Monsters: Dark Continent

Jemand, der quasi ausschließlich durch die Serie Misfits bekannt ist, dreht einen zweiten Teil zu Monsters, dem Film, mit dem Gareth Edwards (Godzilla) zurecht in Hollywood wie eine Bombe einschlug.
Ein Kriegsfilm als Sequel zu einem stillen Liebesfilm vor Sumpfkulisse. Mit längerer Laufzeit als das Original. Wenig verwunderlich, dass Fans und Presse Tom Greens Film gierig zerfleischen.
Was hingegen verwunderlich ist: Sie tun ihm Unrecht.

Why am I here!?

Story

10 Jahre sind vergangen, die Monster haben sich ausgebreitet, sind aber auch zum Teil des menschlichen Alltags voller Feindbilder geworden.
Vier Freunde ziehen zum ersten Mal in den Nahen Osten in den Einsatz, wo die außerirdischen Riesen genaugenommen nur ein Nebenproblem darstellen. Zusammen mit den Offizieren Forrest und Frater werden sie auf eine Rettungsmission geschickt, die sie direkt ins Herzen des pulsierenden Nahost-Konflikts bringt. Immer im Schatten der durch die Wüste wogenden Ungetüme.

Kritik

Monsters – Dark Continent ist ein Kriegsfilm; und damit nicht unbedingt die logische Fortsetzung zu Edwards Indie-Perle, die auf eine Handvoll Personen und viel Grün setzte. Und irgendwie doch. Zum einen ist dem Film zu danken, dass er das Rezept des ersten Teils nicht einfach noch einmal kocht und damit schon Vorhandenes in schlecht aufgewärmt abliefert. Zum anderen sind sich die Filme, auf das Wesentliche reduziert, beim näheren Hinsehen keineswegs so unähnlich wie behauptet. Erneut befinden wir uns in einer lebensfeindlichen aber brisanten Umgebung, die Herd eines Konflikts ist. Wieder sind die Monster eigentlich nur die bedeutungsschwangere Kulisse dafür, dass sich vor ihr etwas dezidiert Menschliches abspielen kann. Nur dass dieses in Monsters – Dark Continent der Krieg ist.

Anfangs lernen wir Michael kennen, der von seiner fadenscheinigen Motivation berichtet, gegen die Aliens in den Krieg zu ziehen. Was er dabei zwangsläufig auch erzählt, ist, wie der Zustand der dargestellten Welt ist.
Viel Zeit vergeht nicht, bis klar wird: Die Hauptperson ist genau wie alle anderen seines Trupps ein dümmlicher Widerling Wir folgen keinem Helden und stetig tritt stärker hervor, dass Michael ein reichlich verblendeter Fan seines Arbeitgebers ist. Die Idee, in der Armee zu sein, ist für ihn ohne Konkurrenz.
Und an diesem Punkt nimmt der Film sich die Zeit für Orientierung – etwas, das er ebenso vom Zuschauer einfordert. Denn nach einer Weile kann man skeptisch werden.
Wieso werden die so kritisch anmutenden Szenen blindwütiger Soldaten mit fetziger Rockmusik unterlegt? Wieso bekommt die Harte-Männer-Sind-Freunde-Romantik, die zum Militär als Tempel der Jungenfreundschaften gehört, keinen einzigen richtigen Riss? Werden hier vielleicht doch auf die dreisteste Art und Weise die weißen Soldaten als Friedensengel und Philanthropen inszeniert; handelt es sich um einen eigentlich gar nicht getarnten Propogandafilm?
Wäre dem so, dann wäre dies das Perverseste, was man aus der Prämisse von Monsters machen konnte.

Was irritiert, ist, dass immer wieder klingen Zwischentöne anklingen. Soldaten sind dann plötzlich doch arme Würstchen und nervliche Wracks, außer Kontrolle geratene, aber auch alleingelassene Kinder. Die Selbstsicherheit, Weltpolizei zu sein, eine gefährliche Droge, Krieg kein keimfreies Zuckerschlecken. Entsprechende, teils sehr schockierende Szenen gibt es als Beweis in erschreckend effizienter Inszenierung, die eine markerschütternde Eindringlichkeit an den Tag legen kann. Tom Greens Händchen für intensive Atmosphäre ist ohne Zweifel bemerkenswert, auch abseits von drastischen Schockszenen.
Orientalische Gesänge, zwischen von Sand zerriebenen Häusern huschen in einer Welt der Braun- und Orangetöne durch körniges Bild finster blickende, dunkelhäutige Männer mit Turbanen. Tonnenschwere Ungetüme aus dem All stampfen über die Erdoberfläche, aber die wahren Kernprobleme zwischen den Menschen sind eigentlich unverändert, als wäre der ewige Zank und Symbole etwas untilgbar Athropologisches. Die Bilder sind staubig, die Gesichter ängstlich, das Gefühl von Fremde und Verlorenheit wächst schnell. Monsters: Dark Continent ist ein stimmungsvoller Streifen, der viel aus seinem Nahost-Setting holt und damit ein stark trauriges Bild zeichnet. Dass man, wenn man es konnte, gut sichtbar auf handwerkliche Effekte setzte, macht die Sache außerdem angenehm anzusehen.
Bedient wurde sich an einer großen Tugend, die Gareth Edwards Monsters ausmachte: Die außerirdischen Besucher sind meist nur kurz und verschwommen im Hintergrund, mal aus großer Höhe, mal knapp in Miniaturversionen zu sehen, bleiben sie aber immer seltene Gäste. Nicht nur von dem Soldatenteam, auch vom Film wird die Tatsache, dass es überhaupt eine Alienbedrohung gibt, zeitweise kaum noch bemerkt. Trotzdem bleibt sie präsent – allem voran das macht den Film zu einem letzten Endes irgendwie doch sehr außergewöhnlichen. Dadurch, dass die fremdartigen Titanen nicht ständig das Bild dominieren, stellen sie stets eine Besonderheit dar und teilen etwas von der geheimnisvollen Aura ihrer Verwandten aus dem Erstling.
In solchen Momenten meint man zu wissen, wieso gerade solch ein Film den Indie-Hit Monsters fortsetzt. Die Titelgebenden Monster sind mehr denn je die Menschen, unfähig, aus ihrem Käfig zu kommen, sich in ihm selbst zugrunde richtend und selbst in Gefahrensituationen, die die gesamte Spezies betreffen, bleiben sie kleben an ihren belanglosen, aufgesetzten Konflikten, als bräuchten sie sie, um sich selbst zu erkennen. Kommt mal ein Alien vor, wird es verhöhnt, verachtet, überfahren. Road Kill! Auf eine Weise, die gänzlich unerwartet ist, hat Monsters: Dark Kontinent eine subtile Seite, ein starkes Konzept das dem Vorgänger auf sehr aufrichtige Weise treu bleibt, obwohl doch bis über das Genre hinaus so viel verändert wurde.
Lange Zeit ist unklar, ob der Film sich für die extraterrestrischen Einwanderer mit der fremdartigen, unangenehmen, aber auch seltsam anmutigen Anatomie mehr als nur als exotische Bedrohungskulisse schätzt. Schließlich wurde spätestens im Finale von Monsters überdeutlich, dass in den Wesen durchaus Potenzial steckt.
Das bedeutet aber nicht, dass es bei Monsters: Dark Continent keine Schauwerte gäbe. Der Film ist durchweg superb geschossen und liefert vor allem in der zweiten Hälfte einige fast schon poetische Shots.

Dennoch setzen immer wieder auch befremdliche Zeitlupenmomente ein, während fast schon würdigende Rockmusik so manche Aufbruchs- und Konfliktsituation untermalt. Fast wirkt es so, als hätte man die Army als Sponsor gehabt und sich dadurch verpflichtet, ein gewisses Werbeniveau zu gewährleisten. Spätestens dann, wenn das Feindbild zwar bestätigt wurde, unsere Soldaten aber mit keinem Deut Heldenhaftigkeit, sondern in einer Drastik reagieren, die der der Gegner in gar nichts nachsteht, nimmt die Situation in ihrem schizoid anmutenden Darstellungskontext verstörende Ausmaße an.

Monsters: Dark Continent profitiert sehr von seinem Vorgänger. Von der Welt und dem Hintergrund, die aufgebaut wurden. Gleichzeitig tut es dem Film gut, wenn er nicht mit Teil 1 verglichen wird. Gemein ist den Filmen nicht ihr Setting, nicht ihr Genre, sondern einzig der Wille, etwas über den Menschen auszusagen. Dies, so könnte man argumentieren, war ja seit Anbeginn des Genres das Bestreben von Science-Fiction, doch drangen die eigentlichen Sci-Fi-Elemente selten so weit in den Hintergrund wie hier. So könnte man Monsters: Dark Continent einen Etikettenschwindel vorwerfen. Doch würde man dann eine flirrende Mischung aus Jarhead, Starship Troopers, Black Hawk Down, The Hurtlocker und sogar ein wenig Apocalypse Now versäumen, die Krieg auf eine ehrliche, irritierende, schlimme Weise darstellt, ohne je prätentiös zu wirken – einen Film, der eine durchaus beachtliche Reflektion auf das Thema Krieg liefert.

Fazit

Dass ausgerechnet dieser Film den Wahnsinn des Krieges mit solcher Nachdrücklichkeit offenlegt, war kaum zu erwarten. Zwar irritieren patriotisch anmutende Ausflüge, doch ist auch gerade diese Irritation, diese verstörende Ambivalenz von Monsters: Dark Continent, die die Kraft des Filmes ausmacht.
Mit außerirdischen Störenfrieden aber hat Tom Greens Sequel noch weitaus weniger zu tun als schon der sehr aufs Zwischenmenschliche konzentrierte Vorgänger. Hier dienen sie tatsächlich nur noch als Metapher und einnehmende Kulisse.

Another Earth

Mir läppischen 20.000 Dollar in der Budget-Kasse und ein paar Freunden im Schlepptau schuf Regie-Frischling Mike Cahill Stück für Stück seinen Film Another Earth. Die Schauspieler gaben sich mit Krümel-Gagen zufrieden und alles hing lange Zeit am seidenen Faden und drohte mehrmals ganz zu scheitern.
Doch der Film wurde fertig, durfte auf dem  27. Sundance Film Festival uraufgeführt werden, nahm zwei Preise mit und wurde wenig später weltweit vertrieben.

What now?

Story

Wie aus dem Nichts taucht ein neuer, ziemlich naher Planet am Himmel auf. Ein Planet, der der Erde bis aufs Kleinste zu ähneln scheint.
Der Abend dieses Ereignisses ist ein schöner. Die eifrige Rhoda Williams hat ihn sich zum Feiern ihres neuen Uniplatzes ausgesucht hat. Es ist warm, man ist ausgelassen und man trinkt.
Als Rhoda auf dem Rückweg etwas zu angeheitert in einen Wagen rast, löscht sie die ganze Familie von Musikprofessor John Burroughs aus, der selbst nur knapp überlebt.
Nach vier Jahren Gefängnis ist sie ein anderer Mensch, verschlossen, scheu und schwer depressiv. Ihre wissenschaftliche Karriere ist verworfen und sie hat einen Job als Hausmeister angenommen. Unterdessen kommt die zweite Erde immer näher.
Eines Tages treiben sie die Schuldgefühle an die Tür von John Burroughs, der vom Unfall ebenso gezeichnet ist wie sie. Anstatt um Vergebung zu bitten, heuert sie bei ihm als Putzfrau an und besucht ihn von nun an täglich. Zwischen den beiden entsteht eine unsichere Verbindung, während Rhoda an einem Wettbewerb teilnimmt, um zu den ersten Menschen zu gehören, die mit einem privaten Unternehmen die Reise zur mysteriösen zweiten Erde antreten.

Kritik

Überraschenderweise startet Another Earth nicht ruhig und langsam, sondern gediegen hip. Eine träumerische Interpretation der Jupiter-Aufnahmen aus der Yoyager-Sonde, knutschende Teens und beatlastige Elektromusik, zu der die Lettern des Filmtitels abwechselnd rhythmisch aufflackern. Nur die aus dem Off berichtende Frauenstimme ist etwas belegt und melancholisch.
Das ist der vorgegebene Ton, den der Sci-Fi-Film über seine Dauer hält. Das Hippe bleibt in der Umsetzung enthalten. Die schnellen Schnitte, die Art der Bildgestaltung und der Schauspielführung zeugen von inszenatorischem Eifer und viel Experimentierfreude. Dabei drohen die kleineren Ausbrüche in der Machart aber niemals den Rahmen zu verlassen.
Das Melancholische bleibt im Rest. Die Realität ist grau und bar jeder Erlösung. Die Stadt, das Wetter, selbst die Klamotten der Protagonistin: Alles in einem fahlen, trostlosen Grau. Grau ist auch Rhoda selbst, die eingemummt und versteckt hinter Mützen und Schals versucht, sich vor der Welt verbergen und ihr Leben in Unscheinbarkeit hinter sich zu bringen. Sie ist ein Phantom, das unter der Last der Schuld beinahe zusammenbricht. Der aufstrebende und vielseitig talentierte Jungstar Brit Marling (Jahrgang 83 und nicht nur Drehbuchautorin, Filmproduzentin, Regisseurin und Schauspielerin, sondern auch eingeschworener Anhänger kleinerer Produktionen) schafft es, das fragile Wesen dieser Frau äußerst überzeugend darzustellen. Ihre Gemütsschwere ist nach wenigen Einstellungen für den Zuschauer voll nachzuempfinden.
Eine interessante Wahl ist William Mapother (übrigens ein Cousin von Tom Cruise) als Ex-Professor jenseits der Selbstaufgabe. Sein Spiel wirkt anfangs nicht ganz rein und immer um ein paar Zoll überzogen, doch hat man sich erst einmal auf seine individuelle Art eingestellt, funktioniert sein Charakter auf eine ganz eigene und sehr spannende Weise. Neben guten Drehbuchmomenten ist das auch seinen markanten Zügen zu verdanken, denn das einprägsame und durch LOST nun gefragtere Gesicht sieht man meist nur in kleineren Nebenrollen. Völlig zu Unrecht. Die Art, wie er seiner Figur, der wenig mehr geblieben ist, als der Alkohol und verbittertes Starren, Glaubwürdigkeit verleiht, ist faszinierend. Er ist ein geschickt gewählter Gegenpol zum hinreißend unglücklichen Gesicht seiner Filmpartnerin.
Beide zusammen geben eine in ihren Tendenzen höchst destruktive Mischung ab, da sowohl die Protagonistin wie auch der Zuschauer wissen, dass die Art und Weise, wie die Figuren sich bebend näherkommen, zwangsläufig in einer alles unter sich begrabenden Enthüllung gipfeln muss.
Ein bleischweres Charakterdrama also.

Und dann ist da ja noch der Part mit der zweiten Erde, die einfach so als Zwilling neben der unsrigen auftaucht. Das riecht von Anfang an eigentlich stark nach einer schwülstigen Metaphernschlacht.
Eine Anfangsbefürchtung, die sich auch teilweise bewahrheitet. Die zweite Erde in Another Earth ist natürlich zuvorderst eine klobige Metapher.
Anders könnte der Film auch nie funktionieren. Schließlich wäre man in einer metaphernfreien Welt nicht erst nach ein paar Jahren auf den Zwilling im All gehopst und hätte außerdem mit leistungsstarken Teleskopen die Sandkörner und Hautschuppen des Erdenduplikats bereits am ersten zählen können. Stattdessen ist die ganze Zeit völlig unklar, was mit dem blauen Ball vorgeht und wer oder was sich auch ihm befinden könnte. Nur ein paar Talkshows spekulieren wild herum, was das Weltraum-Mysterium wohl bedeuten könnte.
Eigentlich geht es natürlich um Schicksal, um den Frieden mit sich selbst und den eigenen Taten. Um Selbstbetrug, Schuld, falsche Träume und nicht minder falsche Sühne. Die großen Fragen des Individuums, mit denen das Schicksal jeden irgendwann einmal konfrontiert.
Ist das Vorhaben gelungen oder sind die Metaphern zu platt und die Botschaften zu simpel?

Eine gar nicht so leicht zu beantwortende Frage. Feststeht, dass der Sci-Fi-Film mit viel Liebe gedreht wurde und darüber hinaus nicht nur mit handwerklicher Überzeugungskraft, sondern vor allem mit einer starken Darstellerleistung der Hauptdarstellerin punkten kann. Ganz außer Frage steht aber auch, dass einige Stellen definitiv das Potenzial besitzen, gehörig zu nerven. Nahe an kitschig, nahe an banal, nah an der Grenze zur Plattitüde. Doch kriegt Another Earth meist noch die Kurve und lässt das Potential klugerweise ungenutzt. Denn im entscheidenden Moment fühlt man wieder die Liebe, die in dem Film steckt, und merkt an sich selbst, dass  der gefährliche Cocktail letzten Endes doch wirkt und sogar ausgesprochen gut mundet. Another Earth ist unterm Strich bedrückend herrlich. Und somit schafft der Film einen großen Teil von dem, was er schaffen will. Sein größtes Verdienst ist es vielleicht, dass es gelingt, das Traurige in schönem Schein erstrahlen zu lassen. Überhaupt wächst Another Earth mit jeder Minute. Ist anfangs noch Raum für Zweifel und die Ungewissheit, wohin der Film möchte, bleibt später kein Platz mehr für solche Fragen und die Art, wie die Geschichte um Rhoda und John  erzählt wird, entfaltet eine Sogwirkung, die bei all dem Fatalismus der Geschichte seltsam optimistisch wirkt.

Die Verbundenheit von Regisseur Mike Cahill zur Science-Fiction ist dabei unverkennbar.
Die Protagonistin liest den Foundation-Zyklus von Isaac Asimov, die Menschen leiden unter den typischen Invasionsängsten und schmieren sie mit Kreide in großen Lettern auf die Straßen. Sogar eine Avatar-Anspielung ist vorhanden und ‚Earth 2‘, wie unser Planetendoppelgänger genannt wird, ist im Sci-Fi-Sektor ja auch kein Neologismus.

Atmosphärisch stark wird Another Earth immer dann, wenn er modern und gleichzeitig ruhig wird. Damit weist er eine eigentlich überdeutliche Parallele zu Love auf, der ja seinerseits viele Elemente seiner Geschichte als Metapher missbraucht. Beide Filme wurden mit weniger mehr als einem Taschengeld, im Elternhaus ihrer Macher und eben mit sehr viel Liebe zum Kino gedreht. Beide sind sie bei weitem nicht perfekt, aber auf ihre Weise definitiv sehenswert, wenn man auf außergewöhnliche Science-Fiction-Kost wert legt, die weniger in die Sterne und mehr in den Menschen blickt.

Fazit

Another Earth ist in erster Linie ein sehr ernstes Charakterdrama. Die Sci-Fi-Elemente sind Schmuck und bleiben die ganze Zeit im Hintergrund, um durch metaphorische Aussagekraft die Botschaft zu unterstreichen und die Sehnsüchte zu visualisieren. Das macht aus Another Earth ganz sicher keinen klassischen Science-Fiction-Film, bietet dafür aber eine frische Kombination unterschiedlicher Elemente, die auf diese Weise überraschend gut harmonieren. Kleinere Schwächen im Drehbuch sind da ein verzeihliches Manko.

End of Animal

Ein ziemlich junger Kerl ist Sung-Hee Jo, als er 2010 seinen Debütfilm End of Animal dreht. Zuvor hat er nur einmal kurz mit seinem 43-Minüter Don’t Step Out of the House eine Prise Cannes-Luft geschnuppert.
In seinem Langfilm ist von Unerfahrenheit jedoch keine Spur. Die Vita des südkoreanischen Regisseurs beginnt mit etwas Großem, das an Eigenständigkeit, Zielstrebigkeit und jugendlichem Ernst George Lucas‘ Startschuss THX 1138 eigentlich in nichts nachsteht. Und wie der große Amerikaner, hielt auch Sung-Hee Jo bei seiner ersten Produktion nahezu alle Fäden in eigener Hand.

275 Sekunden sind noch übrig.

Story

Sun-young sitzt auf der Rückbank eines Taxis. Sie ist jung, hochschwanger und fährt geradewegs in ein neues Leben. Kurz macht der Fahrer Halt und lässt einen weiteren Gast zusteigen. Eigentlich ist jetzt schon nichts mehr, wie es vorher war.
Der Neueinsteiger ist ein junger Mann, der alles über Sun-young und den Taxifahrer zu wissen scheint. Nebenbei lässt er die privatesten Details der beiden in seinen Monolog einfließen. Ganz beiläufig zählt er einen Countdown runter. Mit väterlicher Fürsorge bittet er unsere Protagonistin, vorsichtig zu sein und gibt ihr ein paar gutgemeinte Ratschläge mit auf den Weg, der bald vor ihr liegen wird. Als der Countdown endet, versinkt die Welt in grellem Weiß.
Später, irgendwann später erwacht Sun-young auf der Rückbank des Taxis. Sie ist hungrig, ihr Ungeborenes ist hungrig und sie ist alleine. Der Taxifahrer hat eine Nachricht hinterlassen. Er sei bald wieder da, hole nur kurz Hilfe bei einer nahegelegenen Raststätte. Sun-young solle sich am besten nicht vom Fleck rühren und auf ihn warten.
Doch sie rührt sich vom Fleck. Die Umstände treiben sie davon. Elektrische Geräte funktionieren nicht mehr, die meisten Menschen sind spurlos verschwunden und Nachts grollt ein markerschütterndes Knurren durch die öde Landschaft. Sun-young begibt sich auf eine postapokalyptische Odyssee durch eine Welt, in der nichts mehr rational ist. Nicht die Menschen, nicht ihre Gespräche, ja nicht einmal die Welt selber.
Eigentlich will sie einfach nur die fünf Fahradminuten entfernt liegende Raststätte aufsuchen. Doch jede Person, der sie begegnet, bringt eine schwere Prüfung mit sich und führt sie in die Irre.

Kritik

Endzeit ist ein dankbares Sujet. Meist wird nach irgendeinem dicken Knall, Ruck oder Schwapp einfach der Resetknopf für die ganze Welt gedrückt. Ressourcen weg, Zivilisation Weg, Gesetz weg, Moral weg, alles weg. Und das, was von der Welt noch steht, lässt sich beliebig ans gewünschte Drehbuchergebnis anpassen. Besonders beliebt sind westernartige Szenarien mit Selbstbau-Boliden, Steampunk-Anleihen und einem harmlosen Schuss Anarchie. Grundsätzlich ist das Angebot bunt durchmischt – die Spannbreite reicht von typisch anmutenden Variationen à la Mad Max, A Boy and his Dog, Waterworld und The Book of Eli und bleibt auch bei weniger eindeutigen Vertretern wie Stake Land und Der Omega-Mann immer noch im Klassischen. Dann geht es weiter über die etwas glaubwürdigeren Endzeit-Visionen im Stile von Quiet Earth und Children of Men bis man schließlich bei tiefdunklen Überlebensdramen mit hohem Authentizitätsanspruch landet, zu denen Wolfzeit oder der noch junge The Road zählen.
Doch dann taucht ein End of Animal auf, würdigt das breit abgesteckte Feld von bereits Existierendem keines Blickes und schafft quasi aus dem Nichts etwas, das spätestens beim zweiten Hinschauen enorm viel Elan in sich trägt.

Selten fing ein Film so intensiv bedrohlich an. Bereits hinter den ersten Gesprächszeilen lauert eine schwer fassbare Vorahnung. Die dialogische Intensität steigert sich mit großen Sprüngen, bis eine perfide Klimax erreicht ist, ohne dass mehr als ein paar Sekunden vergangen sind. Dann explodiert die Welt absolut geräuschlos. Einen besseren Auftakt hätte Sung-Hee Jo für seinen Film unmöglich wählen können, gibt er doch perfekt Ton und Linie des nun Folgenden an.
End of Animal bricht mit konventioneller Charakterzeichnung schon in der ersten Szene und steigert das System figürlicher Unberechenbarkeit so sehr, dass sich der Zuschauer gleich der Protagonistin in eine unmögliche Fremde hineingeworfen wähnt. In dieser Welt ist alles möglich. Sämtliche Erfahrungen wurden nach dem großen, alles verschlingenden Weiß der Apokalypse stumm entwertet. Auch auf Zuschauerseite wird damit eine außergewöhnliche Orientierungslosigkeit ausgelöst.
Der fehlerlosen Regie ist es anzurechnen, dass dieses Verwirrspiel nie den Anschein von Willkür erweckt, sondern stets zielbewusst die Leere der Welt auf das Gemüt der Zuschauer projiziert – nirgends ist es sicher und alles könnte anders sein, als es scheint. Es herrscht dauerhafte Anspannung.
Trotzdem dauert es eine Weile, bis man sich in den Rhythmus des Filmes hineingefunden hat, bis man die Eigenlogik der Ereignisse in diesem endzeitlichen Mikrokosmos identifiziert und akzeptiert hat. Ist dies geschehen, steht dem Zuschauer der gleiche Hürdenlauf wie der Protagonistin bevor.
Trifft Sun-young auf andere Menschen, entsteht zwangsläufig ein Konflikt. Alle sind misstrauisch, auf ihren eigenen Vorteil bedacht und stehen unter Generalverdacht. Auch die Protagonisten ist hiervon nicht ausgenommen. Umso anerkennenswerter ist es, dass die Dialoge allesamt dynamisch und natürlich geraten sind.

Stoßen könnte man sich – gerade in Anbetracht der sonstigen Unwägbarkeit – an dem etwas zu genretypischen Verhalten der Personen. Weshalb ihre Wege sich trennen und später wieder zusammenfinden, mit welchem Grund bestimmte Entscheidungen getroffen werden, ist nicht immer schlüssig. Dass es sich hierbei um Wendungen handelt, die der Film einfach braucht, um vorwärtszukommen, liegt auf der Hand. Diese vertrauten Muster lockern die ansonsten imponderablen Geschehnisse ein wenig auf, fühlen sich dadurch aber auch immer etwas künstlicher als der Rest an. Abhängig von der individuellen Interpretation kann End of Animal aber selbst dieses Defizit am Ende rechtfertigen. Aber auch ohne eine solche Entschuldigung bleibt der Film stets unvorhersehbar genug.
Herz des Werks ist aber sein Perfektionismus. Irgendwie ist Sung-Hee Jo das Kunststück gelungen, aus blutjungen Schauspielern, einer nervösen Handkamera und koreanischer Einöde das ästhetische Maximum herauszuholen. Kein Bild verwackelt grundlos, keine Einstellung, die nicht präzise auf die folgende abgestimmt ist, kein Schnitt ohne direkte Nachwirkung beim Rezipienten.
Tatsächlich ist jedes Bild ein Kunstwerk für sich, weiß genau, welche Stimmungen es trägt und auf welche Weise die Geschichte dadurch ergänzt wird.
Außerdem wird fast gänzlich auf Musik verzichtet. In der Regel lässt man die Impressionen in ihrer fast schon malerischen Tristesse für sich sprechen. Einzig ein unheilverkündendes extradiegetisches Dröhnen kehrt immer wieder auf die Tonspur zurück.
Kaum ein Film sonst vermag es zu leisten, dass man bei jedem noch so nichtigen Geräusch das Schlimmste erwartet und irgendwann wie selbstverständlich davon ausgeht, dass direkt neben dem Kameraauge der Leibhaftige steht und die Geschehnisse mit fettigem Grienen in Augenschein nimmt. Es ist ein subtiler, aber furchtbar eindringlicher Horror. Jede Einstellung transportiert die Antizipation von Terror. Und selbst, wenn eigentlich gar nichts geschieht, fühlt man sich schrecklich gebeutelt.
Doch Weltenende, Unmenschlichkeit und all dem Grauen zum Trotz ist End of Animal im Grunde nicht nihilistisch. Vielleicht weil alles so perfekt gefilmt ist, weil es so surreal oder durch und durch poetisch wirkt. Vielleicht aber auch schlicht und ergreifend deshalb, weil das Mädchen, dem wir folgen, ein Kind in sich trägt. Viele Momente sind nicht nur schön, sondern geradezu hoffnungsfroh und zukunftsgläubig.

Ob hiermit nun ein Science-Fiction-Film vorliegt, ist zugegebenermaßen nicht ganz einfach zu beantworten. Oberflächlich gesehen trifft dies durchaus zu, ist das Szenario dem von John Hillcoats The Road doch zu ähnlich. Je nach Deutung mag man aber auch zu einem gänzlich anderen Schluss gelangen.
Formale Zweifel sollen dem Film seinen Platz auf dieser Seite aber nicht verwehren.

Fazit

Bemerkenswerte Kunst ist End of Animal, weil er trotz seiner Leere niemals anstrengend, trotz seiner dominanten Symbolik niemals kryptisch, trotz der Ästhetik nie kitschig und trotz der Stille nie langweilig ist.
Einer der beunruhigtesten und sanftesten Vertreter der jüngeren Filmgeschichte, der sicherlich niemals ein großes Publikum erreichen, aber ganz bestimmt eine treue Anhängerschaft finden wird.
Ein Film wie eine Psychose und erstklassiges Stimmungskino.