Vampire Nation

Inmitten von im Sonnenlicht glitzernden Grazien und melancholischen Aristokraten tauchten in den letzten Jahren entgegen aller Wahrscheinlichkeit immer mal wieder Vertreter der Blutsaugerzunft auf, die weniger durch romantische Veranlagungen auffielen als der moderne Spitzzahn dies zu tun pflegt. Stephenie Meyer zum Trotz gelangten achtbare Werke wie 30 Days of Night und Tomas Alfredsons So Finster die Nacht in den letzten Jahren auf die Leinwand, ernteten Erfolge und erinnerten daran, wie die eigentliche Etikette eines Vampirs auszusehen hat.

Mit Vampire Nation (im Original den ungleich besseren Titel Stake Land führend) liegt ein Genrefilm vor, dem diese Aufmerksamkeit bisher weitestgehend verwehrt geblieben ist.

Story

Ein jugendlicher Neuwaise und ein bärbeißiger Revolverheld namens Mister streifen durchs verheerte Amerika der Zukunft. Ihr Ziel ist ein sicheres Gebiet, irgendwo im fernen Osten, das nur gerüchteweise existiert. Der Weg zwischen ihnen und dem erhofften Paradies ist besetzt von furchtbar hässlichen Vampiren, einer christlich-fanatischen Sekte im Amok-Modus, ein wenig Restzivilisation, sehr viel rauer Natur und weiteren Gerüchten, deren Inhalt zeitweise auch das tapfere Duo selbst ist. Zum Glück bleibt es nicht bei diesem Zweiergespann, denn auf der langen Reise stoßen weitere wackere Überlebende und Hilfesuchende zu dem Grüppchen.
Und dieses mal größere, mal kleinere Grüppchen bewegt sich zusammen mit dem Zuschauer durch ein einzigartiges Roadmovie. In den Überbleibseln der Städte haben sich die Menschen zusammengerafft, Konflikte niedergelegt und fristen ein Dasein wie im Wilden Westen, mit all den Unannehmlichkeiten dieser romantisierten Epoche, aber auch mit den kleinen Alltagsereignissen, die jäh große Ausgelassenheit auslösen können. Zum Beispiel die Begegnung mit freundlichen Reisenden nach Zeiten langer Einsamkeit und Isolation.

Kritik

Die Welt von Vampire Nation ist glaubwürdig, doch im Gegensatz zum ebenfalls liebevoll erdachten Szenario in Daybreakers, sind all die netten Details lebendig und involviert.
Auch, wenn die einzelnen Charaktere sich auf dem Papier wie wandelnde Klischees lesen, die brav ihre markante Hauptfunktion erfüllen und sich sonst im Hintergrund halten, blüht der zusammengewürfelte Haufen auf der Leinwand mit unerwarteter Stärke auf. Protagonist ist die Gruppe, jeder ist wichtig, geschickt eingebunden und niemand wirkt überflüssig. Dass Mister und sein Schützling mehr Leinwandzeit haben als der Rest, liegt in der Natur der Sache – entbehrlich werden die Übrigen dadurch keineswegs. So wachsen Sympathien und so stockt der Atem, wenn jemand die Gemeinschaft verlässt – dies geschieht nämlich auf stets nüchterne, unaufgeregte und doch schmerzlich überraschende Weise.
Die Vampire sind nicht edel, nicht Äonen alt und auch nicht clever. Es sind wilde und fremde Tiere, die kaum koordiniert in der Gruppe agieren, dafür aber auch einzeln eine durchaus ernstzunehmende Gefahr darstellen. Viel Schimpf musste Vampire Nation erdulden, weil die Vampire sich nicht standesgemäß verhalten und im Grunde kaum bessere Zombies mit scharfen Eckzähnen sind. Davon abgesehen, dass der bereits erwähnte 30 Days of Night ähnlich animalische Vampire ins Feld führt, kommt es doch einfach nicht darauf an, ob deren Verhalten sich irgendeinem allgemeingültigen Regelwerk beugt oder nicht. Die Kreaturen müssen ihren Zweck als ernstzunehmende Bedrohung erfüllen, die den Helden überlegen, mindestens aber gewachsen sind. Und dies ist der Fall in Jim Mickles Mär vom postapokalyptischen Vampirismus.
Eine noch viel größere Gefahr stellen die erwähnten Fanatiker dar, die den Untergang der Menschheit als großes Fest begreifen, das mit Inbrunst gefeiert werden muss. Nicht nur Mister und sein Gefolge fürchten sich vor der klerikalfaschistischen Sekte, auch der Zuschauer empfindet die religiösen Eiferer als die größte aller Bedrohungen. Die irregeleitete Intelligenz wirkt weitaus bösartiger als die nur unwesentlich harmloseren, aber eben rein instinktgelenkten Attacken der Vampire.

In Anbetracht dieser nihilistischen Ausgangssituation mag es überraschen, dass die Grundstimmung des Filmes weit entfernt davon ist, düster zu sein. Ständig bricht die Sonne durch das Blätterdach, streichelt Bergrücken oder wärmt die Häuser. Der Fokus liegt nicht auf intensiven Situationen – die es zweifelsohne gibt – sondern auf der Reise, die immer wieder von der Erzählstimme des Jungen unterlegt ist. Und wie es vielen guten Roadmovies eigen ist, ist Vampire Nation auch nicht trist, karg und schlimm. Vielmehr ist er wunderschön, hoffnungsfroh und rührt das Fernweh. Und dies wiederum ist natürlich den Werkzeugen des Films anzurechnen.
Soll heißen: Man nehme die Landschaftsaufnahmen aus Into the Wild und die Musik aus 28 Days Later sowie, ja!, Firefly und plötzlich ergibt sich ein Feel Good-Horrorfilm, der so unverblümt locker und frisch daherkommt, als sei er der erste Vampirfilm der Filmgeschichte. In seinen stärksten Momenten kann es gut vorkommen, dass man sich trotz der objektiven Hoffnungslosigkeit von einer eigentümlichen Euphorie mitgerissen fühlt, wenn man erlebt, wie die Figuren einander besser kennenlernen, das Beste aus ihrer Situation machen und neuen Mut daraus schöpfen, einfach ihrem Weg zu folgen.
Angenehm ist auch, dass vieles unverkennbare Handarbeit ist. Die Masken der Vampire, die Zeichen der Zerstörung und die Kämpfe sind von CGI beinahe gänzlich unberührt und sehen nicht trotzdem, sondern deswegen wunderbar aus. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass letztere hin und wieder recht martialisch ausfallen. Vampire Nation ist beileibe kein Splatterfilm, nimmt sich in den Auseinandersetzungen aber auch nicht zwanghaft zurück.

Ankreiden könnte man theoretisch natürlich so einiges. Zum Beispiel, dass das musikalische Thema absolut überstrapaziert wird, klingt es doch gefühlt in jeder zweiten Szene von Neuem an. Dem entgegenzusetzen wäre das Totschlagargument, dass das überhaupt nichts macht – die Musik verträgt sich derart gut mit Bild und Handlung, dass man sie sich insgeheim auch in den anderen Szenen herbeiwünscht.
Das typische Charakterproblem, dass einige Figuren viel zu sehr auf wenige Grundeigenschaften reduziert sind und sich jenseits von diesen als nicht überlebensfähig erweisen, wurde bereits angesprochen, kommt hier aber schlichtweg nicht zum Tragen. Sie passen einfach in die portraitierte Welt, eine Welt, die sich weitergedreht hat. Man nimmt den Figuren ihre Beweggründe ab, weil sie aufrichtig von ihnen vorgetragen und mit Nachdruck von der Welt bestätigt werden.
Gefallen lassen muss sich der Film den Vorwurf, dass er wenigstens strukturell nur neu zusammengewürfeltes Diebesgut ist. Westernstädte in der Endzeit, bösartige Sekten, Vampire und nicht zuletzt die Konstellation vermeintlicher Stereotypen: Der stoische Krieger, das reifende Kind, die tapfere Nonne… etwas feinfühliger hätte man bei der Auswahl der Charaktere schon vorgehen können. Doch das sind Oberflächlichkeiten, die nie verhindern können, dass einem die Reisenden ans Herz wachsen, man über die Welt staunt und sich ständig fragt, was wohl hinter dem nächsten Autowrack verborgen sein könnte. So altbekannt die Zutaten auch sein mögen – ihre Kombination erfolgt hier in reiner Vorbildhaftigkeit.
Überflüssig ist nur eine einzige Sache, welche – wie so oft – am Ende zu finden ist. Die abschließende Konfrontation ist fürchterlich typisch, entsprechend unbeholfen und somit der einzige Moment, in dem der Film tatsächlich Richtung Genredurchschnitt fällt. Es handelt sich zwar nur um wenige Minuten, doch sticht diese finale Inkonsequenz so sehr aus dem ansonsten quasi makellosen Film hervor, dass es schon ein wenig schmerzt.

Fazit:

Vampire Nation aka Stake Land nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise, die trotz des Elends der Welt, trotz immerwährender Lebensgefahr in erster Linie wunderschön ist.
Hervorragende handwerkliche Arbeit, eine mutige Regie, gute Schauspieler und nicht zuletzt die ungewöhnliche Herangehensweise machen den Film zu einer wirklichen Perle, die bisher jedoch kaum jemandem ein Begriff ist. Ob die Rezeption in Deutschland anders ausgefallen wäre, wenn man den Film mit weniger unrühmlichem deutschen Titel und nicht ganz so trashigem Cover auf den Markt gebracht hätte, muss jeder für sich entscheiden.

Eine gewagte (und natürlich schwer subjektive) These zum Schluss: Vampire Nation der beste Vampirfilm seit Interview mit einem Vampir.

11 Replies to “Vampire Nation”

  1. Ich bin, was die gute Bewertung angeht wirklich bei Dir aber was Du mit „Vampire Nation der beste Vampirfilm seit Interview mit einem Vampir.“ sagen möchtest ist mir Schleierhaft. Ich hoffe ja mal nicht das gemeint ist das Interview mit einem Vampir ein sehr guter Film sei!!!

    LG Anna

    1. Oh, zugegeben, das letzte Mal ist bei mir gute 10 Jahre her. Aber: Doch, ich glaube, das wollte ich damit sagen.
      Bezüglich der „Der beste Vampirfilm seit…“-Geschichte akzeptiere ich allerdings Widersprüche, die mit „Aber Let the Right One In war doch…“ beginnen.

      1. Widerspruch: Aber Vampire Nation war doch besser und in sofern ist es nicht der beste Vampire Film seit Interview mit einem Vampir sondern darüber hinaus! Vermutlich seit From Dusk Till Dawn… kleiner Scherz!

  2. Hat gefallen. Grottige dt. Synchro, aber Spitzen-Soundtrack und tolle Bilder. Bin auch eigentlich ein größerer Verfechter der stilsicheren, weintrinkenden Capes und Kragen. Passte hier aber schon ganz gut…

    1. Hajo, der Film dreht sich ja auch nicht um die Vampire. Ob die Kreaturen nun Vampire, Zombies, Chiwawas oder Durstis heißen, ist für die Geschichte ja herzlich egal.
      Ob die Vampire nicht ins klassische Vampirbild passen oder nicht, ändert nichts an der Geschichte.
      Vermutlich hat man sie nur „Vampire“ genannt, damit man sich des wohlklingenden Titels Stake Land bedienen konnte.
      Hätte man sie als Durstis betitelt, wäre man aber den unzähligen Amazon-Rittern entgangen, die Vampire Nation einzig deshalb abstrafen, weil ihnen die Spitzzähne zu sehr wie Zombies handeln.
      Und dass wir hier mehr Kommentare als User-Bewertungen haben ist ein Missstand!

  3. Naja, der „beste Vampirfilm seit“-Diskussion möchte ich mich eigentlich nicht anschließen, aber ich finde, dass das hier keine allzu große Relevanz spielt. Vampire sind doch, abgesehen von der sich aus ihnen entwickelten Subkultur mit ihren Regeln und Vorstellungen, in erster Hinsicht eine Projektion im Spannungsfeld animalischer Bedrohung und sexueller Faszination. Das der Sammelbegriff „Vampir“ für die Ängste einer postapokalyptischen Welt benutzt wird, finde ich schon in Ordnung, man hätte es aber auch weglassen können. „The Road“ ist hierin beispielhaft, das Böse personifiziert sich nicht in einem Fabelwesen, sondern ist ohenhin schon in der Welt. Und da liegt für mich der eigentliche Schwachpunkt dieses Filmes bzw. aller genrespezifischen Filme: Wenn sie eine Aussage über die Bereicherung des/der Genres hinaus haben wollen, müssen sie entweder einen vollkommen neuen Ansatz bieten oder sich vom Genre befreien. Siehe „Interview mit einem Vampir“ oder auch „Highlander“ vs. „Alle Menschen sind sterblich“ was z.B. das Verlust- und Sehnsuchtthema angeht. Mfg

    1. Was die Relevanz betrifft, stimmt ich dir voll und ganz zu. Daher meinte ich, dass es keine Rolle spiele, wie man die Dinger nun betitelt.
      Die Vampire fand ich für den Film allerdings deutlich nützlicher als die Sektenmitglieder. Der notorische Rückfall auf Glauben mag in einer zivilisatorischen Extremsituation zwar nicht unwahrscheinlich sein, doch die bösartigen Fanatiker, wie man sie in jedem zweiten Endzeitfilm antrifft, wirken schnell etwas abgegriffen und bedeutungslos. Zum Glück hat Vampire Nation ihnen aber genauso wenig Aufmerksamkeit geschenkt wie den Vampiren. Beide Gruppen sind letztlich einfach nur eine Verstärkung der Bedrohlichkeit – und das bringt der Film meiner Meinung nach vorbildhaft rüber.
      Und was hier Vampire und selbsternannte Heilige sind, sind in The Road die Kannibalen. Das mag bodenständiger, subtiler und um Welten beunruhigender sein, schafft aber auch nicht diese bizarr extremen Fronten, wie sie hier vorherrschen.
      Aber das ist natürlich alles Geschmackssache.

      Hat die der Film denn grundsätzlich gefallen?

  4. Der Film hat mir gut gefallen, nach eurem Wertesystem 7 von 10, und ich bin dieser Website dankbar, denn sonst hätte ich ihn vielleicht nicht gesehen.
    Klar hast du recht, die Bedrohung muss irgendwie in Bildern, oder besser, in einem Bild, dargestellt werden, nur in welcher Bilder und warum. Die Stärke liegt ja, wie du schon betont hast, bei den Charakteren, die, stereotyp gezeichnet, trotzdem in ihrer Gesamtheit sehr stimmig wirken, und in dem langsamen, flüssigen Duktus, in dem die Geschichte erzählt wird. Ich frage mich nur manchmal, ob Endzeitszenarien in schriftlicher Form nicht besser funktionieren, da kann auf die äußere Projektion verzichtet und stärker auf die innere Gedankenwelt des/der Protagonisten eingegangen werden. In dem Roman „Of the Farm“ von Updike werden z.B. einige Science-Fiction novels erwähnt, von denen ich gar nicht weiß, ob sie außerhalb der Erzählwelt existieren, sie funktionieren ähnlich wie der Film für uns, aber eben doch rein auf textueller Ebene.
    Insgesamt hat sich der Film gelohnt, fand ich:)

    1. Ich glaube nicht, dass man das so pauschalisieren kann. Sicherlich ist das Buch tendenziell in der Lage, intensiver zu wirken – das liegt ja nicht zuletzt daran, dass der Leser Bild und Ton mit seiner Fantasie ergänzt und stark der eigenen Persönlichkeit anpasst. Aber das ließe sich dann ja über jede gute Geschichte sagen.
      Die Herausforderung und das Reizvolle von Film ist es ja, Literatur, Musik und Visuelles bestmöglich zu vereinen. Und je nach individueller Rezeption mag eine Kamerafahrt über eine öde, lebensfeindliche Steppe, unterlegt mit unheilsschwangerem Dröhnen, genauso stark wirken wie ein vierseitiger Monolog über die Einsamkeit hinter der Apokalypse.
      Das macht Buch und Film für mich zu völlig unterschiedlichen Medien und unter anderem deshalb kann ich die ständige Aufregung, wenn eine Adaption mal wieder von einer Literaturvorlage abweicht, nie teilen. Aber das ist ein anderes Thema.

      Ich denke jedenfalls, dass z.B. Mad Max 2 zurecht Film und nicht Buch ist. ; )
      Es freut mich, dass der Film zugesagt hat und meine Meinung ansatzweise geteilt wird.

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