Predestination

Allerorts wird im Augenblick gerufen, dass Predestination ein neuer Hoffnungsbringer sei. Der kongenieale Looper ist quasi vergessen, der neue von den Spierig-Brüdern im Augenblick als Zeitreise-Revival dafür in aller Munde. Zu Recht? Nur so halb. Ihr neuer Film, der eine Adaption des Buches —All You Zombies— von Robert A. Heinlein (am bekanntesten vielleicht dank seiner Buchvorlage zu Starship Troopers) ist, macht einiges richtig und wichtiges falsch.

I never understood why my parents abandoned me.

Story

Ein Gast macht den sich nach einer guten Unterhaltung sehnenden Barkeeper neugierig. Der eigenbrötlerische Mann ist anfangs nicht für dafür zu haben, taut nach ein wenig Bearbeitung aber langsam auf. Schweres lastet ihm offenbar auf den schmalen Schultern. Eine Flasche Schnaps als Einsatz, beflügelt seine Stimme dann endgültig. Sie ist der Preis, wenn seine Geschichte besser ist als jede vorherige, die der Barkeeper bisher zu hören bekam.
Dass etwas höchst Sonderbares im Gange ist, wird nicht erst dann klar, wenn sich herausstellt, dass Zeitreisen, ein berüchtigter Terrorist und eine geheime Organisation sowohl in der Geschichte als auch in der Gegenwart große Rollen spielen.

Kritik

Das Brüderpaar Michael und Peter Spierig hat eigentlich seit über 10 Jahren eine Glückssträhne. Alles begann damit, die privaten Ersparnisse für eine assoziative Horrorkomödie mit Zombies und Ufos auf den Kopf zu Hauen und damit ordentliche Festivalerfolge zu erleben. Undead war intendierter Blödsinn, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nach siebenjähriger Pause folgte schließlich ein wenig unter dem Radar der großen Aufmerksamkeit Daybreakers, ein Film, der gerne sehr viel gewesen wäre, abseits der anheizenden Prämisse aber so arm an Seele wie an Blut ist, wenn er auch einen beeindruckenden Cast auffahren konnte. Andere Regisseure wären nach einem Erfolg, der mäßige Wellen schlug, vergessen worden. Ob es die Sympathie durch persönliche Einbringung oder ob die mythische Brüder-Aura ist, die die Filmemacher rund um den Globus im Zuschauergedächtnis haften lässt, lässt sich nicht so recht beantworten, ohne dabei sämtliche Seriösität aufzugeben. Jedenfalls wird auch das Drittwerk mit dem Namen Spierig beworben und jeder weiß, wer damit gemeint ist.

Predestination
hat sich nach Zombies und Gegenwartsvampirismus also ein weiteres Mal einem Sub-Genre verschrieben: dem Zeitreisefilm. Das allein sorgt beim Schreiber dieser Zeilen gewöhnlicherweise schon dafür, Großzügigkeit bei der Bewertung walten zu lassen. Nur hat dieser nischenartige Genre-Raum das lästige Problem, dass die meisten seiner Vertreter essenzielle Gemeinsamkeiten haben, die sich nur zu schnell wiederholen. Schon zu Beginn kann man getrost davon ausgehen, dass mehr oder weniger große Unerklärlichkeiten und vermeintliche Zufälle nur dafür da sind, um im späteren Verlauf völlig überraschend durch Zeitschleifen aufgeklärt zu werden. Das ist es, was Geschichten mit dieser Thematik so keck und aufregend macht. Alles ist Puzzle in Kreisform und wenn es anständig vorgepuzzelt wird und alle halbwegs Teile passen, bereitet das Nachbauen immense Freude. Wird zuvor aber mehrmals schon angedeutet, wie das fertige Bild am Ende aussehen könnte, löst sich die Spannung und die Frage, wo welche Teile hingehören, ist mit einem – viel zu frühen – mal gar nicht mehr so groß. Predestination geht leider schon sehr früh viel zu großzügig mit Lösungsandeutungen um. Geheimnisvoll tuende, tatsächlich aber banal transparente Prophezeiungen, verräterische Kameraeinstellungen und nicht zuletzt eine leicht zu erahnende Grundidee machen den Film zu etwas, was Zeitreisefilme nie sein sollten: berechenbar. Das wäre an sich nur halb tragisch, ginge der Sci-Fi-Film mit seinen kaum verhüllten Geheimnissen nicht zusätzlich so prahlerisch um, indem es bedeutungsschwangere Dinge anreiht und voraussetzt, dass der Zuschauer dabei einfach nicht mitdenkt.

All das ist zwar schade, aber bei weitem kein totales Scheitern. Auch wenn man sich hier eine kleine Blöße gibt, ist das Geschehen dennoch unentwegt unterhaltsam anzuschauen. Dadurch, dass der Film mit einer ausführlichen Analepse in einer Bar beginnt und erst viel später von dort aus die Geschichte weiterführt, findet eine interessante und durchaus als geglückt zu bezeichnende Zweiteilung des ganzen Filmes statt. Und ansonsten passiert einfach jede Menge und das schnell aufeinander, wodurch sich die Autoren beileibe nicht vorwerfen lassen müssen, auf der Stelle zu treten. Ordentlich gefilmt war Daybreakers auch, routiniert gespielt ebenso. Das große Manko des Filmes waren die steifen Dialoge und damit zwangsweise auch das Schaffen glaubwürdiger Figuren. Auch bei Predestination hapert es noch mit dem gesprochenen Wort. Floskeln und vermeintlich coole Phrasen sind an der Tagesordnung. Mehr als einmal wirkt es so, als hätte man beim
Drehbuchschreiben einfach nicht so recht gewusst, wie denn nun diese Stille zwischen den plotrelevanten Aussagen zu füllen ist. Wie Figuren eine Natürlichkeit erhalten, die über ihren rein funktionalen Daseinsgrund als Informationsgeber hinausgeht, ohne dabei geschwätzig zu wirken. In Ermangelung einer Lösung für dieses Dilemma wird das Henne-Ei-Problem auch schon mal als innovative Frage verkauft. Diese allseits bekannte Grundsatznot bei der schriftlichen Generierung von Charakteren zieht sich durch den Film und verhindert, dass man sich vollkommen in diese Welt versetzt fühlt. So dramatisch wie dereinst bei Daybreakers fällt das Ergebnis zwar nicht aus, doch ist es auch hier schade, dass die prinzipiell ja einladende Welt für den Zuschauer per se unzugänglich bleibt, da einfach alles zu sehr nach Fälschung riecht.
An diesem Punkt gehen Figuren und Geschichte Hand in Hand, denn erstere sind so schrecklich funktional geschrieben, dass es ihnen überhaupt nicht schwerfällt, den ganzen abstrusen Humbug für bare Münze zu nehmen, anstatt ihn als Zumutung zu empfinden. Den Durchschnittsmenschen in Predestination juckt es gar nicht, wenn da jemand um die Ecke kommt und zugibt, er sei Zeitreiseagent eines Zeitreisebüros. Da schaut man höchstens kurz skeptisch, bevor man gutgläubig nickt, als hätte da eben jemand kundgetan, in Wirklichkeit Sohn eines Schäfers zu sein.
Eigentlich ist das schade, denn wie jeder gute Zeitreisefilm entfaltet auch Predestination erst nach und nach – und je mehr, desto näher am Ende – seine eigentliche Ganzheit. Wie sich nach und nach die Fäden zusammenfügen, das ist schon nicht blöd und, wie ja der ganze Film einigermaßen, allemal unterhaltsam. Doch tölpeln sich Drehbuch und Regie immer wieder selbst vor die Füße.
Die prinzipiell ergreifende Tragik, die hinter der Geschichte steht, ist dabei fast selbst schon tragisch, verpufft ihre Wirkung doch fast zur Gänze vor den Fehlern, die dieser ja keineswegs schlechte Film macht.

Fazit

Weniger Übermut, weniger Kühle, vielleicht einen externen Berater, der bei der Figurengestaltung hilft. Mehr bräuchte es eigentlich gar nicht und der vierte Film aus dem Hause Spierig könnte etwas uneingeschränkt Tolles werden. Das notwendige Faible für spleenige Genres und kraftvolle Grundideen haben die Herren nämlich.
Predestination krankt leider an oben Genanntem. Das hindert den Film nicht daran, interessant und auch spannend zu sein. Doch hindert es den Zuschauer ebenfalls nicht daran, sich über viele Kleinigkeiten zu ärgern und deshalb immer wieder aus dem Film geschmissen zu werden.

The Purge

Der Trailer von The Purge schuf Erwartungen, die griffen: Dank des Minimalbudgets konnte der Film in den USA in Windeseile ein Vielfaches seiner Kosten einspielen und bekam daher auch hier rasch einen Starttermin.
Erwartungen, leider, die im Film selbst durchweg enttäuscht werden.

Nothing is ever going to be okay again.

Story

In 11 Jahren ist es bereits schon ein paar Sonnenumkreisungen her, dass sich Amerika am Riemen gerissen und einen klugen Schritt Richtung Kriminalitätsbekämpfung unternommen hat. Zumindest glaubt ganz Amerika, einen klugen Schritt hinter sich zu haben: Einmal im Jahr herrscht für 12 nächtliche Stunden völlige Anarchie in den Staaten. Jeder, der mag, kann sich auf den Straßen mit Rauben, Vergewaltigen, Plündern und Morden beschäftigen und muss keinerlei rechtliche Folgen befürchten. Kriminalität und Arbeitslosigkeit sind daher kein Thema mehr und alles ist sonnig, denn eine Nacht völliger Zügellosigkeit genügt, um den in dir und mir schlummernden Aggressivitätstrieb ausreichend zu befriedigen. Das glaubt man zumindest und deswegen stimmt es auch.
James Sandin hat sich durch den Verkauf von Sicherheitssystem eine goldene Nase verdient und lebt in wohlhabender Nachbarschaft mit Ehefrau und Kindern. Wenn die besagten 12 Stunden – The Purge bzw. Die Säuberung genannt – anstehen, igelt sich die Familie in ihrer Hochsicherheitsvilla ein und erfreut sich via Liveübertragung am amoklaufenden Amerika.
Als der Sohnemann unerlaubt einen hilfsbedürftigen Fremden einlässt, gerät die anfängliche Sicherheit in Gefahr, denn die Verfolger des Flüchtlings sind keineswegs gewillt, ihr Opfer entkommen zu lassen, und stellen ein Ultimatum, nach dessen Ablauf nicht nur der Entkommene, sondern auch die schutzbietende Familie zur Jagdbeute erklärt werden.

Kritik

Die erste von vielen problematischen Drehbuchentscheidungen: Der Protagonist wird als überheblicher Schnösel eingeführt, der keinen Funken Sympathie verdient. Dass die Nachbarn ihn nicht auf ihrer alljährlichen Purge-Sause haben wollen, ist das verständlichste Verhalten der Welt. Er ist ein geldgieriges Ekel, das nicht mit seinem Nachwuchs umzugehen weiß. Und seine Frau ist offenbar eine, die geldgierige Ekel mag. Die Kinder sind dann das, was sie nur sein können: Eindimensionale Durchschnittsfiguren. Töchterchen hat die Hauptfunktion, Papa Kopfschmerzen zu bereiten, weil sie einem Älteren schöne Augen macht, und Sohnemann ist der kluge aber wenig beachtete Bastler und Technikkenner. Und beide haben keine nennenswerte Funktion in diesme Bluff von einem Sci-Fi-Film. Die vorgeschriebene Wandlung des Familienvaters kommt dann nicht nur völlig grundlos, sondern auch viel zu spät, um die Sympathien noch irgendwie anzuheben.
Zeit und Verspätung ist sowieso ein großes Thema in The Purge. Die in der Vorschau so stimmungsvoll angekündigte Bedrohung macht über einen Großteil des Filmes nicht mehr als das: Drohen. Das Reden einstellend und gewaltsam die Grenzen ins Haus überschreitend, erleben wir sie nur für läppische 15 Minuten. Selbst dann sind die Eindringlinge aber kaum für Gänsehaut und Anspannung gut. Nicht nur, dass sie eingangs in voller Breite als eindimensionale Yuppies Marke ‚Reich geerbt‘ vorgestellt werden und ihnen damit das ganze Mysteriöse, das der Trailer verspricht, vollkommen fehlt, es mag sich auch einfach kein rechtes Bedrohlichkeitsgefühl einstellen. Und ein Home-Invasion-Thriller ohne ständige Hochspannung, ist nun mal wenig mehr als ein Film über Leute, die in einer schlecht beleuchteten Hütte hocken. Wer also auf ein The Strangers im Sci-Fi-Setting gehofft hat, wird enttäuscht. Selbst, was das Sci-Fi-Setting angeht. Denn die Behauptung, dass wir uns im Jahre 2022 befänden,  bleibt eine sehr blasse. Nicht Technik, nicht Mode – gar nichts hat sich verändert. Die Zukunft ist nicht mehr als eine Krücke, um das unsinnige Szenario nicht weiter rechtfertigen zu müssen. Wer sich wenigstens deftige Szenen von dem Film erwartet, sollte ebenfalls die Hoffnung fahren lassen, denn The Purge ist zahm (um nicht zu sagen: feige) und mutet dem Zuschauer nicht allzu viel zu.
Wenn man die Nachbarn grimmigen Blickes im Garten ihre Waffen schärfen sieht, ist das ein beunruhigendes Bild, das genauso lange funktioniert, wie es braucht, sich an die Grundsituation zu erinnern. Eine Welt, die nur noch um die medial aufgebauschte Eventnacht namens ‚Die Säuberung‘ dreht, welche offenbar ganz Amerika in eine unwirkliche Sekte verwandelt hat. Und damit der Zuschauer nicht beginnt darüber nachzudenken, was für ein hanebüchener Unfug dieses ganze Szenario ist, erklärt am Anfang ein Weißkittel im Fernsehen, dass der Mensch ein aggressives Wesen ist und sich durch einen Tag Anarchie für das ganze Jahr läutern lässt. Wie die irre gewordenen USA wohl von dem Rest der Welt bewertet werden, wird logischer Weise einfach nicht gefragt. Und wie es kommt, dass der ganze Kontinent scheinbar hellauf begeistert von diesem Zustand ist, ist sowieso nicht Thema des Filmes.
The Purge macht vieles an vielen Stellen falsch. Es sind nur Kleinigkeiten, doch in Summe  ergeben sie Großes. Warum riegelt man sein Haus an solch einem Tag erst punktgenau zum Ausbruch ab, sodass man die lebenswichtige Verriegelung  fast beim Essensgespräch vergisst? Weshalb können die Fieslinge auf einen Bunker-Auseinandernehmer-Fuhrpark zurückgreifen, führen aber kein vernünftiges Arsenal mit sich? Wie kann ein derart nutzloses Sicherheitswsystem in einer Welt zum Bestseller werden, die nichts anderes als die Amok-Nacht in Blut-Und-Spiele-Mentalität interessiert? Und würde sich nicht jeder bei Verstand einen Panikraum herrichten, wenn das ach so tolle ‚Sicherheit’ssystem schon keinen von Haus aus besitzt?
Diese und weitere Fragen machen es dem Zuschauer nicht leicht, die ganze Kiste mitsamt Besatzung ernst zu nehmen. Das wäre nicht weiter wild, wenn die Essenz funktionieren und der vorgebliche Sci-Fi-Streifen geschickt mit Urängsten spielen würde.
Der Film ernährt sich ausschließlich von Schreckmomenten in seinem Terrorszenario. Das Problem ist, dass die Schocks so altbekannt und uninspiriert sind, dass man fast alle bereits eine Meile gegen den Wind wittert. Überraschungen jeder Art sind in The Purge Mangelware und die eigentlich spannend klingende Ausgangsidee kann darüber keine 5 Minuten hinwegtäuschen.
So verhält es sich auch mit dem Antagonistengrüppchen. Austauschbare Pappfiguren, deren gruselig gemeintes und bemüht irres Verhalten vor all der Klischeeverliebtheit mehr lächerlich als furchteinflößend wirkt.
Die sozialkritische Note ist dabei unübersehbar und wird anhand von Gegnern und Nachbarn reichlich plump, am Protagonisten aber überraschend sublim aufgezeigt. So sublim, dass man ernsthaft zweifelt, ob die Macher dieser laffen Gurke sich ihrer einzigen Stärke überhaupt bewusst waren.

Fazit

Ethan Hawke (Total Recall), Lena Headey (Dredd), ein Aufhänger zum Aufmerken und ein beeindruckender Trailer ergeben zusammen ein leeres Versprechen.
The Purge ist ein ideen- und substanzloser Thriller ohne echte Eigenleistung, dafür aber mit schlechtem Timing, verpuffenden Schockmomenten und keiner Geschichte. Sauber gefilmt ist das Geschehen aber.
Doch das Einspielergebnis ist das einzige, was zählt. Und selbstverständlich ist ein zweiter Teil längst beschlossene Sache.