Spider-Man

Ob Darkman, Tanz der Teufel, Ein einfacher Plan oder The Gift. Auf Sam Raimi ist Verlass. Abgesehen von Spider-Man 3, was seinerzeit umso ernüchternder gewesen ist, da dies der einzige Spider-Man-Film war, zu dem er auch das Drehbuch beigesteuert hat. Aber das ist eine andere Geschichte.
Entsprechend gespannt war man im Jahre 2000 als feststand, dass nicht James Cameron, nicht Roland Emmerich, nicht Tim Burton, nicht Chris Columbus und auch nicht David Fincher den Film über den blauroten Netzschwinger inszenieren würden, sondern Mr. Raimi.

Bonesaw is ready!

Story

Peter Parker ist unbeliebt, schüchtern und wird in seiner Klasse gehänselt. Ein ganz normaler Teenager also. Als er jedoch auf einer Exkursion von einer ausgebüxten Spinne angefressen wird, welche von der mit Genen panschenden Wissenschaft zu einer Art Spinnen-Best Of herangezüchtet wurde, ändert sich sein Leben schlagartig. Er wird stärker, hat übermenschliche Kräfte, haftet an Wänden, verschießt Seidenlianen und hat einen Spinnensinn, der ihn vor Gefahr warnt.
Die Veränderung führt nicht nur dazu, dass Tante May und Onkel Ben sich über die Pubertät ihres Schützlings zu sorgen beginnen, sondern gibt Peter auch das lang vermisste Selbstvertrauen, die seit der Grundschule angeschmachtete Mary Jane anzusprechen.
Zeitgleich entwickelt Norman Osborn ein Wundermittel, das seine körperlichen Fähigkeiten ebenfalls in großem Maße steigert. Leider hat es den unangenehmen Nebeneffekt, Wahnsinn zu verursachen und so mutiert Osborn zum Green Goblin, der auf seinem Gleiter für Unruhe in New York sorgt.

Kritik

Heute, ein Jahrzehnt nach dem Kinostart von Spider-Man, wird Raimis Superheldenmär häufig belächelt und nicht so recht für voll genommen. Zu bunt, zu überdreht und nie wirklich bedrohlich wirkt der Film mittlerweile auf viele.
Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass es sich – wenn man Singers nur schwerlich als Vergleichsobjekt dienendes X-Men ausklammert – um die erste ernstzunehmende Comicverfilmung handelte, seit Joel Schumacher Batman & Robin blind gegen die Wand gefahren hat. Die Verdüsterung der Mainstream-Comicwelt durch Christopher Nolan fand erst drei Jahre später statt.
Spider-Man ist eine absolut klassische Comicverfilmung, die sich eher an der Batman-Tetralogie des letzten Jahrtausends als am heurigen Stil orientiert – mit all den guten und schlechten Eigenschaften, die damit einhergehen. Das trifft hier in so starkem Maße zu, dass man beinahe die einzelnen Panels, durch die die Geschichte erzählt wird, zu erkennen meint.
Giftiges Gas ist grün, die Charaktere sind maßlos überzeichnet, die Dialoge standardisiert und manches ist schlicht albern. Aber es ist eben, und hier spürt man Raimis Handschrift am deutlichsten, auf liebevolle Weise überzeichnet, standardisiert und albern.
Sicherlich agieren die Schauspieler völlig übertrieben, um sich den Comicfiguren anzunähern, und so manche Höhepunkte erreichen nicht exakt das, was sie erreichen wollen. Aber bei all den Makeln bleibt der Film unentwegt ehrlich und sympathisch.
Eine dieser speziellen Stellen ist fraglos das Wrestling-Match im Käfig, bei dem man schon ein bisschen achtgeben muss, nicht an Mad Max 3 zu denken. Und auch der Friedhofsschwur am Ende wirkt so sehr aus dem Comicbaukasten stammend, dass er nicht anders als augenzwinkernd gemeint sein kann.

Leider gehört der Green Goblin zu der Art von Bösewicht, die nach 10 Jahren einfach nicht mehr richtig ernst zu nehmen ist. Ein Power Ranger-Outfit mit Maya-Maske und dazu diabolisches Gelächter, während er auf seinen Streifflügen durch New York eine Abgasspur hinterlässt. Das alles macht es schwer, sich vor dem Kobold zu fürchten, der auch nicht davor zurückschreckt, im Finale zu reimen. Aber gut, er ist halt ein Comicschurke. Vor allem aber wirkt der Villain in seinem Anzug furchtbar steif – und das, obwohl dieser in Kleinstarbeit aus 580 Einzelteilen zusammengebastelt wurde. Was den Gegenspieler rettet sind all die Szenen, in denen er ohne Kostüm auftritt. Dann lässt Charaktermime Willem Dafoe auch alle sonstigen Hüllen fallen und kann schrankenlos ausrasten.
Er, die hervorragende Chemie zwischen Peter und seinem Onkel Ben und natürlich der gigantische J. K. Simmons als zynischer Zeitungsverleger bilden die kleinen Höhepunkte des Filmes.
2002 war es auch kein Problem, dass die wankelmütige Mary Jane sich noch in den Erstbesten mit großem Auto verliebt und es im Laufe des Filmes insgesamt auf drei Partner bringt (je nach Perspektive sogar mehr). Dennoch schafft sie es spielend, nicht nur den Helden, sondern auch den Zuschauer ganz für sich zu gewinnen.

Und weil schon das Finale angesprochen wurde: Hier fehlte eindeutig eine zündende Idee. Einfach einen Bus mit Kindern aus dem Hut zu zaubern, ist selbst für eine Comicverfilmung unglaublich faule Trickserei.

So sehr der Film bei manchen auch in Verruf geraten sein mag, ist doch nicht von der Hand zu weisen, wie er sich über die Zeit in die Popkultur eingeschlichen hat. Und das wiederum ist vor allem dem Talent des Regisseurs für denkwürdige Szenen zu verdanken.
Sei es der der Anfang, der einem verzweifelt dem Schulbus hinterherhetzenden Peter zeigt, sei es die die unbeschwerte Art, mit der er später schrittweise seine Fähigkeiten entdeckt oder sei es der legendäre Kuss im Regen. Nicht bloß, weil Spider-Man den Comic-Wahn, den X-Men schon vorbereitet hatte, vollkommen zum Ausbruch brachte, handelt es sich um einen ungeheuer wirkmächtigen Film, ohne den unsere heutige Kinolandschaft entschieden anders aussähe. Und dazu hat nicht zuletzt das stilprägende Spiel Tobey Maguires beigetragen.
Immer noch unübertroffen ist der gelungene Zwiespalt zwischen dem Leben des Heroen und dem des des schüchternen Knaben mit stets akkurat gekämmtem Seitenscheitel. Die eine Identität muss mit gebundenen Händen zusehen, wie das Leben der Anderen durcheinandergeschüttelt wird. So sind beide dazu verdammt, zuzuschauen und zu schweigen, weil die enorme Kluft zwischen der Alltags- und der Heldenidentität auch mit den größten Superkräften kaum zu überwinden ist.

Fazit

Ein Comicmeilenstein, der jetzt schon etwas im Schatten seiner eigenen Nachkommen steht. Zusammen mit Spidey durch die Häuserschluchten zu turnen, ist auch heute noch ein großer Spaß. Ein Film, der ganz gewiss nicht perfekt ist, aber sehr gefällig und angenehm frei von Ballast.