A Scanner Darkly – Der Dunkle Schirm

Philip K Dick-teilte sich mit Tolkien das „Unverfilmbar!“-Prädikat, das beiden lange Zeit anhaftete. Natürlich ist Blade Runner ein famoser Film, doch kann man den Roman Do Androids Dream of Electric Sheep? bestenfalls als Inspirationsquelle bezeichnen, so frei geht der Ridley Scott-Film mit der literarischen Grundlage um. Gleiches gilt für Total Recall und Minority Report.
Ausgerechnet eines seiner besten, untypischsten und irgendwie auch unverfilmbarsten Bücher bekam dann eine Adaption, die vorlagentreu und gut ist. A Scanner Darkly.

What does a scanner see? Into the head? Into the heart? Does it see into me? Clearly? Or darkly?

Story

Fred ist bei der Drogenfahndung und ermittelt undercover als Junkie Bob Actor in der Szene, um irgendwie und irgendwann an die großen Fische im Milieu zu kommen. Sein Alter Ego wohnt mit ein paar abgehalfterten Tunichtguten in einem verlotterten Haus. Die ein- und ausgehenden Freunde hängen rum und werfen sich Substanz T ein, eine hochgradig süchtig machende Droge. Auch Fred/Bob ist ihr verfallen, damit sein Doppelleben möglichst authentisch auf sein Umfeld wirkt. Da das Dezernat ständig fürchten muss, von Kriminellen unterwandert zu werden, tragen sämtliche Ermittler, wenn sie die Zentrale betreten, einen Jedermann-Anzug,  mit dem sie nicht zu identifizieren sind. Auf diesem Weg weiß nur Fred selbst, dass er als Bob Actor ermittelt, weil niemand bei der Behörde sein wahres Aussehen kennt.
Die Lage spitzt sich zu, als Fred die Order erhält, für die Verwanzung und Überwachung seines respektive Bobs Hauses zu sorgen. Plötzlich muss er sich selbst und seine alltäglichen Begleiter observieren und regelmäßige Berichte über den Bespitzelungsvorgang anfertigen, während seine Sucht immer größere Ausmaße annimmt, ihm beide Parteien auf die Schliche zu kommen scheinen und sich zu über allem Überfluss eine Identitätskrise, die sich wahrlich gewaschen hat, ihrer Vollendung nähert.

Kritik

Philip K. Dicks A Scanner Darkly ist ein Meisterwerk und eine Lektüre jedem wärmstens ans Herz zu legen. Großartige Sprache, eine durchkomponierte und – besonders die Verhältnisse des Autors – stringente Geschichte, eine Heerschar umwerfender Ideen und ein Verwirrspiel, das gleichzeitig klug und höchst unterhaltsam geraten ist. Darüber hinaus ist es K Dicks wohl persönlichstes, aufrichtigstes Werk mit unverhohlen autobiografischsten Zügen. Die meisten Figuren wurden Personen nachempfunden, mit denen der Autor sich umgab, als er Erfahrungen mit Amphetaminen und LSD machte und nur noch unter Einfluss von Aufputschmitteln schrieb. Es ist ein Mikrokosmos voll mit spleenigen Charakteren, bei dem es Stilmittel und Aussage zugleich ist, dass eigentlich sehr wenig passiert. Das Leben dieser Gestalten ist ein einförmiges, das nur sie selbst als aufregend wahrnehmen, weil sich um ihre Psychosen herum schillernde Paranoia rankt, die sich mit den Angstzuständen der anderen verschränkt und die entlegensten Wahnvorstellungen plötzlich zur realen Bedrohung werden lässt. Die Ernsthaftigkeit in der Absurdität und die strenge interne Fokalisierung sind es, die den Zuschauer selbst in die verworrene Gedankenwelt der Spinner hineinversetzt und alles rationale Wissen und die Kalkulierbarkeit von Wahrscheinlichkeiten plötzlich drastisch reduziert. Denn Paranoia ist ansteckend.

Wie soll man aber ein Werk verfilmen, das hauptsächlich aus repetitiven Abläufen und den realitätsentzogenen Bandwurmmonologen schrecklich kaputter Menschen besteht? Ein Werk, dessen Reiz wie so oft in der Sprache zu finden ist. Die Antwort von Autor und Regisseur Richard Linklater ist verblüffend klar: In erster Linie verfilmt man den Stoff genau so, wie er ist.
Tatsächlich überrascht A Scanner Darkly mit etwas, was keine andere Verfilmung des Sci-Fi-Gurus von sich behaupten kann: Akkuratesse. Viele Dialoge wurden eins zu eins aus der Vorlage übertragen, die Reihenfolge der Geschehnisse ist meist identisch, die Figuren kaum variiert und das Buch von allen Beteiligten wohl ziemlich oft und ziemlich gründlich gelesen worden. Um auszugleichen, was durch den Mangel an filmisch darstellbarem Schreibstil fehlt, wurde ein neuartiger visueller Stil entworfen: Auf jede gedrehte Szene wurde mittels eines vektorbasierten Verfahrens drüber gezeichnet – sprichwörtlich. Das Ergebnis ist eine einmalige Gleichzeitigkeit von Real- und Zeichentrickfilm. Und tatsächlich, die Rechnung geht auf. Genau wie in der Romanvorlage erhält der Zuschauer die Ahnung eines Gefühls, wie es sein muss, selbst inmitten dieser von Drogen und totaler Überwachung verstopften Endstationswelt zu stecken – und all das mitzuerleben; aktiv, weil ebenso beeinflusst und anfällig für die abstrusen Gedankenspinnereien der Protagonisten, passiv, weil unfähig zu intervenieren, während die Situation sich mitsamt ihrer Akteure unweigerlich der Eskalation nähert.
Die totale Paranoia wird verstärkt durch subtilen Einsatz psychedelischer Klänge.

Die Schauspieler durchliefen diese Transformation gleichfalls und entpuppen sich als frappierend gute Besetzung für das kaputte Figurenensemble der Geschichte. Einzig Woody Harrelson als Ernie Luckman wirkt an einigen Stellen etwas deplatziert, was jedoch kaum weiter ins Gewicht fällt. Er, Keanu Reeves, Robert Downey Jr., Rory Cochrane und Winona Ryder zappeln, nuscheln und brabbeln was das Zeug hält, und das mit einem Affenzahn.
„Affenzahn“ ist etwas, das auch auf den Film als Ganzes zutrifft. Da man der Buchhandlung gerecht werden wollte, wurde nur wenig gekürzt. In Folge passiert in den 100 Minuten Film sehr viel sehr schnell sehr hintereinander. Das hysterische Tempo der Gespräche im eh sehr geschwätzigen Film ist maßgeblich für das ganze Geschehen. Gerade der Fakt, dass die Gleichförmigkeit des Daseins mit einem derartigen Tempo vermittelt wird, verstärkt den Drogeneffekt enorm. Das führt dazu, dass A Scanner Darkly eine sehr authentische, sehr spannende und recht experimentelle, dafür aber auch eine etwas sperrige, die eigenen Sehgewohnheiten hinterfragende Filmerfahrung ist.
Trotz des teils exakt übernommenen Wortlauts und dem Bemühen, alles Relevante miteinzubinden, muss die Geschichte natürlich mit so eklatanten wie notwendigen Auslassungen leben, damit Substanz und Atmosphäre des Filmes nicht verklumpen. Dadurch verliert die Story aber auch etwas von ihrer herrlich verkruppten Redundanz. Ebenfalls die Ereignischronologie wurde hier und da aus denselben Gründen etwas durcheinandergeschüttelt, was in dieser Geschichte aber kein allzu schwerwiegendes Vergehen darstellt.
Einige Elemente wie den Jedermannsanzug und die vielfältigen Drogenphantasien ließen sich natürlich gar nicht oder nur unzureichend visualisieren. Der abgedrehte Stil entschädigt aber nicht nur für vieles, sondern liefert auch Ersatz – im Falle des Anzuges sogar in symbolischer Form. Die Tatsache, dass auch Philip K. Dicks Konterfei kurz auf diesem zu entdecken ist, eröffnet, nebenbei gesagt, eine Deutungsebene, die sogar über das im Buch offensichtlich angebotene Interpretationsmaterial hinausweist.

Zwangsläufig muss die Story auf viele der wunderbaren Gedankenmonologe verzichten, die jede Tat wie  ein bizarres Badehandtuch unterlegen und der Geschichte erst ihren unverwechselbaren, genialen Drive geben. Trotzdem kann man Linklater nur reines Lob aussprechen. Er hat gemacht, was man überhaupt machen konnte. Höchstens eine Serie hätte es vermocht, näher an die Vorlage zu gelangen. Für die Möglichkeiten eines Spielfilmes ist A Scanner Darkly ein ist mehr als respektables Ergebnis mit eigenen Ideen und der notwendigen Achtung gegenüber der Vorlage.
Gerade diejenigen, welche mit den zugrundeliegenden Stoff nicht vertraut sind, dürften an einigen Stellen aber mit mittelschweren Verständnisproblemen zu kämpfen haben, weil Manches nur andeutungshalber vermittelt wird.

Fazit

Tatsächlich ist Richard Linklater das Kunstwerk gelungen, die unverfilmbare Geschichte des Großmeisters adäquat auf die Leinwand zu bringen. Das Ergebnis ist nichts, was sich unter Standard-Filmerfahrung verbuchen ließe, und gerade deswegen besonders sehenswert. Visuell und inhaltlich bemerkenswert, darstellerisch gewieft ausgelegt und unter Garantie nicht langweilig.