Frequencies

Wem Popcorn und Inbetweeners nichts sagt, gehört zum absolut größten Teil der Menschheit. Drum lässt sich sagen, dass Frequencies der erste richtig große Wurf von Regisseur und Autor Darren Paul Fisher ist. Und dieser erfolgt in eine durchaus abenteuerliche Richtung.

Tell me the process.

Story

Alle Menschen haben eine eigene Frequenz, die angibt, wie gut oder schlecht man im Leben zurechtkommt. Ist eine Frequenz besonders hoch, ist es auch die natürliche Lebenskompetenz des Menschen. Mit ihr aber sinkt auch die Fähigkeit zu Emotionen.
Marie hat die höchste bekannte Frequenz, Zak die niedrigste. Demzufolge ist sie emotionslos wie ein Stein, er hingegen voller Affekte. Wenn sich beide in kurzer Distanz zueinander befinden, rebelliert die Physik. Kleinere Beben lassen die Erde vor Spannung erzittern, Naturgewalten stauen sich auf – das Universum ist bemüht, dieses Aufeinandertreffen gegensätzlicher Pole irgendwie zu verhindern.
Trotzdem verliebt sich Zak und Marie – oder vielleicht auch gerade deswegen. Und da er zwar nicht so gut in der Welt zurechtkommt, nichtsdestotrotz aber ein ausgesprochen helles Köpfchen ist, versucht er, den Naturgesetzen ein Schnippchen zu schlagen.
Doch ganz so einfach ist das nicht – etwas, das allem voran auf die Geschichte und die handelnden Personen zutrifft, wie sich nach und nach hervortut

Kritik

Der Zuschauer ist hineingeworfen in eine Parallelwelt, in der eigentümliche Gesetzmäßigkeiten das Sein bestimmen, ohne dass diese in Form einer irgendwie gearteten Einleitung vorgestellt werden. Erst nach und nach gräbt man sich durch diesen Steinbruch, erkennt langsam, was normal und was auch für diese Welt nicht die Regel ist. Dabei stößt man manchmal auf Wundersames, beizeiten sogar auf Wunderbares und häufig auf Wunderliches.
Die Welt hat einen sonderbaren Zauber, wirkt wie ein modernes Märchen, ist dabei aber nie anbiedernd, sondern mit schöner Selbstverständlichkeit absonderlich, durchgängig verschroben, ohne es aber so weit zu treiben, dass etwas albern oder unerträglich aufgesetzt wirkt. Und sie ist auf eine mulmige Weise unheimlich, weil man oft nicht weiß, ob das, was passiert, im Rahmen dieser ungewöhnlichen Welt normal ist oder nicht.
Was Frequiencies auf den ersten Blick interessant macht, ist seine multiperspektivische Erzählstruktur. Wie sich Zak und Marie über die Jahre ihres ersten Lebensdrittels hindurch ein paar wenige Male für die Dauer von einer kritischen Minute begegnen, wird nach und nach aus den Blickwinkeln einer anderen Figur gezeigt. Wie bei Zeitreisegeschichten á la Predestination lebt der Film davon, dass der Betrachtungswinkel des Zuschauers immer ein Stückchen erweitert wird, Situationen plötzlich doppelte Böden offenbaren und man den Konturen eines größeren Planes nach und nach dabei zuschaut, zum Vorschein zu treten.
Gerade hier schummelt Frequencies aber ein wenig, denn die entscheidenden Szenen sind immer wieder leicht verändert, um das Schauen interessant bleiben zu lassen und dem Zuschauer vorzugaukeln, er würde Neues im Alten sehen, obwohl er tatsächlich doch nur Neues sieht, das tut, als wäre es zuvor bereits dagewesen. Wer will, kann sich dies aber schönreden, indem er es auf die Fokalisierung des Films schiebt, die eben nicht aus dem direkten Umfeld, sondern der Wahrnehmung des Charakters besteht. Auch lässt sich das Ende mit ein wenig erzwungener Mühe dafür instrumentalisieren lassen, diesen Umstand zu rechtfertigen. Aber man würde es dem Film zu leicht machen, auf Zwang eine Erklärung dafür zu suchen, dass er den Zuschauer bewusst hinters Licht führt – dabei hätte er es gar nicht nötig, ein solch falsches Spiel zu spielen.
Dennoch: Diese Doppelbödigkeit ist es, die Frequencies von ähnlichen Parabel-Filmen abhebt. Es geht nicht allein um die platte Botschaft, dass bestimmte Dinge falsch laufen und andere falsch betrachtet werden, um damit einen allen vertrauten Wert zu vermitteln. Im Zentrum stehen tatsächlich die Figuren, die mehr sind als nur schlaffe Transportmittel für eine konsensuale Message. Denn sie treiben ihr ganz eigenes Spiel treiben, und sind immer wieder für ein kleines Staunen gut. Dass der Film es schafft, den Zuschauer diesen grundsätzlich sympathischen Figuren nach einer Weile mit einem gewissen Misstrauen gegenüberzutreten zu lassen, ist eine Leistung, die es zu würdigen gilt; zudem dies zwangsläufig auch bedeutet, dass diesem oberflächlich leichtfüßig inszeniertem Film nach einer Weile nicht mehr abgenommen wird, dass alles so ist, wie es scheint. Auch, aber nicht nur aufgrund der oben erwähnten Tatsache, dass hier betrogen wird.
Gewöhnungssache ist, dass all das wie ein mühselig zusammengefilmtes Theaterstück wirkt. Die ganze Leier von der Parallelwelt ist nur unschwer als Parabel zu erkennen und dementsprechend grobschlächtig führen hier die Leute auch ihre Gespräche, die manchmal zu unnatürlich, manchmal zu stereotyp daherkommen und beizeiten beides vereinen. Da ist es fast schon zuträglich, dass die Kamera den Theatereindruck unterstreicht, indem es die Schauspieler so ins Bild setzt, dass es tatsächlich so wirkt, als stünden sie auf einer Bühne. So fügen sich die teils arg artifiziellen Dialoge besser ins Gesamtbild und richten am Ende weniger Schaden an, als es eigentlich der Fall wäre.
Was ganz abseits davon nahegeht, sind die angedeuteten familiären Verhältnisse, in denen Marie aufwuchs und die sie zurückließ. Was das Leben eines Kindes bewirkt, wenn dieses ähnlich emotional ist wie eine Maschine und somit auch das nahe Umfeld bis hin zu den Eltern mit purem Kalkül abschätzt, zeigt der Film nicht direkt, lässt es jedoch erahnen. In den traurigen Blicken von Mutter und Vater, ihrer hektischen Mimik, der Hilflosigkeit, mit der sie immer schon ihrer Tochter gegenüberstanden. Was bleibt, ist nur die Flucht vor der eigenen Ohnmacht hinein in leere Gesten wie eingespielter Höflichkeiten, Routinephrasen, Smalltalk eben, der noch viel smaller ist als gemeinhin schon, weil er tatsächlich nur um seiner selbst willen geführt wird.

Im letzten Drittel entwickelt sich die Geschichte in interessanter Weise weiter. Nicht, weil es einen unvorhersehbaren Kniff gibt, sondern weil das Universum logisch erweitert wird. Das wäre noch erfolgreicher, als es im Endeffekt ist, ginge es nicht mit einer selten lächerlichen Szene einher, in der ein Haufen unglaubwürdiger Wissenschaftler vor einem Clipboard steht, während der Film durch Schnitte weiszumachen versucht, sie seien allesamt sagenhaft klug.
Und so interessant es auch ist, zu beobachten, wo diese fraglos eigenständige Geschichte sich hin entwickelt, gilt es doch festzuhalten, dass Frequencies auch an dieser Stelle wieder flunkert. Denn während der Film durch probate Mittel versucht, all das Geschehende so aussehen zu lassen, als würde es unweigerlich und mit letzten Endes verblüffend logischer Konsequenz erfolgen müssen, so knüpfen die Plot Points eigentlich ganz und gar nicht so unweigerlich aneinander, wie es dem Zuschauer glauben gemacht werden soll.
Schlimm ist das nicht sonderlich, etwas unerfreulich ist die Erkenntnis aber, dass von allen Manipulatoren in seiner Handlung, der Film als solcher der größte von ihnen ist. Aber vielleicht ging es Darren Paul Fisher letztlich ja auch exakt darum. Auch hier könnte das Ende wieder für eine Rechtfertigung bemüht werden. Muss es aber nicht.

Fazit

Darren Paul Fishers SciFi-Romanzen-Verschwörungsthriller in einer obskuren Parallelwelt hat genug Alleinstellungsmerkmale, um allein deshalb gesehen werden zu können. Aber auch die Geschichte mit ihrem philosophischen Anstrich und die Freude daran, etwas Fantastisches zu erzählen, machen Frequenices zu einem absolut sehenswerten Film.
Deswegen tut es fast ein bisschen weh, dass er doch nicht noch besser ist – Potenzial hat die Idee allemal. Das zeigt sich auch daran, dass Frequenices zu der seltenen Sorte Film gehört, die lange Zeit nach ihrem Gesehenwerden in den Gedanken präsent bleibt.

It’s all about Love

Thomas Vinterberg ist neben Lars von Trier der wohl bekannteste Mitbegründer der Dogma-95-Bewegung. Sein erstes richtiges Projekt nach seinem Erfolg von Das Fest war dann gleich ein internationales, das wie so häufig nie so richtig bekannt wurde. Mit It’s all about Love hat es der Däne seinem Publikum aber auch nicht leicht gemacht.

I don’t want to fly. We are not Angels. We are human beings.

Story

John will im Jahre 2021 eigentlich nur kurz in New York zwischenlanden, damit seine Ex-Frau, die weltberühmte Eiskunstläuferin Elena, die Scheidungspapiere unterschreiben kann. Am Flughafen trifft er nicht sie, sondern zwei Anzugträger, die John in ihrem Auftrag dazu anhalten, sie zu begleiten, denn Elena sei verhindert, da sie am gleichen Abend eine Premiere habe.
Der Kurze Zwischenstopp weitet sich auf mehrere Tage aus, als John feststellt, dass irgendetwas Eigenartiges im Gange zu sein scheint. Die Idylle, die die Familie seiner Ex-Frau ausstrahlt, zeigt deutliche Risse, ja, die gesamte Umgebung strahlt Unheimliches aus und die psychisch labile Elena immer wieder ängstlich deutet an, sich in großer Gefahr zu befinden.
Dies alles geschieht in Zeiten sonderbaren Wandels. In Uganda fangen die Menschen plötzlich an zu fliegen, an einem Tag im Jahr gefriert sämtliches Süßwasser und überall auf der Welt sterben die Leute an gebrochenem Herzen.

Kritik

Von einem Film, in dem unter anderem Joaquín Phoenix, Claire Danes, Sean Penn und Marc Strong mitspielen, darf man wohl zu Recht eine erstklassige Darbietung der Mimen erwarten. Ein Film, der It’s all about Love heißt, schürt aber auch Erwartungen in eine andere Richtung. Sie alle werden erfüllt. Geboten wird nicht nur tolles Spiel, sondern auch ein sehr experimentelles Grundkonzept mit ungewöhnlichem Drehbuch, expressivem Bühnenbild und inszenatorischer Raffinesse. Doch verliert der Film bei seiner Liebe zum Außerordentlichen nicht nur seine Geschichte aus den Augen, sondern zunehmend auch die Bodenhaftung.
Der Anfang ist eine Freude. Eine sonderbare Grundstimmung in einer sonderbaren Welt und eine der unheimlichsten Szenen jüngerer Filmgeschichte. Das sehr eigene Kompositum aus skurrilem Humor, Gruselstimmung und zynisch-dramatischen Bildern von Toten auf der Straße lässt am ehesten den Eindruck einer Satire entstehen. Und eine Satire ist It’s all about Love auch, allerdings eine, die bitterer als heiter ist und mit viel Symbolik und Theatralik daherkommt.
Mit seiner bedeutungsschwangeren Art treibt es der Film gerne auch zu weit. Das ist über weite Strecken nicht schlimm, denn vor allem anderen ist die dystopische Liebesgeschichte ein inszenatorisch ungeheuer erhebendes Stück Wertarbeit, gegen Ende öffnet sich die Kluft zwischen Anspruch und Ergebnis aber immer weiter.
Bis dahin ist es aber eine Freude, dabei zuzusehen, wie der Film fast schon spielerisch hin und her hoppst zwischen Mystery, Grazie und Drama und dabei scheinbar mühelos jederzeit stringent und in sich schlüssig wirkt, während die einzelnen Stimmungen, die einander eigentlich so fremd, ineinander aufgehen. Das spiegelt sich auch auf klanglicher Ebene wieder, wenn immer wieder zärtliche Harmonien Zbigniew Preisners auf unheilvolles Dröhnen gelegt werden, beide Spuren einander aber nicht bekämpfen, sondern sich in spezieller Weise aufeinander beziehen.

Das alles sind Dinge, die ziemlich gut darüber hinwegtäuschen können, dass Thomas Vinterbergs Sci-Fi-Fabel kaum Geschichte und Substanz hat. Ja, es passiert viel. Da wird immer mal wieder weggerannt und dann sofort wieder intrigiert, Nachrichtenausschnitte geben Kostproben von globalen Merkwürdigkeiten, komische Gestalten halten komische Ansprachen, man sieht einiges an Eiskunstlauf und regelmäßig finden die Liebesspiele zwischen John und Elena an diversen Örtlichkeiten statt. Doch ist die Geschichte selbst verhältnismäßig dünn und kommt kaum voran. Das macht den Film nicht kaputt, denn unterhaltsam ist er aufgrund seines perfektionistischen Stils und dem ganzen Hin und Her in Sachen Details- und Stimmungen ja schon, wünschenswert wäre es aber gewesen, wenn der eigentliche Erzählstrang mehr zu bieten hätte. So ist die Story nicht nur ziemlich schmächtig, sondern auch nur mäßig interessant ausgefallen. Schade ist außerdem, dass die durchgehend tadellose Ausführung zum Ende hin merklich nachlässt und das Geschehen darüber hinaus im letzten Viertel plötzlich sehr gehetzt wirkt, was dem Gesamteindruck einen kleinen Stoß versetzt. Wenn dann auch die unterschwellig sowieso schon immer drohende Theatralik auch noch die Überhand gewinnt, während Symbolträchtigkeit, Kitsch und künstlich aussehendes Schneegestöber aufeinanderprallen, dann können die vielen Schönheiten des Filmes das nicht mehr überdecken. Die formvollendete Kameraarbeit Anthony Dod Mantles (Dredd) tritt zu diesem Zeitpunkt ebenso die Talfahrt an, wie der Rest. Dieser akute Nachlass an Qualität ist derart augenfällig, dass man fast meinen könnte, es wäre Teil des Konzeüts – und zu Vinterbergs Dogma-95-Hintergrund würde das durchaus passen. Doch ganz davon abgesehen, dass er selbst seinen Film als Anti-Dogma-Werk betitelt, lässt es sich auch einfach nicht schönreden, was da geschieht.

Und dann ist da noch Sean Penn als Johns reisender Bruder, der Schriftsteller ist, aber eigentlich nur redet. Laut in Headsets redet, inmitten vollbesetzter Flugzeuge, Sätze sagt, die der Tiefe und der Wahrheit, die in der Liebe der Protagonisten liegt, Flügel geben sollen. Wer der Meinung ist, Penns Rolle in The Tree of Life sei überflüssig, der wird dies nach It’s all about Love wahrscheinlich noch mal überdenken. Terrence Malick ist übrigens ein wohl gar nicht so verkehrtes Stichwort, wenn man transportierte Gefühle, vor allem aber die Ambitionen des Filmes an einem Vergleich festmachen möchte. Nur unterscheiden sich Malicks Werke und It’s all about Love gravierend voneinander, wenn es um die Umsetzung dieser Ambitionen geht.
Zurück aber zu Johns Bruder. Sein großes Ziel ist es, einen Bricht über den Zustand der Welt zu schreiben. Und ja, dafür gibt es diese Figur, denn das möchte der Film – wie ja so viele Science-Fiction-Werke – gerne sein: Ein Bericht über den Zustand der Welt. Doch auch, wenn sicher viel Wahres in den kleinen und großen Problemen, die im Film auf mannigfaltige Weise thematisiert werden, so sollte ein solcher Bericht, wenn er Wahrheit für sich beansprucht, doch Abstand nehmen von zu viel Kitsch. Denn leider Gottes ist in dieser Welt für den wahren Nicht-Vorweihnachtskitsch einfach kein Platz.

Fazit

Auch wenn die tatsächliche Geschichte nur eine hauchdünne Membran zwischen Stimmung und Ästhetik ist, ist It’s all about Love in erster Linie interessant und durchaus kurzweilig. Es ist ein Essay über die moderne Gesellschaft, mit all ihren Tücken, Prioritäten und Begleiterscheinung, geschrieben in einer Sprache, die bisweilen arg pathetisch klingt und versetzt mit Metaphern, die zu oft den Eindruck erwecken, vorrangig um ihrer selbst zu existieren.
Freude bereitet Vinterbergs Parabel allein schon wegen ihrer technischen Perfektion und dem gekonnten Spiel mit Stimmungen. Abgesehen davon, dass der Film zum Ende hin stark nachlässt, muss man aber damit leben, dass er einfach viel weniger ist, als er zu sein vorgibt.

Das Mädchen, das durch die Zeit sprang

Ein modernes Zeitreisedrama, das auf dem schon vielfältig adaptierten 67er-Kultroman mit gleichem Namen stammt, der vom bis heute tätigen Sci-Fi-Urgestein Yasutaka Tsutsui (Paprika) verfasst wurde. Inszeniert wurde das Zauberwerk von Mamoru Hosoda, der einerseits Projekte wie Digimon-Filme verwirklichte, andererseits aber auch schon als Regisseur für das Meisterwerk Das wandelnde Schloss vorgesehen war. Er heimste dreimal in Folge den Preis für den besten Anime ein beim Sitges Festival Internacional de Cinema Fantàstic de Catalunya – das erste Mal für Das Mädchen, das durch die Zeit sprang, welcher von einem vielfältigen wie namenhaftem Künstlerteam realisiert wurde.
Und dazu deutlich vielschichtiger ist als man beim ersten Hinschauen vermutet.

Time Waits For No One.

Story

Die 17-jährige Makoto ist ein ganz gewöhnliches Mädchen, das verspätet in den Unterricht platzt und mit ihren besten Freunden von Herzen gerne Baseball spielt. Außerordentlich an ihr ist lediglich die Menge an Missgeschicken, die sie durch ihr tapsiges Verhalten magnetisch anzuziehen scheint.
Eine entscheidende Wendung bekommt ihr Leben, als sie über ein walnussförmiges Objekt stolpert, das ihr die Fähigkeit verleiht, über eine begrenzte Distanz in der Zeit zurückzureisen. Etwas, das nicht durch Willensstärke, sondern durch Stürze beziehungsweise große Sprünge vonstattengeht. Ein Umstand, der ihr frühzeitig das Leben retten wird.
Nach und nach lernt sie, diese Funktion bewusst einzusetzen und für die Revidierung kleinerer Alltagsfehler zu nutzen. Alsbald muss sie feststellen, wie unberechenbar Kausalität ist und dass ein vermeintlich vermiedener Fehler nicht selten viel größeres Unglück nach sich zieht.

Kritik

Das Mädchen, das durch die Zeit sprang gibt sich eingangs unverkennbar als beschwingtes Jugenddrama, das mit warmem Humor eine fantastische Komponente einführt und ein ganz normales Mädchen dadurch kleine Abenteuer durchleben lässt, die eine klassische, aber ungezwungen dargebotene Moral mit sich bringen.

Das alles in minimal gewöhnungsbedürftigen, aber passenden Zeichnungen, flüssig animiert und mit genau der richtigen Menge an Details, um einen ganz eigenen Stil zu ergeben. Die Figuren sind schön geschrieben, die Musik setzt mit einer Mischung aus Eigenkompositionen und Bach genau die richtigen Akzente und alles hält ein angenehm unaufgeregtes Tempo, ohne sich jemals auch nur im Ansatz zu ziehen. Ein Frühlingsfilm. Und etwas, das gehörig durchgeschüttelt wird, wenn man es mit wachem und analytischem Blick zu wenden beginnt. Dann stellt sich heraus, dass die oberflächlich süße Geschichte von einer gar nicht so süßen Über-Story ummantelt ist.

Der Anime provoziert Sehgewohnheiten in starkem Maßen, tut dies aber derart geschickt, dass es dem Zuschauer womöglich gar nicht auffällt, er die Provokation übersieht und den ganzen Film über nicht drauf eingeht. Es ist überraschend, wie schnell man der trickreichen Inszenierung auf den Leim geht. Der Madhouse-Anime funktioniert nämlich wie ein Zaubertrick, der derart gut ist, dass man nicht nur nicht sieht, wie er funktioniert, sondern im besten Fall übersieht, dass er überhaupt funktioniert, weil die Ablenkung so außerordentlich geraten ist, dass man nicht nur die im Ärmel versteckten Karten, sondern gleich den ganzen Magier übersieht.
Was ist gemeint und woran liegt das?
Inszeniert und aufgezogen ist Das Mädchen, das durch die Zeit sprang wie ein klassischer Chick Flick. Eine tollpatschige, aber ungemein liebenswerte Schülerin bekommt ein kleines, ganz persönliches Geheimnis und nutzt es, um im Auftrag von Kurzweil und Herzschmerz ein wenig Chaos anzurichten. Harmlos, süß und kindgerecht. Das sagen die Bilder, das sagen die Dialoge und das sagt auch die Musik. Deshalb achtet der Zuschauer ganz automatisch auf bestimmte Dinge mehr und auf andere weniger. Wir sind so trainiert, dass wir in einem bestimmten Genre nur Bestimmtes erwarten und anderes wiederum einfach hinnehmen, ohne es zu großartig hinterfragen. Das schließlich ist die Aufgabe von Genreunterteilungen – die Erschaffung und Erfüllung von Erwartungshaltungen, sodass bestimmte Kost zu bestimmtem Appetit gereicht wird. Wenn diese Erwartungen durchbrochen werden und doch eine Überraschung hinter der ersten Ebene lauert, muss diese entsprechend in Szene gesetzt werden, damit ihre Wirkung nicht verpufft und der Zuschauer in ausreichendem Maße verblüfft ist, anstatt mit Fragezeichen und Schulterzucken zurückzubleiben. Schwebt die Variation im Gewöhnlichen hingegen nur unscheinbar am Rande vorbei, trickst sie unseren Aufmerksamkeitsfokus allzu schnell aus und wird von unserer Wahrnehmung ganz einfach aussortiert. Da der Film auch funktioniert, wenn man ihn lediglich als unbeschwerte Zeitreiseromanze betrachtet, ist das nicht schlimm. Wer den Film so sehen möchte, kann ihn so sehen, wird eine gute Zeit haben und kaum etwas vermissen. Das ist die phänomenale Leistung von Das Mädchen, das durch die Zeit sprang: Es ist mehr Filme als nur einer.

Wenn man sich öffnet und zwingt, einmal die Genregrenzen auszublenden, wenn man versucht, alle Details von ihrer Inszenierung unabhängig zu betrachten und den Film in möglichst großer Distanz zu schauen, dann wird es interessant. Plötzlich tauchen Fragen auf, die dem Ganzen eine unheimliche, sehr unangenehme Note verleihen und den leichtfüßigen Gang ins Stolpern bringen. Manche Dinge, die nur am Rande Erwähnung bekommen, entpuppen sich als zentrale Motivierungen und andere wiederum verwandeln sich von einer guten Fee in eine verbitterte Hexe. Plötzlich erlaubt Das Mädchen, das durch die Zeit sprang nicht nur viele Lesarten – es fordert sie sogar ein. Auf einmal spielt die Romanvorlage von Yasutaka Tsutsui eine entscheidende Rolle, da sie vielleicht mehr als bloße Vorlage war. Denn es ist sicherlich kein Zufall, dass die dort geschilderten Geschehnisse sich 20 Jahre früher ereignen als die im Film.
Bestimmte Personen erscheinen in anderem Licht und allen voran die Perspektivierung der ganzen 100 Minuten sollte gründlich in Frage gestellt werden. Ist der Film etwa nur so naiv-heiter, weil er von der naiv-heiteren Makoto erzählt wird, die gar nicht so recht versteht, was ihr widerfährt? Es ist auf jeden Fall kein schlechter Rat, die angebotene Fokalisierung grundlegend zu problematisieren und darüber hinaus nicht jedes Wort aus einem scheinbar vertrauenswürdigen Mund für bare Münze zu nehmen, sondern alles Angebotene gründlich auf Plausibilität abzuklopfen.
Dies sollen Hilfestellungen und vage Hinweise, keineswegs aber Erklärungen sein. Man muss selbst hinter die Kulissen gelangen und das Gesehene aus eigener Motivation mit eigenen Mitteln verstehen. Die Beschäftigung mit dem Stoff bereitet dann die größte Freude, wenn man sich ohne fremde Hilfe in seinen Irrgarten wagt. Und wer weiß, vielleicht wartet in seinem Herzen ja ein Mindfuck hoher Güte.

Fazit

Oberflächlich ein vergnüglicher Film über Mädchen, Mädchenprobleme und ein bisschen Fantastik. Und so funktioniert der Sci-Fi-Anime durchgehend und durchgehend gut. Daher wird er auch gerne als Kinderfilm begriffen und kann Kindern auch gefahrlos vorgesetzt werden. Gibt man sich aber Mühe, ein paar Vorhänge beiseite zu ziehen und das Gezeigte nicht nur hinzunehmen, sondern unablässig zu drehen und zu wenden, offenbart sich, dass der Würfel weit mehr als nur die einem zugewandte Seite besitzt.
Ein schönes, toll inszeniertes und clever aufgezogenes Spiel mit nicht nur doppeltem Boden, das gleich als mehrere Filme funktioniert. Selten hat sich hinter scheinbar ungefährlichem Charme eine solche Tragik aufgehalten.

Mr. Nobody

Nach Toto der Held und Am achten Tag folgte 13 Jahre lang kein Film mehr vom belgischen Ausnahmeregisseur Jaco Van Dormael, der sich in der Zeit ganz dem Theater widmete. Mit Mr. Nobody lieferte er 2009 ein unerwartet mächtiges Comeback. Wieder handelt sein Film von Außenseitern und einschneidenden Erlebnissen. Trotzdem ist die in sich verschlungene Mischung aus Sci-Fi, Tragödie und Liebesfilm ganz anders als die oben genannten Arbeiten.

Es heißt, wenn man etwas langsamer atmet, vergeht die Zeit langsamer.

Story

Im Jahre 2092 ist der Tod besiegt und jeder hält sich ein possierliches Hausschwein. Ein 118 Jahre alter Mann ist der Letzte in einem sterblichen Körper und seine finalen Tage werden als große Reality-Show inszeniert. Während die Welt darüber abstimmt, ob man ihn eines natürlichen Todes sterben lassen oder sein Leben künstlich verlängern sollte, versucht sich der demente Herr seines Werdeganges zu entsinnen. Ein Hypnotiseur und ein Journalist wollen unabhängig voneinander zu seinen Erinnerungen durchdringen.
Er erzählt ihnen die Lebensgeschichte von Nemo Nobody. Doch eigentlich sind es viele Geschichten, viele Entwürfe eines Lebens, die vielleicht aber allesamt gelebt wurden. Er erzählt von einem Jungen, der die Gabe hat, in die Zukunft zu sehen. Er erzählt von Scheitern, Lieben, Verzweifeln, Reue und einer Mission auf dem Mars. Vor allem aber erzählt er von Entscheidungen und wie diese den Weg aller bestimmen. Er erzählt vom Schmetterlingseffekt.
Welches der Leben das tatsächliche von Nemo war oder ob er womöglich doch jede dieser parallelen Realitäten durchlebt hat und welchen Grund die scheinbar paradoxen Ausführungen des Greises haben, erschließt sich nur zaghaft im Verlauf seiner Retrospektiven.

Kritik

Nemo Nobody wird von zwei Darstellern verkörpert. Als 15-jähriger spielt ihn Toby Regbo, der das Leiden eines Kindes, das vor der vielleicht schwierigsten Entscheidung seines Lebens steht und dann mit deren Konsequenzen hadert, jederzeit kompetent begreiflich macht. Von diesem Punkt an entfalten sich drei Lebenskonzepte, die sich selbst an bestimmten Weichen wieder teilen und parallel zueinander weiterfahren. Die meiste Zeit begleitet der Film einen Nemo, der die 30 überschritten hat und von Jared Leto gespielt wird.
Egal, ob als brav frisierter Bewohner eines Vorort-Puppenhäuschens mit manisch depressiver Ehefrau, als lethargischer Neureicher im Villenviertel oder als zerschlissener Reisender – Leto schafft es, die drei unterschiedlichen Identitäten durch subtile Differenzierung und individuelle Feinheiten glaubwürdig darzustellen und wirkt dabei nur selten bemüht. Bedenkt man, dass er außerdem Nemo im Greisenalter mimt, lässt sich freiheraus behaupten, dass der Schauspieler hier seine bis dato herausforderndste und zugleich beste Rolle meistert. Das ausgefeilte Drehbuch sorgt indes dafür, dass jeder der möglichen Nemos auch seine Daseinsberechtigung hat. Alle tragen sie etwas Wichtiges bei, jeder ist ein weiterer notwendiger Baustein im Vexierbild Nemo Nobody, das sich in den 157 Minuten des Director’s Cuts nach und nach zusammensetzt.
Nicht ausschließlich perfekt, aber auch niemals störend werden Nemos drei Lebenspartnerinnen dargestellt. Einzig Diane Krugers Stimme wirkt sowohl auf der englischen wie auch auf der deutschen Tonspur häufig etwas fehl am Platz.
Das Aus- und Ineinandergleiten der zahlreichen Handlungsfäden wirkt immer flüssig und in sich kohärent, in einzelnen Fällen aber auch ein wenig zu beliebig. Hier macht es sich die Geschichte etwas zu einfach, da ihr durch die Prämisse des Filmes keinerlei Grenzen gesetzt sind und sie daher – ausreichend inszenatorisches Können vorausgesetzt – eigentlich gar nichts falsch machen kann.

Inszenatorisches Können ist hier aber auch das maßgebliche Stichwort. Mit welchem Einfallsreichtum hier Kleinigkeiten ins Bild gebracht werden, wie phantasievoll die Zerstreuung der Charaktere visualisiert und die Grenzen der Demenz inmitten der präsentierten Erinnerung eingebunden werden, ist unterhaltsam und bewundernswert zugleich. Bedeutungsstiftender Einsatz von Unschärfeeffekten, kunstvollen Parallelmontagen, dezenten Zeitlupen, einer Vielzahl unsichtbarer Schnitte, der wiederkehrenden Verwendung cleverer Match Cuts und fast schon ätherischen Szenenwechseln – Jaco Van Dormael schöpft nicht bloß gierig aus dem Repertoire filmischer Finessen, sondern schafft es auch, diese Werkzeuge sinnvoll und stilbewusst zu gebrauchen. Das Ergebnis ist ein Film, der trotz seiner komplexen Handlung und des hohen Anspruchs an sich selbst stets leichtfüßig und bekömmlich bleibt, da er nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf audiovisueller Ebene permanent zum Staunen einlädt. Da stört es keineswegs, dass man sich an jeder Ecke an die besten Werke Michel Gondrys erinnert fühlt.
Auch hier mag manch einer kritisieren wollen, dass die spielerische Art der Darstellung an vielen Stellen zu viel des Guten sei. Eigentlich bietet das Werk für diese Art der Anschuldigung aber zu wenig Angriffsfläche. Nicht nur, weil das Gesamtbild einfach formvollendet richtig wirkt, sondern auch, weil die Auflösung des Filmes seine Machart schlussendlich auf einleuchtende Weise rechtfertigt.
Bemerkenswert ist, wie das Gleichgewicht zwischen latenter Science-Fiction, verträumter Fantasy und Drama durchgängig beibehalten wird. Selbst der esoterische Optimismus, der immer wieder anklingt und kurz vor dem Abschluss einen größeren Auftritt hat, wirkt niemals störend oder krampfhaft dazu gepanscht.

Fazit

Mit seinem dritten Spielfilm liefert Jaco Van Dormael ein schillerndes Spiel mit Realitäten und Identitäten, das in kindlich-unschuldiger Weise existenzielle Fragen stellt und diese sogar mit entwaffnender Leichtigkeit zu beantworten weiß.
Mr. Nobody ist verspielt, romantisch, poetisch, kunterbunt und manchmal sympathisch naiv. Dass die Geschichte am Ende nicht in jedem Detail perfekt aufgeht und Van Dormael gelegentlich zu dick aufträgt, verzeiht man dem ambitionierten Epos mit Freuden.
Wie eine Kreuzung aus Forrest Gump und Michel Gondrys Science of Sleep, nur eben in einem beinahe durchsichtigen Sci-Fi-Gewand mit Platz für Raumschiffe und die Stringtheorie.