End of Animal

Ein ziemlich junger Kerl ist Sung-Hee Jo, als er 2010 seinen Debütfilm End of Animal dreht. Zuvor hat er nur einmal kurz mit seinem 43-Minüter Don’t Step Out of the House eine Prise Cannes-Luft geschnuppert.
In seinem Langfilm ist von Unerfahrenheit jedoch keine Spur. Die Vita des südkoreanischen Regisseurs beginnt mit etwas Großem, das an Eigenständigkeit, Zielstrebigkeit und jugendlichem Ernst George Lucas‘ Startschuss THX 1138 eigentlich in nichts nachsteht. Und wie der große Amerikaner, hielt auch Sung-Hee Jo bei seiner ersten Produktion nahezu alle Fäden in eigener Hand.

275 Sekunden sind noch übrig.

Story

Sun-young sitzt auf der Rückbank eines Taxis. Sie ist jung, hochschwanger und fährt geradewegs in ein neues Leben. Kurz macht der Fahrer Halt und lässt einen weiteren Gast zusteigen. Eigentlich ist jetzt schon nichts mehr, wie es vorher war.
Der Neueinsteiger ist ein junger Mann, der alles über Sun-young und den Taxifahrer zu wissen scheint. Nebenbei lässt er die privatesten Details der beiden in seinen Monolog einfließen. Ganz beiläufig zählt er einen Countdown runter. Mit väterlicher Fürsorge bittet er unsere Protagonistin, vorsichtig zu sein und gibt ihr ein paar gutgemeinte Ratschläge mit auf den Weg, der bald vor ihr liegen wird. Als der Countdown endet, versinkt die Welt in grellem Weiß.
Später, irgendwann später erwacht Sun-young auf der Rückbank des Taxis. Sie ist hungrig, ihr Ungeborenes ist hungrig und sie ist alleine. Der Taxifahrer hat eine Nachricht hinterlassen. Er sei bald wieder da, hole nur kurz Hilfe bei einer nahegelegenen Raststätte. Sun-young solle sich am besten nicht vom Fleck rühren und auf ihn warten.
Doch sie rührt sich vom Fleck. Die Umstände treiben sie davon. Elektrische Geräte funktionieren nicht mehr, die meisten Menschen sind spurlos verschwunden und Nachts grollt ein markerschütterndes Knurren durch die öde Landschaft. Sun-young begibt sich auf eine postapokalyptische Odyssee durch eine Welt, in der nichts mehr rational ist. Nicht die Menschen, nicht ihre Gespräche, ja nicht einmal die Welt selber.
Eigentlich will sie einfach nur die fünf Fahradminuten entfernt liegende Raststätte aufsuchen. Doch jede Person, der sie begegnet, bringt eine schwere Prüfung mit sich und führt sie in die Irre.

Kritik

Endzeit ist ein dankbares Sujet. Meist wird nach irgendeinem dicken Knall, Ruck oder Schwapp einfach der Resetknopf für die ganze Welt gedrückt. Ressourcen weg, Zivilisation Weg, Gesetz weg, Moral weg, alles weg. Und das, was von der Welt noch steht, lässt sich beliebig ans gewünschte Drehbuchergebnis anpassen. Besonders beliebt sind westernartige Szenarien mit Selbstbau-Boliden, Steampunk-Anleihen und einem harmlosen Schuss Anarchie. Grundsätzlich ist das Angebot bunt durchmischt – die Spannbreite reicht von typisch anmutenden Variationen à la Mad Max, A Boy and his Dog, Waterworld und The Book of Eli und bleibt auch bei weniger eindeutigen Vertretern wie Stake Land und Der Omega-Mann immer noch im Klassischen. Dann geht es weiter über die etwas glaubwürdigeren Endzeit-Visionen im Stile von Quiet Earth und Children of Men bis man schließlich bei tiefdunklen Überlebensdramen mit hohem Authentizitätsanspruch landet, zu denen Wolfzeit oder der noch junge The Road zählen.
Doch dann taucht ein End of Animal auf, würdigt das breit abgesteckte Feld von bereits Existierendem keines Blickes und schafft quasi aus dem Nichts etwas, das spätestens beim zweiten Hinschauen enorm viel Elan in sich trägt.

Selten fing ein Film so intensiv bedrohlich an. Bereits hinter den ersten Gesprächszeilen lauert eine schwer fassbare Vorahnung. Die dialogische Intensität steigert sich mit großen Sprüngen, bis eine perfide Klimax erreicht ist, ohne dass mehr als ein paar Sekunden vergangen sind. Dann explodiert die Welt absolut geräuschlos. Einen besseren Auftakt hätte Sung-Hee Jo für seinen Film unmöglich wählen können, gibt er doch perfekt Ton und Linie des nun Folgenden an.
End of Animal bricht mit konventioneller Charakterzeichnung schon in der ersten Szene und steigert das System figürlicher Unberechenbarkeit so sehr, dass sich der Zuschauer gleich der Protagonistin in eine unmögliche Fremde hineingeworfen wähnt. In dieser Welt ist alles möglich. Sämtliche Erfahrungen wurden nach dem großen, alles verschlingenden Weiß der Apokalypse stumm entwertet. Auch auf Zuschauerseite wird damit eine außergewöhnliche Orientierungslosigkeit ausgelöst.
Der fehlerlosen Regie ist es anzurechnen, dass dieses Verwirrspiel nie den Anschein von Willkür erweckt, sondern stets zielbewusst die Leere der Welt auf das Gemüt der Zuschauer projiziert – nirgends ist es sicher und alles könnte anders sein, als es scheint. Es herrscht dauerhafte Anspannung.
Trotzdem dauert es eine Weile, bis man sich in den Rhythmus des Filmes hineingefunden hat, bis man die Eigenlogik der Ereignisse in diesem endzeitlichen Mikrokosmos identifiziert und akzeptiert hat. Ist dies geschehen, steht dem Zuschauer der gleiche Hürdenlauf wie der Protagonistin bevor.
Trifft Sun-young auf andere Menschen, entsteht zwangsläufig ein Konflikt. Alle sind misstrauisch, auf ihren eigenen Vorteil bedacht und stehen unter Generalverdacht. Auch die Protagonisten ist hiervon nicht ausgenommen. Umso anerkennenswerter ist es, dass die Dialoge allesamt dynamisch und natürlich geraten sind.

Stoßen könnte man sich – gerade in Anbetracht der sonstigen Unwägbarkeit – an dem etwas zu genretypischen Verhalten der Personen. Weshalb ihre Wege sich trennen und später wieder zusammenfinden, mit welchem Grund bestimmte Entscheidungen getroffen werden, ist nicht immer schlüssig. Dass es sich hierbei um Wendungen handelt, die der Film einfach braucht, um vorwärtszukommen, liegt auf der Hand. Diese vertrauten Muster lockern die ansonsten imponderablen Geschehnisse ein wenig auf, fühlen sich dadurch aber auch immer etwas künstlicher als der Rest an. Abhängig von der individuellen Interpretation kann End of Animal aber selbst dieses Defizit am Ende rechtfertigen. Aber auch ohne eine solche Entschuldigung bleibt der Film stets unvorhersehbar genug.
Herz des Werks ist aber sein Perfektionismus. Irgendwie ist Sung-Hee Jo das Kunststück gelungen, aus blutjungen Schauspielern, einer nervösen Handkamera und koreanischer Einöde das ästhetische Maximum herauszuholen. Kein Bild verwackelt grundlos, keine Einstellung, die nicht präzise auf die folgende abgestimmt ist, kein Schnitt ohne direkte Nachwirkung beim Rezipienten.
Tatsächlich ist jedes Bild ein Kunstwerk für sich, weiß genau, welche Stimmungen es trägt und auf welche Weise die Geschichte dadurch ergänzt wird.
Außerdem wird fast gänzlich auf Musik verzichtet. In der Regel lässt man die Impressionen in ihrer fast schon malerischen Tristesse für sich sprechen. Einzig ein unheilverkündendes extradiegetisches Dröhnen kehrt immer wieder auf die Tonspur zurück.
Kaum ein Film sonst vermag es zu leisten, dass man bei jedem noch so nichtigen Geräusch das Schlimmste erwartet und irgendwann wie selbstverständlich davon ausgeht, dass direkt neben dem Kameraauge der Leibhaftige steht und die Geschehnisse mit fettigem Grienen in Augenschein nimmt. Es ist ein subtiler, aber furchtbar eindringlicher Horror. Jede Einstellung transportiert die Antizipation von Terror. Und selbst, wenn eigentlich gar nichts geschieht, fühlt man sich schrecklich gebeutelt.
Doch Weltenende, Unmenschlichkeit und all dem Grauen zum Trotz ist End of Animal im Grunde nicht nihilistisch. Vielleicht weil alles so perfekt gefilmt ist, weil es so surreal oder durch und durch poetisch wirkt. Vielleicht aber auch schlicht und ergreifend deshalb, weil das Mädchen, dem wir folgen, ein Kind in sich trägt. Viele Momente sind nicht nur schön, sondern geradezu hoffnungsfroh und zukunftsgläubig.

Ob hiermit nun ein Science-Fiction-Film vorliegt, ist zugegebenermaßen nicht ganz einfach zu beantworten. Oberflächlich gesehen trifft dies durchaus zu, ist das Szenario dem von John Hillcoats The Road doch zu ähnlich. Je nach Deutung mag man aber auch zu einem gänzlich anderen Schluss gelangen.
Formale Zweifel sollen dem Film seinen Platz auf dieser Seite aber nicht verwehren.

Fazit

Bemerkenswerte Kunst ist End of Animal, weil er trotz seiner Leere niemals anstrengend, trotz seiner dominanten Symbolik niemals kryptisch, trotz der Ästhetik nie kitschig und trotz der Stille nie langweilig ist.
Einer der beunruhigtesten und sanftesten Vertreter der jüngeren Filmgeschichte, der sicherlich niemals ein großes Publikum erreichen, aber ganz bestimmt eine treue Anhängerschaft finden wird.
Ein Film wie eine Psychose und erstklassiges Stimmungskino.