrschaft der DEFA alles entstanden ist. Neben famosen Dokumentationen wie Rangierer, Bergmänner oder Wer fürchtet sich vor’m schwarzen Mann gab es auch immer wieder Spielfilme aus dem Filmland DDR, die so überraschend, frisch, wagemutig und schlicht gut waren, dass man meinen könnte, all die Probleme dieses diktatorisch regierten realsozialistischen Staates irgendwo in Mitteleuropa hätten, wenn die Möglichkeit zum künstlerischen Ausgleich gegeben war, die Energien für großes künstlerisches Schaffen freisetzen können.
Unter diesen bemerkenswerten Filmen gibt es (gottseidank) auch Science-Fiction. Einer dieser Handvoll an Genreausflügen ist der poetische Eolomea von Regisseur Herrmann Zschoche.

Anmerkung: Es existiert im Augenblick leider kein angemessener Trailer im Internet, sondern nur eine mäßige Schwarzweiß-Version. Stattdessen gibt es hier die Anfangsszene zu bestaunen.
Er hat noch nie die Flüsse gesehen. Und die Wälder.

Story

Im direkten Umfeld der Raumstation Margot gehen Raumschiffe verschollen. Wieder und wieder. Als das achte Schiff in kürzester Zeit seinen Kontakt zur Erde abbricht, tritt ein Rat zusammen und erteilt ein Startverbot für sämtlichen interstellaren Verkehr. Interessengemeinschaften beharken sich gegenseitig, Theorien werden geboren und direkt wieder verworfen. Niemand hat eine Idee, was hinter dem mysteriösen Abhandenkommen der Schiffe samt Crew stecken könnte.
Dann bricht auch noch der Funkkontakt zur selbst Margot ab. Die Wissenschaftlerin Maria Scholl versucht, das intrigante Durcheinander zu durchschauen und macht sich auf die Suche nach Wahrheit.
Unterdessen, weit entfernt, schlagen sich Kapitän Danial Lagny und sein Lotse Olo Tal auf ihrem Raumschiff in der Nähe eines mit persönlichen Quälereien, Dienst nach Vorschrift und Regelverstößen rum.

Kritik

„Und nie wieder Kosmos! Nie wieder!“, johlt ein Mann und lässt sich rückwärts in die Wellen des Meeres fallen. Schnitt in den Vorspann: Sternennebel und ein Soundgewand, das sich irgendwo zwischen träumerischer Lounge.-Musik, Free Jazz und ein wenig Synthiegedudel austobt.
Was geschieht da? Die DEFA geschieht.

Eolomea fällt, abseits des zu lallenden und trotzdem schlecht einprägsamen Namens, weniger durch Einzeldinge auf als vielmehr durch deren geschickte Kombination. Weltraumfahrt ist an der Tagesordnung, fast täglich scheinen Schiffe jeder Art in die weite, aber auch schrecklich leere Schwärze des Alls aufzubrechen. Die Erde hat einfach nur den Bereich ausweiten können, in dem repetitive Arbeit unter fragwürdigen Bedingungen ausgeführt wird. Wecker stehen auf den Tischen dieser Schiffe und misslingender Funkverkehr quittiert sein eigenes Scheitern mit einem analogen Besetztzeichen. Die Szenenbilder sind teils putzig, die Ausstattung immer überzeugend, bisweilen aber nur gerade so noch glaubwürdig. Dass man nicht aus einem endlosen Geldfüllhorn schöpfen konnte, um den Film zu verwirklichen, ist ohne größere Mühe zu erkennen, aber keinesfalls ein Problem. Denn die Geschichte entspinnt sich nicht in üppigen Prachtbildern, sondern ganz natürlich aus vielen Gesprächen, die in tollen langen Einstellungen fotografiert sind und in erster Linie fantastisch geschrieben sind. Man hängt den Figuren schon in kürzester Zeit gebannt an den Lippen, wenn sie allesamt auf ihre charakteristische Weise Zynismus, Grübelei und Alltagsgeplänkel verbinden und mit philosophischen Exkursen versehen. Auf diese Weise vermittelt Eolomea immer mehr Details über den Zustand der Welt dieser Zukunft, sodass sich nach und nach ein erstaunlich klares Bild von Gesellschaft und politischer Situation ergibt, obwohl man von beidem nur Bruchstücke zu sehen bekam. Das mag trocken oder sogar aufgesetzt klingen, ist aber nichts davon, sondern einfach nur unaufdringliches, sehr angenehmes Konversationskino, das einen nach den ersten Sätzen mitzunehmen weiß.
Dabei springt die Erzählung hin und her zwischen den beiden Freunden Daniel und Olo an Bord ihres Raumschiffs, die eine sehr milde Form von Obrigkeitszweifel praktizieren, und der Erdprotagonistin Professor Maria Scholl, die dem Geheimnis auf den Grund zu gehen versucht. Aber nicht nur räumlich wird ein Spagat vollzogen, auch zwischen Gegenwart und Vergangenheit springt der Film immer wieder hin und her. Damit wird neben weiteren Einblicken in den Alltag und Zustand der Zukunft außerdem auch etwas Urlaubs- und sogar Agentenatmosphäre geliefert, die sich ebenso harmonisch ins Ganze fügt wie der Rest.

Sowohl an der Soundkulisse als auch an der Kameraführung von Günter Jaeuthes entzünden sich hie und da fantastische Ideen und immer wieder blitzen feine inszenatorische Einfälle durch, die das sowieso schon lockere Geschehen mit ästhetischem Fingerspitzengefühl noch weiter auflockern und manchmal sogar ein andächtiges Schaudern hervorrufen.
Das heimliche Highlight des Filmes ist aber ein Kurzauftritt des Roboters Nr. 0560, der nicht nur ein hinreißend provisorisches Aussehen vorzuweisen hat, sondern vor allem auch den insgeheimen Gipfel der sowieso schon alles andere als ironiebefreiten Dialoge erklimmt und darüber hinaus wohlig an Robby aus Alarm im Weltall erinnert.

Fazit

Stimmungsvolle Bilder, spannende Charaktere mit Profil, eine sich schlüssig entfaltende Geschichte und vor allem fantastisch geschriebene Gespräche, die all das zusammenhalte, sorgen auch heute noch für großes Sehvergnügen. . Eolomea ist also  dialoglastiger, aber nicht geschwätziger Science-Fiction-Film mit mutigen Ansätzen in einer gewieft erdachter Welt spielend – das ist tatsächlich etwas, das heute nur schwer vorstellbar ist.

Coherence

Nach dem 2007er Independent-Erfolg The Man from Earth war es fast schon überraschend, dass weitere dialoglastige Kammerspiele mit Sci-Fi-Anwandlungen nicht in Scharen auf dem Markt gekommen sind. Vielleicht liegt es daran, dass gute Drehbücher schwer nachzuahmen sind. Mit Coherence ergänzt James Ward Byrkit – Ideenhaber, Schreiber, Regisseur und Produzent in einem – nun dieses rar besetzte Untergenre um einen weiteren Beitrag.

No, we’re not splitting up. We’re just gonna go in two different groups.

Story

Die Gruppe von Freunden, die sich in Zeiten regelmäßig traf, die lange schon Vergangenheit sind, findet sich mittlerweile nur noch selten zusammen. Man zog in verschiedene Städte, erneuerte die Vorstellung von Leben, wurde erwachsen, fremder füreinander. Als sich Emily, Kevin, Beth, Ami, Amir, Laurie, Hugh und Lee in Mikes Haus treffen, liegt das letzte Beisammensein schon wieder eine ganze Weile zurück. Man trinkt, übt sich darin, ausgelassen zu sein, und versucht, all die Distanz, die mittlerweile zwischen einander besteht, vergessen zu machen.
Doch dieses Mal ist es anders. Die Displays von Smartphones zerbrechen scheinbar grundlos und nach kurzer Zeit fällt im ganzen Viertel der Strom aus. Beleuchtet bleibt nur ein einziges Haus in der Nachbarschaft. Als an sich entschließt, dort vorbeizuschauen, geschehen seltsame Dinge.
Ein Komet, der in dieser Nacht die Umlaufbahn der Erste streift, könnte verantwortlich hierfür sein.

Kritik

Coherence ist eine dieser – eigentlich sehr häufig vorkommenden – Seherfahrungen, bei der vieles davon abhängt, ob man zuvor etwas über den Film weiß oder nicht. Geht man ohne vorheriges Wissen an den Film, der damit beginnt, dass ein paar alte Freunde sich nach langer Zeit treffen, um sich von einer Handkamera gefilmt zu betrinken, ist man ob der fehlenden Voreingenommenheit natürlich leichter durch den nachfolgenden Twist zu beeindrucken und die Filmerfahrung als Ganzes deutlich verlangender. Aber das ist natürlich ein alter Hut. Allein das Wissen um die Tatsache, dass überhaupt so etwas wie ein Twist existiert, kanalisiert die Erwartungen eigentlich schon in zu hohem Maße. Von daher seien alle, die den Film zufällig schauten und erst durch nachträgliches Suchmaschinen-Beackern auf diese Filmbesprechung gestoßen sind, beglückwünscht. Ihr habt es richtig gemacht. Aber – um bei den Hüten zu bleiben – das ist eine Weisheit, die keine ist.

Der Fallstrick des Konzeptes, die ganze Zeit verschiedene Menschen auf engem Raum zu zeigen, ist (spätestens hier entlarvt sich diese Rezension als Text reiner Redundanzen) die anspruchsvolle Forderung nach lebendigen, glaubhaften Charakteren, deren Handeln der Vorstellung von komplexen Figuren wie auch der Situation angemessen ist. Und Coherence schafft es mit beeindruckender Leichtigkeit, seine Figuren lebensnah darzustellen. Man meint tatsächlich, einer Zusammenkunft alter Freunde beizuwohnen, die sich bemühen, nicht so zu wirken, als hätte man aufgrund der unmöglich zu überbrückenden Zeit des Abstands einander kaum was zu sagen. Die Merkwürdigkeit, die entsteht, wenn man auf Menschen trifft, deren gegenwärtige Existenz einem völlig fremd ist, während man einstmals mit ihrer vergangenen Erscheinung bestens vertraut war, wird unaufdringlich schön eingefangen. Man nippt häufig an seinem Glas, überspielt das Offensichtliche, wird albern und alte Geschichten werden an die Oberfläche gespült. Es ist die einmalige Art von Situation, die schön und furchtbar zu gleichen Teilen ist. Es ist der Prozess des Verklärens in seiner massiver Gegenwärtigkeit.
In diese Pattsituation gesellschaftlicher Zwänge bricht nun ein Strom des Sonderbaren. Ein Komet, unerklärliche Vorkommnisse – und weiterhin die obskure und vollkommen natürlich wirkende Anforderung, das Gesicht und die Fassung voreinander zu bewahren. So wie die Menschen verwandelt sich auch die räumliche Situation in ein Panoptikum vertrauter Fremde, das vor allem anderen Irritation hervorruft.
Oberflächlich ist Coherence eine Art Science-Fiction-Film, in erster Linie handelt es aber um eine Lupe auf ein soziales Experiment, selbstverständlich in Form eines Kammerspiels.
Daher ist die Handkamera hier auch das Mittel der Wahl und dieser Film einer von wenigen, wo dies absolut angebracht ist. Sie zuckt und zittert beizeiten stärker als in so manchem Actionfilm, transportiert aber exakt jene Unsicherheit und die Furcht vor Kontrollverlust, die es benötigt.
Dass dies so exzellent funktioniert, liegt vorrangig an den unprätentiös spielenden Darstellern, die ihren Figuren eine gewisse Tiefe verleihen, in ihrem Spiel nicht übertreiben und das Haltlose der Situation und ihrer Entwicklungen meist angebracht auf den Punkt bringen.
Da ist es fast ein wenig schade, dass die Geschichte ungeheuer clever tut, aber gerade das nicht ist. Jedenfalls nicht in dieser Form. Sie ist schon auf ihre Weise im Kleinen innovativ und die meiste Zeit über auch mit Interesse zu verfolgen, macht es sich an manchen Stellen aber auch zu leicht mit Erklärungen und Wendungskausalitäten, was den Fluss zwar begünstigt, die Stimmung jedoch beizeiten etwas drückt. Letztlich ist das Erzählte lange nicht so intelligent, wie es verkauft wird, aber natürlich immer noch um Längen klüger als das meiste andere, was man heutzutage zu sehen bekommt.

Fazit

Ein Science-Fiction-Kammerspiel, ähnlich wie der bekanntere The Man from Earth, das durch seine gelungenen Figuren und die intensive, aber nie aufdringliche Handkameraarbeit überzeugt. Die Prmämisse selbst ist ohne Frage nett, aber genau wie der Plot selbst kein Geniestreich. Für eine intensive Erfahrung mit eigenständiger Atmosphäre ist das aber auch gar nicht nötig. Coherence bietet genau das.