Total Recall

Es dachte sich Len Wiseman, das Genie hinter den glorreichen Underworld-Teilen, dass man die Kurzgeschichte Erinnerungen en gros von Sci-Fi-Spezi Philip K. Dick doch sicher angemessener auf die Leinwand bringen könnte als Pfuscher Paul Verhoeven (RoboCop, Starship Troopers) dies anno 1990 tat. Folglich holte er sich Drehbuchschreiber Kurz Wimmer an Bord, der in letzter Zeit Sachen wie Gesetz der Rache, Salt und Ultraviolet verbrach, und schuf mit ihm ein großes, leeres, 125.000.000 Dollar teures Nichts.
Wake up. Wake up. Wake up.

Story

Im Jahre 2084 ist es mal wieder so weit. Die ständigen Kriege haben dem Planeten den Atem genommen. Die Erdoberfläche ist unbewohnbar geworden.
Die ganze Erdoberfläche? Nein, Großbritannien und Australien haben es irgendwie geschafft, sich ein wenig saubere Luft zu bewahren. Die übriggebliebenen Menschen leben an diesen beiden Orten mehr schlecht als recht vor sich hin. Verbunden sind sie durch einen Tunnel, der einmal mitten durch die arme Erde führt. Douglas Quaid ist ein Minenarbeiter, der diese Tour täglich auf sich nimmt, um auf der anderen Seite der Welt robotische Gesetzeshüter herzustellen, die aussehen wie Stormtrooper für Arme.
Sein Leben besteht aus deprimierenden TV-Nachrichten über Terroranschläge und der nicht minder deprimierenden Arbeitsroutine.
Ein Unternehmen namens REKALL weckt seine Neugierde. Es offeriert künstliche Erinnerungen  – an was auch immer man sich erinnern möchte. Vollkommen glaubwürdig, eine Art komponierter Traum. Der perfekte Eskapismus und die Chance, dem leidigen Arbeitsalltag endlich zu entfliehen. Trotz Bedenken klopft Quaid an die Tür von REKALL, wo er mit offenen Armen empfangen wird. Nur wenige Minuten später sitzt er in einem Stuhl und kann sich ein beliebiges Erlebnis-Szenario auswählen. Einzige Voraussetzung: Die Fantasie muss ausschließlich Fantasie und darf keinesfalls realer Part seines Lebens sein. Sonst kommt es zu hässlichen Komplikationen auf Hirnexplosionsbasis.
Geheimer Doppelagent wäre der frustrierte Herr gerne, natürlich.
Bevor der Prozess eingeleitet werden kann, stürmen bewaffnete Truppen den Saal und machen Jagd auf den Fabrikarbeiter, der überrascht feststellen darf, dass er eigentlich ein sensationell guter Kämpfer ist.

Kritik

Total Recall ist eine Schönheit. Das müssen Remakes natürlich per se von sich behaupten können, um ihre Existenz zu rechtfertigen, aber Len Wisemans  Philip K. Dick-Interpretation sticht hier gesondert hervor. Die Zukunft gehört den wuchtigen, geschmeidigen Maschinen, den industrialisierten Hoffnungen und dem Neonröhren-Regen. Zwar gewinnt der Film ganz gewiss keine Design-Preise, doch auch futuristische Standardoptik kann eine kurze nerdige Glückseligkeit induzieren, wenn sie nur detailliert, stilsicher und oft genug ins Bild gehalten wird. Das Schöne ist, dass sich im großen Durchschnitt immer wieder ein paar kleine eigene Ideen bemerkbar machen und sich diese ganzen Kleinigkeiten in seltenen Momenten tatsächlich perfekt zu einem düsteren Cyberpunk-Szenario zusammenfügen, das trauriger, schattiger und klammer kaum sein könnte. Zumindest hier wird man den dystopischen Ausführungen eines Philip K. Dick tatsächlich gerecht. Irgendjemand wird also mal ein Buch von ihm gelesen haben, bevor er sich dem Film zuwandte. Oder aber – und das ist wohl wahrscheinlicher – man hat sich einfach eine andere Dick-Verfilmung zu Gemüte geführt, Blade Runner zum Beispiel, und sich auf nichts anderes als auf die triste Bildstimmung und die schummrigen Sets konzentriert. Eine Schönheit ist der Film, aber keine Grazie. Denn hätte man sich auch ein Beispiel an der Filmhandlung  – oder gar an Dicks Vorlage selbst – genommen, wäre man höchstwahrscheinlich über den Umstand gestolpert, dass der gute Herr stets eine Geschichte zu erzählen hatte. In der Regel eine verzwickte, in sich verschachtelte Geschichte voller Wendungen und mit einem philosophischen Anstrich, der regelmäßig und immer wieder glaubwürdig die Frage aufkommen lässt, was uns eigentlich so sicher sein lässt, dass unsere gelebte Realität tatsächlich real und objektiv ist. Nach der kurz anhaltenden Freude über die stimmigen Sets finden der Stil des Filmes und der Stil Dicks nämlich erst ganz zum Schluss wieder zueinander – beim offenen Ende. Während man im Anschluss an eine Lektüre des Sci-Fi-Meisters meist erst einmal schwindelig das Buch aus den Händen legt und das Gelesene fast schon automatisch weiterspinnt, ist man am Ende der 2012er Version von Total Recall in erster Linie sehr genervt. Zudem das Ende zwar in gewisser Weise nicht geschlossen, aber auch nicht gänzlich offen und dazu vollkommen vorhersehbar ist. Auch wer nicht mit der literarischen Vorlage und Paul Verhoevens filmischer Erstinterpretation Die totale Erinnerung – Total Recall mit Arnold Schwarzenegger vertraut ist, dürfte keinesfalls überrascht vom aufgesetzten Schluss-Twist sein.
Der Vorgänger aus dem letzten Jahrtausend hat gleich zwei Dinge entschieden besser gemacht. Zum einen hat er durchaus den Anspruch, eine Geschichte zu erzählen, die Unerwartetes bereithält. Zum anderen ist er selbstreflexiv genug, seine trashige Arnie-Atmosphäre nicht zu verleugnen und besitzt den Mut, mit charmantem Zynismus darauf zu reagieren.
Im Jahre 2012 ist Total Recall die meiste Zeit über seelenlose Austausch-Action. Die vielen Design-Details, die den Wegesrand säumen, sind schmuck, doch im Zentrum stehen eindeutig die viel zu generischen Verfolgungsjagden und höhepunktlose Schlägereien, die sich träge aneinanderreihen. Deswegen ist der Film auch dann am interessantesten, so lange die Geschichte noch nicht am Laufen ist. Nach dem vielversprechenden ersten Drittel nehmen die Actionszenen im Galopp die Überhand und der hübsche Film entpuppt sich furchtbar schnell als ein biederer und sehr kurzatmiger Langweiler.
Deswegen kann man sich zu Recht fragen, wieso Golden Globe-Gewinner Colin Farrell  sich in das Machwerk verirrt hat. Ohne seinen Namen hätte der Sci-Fi-Film womöglich nicht mehr Beachtung gefunden als die anderen Werke von Len Wiseman. Underworld 1 – 4, von denen er auch gleich Ehefrau Kate Beckinsale mit rüber genommen hat, die als fiese Killer-Ex nach jedem gescheiterten Angriff der Synthetikpolente verbissen dreinschauend um die Ecke stolziert, dass man die Uhr nach ihr stellen könnte. Nun gut. Stirb langsam 4.0 hat der Regisseur auch zu verantworten. Und der ist ja gar nicht so übel. Aber es scheint bei diesem Ausrutscher zu bleiben.

Fazit

Ganz egal ob man Total Recall an seiner literarischen und/oder filmischen Vorlage misst oder ob man das Werk gänzlich unabhängig betrachtet: Nach der unterhaltsamen ersten halben Stunde hört der Sci-Fi-Film einfach auf, eine Story zu haben, und missbraucht die eigentlich vielversprechenden Ansätze für den Rest der langen Laufzeit, um sich in völlig belanglosen Schießereien zu verlieren. Obwohl das Remake unverschämt gut aussieht und allerhand zu Bruch geht, schafft es der Film spielend, bereits nach kürzester Zeit vollkommen zu langweilen.

Fantasy Filmfest Special: The Tall Man

Fantasy Filmfest Special 3

Als 2008 der Horrorfilm Martyrs in die Kinos (außerhalb Deutschlands) drang, wurde so mancher eines Besseren belehrt, der dachte, das französische Genrekino wäre in Sachen Härte und Schonungslosigkeit endgültig nicht mehr zu steigern.
Der Erfolg schwemmte Regisseur und Drehbuchautor Pascal Laugier in die USA, wo sein nächster Film The Tall Man mit bekannteren Schauspielern, weniger Ekel, aber ähnlichem Prinzip unter Beweis stellen soll, dass der Überraschungserfolg von Martyrs keine Einmaligkeit gewesen ist.


But that feeling didn’t last long.

Story

Das Bergarbeiter-Kaff Cold Rock ist nah dran, eine Geisterstadt zu werden. Die Minen sind geschlossen, Arbeit ist rar und die Stimmung ist am Boden. Diese Probleme wirken aber vergleichsweise nichtig im Schatten der Geschehnisse, die sich seit Jahren in der Stadt abspielen.
Es verschwinden Kinder. Und das oft, absolut spurlos und auf ausgesprochen unheimliche Art und Weise. Eine großgewachsene, vermummte Gestalt mit Hut wird für den Missstand verantwortlich gemacht und in Cold Rock mit Flüsterstimme und unter vorgehaltener Hand nur ehrfürchtig „Tall Man“ genannt. Eine neue, kinderraubende Legende ist geboren.
Als der gefürchtete Entführer plötzlich im Haus von Krankenschwester Julia steht und den kleinen David quasi vor ihren Augen aus dem Bettchen raubt, nimmt sie die Verfolgung auf.

Kritik

Es scheint eine Masche von Monsieur Laugier zu sein, dass er zu Beginn seiner Filme so tut, als handele es sich um durch und durch typische Genrekost. Startete Martyrs einst ganz klassisch mit zwei durchschnittlichen Mädels in einem bedrohlichen Haus, so beginnt The Tall Man wie ein archetypisches Gruselfilmchen mit einer furchtbar mittelmäßigen Sagengestalt als Unhold, die sich ohne aufzufallen zwischen dem Schwarzen Mann, der Zahnfee und dem Klabautermann einreihen könnte.
Doch natürlich ist dann alles anders und nach dem anfänglichen, recht souverän aufgebauten Täuschungsmanöver überholen die unerwarteten Wendungen einander beinahe mit ihrem hohen Tempo.
Und genau hier liegt auch das Problem des Filmes. So gerissen The Tall Man auch tut, so schlecht durchdacht und inkonsequent fallen die mit viel Freude inszenierten Plot twists aus. Ein paar der Enthüllungen können für den ersten Moment durchaus die gewünschte Verwunderung beim Zuschauer erwirken, fallen meistens aber beschämt in sich zusammen, sobald man etwas eingehender über sie nachdenkt. Vor allem die beiden großen Trümpfe, die The Tall Man in seinem Ärmel wähnt, können selbst einer oberflächlichen Inspektion nicht standhalten. Selbiges trifft eigentlich auch auf die Ausgangssituation zu, die so verzwickt und unlösbar, wie sie in der Einführung dargestellt wird, eigentlich gar nicht ist.
Zum Glück verlässt sich der Film zwar sehr, aber nicht ausschließlich auf seine vermeintlichen Aha-Momente, sodass auch ohne sie immer noch ausreichend Substanz übrig bleibt, um einen halbwegs brauchbaren Film zu ergeben.
Sein Handwerk versteht der umstrittene Franzose nämlich ganz ohne Frage. Der Film hat ein Gespür für Timing, setzt seine Schockmomente halbwegs gut dosiert und ist professionell ausgeleuchtet. Auch die Schauspieler geben ihr Bestes, sind aber natürlich Gefangene des Drehbuchs. Jessica Biel, die dem Film ihr Gesicht verleiht, erzeugt mit ihrem seltsam unterkühlten Spiel ein paar nette Momente, wirkt an anderen Stellen aber ein wenig blass.

Fazit

Kein zweites Martyrs, sondern ein prätentiöser Einfallspinsel von einem Film, dessen viele Twists nur selten aufgehen. Ausgerechnet das Ende enthüllt Pascal Laugiers Drittwerk als schlecht durchdachtes Etwas, das dem eigenen Ehrgeiz kaum gerecht wird.
Dass der Film trotzdem nie in die wenig vergnüglichen Regionen eines M. Night Shyamalan stolpert und wenigstens bei der ersten Sichtung anständig unterhält, ist dem Können des Regisseurs auf formaler Ebene zu verdanken.