Parallels

Netflix schreibt sich offensiv auf die Fahne, die Potenziale unbekannter Leute zu fördern und ihnen eine Plattform zu geben. Für neue Ideen und außergewöhnliche Konzepte. Neben den üblichen Verdächtigen von House of Cards bis zum gerade durch die Decke gebrochenen Daredevil sind es immer mal wieder auch Filme, die das Glück haben, vom Streaming-Giganten unter die Fittiche genommen zu werden. Auch Christopher Leone, der bisher höchstens durch seine Regiearbeiten für die Serie Wolfpack of Reseda, bekannt sein dürfte, hat das Glück, seinen Film Parallels durch und über Netflix produzieren zu dürfen. Mitgeschrieben und produziert hat der Herr aus Los Angeles allerdings auch Das verschwundene Zimmer – und das gibt schon einen guten Hinweis auf Ton und Richtung seines ersten großen eigenen Werks.

I’m a little afraid of racoons.

Kritik

Vor Jahren kapselte sich Ronan von seiner Familie ab und kam mehr schlecht als recht bezahlten Jobs als Schaukämpfer über die Runden. Seine Schwester Beatrix hat unterdessen die Laufbahn einer aufstrebenden Akademikerin eingeschlagen. Als beide eine rätselhafte Nachricht von ihrem Vater erhalten, finden sie ungeplant im leerstehenden Elternhaus zusammen. Zusammen mit Harry, einer Klette aus Jugendtagen, der sich in der Nachbarschaft anschließt, um eine Atempause von seiner herrischen Mutter zu nehmen, folgen sie einem Hinweis aus dem zurückgelassenen Wagen des Familienvaters.
Dieser führt sie in ein leerstehendes Bürogebäude, welches sich bereits nach wenigen Minuten als selbstgesteuerte Transportmöglichkeit entpuppt, um – scheinbar zufällig – zwischen Parallelwelten umherzureisen, wo es für genau 36 Stunden am Standort bleibt, bis es sich in die nächste Dimension begibt. Bei ihrem ersten Aufenthalt im geheimnisvollen Komplex wächst die Gruppe nicht nur um die forsche Polly, die das Gebäude schon lange ihr Zuhause nennt.

Kritik

Die ersten Sekunden beginnen wie der Vorspann einer Serie – kurze Impressionen, die vermuten lassen, dass sie einem was sagen sollten. Die übliche Methode, mittels Zeitdokumentschnipseln, deren Verankerung im Kollektivbewusstsein unanfechtbar ist, eine Collage darzubieten, die dem Zuschauer bei der Verortung der Geschehnisse unterstützen soll, wird bei Parallels bereits ad absurdum geführt, wenn wir geflutete Großstädte und Feuerhagel auf selbige zu sehen bekommen. Nun kann man hoffen, dass dies ein Vorzeichen darauf ist, dass man mit Vorannahmen bei Parallels vielleicht lieber zurückhaltend sein sollte, weil hier einiges anders läuft. Alternativ denkt man sich, dass es sich bei diesem Film vielleicht tatsächlich um eine Serie handelt und geht vorsichtshalber schon einmal davon aus, dass die Geschichte nach den sportlichen 83 Minuten alles andere als zu Ende ist. Doch zurück zu dem Vorspann, der nach Minute 1 endet. Das hier vorgegebene Tempo hält Parallels nämlich ein, wenn der Sci-Fi-Film seine Geschichte straff und ohne überflüssiges Gepäck mit einer Dynamik erzählt, die den Zuschauer von der ersten Sekunde an mitnimmt. Und so finden drei rundum und mitsamt ihres alltagsproblematischen Hintergrundes etablierte Figuren, von denen jede glaubwürdig und kernig wirkt, bereits neun Minuten später nach einer flotten Odyssee und ein kleines schwarzes Ding, das wie ein Todesstern-Souvenir aussieht und die Geschichte in Gang setzt. Das Erzählen ist nicht gehetzt oder künstlich komprimiert, es wird einfach nur auf natürliche Weise Unnötiges weggelassen.
Diese Tugend wird – mit kleinen Abstrichen – beibehalten und mit Polly stößt recht früh ein Neuzugang dazu, der nicht nur gelungen kess ist, sondern mit Fresh Off the Boat-Star Constance Wu auch gelungen besetzt wurde.
Was dann aber folgt, bestätigt die erste Ahnung, dass Parallels im Herzen eigentlich eine Serie ist. Nachdem mit der Frage, warum es ein durch Dimensionen springendes Gebäude gibt und wer dahinter steckt, ein saftiger Köder ausgeworfen wurde, dreht sich der Plot erst einmal um und schwimmt in eine andere Richtung. Jede der zwei Dimensionen hat ihre eigene Geschichte, die die Protagonisten nebenbei durchleben müssen, wodurch rasch auch das Gefühl von Episodenhaftigkeit einstellt. Das ist nun erst einmal nicht weiter schlimm, denn die Erzählweise bleibt ökonomisch und das Kennenlernen der Figuren macht ebenso viel Spaß wie das Durchforschen der fremden Welten, im Hinterkopf bleibt aber das Wissen, dass der Film mit einem spielt und seine Antworten hinauszögert.
Tatsächlich besiegelt das Ende das, was man bereits ahnte: Statt richtiger Antworten gibt es viele neue Fragen und mit einem ganzen Bündel halbgarer Cliffhanger begrüßt einen der Abspann. Ob es weitergeht? Regisseur und Drehbuchautor Christopher Leone twittert, dass dem aller Voraussicht nach so sei – Parallels ist tatsächlich als Serie von Filmen angelegt. Doch wirklich Handfestes gibt es zu dem aktuellen Stand noch nicht zu erfahren.
Die Serie, die der Film ist, ist folgerichtig auch gar keine so hochwertige, sondern eher im Mittelfeld anzusiedeln, was die Produktionswerte und Erzählschemata angeht. Doch ein griffiger Charme, hervorgerufen durch die immense Lust am Großen, ist der Sache merklich zu eigen, weshalb das Schauen auch nie langweilig wird.

Kurz noch zu ein paar Kleinigkeiten.
Parallels ist eine kleine Produktion von Leuten, deren Hinterhof nicht neunhundert Quadratkilometer groß ist und deren neunhundert Quadratmeter großer Hinterhof auch nicht voll mit Fässern steht, die von Geld und Erfahrung überschäumen. Manchmal blitzt ein kleiner Rest von Unsicherheit durch und dann wieder hält sich kurz das Gefühl, dass der Film gerne mehr gezeigt hätte, das hierfür nötige Effektteam aber nicht hatte. Letztlich aber verhält es sich mit alledem wie mit den Dialogen – zwar lässt sich hier und da, wenn man sucht, eine Spur Unbeholfenheit erahnen, doch zu 95% sind sie ordentlich gut geschrieben, machen Spaß und nehmen den Zuschauer problemlos mit.
Auch das Drehbuch ist immer optimal geschrieben, versöhnt aber durch die erwähnte Erzählgeschwindigkeit.
Leider gibt es aber auch weniger verzeihbare Zugeständnisse zu diesem Zweck, wenn die Protagonisten nur deswegen vermeidbare Fehler begehen, um den nächsten Plot Point herbeizudiktieren.
Was bleibt, sind Fragen der Logik. Wieso sprechen auf allen möglichen Erden alle das gleiche Englisch? Wieso spricht man überhaupt Englisch? Wieso heißen die Städte gleich? Wieso sind Moden weitestgehend identisch? Wieso zum Geier verlief die Evolution in den exakt gleichen Bahnen? Folgt das Dimensions-Roulette etwa einem göttlichen Plan? Gibt es womöglich einen prästabilierten Rhythmus im Kern jeden Seins, der dazu führt, dass die Richtung bei jeder möglichen Variante trotzdem immer in etwa dieselbe bleibt? Das sind Fragen, die stellt sich der Zuschauer, der Film aber hält sich nicht mit so essentiellen Plausibilitätsangelegenheiten auf. Bei solchen Feinheiten muss die Story einfach mit den Schultern zucken, denn auf Derartiges Rücksicht zu nehmen, hätte geheißen, sich in Details und zu verstricken und sich auf Umwege zu begeben. Doch ein kurzer Versuch, diese Umstände zu erklären, wäre der bessere Weg gewesen – nur um aufzuzeigen, dass man an sie gedacht hat und den Zuschauer für fähig hält, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Stattdessen behauptet der Film, dass allen parallel möglichen Realitäten auch jeder Mensch erneut auftritt – nur in anders variierter Rolle, als hätten sich die Geschicke der Welten nicht irgendwann, sondern immer vor etwa einer Generation getrennt. Es mag ja sein, dass das Häuslein dafür konzipiert wurde, nur derartige Realitäten anzusteuern, aber der Film verweigert die Aussage und schweigt über das schwierige Thema. Chance vertan, Missgeschick ausgeführt.

Fazit

Eine vielversprechende Ausgangssituation, moderate Schauspieler in einem souverän gefilmten Sci-Fi-Setting und viel Bewegung. Parallels ist ein durch und durch unterhaltsamer Film, der hie und da zwar Anlass zum Kopfschütteln bietet und die Atmosphäre damit kurz dünner werden lässt, den im Generellen aber bis zum Ende der Reise mitzunehmen weiß.
Der für viele wohl kritischste Punkt ist aber wohl das Faktum, dass das vermeintliche Ende keines ist, sondern stattdessen ein künstlich mysteriöser Twist einen zweiten Teil ankündigt, von dem nicht klar ist, ob er jemals kommen wird.

Attack the Block

Joe Cornish war das, was gefühlt die Hälfte aller US-Bürger ist, Comedian. Neben unbedeutenden Rollen in Filmen, die ihn in Kontakt mit Nick Frost brachten, schrieb er Drehbücher fürs TV und brachte auch ein paar Belanglosigkeiten in Eigenregie auf die Mattscheibe.
Kein heller Stern also. Doch seine nächsten Projekte lauten Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn und Ant-Man, als Autor bzw. Co-Autor.
Und dazwischen? Dazwischen kam Attack the Blog, wo er sowohl für die Geschichte als auch für deren Umsetzung verantwortlich war.

This is too much madness to explain in one text!

Story

Ein sozialer Brennpunkt in London, wo Gang-Rivalitäten – meist wegen Drogen – nicht selten bis zu Schießereien hochkochen, wird Schauplatz einer kleinen Alieninvasion mittels Meteoritenschauer. Klein, weil eigentlich nur ein paar struppige Biester in der englischen Hauptstadt aufprallen. Klein, das denken sich auch Moses und seine Gang aus kleinkriminellen Jugendlichen, die prompt zur Treibjagd blasen – schließlich kann niemand einfach so in ihren Block eindringen und Unheil stiften. Aauch keine Außerirdischen.
Nicht nur ist die von den schwarzen Space-Hunden ausgehende Bedrohung weitaus größer, als kalkuliert, plötzlich tauchen auch noch die Polizei und der wütende Drogenzar des Viertels auf und alle wollen sie dem Fünfköpfigen Freundeskreis an den Kragen. Zusammen mit der sich unfreiwillig anschließenden Krankenschwester Sam flüchten sie zurück ins das Reich ihrer Sozialwohnungen, um einen Gegenangriff zu planen.

Kritik

Anfangs darf man skeptisch sein. Schon wieder irgendwelche animalischen Aliens, die keine Ziele haben, außer ihre Zähne in Fleisch zu tauchen. Schon wieder eine Gruppe von Leuten, die über sich hinauszuwachsen hat. Schon wieder  in irgendeinem englischen Ghetto.
Gut, ein „schon wieder“ zu viel, denn das Ghetto ist neu. Oder, um es etwas kategorischer auszudrücken, die Verbindung von Science-Fiction-Film und Milieustudie ist neu und ein ziemlich schräger Einfall dazu.
Damit schafft sich Attack the Block gleich jede Menge Probleme, die insbesondere für einen mit Produktionen dieser Größe recht unerfahrenen Mann wie Herrn Cornish kein Zuckerschlecken gewesen sein dürften. Allen voran: Wie gelingt es, dass die 15-jährigen Kinder unterster Schicht mit ihrer Attitüde und dem Hip-Hop-Humor nicht nerven, sondern im Gegenteil als taugliche Hauptfiguren funktionieren – ohne dabei an Authentizität einzubüßen?

Normalerweise ist die kleine Gang aus vorlauten Kindern in Horrorfilmen dafür geeignet, sich für den Schrecken der Exposition zu opfern und dann nie wieder erwähnt zu werden. Hier wird die Einleitung aber überlebt und man schlägt sich durch die ganze Geschichte. Und das auf eine ganz eigene Weise.
Tatsächlich meistert der Film diese Probleme sehr geschickt und beschert einen Culture-Clash der ultimativen Sorte, der der Invasionsthematik frischen Drive gibt.
Das beginnt schon damit, dass die Halbstarken ihr erstes Alien, das sie mit einer Silvesterrakete erlegt haben, stolz und randvoll mit empfundener Coolness einmal quer durch die Stadt schleifen, in erster Linie aber Fifa spielen wollen. Dass die Neuankömmlinge vielleicht gar nicht so böse sein könnten (oder aber zu böse), wird in keinem Augenblick erwägt. In Folge haben sie, als sie auf das erste Geschöpf mit wirklichem Biss stoßen, nur noch Verbarrikadieren im Sinn.
In Sachen Witz pendelt man irgendwo zwischen semi-authentischem Block-Geblubber und einer schillernden Ladung kultureller Anspielungen auf Film und Vorurteil. Manches davon geht ins Leere bzw. ist einfach etwas zu gewollt, im Schnitt macht Attack the Blog aber mächtig Laune.

Durch die neue Genrewürzung ist nicht nur das Verhalten der Figuren ungleich mit dem normaler Sci-Fi-Heroen, auch die Art, wie das Ganze gefilmt wurde, unterscheidet sich immens vom Durchschnitts-ET. Alles ist etwas kleiner, näher am Charakter und unaufgeregter, nicht aber weniger intensiv.

Nick Frost als für sein Wesen viel zu alter Verlierer mit schulterlangen, fettigen Haaren, ist eine nette Dreingabe mit mikroskopisch kurzer Screentime, die für den Film mehr Werbung denn Plotbereichung ist. Aber lieber wenige kurze Szenen mit Nick Frost als Marihuanagärtner als gar keine.
Gleiches mit dem menschlichen Bösewicht. Er wirkt in seinem ganzen Tun etwas müde konzipiert, funktioniert im Gesamtbild der Stimmung ganz gut, hat aber eigentlich überhaupt keine wirkliche Funktion, sondern ist nur ein fauler Versuch, ein zusätzliches Suspense-Element miteinzubauen.
Beim Design der außerirdischen Kreaturen orientiert man sich gerne an Bekanntem, dafür sind die eigenen Ideen ein bisschen halbgar geworden. Trotzdem muss man hier Loben, was auch in vielen anderen Bereichen des Filmes hervorzuheben ist: Lieber klein, wenig und dafür richtig, als groß, zu dick aufgetragen und am Ende zu sperrig, um mit der Dramaturgie vereinbar zu sein.

Fazit

Aber wenn nicht alle Einzelheiten frisch sind, das Gesamtpaket ist es umso mehr. Die Verschnürung der beiden einander doch sehr unähnlichen Genres sorgt für ein kurzweiliges Spektakel, das gut gefilmt und gut gespielt ist, launige Momente hat, frech daherkommt und zum Schluss seinen jugendlichen Nachwuchsgangstern einen Gefallen erweist, indem das Finale einfach schweinecool ist.

Misfits – Staffel 2

Die unmaskierten Punk-Heroen aus der Unterschicht Werthams bekamen nach ihrem ansprechenden ersten Auftritt im Folgejahr 2010 7 weitere Episoden spendiert. Dabei werden etablierte Stärken ausgespielt und frühere Schwächen vermieden. Zum zweiten Mal tritt das eingespielte Team in ganzer Stärke in der nicht nur besten, sondern auch letzten guten Staffel der britischen Erfolgsserie auf.


Can we please stop killing our probation workers?

Story

Der mysteriöse Fremde, der im Finale von Staffel 1 auf dem Drahtesel herangerauscht kam, um überhandnehmender Tugend Einhalt zu gebieten, folgt den Freunden – man kann sie mittlerweile wohl so nennen – auf Schritt und Tritt. Was seine Gründe und Absichten sind, ist jedoch ebenso wenig bekannt, wie seine Identität. Auch über eventuelle Fähigkeiten des Maskierten herrscht Unklarheit.
Anfangs trägt er dazu bei, dass Nathan aus seinem – wie seit dem Finale der letzten Episoden gewiss ist: unnötigen – Grab geborgen wird, aber auch sonst ist er häufig zu Stelle, wenn eine Situation droht, ihren kritischen Punkt zu überschreiten.
Zwischenzeitlich kreuzen sich die Wege der „Bewährungs-Fünf“ immer wieder mit Menschen, die ebenfalls Opfer des spendablen Gewitters und mit besonderen Kräften versehen wurden. Und wie es nun einmal so ist, stellen sich die wenigsten von ihnen als redliche Zeitgenossen heraus. Wie unsere Helden, so haben auch sie mit den Gefahren und Verlockungen der frisch gewonnen Möglichkeiten zu kämpfen. Und das regelmäßig auf Kosten anderer.

Kritik

Wie schon bei der 1. Staffel gibt auch hier Folge 1 galant den Ton an, der konstant während der 7 Episoden gehalten wird. Der Beginn kommt mit einer mehrschichtigen Ladung Eskalation daher und entwickelt sich mit zarten Übergängen zu einer nett geschriebenen Horrorepisode. Generell ist das Tempo in Staffel 2 kräftig angezogen worden und auch die manchmal etwas unbeholfenen Stellen der Vorgängerstaffel sind hier fast gänzlich vermieden worden.
Es macht nun noch mehr Spaß, die unverbrauchten Gesichter der Jungschauspieler zu sehen und auch die Handlung legt ein paar Schippen drauf. Selbst an den Dialogen merkt man, dass sich Schreiber und Darsteller mittlerweile auf sicherem Grund bewegen. Die Gespräche sind pointiert und wirken immer noch sehr natürlich, ohne den unterhaltsamen, selbstironischen Charme der augenzwinkernden Milieubeobachtung vermissen zu lassen.
Die Action stimmt weiterhin und auch in Sachen Dramatik gibt es kaum etwas zu beklagen. Das alte Problem, dass an jeder Litfaßsäule die vom Unwetter Modifizierten nur darauf warten, dass unsere Helden vorbeikommen, ist nicht vom Tisch. Doch immerhin wird diese erzählerische Krücke nicht mehr ganz so oft eingesetzt und somit ist die Glaubwürdigkeit der ganzen Kiste automatisch ein paar Level höher anzusiedeln.
Die etablierten Gesichter werden sinnvoll aufgegriffen, ihre Geschichten nachvollziehbar erweitert und ihre Motivationen mit passenden Motiven und zusätzlicher Tiefe ein wenig transparenter gemacht, ohne dass die Protagonisten dadurch zu durchschaubar werden. Auch einige Neuzugänge kommen hinzu– von denen manche länger und andere, ganz bestimmte Gesellen in guter Running-Gag-Tradition eher kürzer präsent sind – und fügen sich sofort in das illustre Grüppchen ein. Das wirkt selten gekünstelt, zieht sich aber auch nicht unnötig in die Länge. Misfits überzeugt weiterhin mit guter Dialogregie und spannend geschriebenen Charakteren.
Was die einzelnen Geschichten angeht, da wird man hingegen nicht immer einer Meinung sein. Die Zufälle stauen sich zwar nicht mehr ganz so aufdringlich, sind aber immer noch ziemlich sehr häufig Dreh- und Angelpunkt für die meisten entscheidenden Vorgänge. Aber nennen wir es Schicksals-Moment und nehmen die Sache als gegeben hin. Es wurde hat an den richtigen Baustellen gearbeitet und das ungewöhnliche Sci-Fi-Drama schafft es, den Überraschungserfolg von Staffel 1 im weiteren Verlauf nicht verpuffen zu lassen. Die Macher waren spürbar mit Herzblut am Werk und waren darauf bedacht, ihr Baby nicht dem schnellen Rubel zu opfern. Dass Season 2 sich gegenüber dem starken Vorgänger tatsächlich noch steigern konnte, ist bemerkenswert, da sie bereits ein knappes Jahr später über die britischen TV-Bildschirme flimmerte.

Mit „Der Maskenball?“ gibt es die erste Durchhängerfolge, die nicht wirklich schlecht ist, in eine so überdurchschnittlich spannende Staffel eingebettet aber trotzdem auffällig negativ hervorsticht.
Doch der Ausgleich folgt auf dem Fuße. Mit einer Superkraft namens Laktogenese wird auf ziemlich originelle Art zur Sprache gebracht, was längst überfällig war; und das noch abgedrehter und rücksichtsloser als in den bisherigen Ausschweifungen unseres Antiheldentrupps. Denn plötzlich und sehr unerwartet scheint er auf sein ganz eigenes Kryptonit gestoßen zu sein.

Fazit

Unaufdringlich emotionale Momente, einige zum Brüllen komische Szenen und clevere Figurenzeichnung. Staffel 2 setzt dort an, wo Staffel 1 endete, baut die Stärken der TV-Serie gekonnt aus und lässt die anfangs schon geringen Schwächen noch etwas schrumpfen.
Leider endet der Höhenflug der originellen Superheldenrüpel an dieser Stelle. Staffel 3 zeigt zum hundertsten Mal auf, dass es gescheiter ist, am Höhepunkt aufzuhören, bevor man diesen mit mangelnder Inspiration zu Tode reitet.
Und ein meist sehr zuverlässiges Indiz dafür ist, dass die bisherigen Stammregisseure ihren Platz für Nachfolger freimachen und Hauptdarsteller der Serie, mit der sie bekannt wurden, den Rücken kehren.

Misfits – Staffel 1

Spätestens nach X-Men und Spiderman war klar, dass der Anfang des neuen Jahrtausends in cineastischer Hinsicht ohne Zweifel den Superhelden gehört. Insbesondere Marvel schickte Mal um Mal die Comicrecken auf die Leinwand, bis die Angelegenheit in diesem Jahr mit Marvel’s The Avengers ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte.
Heroes war eines der Experimente, die Prototypen der Gesellschaft mit übermenschlichen Fähigkeiten bestückte und damit in Serie ging. Die vorgebliche Normalität der Figuren wich aber recht bald dem typischen Heldeneifer und zudem zerfaserte die Serie immer weiter, bis von den anfänglichen Qualitäten nur noch wenig vorzufinden war.
2009 betrat Misfits die Bildfläche, griff die Prämisse von Heroes auf und strengt sich seither an, die Fehler des Serienvorreiters zu vermeiden und dabei rotzfrech auszusehen.


You’re dumping me with a line from Spiderman?

Story

Nathan, Curtis, Alisha, Kelly und Gary vereinen all die Eigenschaften, die ältere Generationen  seit jeher der Jugend zum Vorwurf machen. Es sind rücksichtslose, asoziale, straffällige Halbstarke, die jeder für sich ohne Perspektive sind.
Als sie einander zum ersten Mal im fiktiven Londoner Stadtteil Wertham begegnen, tragen sie orangefarbene Overalls und sind dazu verdonnert, Sozialstunden unter der Aufsicht ihres Bewährungshelfers Tony abzuleisten.
Plötzlich verhängen ausgesprochen seltsame Gewitterwolken den Himmel und im nächsten Augenblick stürzen Hagelkörner in Melonengröße auf London nieder. Auf ihrer Flucht werden die Jugendlichem vom Blitz getroffen und verfügen seitdem über eigenartige Fähigkeiten. Kelly wird zur Telepathin, Curtis kann die Zeit beeinflussen, der sowieso von niemandem wahrgenommene Außenseiter Simon erhält die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, und Alisha verdammt jeden, der sie berührt, zur sexuellen Willenslosigkeit. Nathan hingegen scheint ohne besondere Fähigkeit. Und Gary hat womöglich eine, kann sie aber nicht einsetzen, weil er direkt nach dem Sturm vom plötzlich rasenden Bewährungshelfer hingerichtet wird. Denn nicht nur sie, sondern auch andere Bürger Londons sind seit dem Wetterphänomen verändert. In Notwehr töten die Fünf ihren Bewährungshelfer und müssen die Tat nicht nur vertuschen und mit deren Folgen leben, sondern zusätzlich lernen, ihre eigenen Kräfte irgendwie zu beherrschen und sich vor denen anderer in Acht nehmen.

Kritik

Da ist er also, der Gegenentwurf zu den strahlenden Helden im Elastananzug, der wie das verhaltensauffällige Kind von Chronicle und Heroes wirkt. Und die Idee, ein paar Vertretern der No-Future-Generation klassische Superkräfte zu verleihen, geht erstaunlich gut auf.
Manche Serien fangen spitze an und sinken ins Unerträgliche ab, manche starten unerträglich und werden spitze. Misfits versucht nicht, dem Zuschauer etwas vorzuspielen und schlägt von Minute 1 einen Ton an, der dem die restlichen Episoden treu bleiben werden.
Die Kombination aus hoffnungslos asozialen Jugendlichen und dem Sci-Fi-Einschlag durch Superkräfte schafft eine ganz spezielle Atmosphäre, die von der tristen Farbgebung und den grauen Spielorten noch untermauert wird. Der Serie glückt eine schwere Gratwanderung, indem die Hürde genommen wird, den Zuschauer für die Charaktere zu interessieren, obwohl ein jeder von ihnen mehr als nur eine unsympathische Eigenschaft parat hat. Selbst Figuren, die auf den ersten Blick vollkommen unerträglich wirken, lassen einen spätestens nach zwei Folgen nicht mehr zur Gänze kalt. Die vollkommene Normalität der Protagonisten bringt nämlich auch nachvollziehbare und vertraute Probleme mit sich, die ihr Handeln vielleicht nicht legitimieren, aber immerhin verständlich machen.
Nicht nur die Charaktere sind auf ihre Weise beschränkt, auch der Handlungsort und die Tragweise der Geschehnisse sind es. Das Wirken der völlig überforderten Jugendlichen beschränkt sich nämlich auf einen kleinen Kreis. Kein übermächtiger Widersacher ist zu bezwingen, keine Präsidenten, Cheerleader oder Galaxien harren ihrer Rettung. Stattdessen spielt die Serie zu großen Teilen am aufgezwungenen Arbeitsplatz der Kleinkriminellen, in winzigen Wohnungen oder an dreckigen Flussufern, während die Protagonisten mit ihren eigenen Alltagsdämonen zu kämpfen haben und dabei regelmäßig Feigheit dem Edelmut vorziehen. Das Wetter ist schlecht, die Darsteller ungeschminkt und das Mundwerk der Figuren ausgesprochen lose.
Trotzdem kommt das vom Genre gepachtete Motto „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung.“ auch hier zum Tragen, nur eben in viel kleinerem Maße, als es zu erwarten wäre. Die Superkräfte selbst sind in der ersten Staffel ein Element, das gar nicht entscheidend ist. Sie spielen nur am Rande eine Rolle, während die unfreiwilligen Helden, die unter ihren Kräften mehr leiden als von ihnen zu profitieren, ihre normalen Probleme meist mit normalen Mitteln lösen.
Zwar ist in erster Linie die durch ihr gemeinsames Geheimnis aneinandergebundene Gruppe die Hauptperson, eine klare Leitfigur existiert aber trotzdem. Der vom Gewitter scheinbar übersehene Nathan ist es, dem nicht nur die meiste Screentime gewährt wird, sondern zudem auch ein tragisches Familienverhältnis und das mit Abstand größte Schandmaul der Serie. Obwohl es seine primäre Eigenschaft zu sein scheint, anderen Leuten mit seiner Dreistigkeit auf den Geist zu gehen, bindet man sich dank einiger starker Charaktermomente schnell und gerne an ihn. Die sehr charismatische Darstellung von Robert Sheehan hat hieran fraglos den wichtigsten Anteil.

Dem Anspruch an sich selbst, größtmögliche Authentizität an den Tag zu legen, wird die Serie hinsichtlich Figuren und Spielorten also gerecht. Erzählerisch wird leider nicht ganz so geschickt vorgegangen.
Die Zufälle stapeln sich einfach zu hoch. Insbesondere beim ersten großen Zeitsprung, der in bester Und täglich grüßt das Murmeltier-Manier stattfindet, wird dies überdeutlich. Dass die Protagonisten schon lange vor ihrem bewussten Zusammentreffen Ort und Zeit miteinander geteilt haben, ist narrativ zwar handgerecht, aber alles andere als glaubwürdig. Erschwerend kommt hinzu, dass so gut wie jede Figur, zu der unsere Antihelden Kontakt haben oder zuvor Kontakt hatten, ebenfalls vom Gewitter beeinflusst wurde – so unwahrscheinlich das auch scheinen mag. Deswegen läuft Misfits ein ums andere Mal in Gefahr, in ein typisches Monster-of-the-Week-Schema zu verfallen, bei dem alle Merkwürdigkeiten bequem durch das anfängliche Unwetter gerechtfertigt werden. Das ist schade, denn dadurch ist die Serie bei weitem nicht so einzigartig, rotzig und rebellisch, wie sie gerne wäre. Es gilt zu akzeptieren, dass es vorerst nicht um Erklärungen geht, sondern einzig um die Figuren und deren Weisen und Möglichkeiten, mit der veränderten Welt umzugehen und diese schließlich in Beziehung zu ihren eigenen Veränderungen zu setzen.
Aus diesem Grund tut es der ersten Staffel gut, dass sie nur aus 6 und nicht aus 25 Episoden besteht, sodass Abnutzungserscheinungen überwiegend ausbleiben.

Schon in Folge 1 wird klar, dass der Ab 18-Flatschen nicht grundlos auf den DVD-Hüllen klebt. Sowohl die teils doch sehr derbe Wortwahl der Protagonisten als auch der axtschwingende Bewährungshelfer sind definitiv nicht jugendfrei.
Überhaupt werden die sozialen Randexistenzen geschickt dafür genutzt, Witze abseits der Norm zu platzieren. Diese funktionieren zwar nicht immer, wirken in diesem Umfeld aber sehr natürlich und sorgen zusammen mit der ziemlich guten Musikauswahl (siehe Trailer) für die einmalige Stimmung der Serie.
Die Synchro funktioniert trotz Ausrutscher ganz anständig, ist – wie bei fast allen britischen Serien – aber dem O-Ton nicht ebenbürtig.

Fazit

Experiment geglückt. Misfits zwingt verantwortungslosen Mittzwanzigern Superkräfte auf und beobachtet, was passiert. Von der skurrilen Ausgangssituation mit der Gewitterwolke bis zum vorbildhaften Charakterdesign ist alles bestens. Die ärgerlich hohe Anzahl der Zufälle sorgt leider dafür, dass die britische Sci-Fi-Serie unterm Strich doch nicht so speziell ist, wie sie sich gibt. Doch die Weichen sind gestellt und mit den nächsten Staffeln geht das Spektakel erst so richtig los.