Doctor Strange

Mittlerweile verkommt es schon fast zur selbstzweckhaften Fleißarbeit, aufzuzählen, wie viele Filme das florierende Marvel Cinematic Universe bereits hervorgebracht hat, seit Tony Stark das erste Mal die Rüstung des Iron Mans schmiedete. Das liegt unter anderem eben auch daran, dass es zwischen den großen Glanzlichtern auch schon eine ganze Menge an relativ durchschnittlichen Filmen unter dem Schirm von Disneys Marvel in die Lichtspielhäuser kam, deren Existenz weniger für sich selbst stand denn der Notwendigkeit diente, das Ensemble des Gesamtuniversums und damit dessen Marko-Narration zu vergrößern. Und leider fällt auch Doctor Strange in diese Kategorie.

I’m not ready.

Story

Erfolg bringt Arroganz, Arroganz ist häufig funktionales Zusatzmittel, um zu Erfolg zu kommen. Der außergewöhnlich begabte Neurochirurg Stephen Strange ist: erfolgreich und arrogant.
Eines Abends überschlägt sich sein Auto selbstverschuldet und er kann durch späte Bergung nur knapp dem Tod entkommen. Es ist ein Einschnitt in seinem Leben, der seine Hände unbrauchbar macht – und damit indirekt auch ihn, da er seiner Profession mit dieser Einschränkung nicht länger nachgehen kann. Als alle Optionen versagen und (schnelle) Heilung unerreichbar scheint, klammert sich Strange an den letzten verbleibenden Strohhalm und begibt sich nach Katmandu in eine Art Kloster, wo er sich nach anfänglichen Reibereien von der Ältesten in den geheimen Lehren über das Gewebe der Realität und die Vielheit der Dimensionen unterrichten lässt, um kraft seines Geistes, großen Fleißes und störrischer Hartnäckigkeit schließlich zu einem der vielversprechendsten Advokaten in der Anwendung von uralter Magie wird – Realitätsmodifizierung durch die Energie, die der Dimensionsmultiplizität entnommen wird. Das Ziel, so die eigene Verletzung ausgleichen bzw. rückgängig machen zu können, tritt jedoch in den Hintergrund, als Anhänger der antagonistischen schwarzen Magie wichtige Knotenpunkte der Welt attackieren, um diese zugänglich für den Herrscherdämonen Dormammu zu machen und somit ewiger Verdammnis zu überantworten.

Kritik

Gerade bei einem so weit ausformulierten und etablierten Universum wie dem Marvel Cinematic Universe ist es nicht mehr einfach, neue Figuren mittels extensiver Einzelgeschichten einzugliedern, die zwar wichtige neue Elemente mit sich bringen, aber selbst auch keine besonders herausragende Hintergrundgeschichte besitzen. Und so muss Doctor Strange abermals die klassische Heldenwerdung eines eingebildeten, verblendeten Mannes runterbete, der während seiner Prüfungen geläutert wird, Versuchungen zu widerstehen lernt und schlussendlich die Welt rettet.
Der Anfang soll so schnell wie möglich erzählen, wie es dazu kommt, dass ein eingebildeter, hochrationaler Arzt sich voller Vertrauen in ein Kloster in die Hände einer Magierin begibt – und tut sich denkbar schwer damit. Zur Hilfe wird ein unglaubwürdiger wie unwichtiger Basketballspieler eingebaut, der auf fadenscheinigem Weg herbeigeschrieben wurde und ohne rechten Grund eine der sensibelsten Informationen der Welt preisgibt. Nur damit am Zielort sofort alle Eingeweihten mit Weisheit auf ihn feuern, als handele es sich um Verkaufsstrategien für den Aktienmarkt und nicht um die fundamentale Information, dass Magie eigentlich existiert, spielerisch ausgeführt werden kann und zugleich permanent die Welt bedroht.
Benedict Cumberbatch erweist sich zwar als erwartbar gute Besetzung für den Protagonisten, der quasi zur Speerspitze der „zweiten Heldengeneration“ der Marvel-Kinogeschichte gehört, kann am müden Aufbau und einigen lauwarmen Ideen und Umsetzungen aber auch nichts ändern. Fällt die Charakterentwicklung noch gerade so glaubwürdig aus, tut sich der Film bei der Einbindung des typischen Marvel-Humors schon deutlich weniger gut hervor: Die bisweilen bemüht konstruiert wirkenden Sprüche wirken seltsam unpassend in dem nepalesischen Mikrokosmos, wo das Hantieren mit Magie ernst und grimmig praktiziert wird. So durchkreuzt das – immerhin nicht ausurfernde – Geblödel manchmal die eigene Veranlagung zu intensiverer Stimmung und katapultiert den Film immer wieder in ein unentschlossenes Mittelfeld zwischen zwei Atmosphären.
Visuell hat der Film hingegen einiges zu bieten. Optisch ist es, wie die Figur Strange selbst erst vermutet, wie ein Psilocybin-Rausch auf Leinwand, der technisch aufgrund seiner Abstraktheit manchmal wie eine Rückkehr in die späten 80er/frühen 90er erinnert, gerade deswegen aber auch aus dem einheitlichen Matsch der üblichen Effektgewitter des vermeintlichen Blockbusterkinos positiv heraussticht. Gerade die Befürchtung, der Film würde zu offensichtlich Christopher Nolans Inception plagiieren stellt sich als recht unbegründet heraus – zwar verwendet der Film Motive und sogar ganze Aktionsketten von Inception, ist dabei in der Eigenlogik seiner Welt so individuell, dass dieser Umstand überhaupt nicht ins Gewicht fällt.

Fazit

Die Magie hier ist noch einmal eine ganz andere Nummer als die fast schon technokratische Version von Thors-Mythenheimat; hier findet wirkliches Zaubern Einlass in die Marvel-Diegese, die bis dato  zumindest behauptete, Wert auf Rationalität zu legen. Insofern ist Doctor Strange ein durchaus wichtiger Baustein im großen Ganzen, der weitreichende Folgen haben kann, für sich gesehen aber kein Film, den man unbedingt gesehen haben muss, weil die Figur nicht interessant genug ist, es ihrer Geschichte an Alleinstellungsmerkmalen fehlt und sich Humor und Setting nicht immer gut vertragen.
Langweilig ist der Film deswegen noch lange nicht, auch und wegen der optischen Extravaganzen, die er sich in der Magiedarstellung erlaubt, aber eben auch nicht der große Wurf, wie es einst Iron Man, The Return of the First Avenger oder Guardians of the Galaxy gewesen sind. Das muss der Film natürlich auch nicht sein, doch letztlich verkauft sich Marvel hier mal wieder unterhalb der eigenen Möglichkeiten.

The Zero Theorem

Es hat lange gedauert, bis The Zero Theorem seinen Weg in die hiesigen Kinos geschafft hat. Trotz unerschöpflichen Monty-Python-Kredits und unsterblicher Filme wie Brazil, 12 Monkeys und König der Fischer wurde Terry Gilliam von der Filmindustrie immer als Problemkind behandelt. Die monumentale Länge monumentaler Filmideen, die es wegen fehlender Investoren nie zur Realisierung gebracht haben, spricht eine ebenso deutliche Sprache wie die fehlende Aufmerksamkeit, die zum Beispiel Tideland zukam.
Dass The Zero Theorem alles andere als breit gestartet wurde und keineswegs nur Lob erfährt, ist somit alles andere als erstaunlich.

No. You’ve got it backwards, Qohen. Everything adds up to nothing, that’s the point.

Story

Qohen Leth ist ein von Phobien getränkter Paranoiker, der mit weit mehr als nur der Tatsache, dass niemand seinen Namen anerkennt, Probleme hat. In einer abgedrehten Zukunftswelt, wo jeder nur Werkzeug ist, das seinen Zweck nicht kennt, dient auch er dem gesichtslosen Management, um als Computergenie tagein, tagaus dieselbe Tätigkeit im Büro auszuführen. Doch Qohen will viel lieber in seiner zur Wohnung umfunktionierten Kirche bleiben und von dort aus arbeiten. Nicht nur, weil er dort doppelt so effizient wäre, sondern vor allem, weil er seit vielen Jahren schon auf den einen Telefonanruf wartet, durch den er den Sinn seiner Existenz erfährt.

Kritik

Und da ist er nun, der neue Gilliam, sich selbst ankündigend als eine Art Best-Of seiner allergrößten Werke – allem voran Brazil, dem sich der Film auch unverhohlen annähert. The Zero Theorem spielt in demselben kurios-futuristischen Universum, das so aussieht, wie man sich in den 80ern die Zukunft vorstellte. Grelle Mäntel, unpraktische Regenschirme, modifizierte 80er-Jahre-Frisuren, analoge Telefone und Computertürme, die den Spielekonsolen der frühen 90ern verdächtig ähnlich sind. Die Welt wirkt wie die Alptraumversion eines Straßenteppichs in einem Kinderzimmer, der eine Plastikspielzeugwelt abzubilden versucht. Also die Art von Dystopie, die eigentlich gar kein Versuch ist, tatsächlich in die Zukunft zu schauen, sondern die einfach nur Bestehendes hochrechnet und mit grell gefärbten Ängsten aufrührt. Die Art, an der viele Regisseure grandios scheitern – doch nicht Gilliam.
In dieser Welt der konsequenten Übertreibung agiert jeder, vor allen anderen aber Christoph Waltz, mit konsequentem Overacting und auch der Rest übt sich in allem, nur nicht in Zurückhaltung. The Zero Theorem ist ein kunterbuntes, atemloses Drunter und Drüber, in dem eine kauzige Idee die nächste jagt. Diese Ideen funktionieren beileibe nicht alle, ergeben aber trotzdem ein erstaunlich rundes und fast schon hypnotisches Gesamtbild. Die Rasanz, mit der sich Geschehnisse aneinanderreihen, ist ein Grund dafür. Ein anderer ist, dass man sich nicht des Eindrucks erwehren kann, dass die vermeintlich weniger gelungenen Elemente ganz bewusst in ihrer Mängelhaftigkeit präsentiert werden, weil sich der Film selbst über sie lustig macht. Auch dies ist eine Gratwanderung, die kaum ein anderer Regisseur mit so viel Fingerspitzengefühl beherrscht, wie Terry Gilliam. Alles ist so flirrend, krustig und überdreht, dass ein unangenehmer Sog entsteht. Die Welt entwickelt rasch eine schaurige Eigenlogik, ist als eigenständiges Universum so manisch überdreht wie ihr Protagonist, die Musik und die Kamera, sodass man sich manchmal unweigerlich die Frage stellt, in welchem Grade der Film sich überhaupt selbst ernstnimmt.
Dass es sich hier um ein Werk von Terry Gilliam handelt – an dieser Stelle Verzeihung für die Wiederholung, die der Autor an dieser Stelle einfach nicht zu umschiffen weiß – merkt man aber vor allem daran, dass der ganze Unsinn nicht bedeutungs- wie wirkungslos in sich zusammenfällt und in seiner kompositorischen Summe nicht nur sehr viel Sinn ergibt, sondern auch noch unerhört gut unterhält und ganz nebenbei eine Vielzahl interessanter Themenfelder streift und einen alles andere als leeren Kommentar dazu formuliert.

Fazit

Terry Gilliams neuer Film wirkt wie ein großes Selbstzitat, ist aber eigentlich ein weiterer, längst überfälliger Beitrag in einer Disziplin, die keiner so sehr beherrscht, wie der Monty-Python-Veteran. The Zero Theorem ist ein so ungebundenes wie unangepasstes Kinoerlebnis, das in seiner mysteriösen Eigenartigkeit funktioniert, obwohl die einzelnen Bestandteile für sich genommen dies nicht erwarten lassen würden. Der Sci-Fi-Film generiert einen wunderlich-kuriosen, manchmal bewusst fast peinlich berührenden Strudel, der einen für die Dauer des Filmes in eine Welt zerrt, die fremdartig, übervoll und wundersam ist, wie selten eine.

Snowpiercer

Wenn die Leitfiguren des südkoreanischen Kinos sich zusammenschließen, um einen französischen Kultcomic in englischer Sprache zu verfilmen, dann horcht man auf, leckt sich die Lippen und versucht, ruhig zu bleiben. Aber man hat auch ein bisschen Angst, dass das alles nach hinten losgeht.
Produzent Park Chan-wook (Oldboy) hat mit Stoker bereits erfolgreich außerhalb von Asien Fuß gefasst. Sein nicht minder fähiger Landsmann Bong Joon-ho (Memories of Murder, The Host) hingegen betritt zum ersten Mal internationalen Boden. Und hinterlässt prompt tiefe Fußabdrücke.

Because I want to live.

Story

Die Menschen sind Problemlöser, wir kennen das ja. So findet man auch für die Erderwärmung ein Mittel zu Linderung. Die Chemikalie, die man selbstsicher in die Atmosphäre reibt, wirkt aber etwas zu gut und die Erde vereist. Nur die paar hundert Menschen, die es in den Hightech-Zug des exzentrischen Wilford geschafft haben, entkommen dem Kältetod.
Jener Zug rattert seit nunmehr 17 Jahren über ein weltweites Schienennetz und in den einzelnen Wagons wird eine strenge Hierarchie eingehalten. Die hinteren Abteile sind vor Dreck starrende Slums, in denen sich die Bedürftigen von glitschigen Proteinriegeln ernähren und regelmäßig unter harschen Restriktionen durch Wilfords Privatarmee leiden. Je weiter es Richtung Lok geht, desto mehr gleicht der Zug einem Schlaraffenland.
Obwohl es in den vergangenen Jahren schon eine Handvoll gescheiterter Revolutionen gab, wappnet sich der bärbeißige Curtis für einen Aufstand und mit ihm alle Bewohner der hinteren Abteile. Das Ziel: Die Erstürmung der Lok, eine Umkehrung des Klassenkampfes, Kontrolle über den letzten Zufluchtsort der Menschheit.

Kritik

Züge im Film. Eine so sonderbare wie traditionsreiche Liebe, die schon seit frühester Kinozeit besteht und immer wieder erneuert wurde. Dass ein Film über einen Zug mal die Charts von scififilme.net durcheinanderbringen würde, war dennoch nicht abzusehen. Gut so, denn nicht absehbare Dinge sind bekanntlich die schönsten von allen.
Snowpiercer, das schärft der Film schon ganz zu beginn ein, ist im Grunde ein Märchen, darauf deuten nicht nur unzählige klassische Muster hin, sondern auch Bebilderung und Erzählweise. Es ist für das Genießen des Werks nicht ganz unwichtig, dies zu durchschauen, aber Bong Joon-ho macht aus diesem Umstand auch keinen Hehl und zeigt überdeutlich, was für einer Gattung seine Geschichte angehört.
Die meisten Filmemacher hätten das schlauchige Zug-Setting wohl als problematische Limitation empfunden. Der begnadete Koreaner aber zieht genau daraus den größten Gewinn. Wie das Gefährt selbst ist die Handlung immer in Bewegung und der Spießroutenlauf durch die einzelnen Abteile ist weder reiner Selbstzweck noch platte Metapher, sondern über weite Strecken ein Paradebeispiel für filmisches Erzählen. Natürlich ist hier alles zum Bersten angefüllt mit Analogien – aber den Film darauf zu reduzieren, würde ihm Gewalt antun. Sie sind ein Bonus zur Geschichte, nicht umgekehrt. Und so soll es sein.
Vor allem zu Anfang in den spartanisch-ramschigen Wagons der wirklich allerniedrigsten Klasse fühlt man sich wie Pinocchio im Bauche des Wales, während die Entdeckungsreise durch den Rest des für alle unbekannten Schienenungeheuers nicht nur optische Überraschungen verspricht. Dabei hätte so viel schiefgehen können. Wie kolossal nah das Scheitern ist, wenn ein Film versucht, einander zwei Welten gegenüberzustellen, die in Sachen Wohlstand und moralischem Feingefühl die denkbar größte Distanz zwischen sich haben, zeigte kürzlich erst die fade Literaturverfilmung Die Tribute von Panem, wo die Armen schön waren, die Reichen aus Plastik bestanden und alle gemein hatten, schrecklich eindimensional zu sein. Einige Unterfraktionen in Snowpiercer sind ebenfalls eindimensional, das wird aber gleich mehrfach legitimiert. Zum einen wird ihnen ihre Eindimensionalität auf eindrucksvolle Weise vor Augen geführt, woraufhin unerwartete Facetten zum Vorschein treten können. Zum anderen funktioniert die Eindimensionalität hier tatsächlich als Werkzeug der Geschichte und als Element des Märchens. Es wird etwas damit angefangen, während sie im oben genannten Negativbeispiel einfach nur vorhanden ist. Dass die comichaften Charaktere so hervorragend funktionieren, ist natürlich zu großen Teilen dem edlen Cast zu verdanken. Tilda Swinton als lispelnde Edel-Diktatorin spielt wie ein störrisches Kind – und nervt dabei keine Sekunde. Chris Evans deutet in einem weiteren Film an, tatsächlich ein Schauspieler zu sein. Der großartige Song Kang-ho zeigt endlich mal wieder, dass er weit mehr draufhat, als auf seine einzigartige Weise den tragischen Tölpel zu mimen. John Hurt strahlt die gleiche väterliche Wärme wie in jeder Rolle der letzten Jahre aus und nutzt dabei einfach nicht ab. Das Bewundernswerte ist nicht die Masse an hochkarätigen Schauspielern, sondern die Fähigkeit, all diese Gesichter unter einen erzählerischen Hut zu bekommen, ohne dass ein Charakter überflüssig oder unterbeleuchtet wirkt.

Viel, ungemein viel gewinnt der Science-Fiction-Film durch seine Bilder. Kameramann Hong Kyung-pyo, der schon für die trübe Schönheit in Joon-hos Mother sorgte, ist ein wenig beschriebenes Blatt, beherrscht sein Handwerk aber wie kaum ein anderer. Dabei besticht Snowpiercer nicht durch Extravaganzen und viel Spielerei, sondern durch Kleinigkeiten, die teilweise so sublim und unaufdringlich sind, dass man sie bewusst kaum erkennt, während sie auf ihre Weise viel zum Gefühl des Filmes beitragen. Seien es zögerliche, aber unerbittliche Zooms im Schneckentempo, perfekt ausgetüftelte Winkel, die jederzeit Übersicht in den  engen Räumen gewährleisten, aber nie vergessen lassen, wie eingepfercht die dargestellte Welt ist oder eben die unzähligen großartigen Bilder, die in rauen Mengen geliefert werden und jedes Mal für einen kleinen Freudenrausch sorgen.
Das in Verbindung mit der klugen Regie sorgt dafür, dass mit Snowpiercer ein Werk vorliegt, das auf eine Weise spannend ist, wie es nur die ganz großen Filme sind. Fantasie, Heldenkonstruktion, Bildsprache und die Akzente der Instrumentalisierung von Marco Beltrami (Wolverine: Weg des Kriegers, Warm Bodies, World War Z) schaffen ein Ganzes, das unter Cineasten wohl nie in Vergessenheit wird. Ein Film, der vielleicht wie Dark City erst viel zu spät die ihm zustehende Würdigung erhalten wird, aber dafür auch weiterbesteht, wenn der ganze andere Standard seiner Zeit nur noch für Randvermerke brauchbar ist.
Spielend wird ein ganzes Päckchen einander eigentlich ferner Genres verarbeitet, sprunghaft bewegt man sich zwischen düster-ernstem Grundton, realistischen Bildern, rauschhaften Einschüben und bisweilen fast schon ätherischen Sequenzen. Ja, Snowpiercer ist eines dieser großen Werke. Aber nicht, weil er sich an das Regelwerk erfolgreicher Hollywoodfilme hält, sondern gerade weil er sich traut, dieses in den richtigen Momenten zu ignorieren. Weil er sich das leisten kann. So märchenhaft der Film auch ist, buckelt er doch nicht vor dem Massengeschmack. Der Regisseur ist seinem durch und durch asiatischen Situationshumor treu geblieben und immer mal wieder pendelt das Geschehen zu einer schmerzhaft unangenehmen Schonungslosigkeit, die es der FSK vermutlich nicht ganz leicht gemacht hat.
Einzig am Ende scheint der permanent unter Hochdruck stehende Kessel ein bisschen Dampf einzubüßen. Die letzten Stationen der extravaganten Reise sind nicht mehr ganz so intensiv und der Stillstand am Ende tut der bisher so atemlosen Dynamik nicht ausschließlich gut. Selbst in diesen Momenten ist Snowpiercer aber immer noch sehenswerter und besser als das meiste Andere – bis zum Abschluss, der vielleicht nicht jedem schmeckt, tatsächlich aber noch einmal unterstreicht, wie treu der Film seiner Gattung, seinem Stil und seiner Geschichte ist.

Fazit

Ja, ein Märchen. Aber eines der kompromisslosesten Märchen überhaupt. Schillernde Figuren, einprägsame Bilder, ein formidables Tempo und das einmalige Gespür Bong Joon-ho, die unterschiedlichsten Elemente im richtigen Zeitpunkt zu etwas Einzigartigem zu verbinden, machen Snowpiercer zu einem strahlenden Highlight des noch jungen Jahres.