Chronicle – Wozu bist du fähig?

Im Januar geisterte ein Video durch YouTube, das drei ohne technische Hilfsmittel über New York City schwebende Personen zeigte. Die virale Marketingkampagne für das Regiedebut des damals nicht ganz 28-jährigen Josh Trank war in vollem Gange.
Und es funktionierte: Trank trägt dank Chronicle den Titel des jüngsten Filmemachers, der jemals die Spitze des US Box Office anführte. Damit befindet er sich vor Stephen Spielberg und James Cameron.


Yes, it was the Black guy this time.

Story

In der Schule gemieden, daheim vom ewig betrunkenen Vater misshandelt, verbringt Andrew die Jugend unter alles andere als beneidenswerten Umständen. Eines Tages beschließt er, mit einer Videokamera seinen gesamten Alltag aufzunehmen. Dies macht den Sonderling nicht unbedingt beliebter, gibt ihm aber immerhin ein realisierbares Ziel. Als ihn Cousin Matt aus Mitleid auf eine Party schleppt, in der Hoffnung, ihn dort mit Alkohol sozialisieren zu können, machen die beiden zusammen mit dem extrovertierten Steve eine seltsame Entdeckung. Abseits der Feier führt ein Loch auf einer Lichtung im benachbarten Waldstück tief in die Erde hinein. Trotz leichter Bedenken schlüpfen die drei Teenager hinein und finden Besonderes.
In den nachfolgenden Tagen stellen sie fest, dass ihr Fund ihnen telekinetische Fähigkeiten eingebracht hat. Fortan ist das Trio unzertrennlich und stellt in erster Linie Schabernack mit den neugewonnen Kräften an. Andrew hat erstmalig richtige Freunde, ist für das andere Geschlecht nicht weiter unsichtbar und darf jeden Tag erleben, wie seine neue Fähigkeit an Stärke dazugewinnt. Doch wenn Jungen mit Telekinese rumspielen, muss zwangsläufig etwas schiefgehen. Und sobald der erste Passant in Mitleidenschaft gezogen wird, geht es bergab mit der noch frischen Männerfreundschaft.

Kritik

Drei absolute Nobodys, die zufällig zu Superkräften kommen. Die Prämisse klingt nach Potential, für sich genommen aber auch etwas fade, denn schließlich begann fast jeder irdische Superheld am ersten Tag als kleiner Niemand, der zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort das Richtige tat. Soweit, so bekannt. Zwar mag das Fehlen einer ebenbürtigen Bedrohung im ersten Moment aufhorchen lassen, doch da es sich nun mal um drei und nicht um eine Personen mit übermenschlichen Kräften handelt, dürfte auch jedem schnell klar sein, auf was diese Konstellation schlussendlich zusteuern muss.
Doch Chronicle ist in der Tat etwas spezieller als seine Genre-Kollegen. Zum einen lässt der Science-Fiction-Film sich Zeit, zum anderen bleibt er außergewöhnlich lange bescheiden. Vor allem aber sind seine drei Protagonisten mehr Mensch als es jeder Leinwandsuperheld der letzten Jahre gewesen ist. Abgesehen von dem Typen, der sich für Philosophie interessiert und den der Film, um das zu zeigen, willkürlich Philosophennamen einstreuen lässt, sind alle Figuren authentisch und lebensnah. So sind auch ihre Witze, wie bei echten Schülern, manchmal witzig und manchmal eben nicht. Sowohl Andrews missliche Lage als auch seine Reaktion auf diese sind die meiste Zeit über glaubwürdig. Der jugendliche Hauptdarsteller weckt Sympathien und seine Probleme sind ausnahmsweise nicht nur vorgeblich, sondern tatsächlich nahvollziehbar.
Vor allem seine Kranke Mutter, die eigentlich nur wenige Male am Rande Erwähnung findet, sorgt dafür, dass der Film immer auf dem Boden bleibt und auch die extremsten Eskapaden des Jungen nie zu abgehoben wirken.
Wirklich sehenswert wird der Film jedoch weder durch die Charaktere noch die Geschichte, sondern durch das angenehme, sehr bedachte Tempo. Der Zuschauer muss niemals lange warten und die Luft anhalten, ständig hat der Film wieder etwas Neues zu bieten, das zwar nicht immer über die Maßen clever oder überraschend ist, aber dafür häufig interessant und in seiner Natürlichkeit manchmal auch einfach sehr nett. Gerade weil das Genre mittlerweile stark überstrapaziert und ausgelutscht ist, kann man diesen Aspekt gar nicht genug loben. Und hier zeigt sich auch, dass Josh Trank seine Lorbeeren nicht zu Unrecht bekam. Wenn die Geschwindigkeit erhöht wird, sobald das Finale sich anbahnt, bleibt das Außergewöhnliche leider auch auf der Strecke.
Und dann ist da noch das prekäre Detail anzusprechen, dass Chronicle nicht nur auf den ausgetretenen Pfaden des Superhelden-, sondern auch auf denen des Found-footage-Films wandelt. Wobei „Found“ hier eigentlich gestrichen werden dürfte, da es doch höchst unwahrscheinlich ist, dass jemand besagtes Material findet und dann auch noch so zusammenstellt. Im Vergleich zu so manch anderem Gesellen in dieser Sparte ist die Motivation, weshalb überhaupt mitgeschnitten wird, zumindest recht plausibel – der Filmende ist ganz einfach ein Soziopath. Auch das Problem mit der Übelkeit auslösenden Wackelkamera wird rechtzeitig und durchaus originell gelöst, bevor das Treiben zu hektisch wird. Allerdings muss der Film sich die Frage gefallen lassen, warum er überhaupt auf dieses Stilmittel zurückgreift. Eine erhöhte Authentizität wird dadurch jedenfalls spätestens dann nicht mehr gewährleistet, sobald auch die Bilder anderer Aufzeichnungsgeräte gezeigt werden. Das Zeigbare ist dann nicht auf den Mann mit der Kamera beschränkt und der Effekt der beschränkten Perspektive verpufft. Außerdem richten selbst die von Panik Durchgeschüttelten immer noch mit verblüffender Ruhe die Linse aufs Geschehen. Mit der Wahl konventioneller Bilder hätte der Film nichts verloren und wäre nicht in die Verlegenheit gekommen, so viele Menschen mit Kamera ins Abenteuer zu schicken.
Doch schmälert das am Ende nicht effektiv den Filmgenuss.
Man darf also gespannt bleiben. Nicht nur Chronicle 2 wird folgen, auch mit dem Spiderman Spin-Off Venom wird Josh Trank unter Beweis stellen dürfen, dass er hoffentlich keine Eintagsfliege ist.

Fazit

Ein spannender kleiner Film über Normalos, denen plötzlich große Möglichkeiten offenstehen, die mit ebenso großer Verantwortung verbunden sind. Dabei verzichtet der Film auf Erklärungen und konzentriert sich ganz darauf, wie die Jugendlichen mit dieser Situation umgehen. Bei alledem schleppt Chronicle kaum Ballast mit sich herum und ist jederzeit unterhaltsam.