Attack the Block

Joe Cornish war das, was gefühlt die Hälfte aller US-Bürger ist, Comedian. Neben unbedeutenden Rollen in Filmen, die ihn in Kontakt mit Nick Frost brachten, schrieb er Drehbücher fürs TV und brachte auch ein paar Belanglosigkeiten in Eigenregie auf die Mattscheibe.
Kein heller Stern also. Doch seine nächsten Projekte lauten Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn und Ant-Man, als Autor bzw. Co-Autor.
Und dazwischen? Dazwischen kam Attack the Blog, wo er sowohl für die Geschichte als auch für deren Umsetzung verantwortlich war.

This is too much madness to explain in one text!

Story

Ein sozialer Brennpunkt in London, wo Gang-Rivalitäten – meist wegen Drogen – nicht selten bis zu Schießereien hochkochen, wird Schauplatz einer kleinen Alieninvasion mittels Meteoritenschauer. Klein, weil eigentlich nur ein paar struppige Biester in der englischen Hauptstadt aufprallen. Klein, das denken sich auch Moses und seine Gang aus kleinkriminellen Jugendlichen, die prompt zur Treibjagd blasen – schließlich kann niemand einfach so in ihren Block eindringen und Unheil stiften. Aauch keine Außerirdischen.
Nicht nur ist die von den schwarzen Space-Hunden ausgehende Bedrohung weitaus größer, als kalkuliert, plötzlich tauchen auch noch die Polizei und der wütende Drogenzar des Viertels auf und alle wollen sie dem Fünfköpfigen Freundeskreis an den Kragen. Zusammen mit der sich unfreiwillig anschließenden Krankenschwester Sam flüchten sie zurück ins das Reich ihrer Sozialwohnungen, um einen Gegenangriff zu planen.

Kritik

Anfangs darf man skeptisch sein. Schon wieder irgendwelche animalischen Aliens, die keine Ziele haben, außer ihre Zähne in Fleisch zu tauchen. Schon wieder eine Gruppe von Leuten, die über sich hinauszuwachsen hat. Schon wieder  in irgendeinem englischen Ghetto.
Gut, ein „schon wieder“ zu viel, denn das Ghetto ist neu. Oder, um es etwas kategorischer auszudrücken, die Verbindung von Science-Fiction-Film und Milieustudie ist neu und ein ziemlich schräger Einfall dazu.
Damit schafft sich Attack the Block gleich jede Menge Probleme, die insbesondere für einen mit Produktionen dieser Größe recht unerfahrenen Mann wie Herrn Cornish kein Zuckerschlecken gewesen sein dürften. Allen voran: Wie gelingt es, dass die 15-jährigen Kinder unterster Schicht mit ihrer Attitüde und dem Hip-Hop-Humor nicht nerven, sondern im Gegenteil als taugliche Hauptfiguren funktionieren – ohne dabei an Authentizität einzubüßen?

Normalerweise ist die kleine Gang aus vorlauten Kindern in Horrorfilmen dafür geeignet, sich für den Schrecken der Exposition zu opfern und dann nie wieder erwähnt zu werden. Hier wird die Einleitung aber überlebt und man schlägt sich durch die ganze Geschichte. Und das auf eine ganz eigene Weise.
Tatsächlich meistert der Film diese Probleme sehr geschickt und beschert einen Culture-Clash der ultimativen Sorte, der der Invasionsthematik frischen Drive gibt.
Das beginnt schon damit, dass die Halbstarken ihr erstes Alien, das sie mit einer Silvesterrakete erlegt haben, stolz und randvoll mit empfundener Coolness einmal quer durch die Stadt schleifen, in erster Linie aber Fifa spielen wollen. Dass die Neuankömmlinge vielleicht gar nicht so böse sein könnten (oder aber zu böse), wird in keinem Augenblick erwägt. In Folge haben sie, als sie auf das erste Geschöpf mit wirklichem Biss stoßen, nur noch Verbarrikadieren im Sinn.
In Sachen Witz pendelt man irgendwo zwischen semi-authentischem Block-Geblubber und einer schillernden Ladung kultureller Anspielungen auf Film und Vorurteil. Manches davon geht ins Leere bzw. ist einfach etwas zu gewollt, im Schnitt macht Attack the Blog aber mächtig Laune.

Durch die neue Genrewürzung ist nicht nur das Verhalten der Figuren ungleich mit dem normaler Sci-Fi-Heroen, auch die Art, wie das Ganze gefilmt wurde, unterscheidet sich immens vom Durchschnitts-ET. Alles ist etwas kleiner, näher am Charakter und unaufgeregter, nicht aber weniger intensiv.

Nick Frost als für sein Wesen viel zu alter Verlierer mit schulterlangen, fettigen Haaren, ist eine nette Dreingabe mit mikroskopisch kurzer Screentime, die für den Film mehr Werbung denn Plotbereichung ist. Aber lieber wenige kurze Szenen mit Nick Frost als Marihuanagärtner als gar keine.
Gleiches mit dem menschlichen Bösewicht. Er wirkt in seinem ganzen Tun etwas müde konzipiert, funktioniert im Gesamtbild der Stimmung ganz gut, hat aber eigentlich überhaupt keine wirkliche Funktion, sondern ist nur ein fauler Versuch, ein zusätzliches Suspense-Element miteinzubauen.
Beim Design der außerirdischen Kreaturen orientiert man sich gerne an Bekanntem, dafür sind die eigenen Ideen ein bisschen halbgar geworden. Trotzdem muss man hier Loben, was auch in vielen anderen Bereichen des Filmes hervorzuheben ist: Lieber klein, wenig und dafür richtig, als groß, zu dick aufgetragen und am Ende zu sperrig, um mit der Dramaturgie vereinbar zu sein.

Fazit

Aber wenn nicht alle Einzelheiten frisch sind, das Gesamtpaket ist es umso mehr. Die Verschnürung der beiden einander doch sehr unähnlichen Genres sorgt für ein kurzweiliges Spektakel, das gut gefilmt und gut gespielt ist, launige Momente hat, frech daherkommt und zum Schluss seinen jugendlichen Nachwuchsgangstern einen Gefallen erweist, indem das Finale einfach schweinecool ist.

Misfits – Staffel 1

Spätestens nach X-Men und Spiderman war klar, dass der Anfang des neuen Jahrtausends in cineastischer Hinsicht ohne Zweifel den Superhelden gehört. Insbesondere Marvel schickte Mal um Mal die Comicrecken auf die Leinwand, bis die Angelegenheit in diesem Jahr mit Marvel’s The Avengers ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte.
Heroes war eines der Experimente, die Prototypen der Gesellschaft mit übermenschlichen Fähigkeiten bestückte und damit in Serie ging. Die vorgebliche Normalität der Figuren wich aber recht bald dem typischen Heldeneifer und zudem zerfaserte die Serie immer weiter, bis von den anfänglichen Qualitäten nur noch wenig vorzufinden war.
2009 betrat Misfits die Bildfläche, griff die Prämisse von Heroes auf und strengt sich seither an, die Fehler des Serienvorreiters zu vermeiden und dabei rotzfrech auszusehen.


You’re dumping me with a line from Spiderman?

Story

Nathan, Curtis, Alisha, Kelly und Gary vereinen all die Eigenschaften, die ältere Generationen  seit jeher der Jugend zum Vorwurf machen. Es sind rücksichtslose, asoziale, straffällige Halbstarke, die jeder für sich ohne Perspektive sind.
Als sie einander zum ersten Mal im fiktiven Londoner Stadtteil Wertham begegnen, tragen sie orangefarbene Overalls und sind dazu verdonnert, Sozialstunden unter der Aufsicht ihres Bewährungshelfers Tony abzuleisten.
Plötzlich verhängen ausgesprochen seltsame Gewitterwolken den Himmel und im nächsten Augenblick stürzen Hagelkörner in Melonengröße auf London nieder. Auf ihrer Flucht werden die Jugendlichem vom Blitz getroffen und verfügen seitdem über eigenartige Fähigkeiten. Kelly wird zur Telepathin, Curtis kann die Zeit beeinflussen, der sowieso von niemandem wahrgenommene Außenseiter Simon erhält die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, und Alisha verdammt jeden, der sie berührt, zur sexuellen Willenslosigkeit. Nathan hingegen scheint ohne besondere Fähigkeit. Und Gary hat womöglich eine, kann sie aber nicht einsetzen, weil er direkt nach dem Sturm vom plötzlich rasenden Bewährungshelfer hingerichtet wird. Denn nicht nur sie, sondern auch andere Bürger Londons sind seit dem Wetterphänomen verändert. In Notwehr töten die Fünf ihren Bewährungshelfer und müssen die Tat nicht nur vertuschen und mit deren Folgen leben, sondern zusätzlich lernen, ihre eigenen Kräfte irgendwie zu beherrschen und sich vor denen anderer in Acht nehmen.

Kritik

Da ist er also, der Gegenentwurf zu den strahlenden Helden im Elastananzug, der wie das verhaltensauffällige Kind von Chronicle und Heroes wirkt. Und die Idee, ein paar Vertretern der No-Future-Generation klassische Superkräfte zu verleihen, geht erstaunlich gut auf.
Manche Serien fangen spitze an und sinken ins Unerträgliche ab, manche starten unerträglich und werden spitze. Misfits versucht nicht, dem Zuschauer etwas vorzuspielen und schlägt von Minute 1 einen Ton an, der dem die restlichen Episoden treu bleiben werden.
Die Kombination aus hoffnungslos asozialen Jugendlichen und dem Sci-Fi-Einschlag durch Superkräfte schafft eine ganz spezielle Atmosphäre, die von der tristen Farbgebung und den grauen Spielorten noch untermauert wird. Der Serie glückt eine schwere Gratwanderung, indem die Hürde genommen wird, den Zuschauer für die Charaktere zu interessieren, obwohl ein jeder von ihnen mehr als nur eine unsympathische Eigenschaft parat hat. Selbst Figuren, die auf den ersten Blick vollkommen unerträglich wirken, lassen einen spätestens nach zwei Folgen nicht mehr zur Gänze kalt. Die vollkommene Normalität der Protagonisten bringt nämlich auch nachvollziehbare und vertraute Probleme mit sich, die ihr Handeln vielleicht nicht legitimieren, aber immerhin verständlich machen.
Nicht nur die Charaktere sind auf ihre Weise beschränkt, auch der Handlungsort und die Tragweise der Geschehnisse sind es. Das Wirken der völlig überforderten Jugendlichen beschränkt sich nämlich auf einen kleinen Kreis. Kein übermächtiger Widersacher ist zu bezwingen, keine Präsidenten, Cheerleader oder Galaxien harren ihrer Rettung. Stattdessen spielt die Serie zu großen Teilen am aufgezwungenen Arbeitsplatz der Kleinkriminellen, in winzigen Wohnungen oder an dreckigen Flussufern, während die Protagonisten mit ihren eigenen Alltagsdämonen zu kämpfen haben und dabei regelmäßig Feigheit dem Edelmut vorziehen. Das Wetter ist schlecht, die Darsteller ungeschminkt und das Mundwerk der Figuren ausgesprochen lose.
Trotzdem kommt das vom Genre gepachtete Motto „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung.“ auch hier zum Tragen, nur eben in viel kleinerem Maße, als es zu erwarten wäre. Die Superkräfte selbst sind in der ersten Staffel ein Element, das gar nicht entscheidend ist. Sie spielen nur am Rande eine Rolle, während die unfreiwilligen Helden, die unter ihren Kräften mehr leiden als von ihnen zu profitieren, ihre normalen Probleme meist mit normalen Mitteln lösen.
Zwar ist in erster Linie die durch ihr gemeinsames Geheimnis aneinandergebundene Gruppe die Hauptperson, eine klare Leitfigur existiert aber trotzdem. Der vom Gewitter scheinbar übersehene Nathan ist es, dem nicht nur die meiste Screentime gewährt wird, sondern zudem auch ein tragisches Familienverhältnis und das mit Abstand größte Schandmaul der Serie. Obwohl es seine primäre Eigenschaft zu sein scheint, anderen Leuten mit seiner Dreistigkeit auf den Geist zu gehen, bindet man sich dank einiger starker Charaktermomente schnell und gerne an ihn. Die sehr charismatische Darstellung von Robert Sheehan hat hieran fraglos den wichtigsten Anteil.

Dem Anspruch an sich selbst, größtmögliche Authentizität an den Tag zu legen, wird die Serie hinsichtlich Figuren und Spielorten also gerecht. Erzählerisch wird leider nicht ganz so geschickt vorgegangen.
Die Zufälle stapeln sich einfach zu hoch. Insbesondere beim ersten großen Zeitsprung, der in bester Und täglich grüßt das Murmeltier-Manier stattfindet, wird dies überdeutlich. Dass die Protagonisten schon lange vor ihrem bewussten Zusammentreffen Ort und Zeit miteinander geteilt haben, ist narrativ zwar handgerecht, aber alles andere als glaubwürdig. Erschwerend kommt hinzu, dass so gut wie jede Figur, zu der unsere Antihelden Kontakt haben oder zuvor Kontakt hatten, ebenfalls vom Gewitter beeinflusst wurde – so unwahrscheinlich das auch scheinen mag. Deswegen läuft Misfits ein ums andere Mal in Gefahr, in ein typisches Monster-of-the-Week-Schema zu verfallen, bei dem alle Merkwürdigkeiten bequem durch das anfängliche Unwetter gerechtfertigt werden. Das ist schade, denn dadurch ist die Serie bei weitem nicht so einzigartig, rotzig und rebellisch, wie sie gerne wäre. Es gilt zu akzeptieren, dass es vorerst nicht um Erklärungen geht, sondern einzig um die Figuren und deren Weisen und Möglichkeiten, mit der veränderten Welt umzugehen und diese schließlich in Beziehung zu ihren eigenen Veränderungen zu setzen.
Aus diesem Grund tut es der ersten Staffel gut, dass sie nur aus 6 und nicht aus 25 Episoden besteht, sodass Abnutzungserscheinungen überwiegend ausbleiben.

Schon in Folge 1 wird klar, dass der Ab 18-Flatschen nicht grundlos auf den DVD-Hüllen klebt. Sowohl die teils doch sehr derbe Wortwahl der Protagonisten als auch der axtschwingende Bewährungshelfer sind definitiv nicht jugendfrei.
Überhaupt werden die sozialen Randexistenzen geschickt dafür genutzt, Witze abseits der Norm zu platzieren. Diese funktionieren zwar nicht immer, wirken in diesem Umfeld aber sehr natürlich und sorgen zusammen mit der ziemlich guten Musikauswahl (siehe Trailer) für die einmalige Stimmung der Serie.
Die Synchro funktioniert trotz Ausrutscher ganz anständig, ist – wie bei fast allen britischen Serien – aber dem O-Ton nicht ebenbürtig.

Fazit

Experiment geglückt. Misfits zwingt verantwortungslosen Mittzwanzigern Superkräfte auf und beobachtet, was passiert. Von der skurrilen Ausgangssituation mit der Gewitterwolke bis zum vorbildhaften Charakterdesign ist alles bestens. Die ärgerlich hohe Anzahl der Zufälle sorgt leider dafür, dass die britische Sci-Fi-Serie unterm Strich doch nicht so speziell ist, wie sie sich gibt. Doch die Weichen sind gestellt und mit den nächsten Staffeln geht das Spektakel erst so richtig los.